Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Hierauf nahm das Gespräch eine Wendung auf einfachere und gewöhnlichere Dinge. Man stand auch öfter auf und mischte sich durcheinander. Meine Mutter hatte heute einige der schönsten geschnittenen Steine meines Vaters als Schmuck an ihrem Körper. Mein Gastfreund hatte öfter darauf hingeblickt; allein jetzt konnten er und Eustach dem Reize nicht mehr widerstehen, sie traten zu meiner Mutter, betrachteten verwundert die Steine und sprachen über dieselben. Später kam auch Roland hinzu. Meinem Vater glänzten die Augen vor Freude.

Als das Gespräch noch eine Weile gedauert hatte, trennte man sich und bestellte sich auf einen Spaziergang, der noch vor dem Mittagessen statt finden sollte. Auf dem Sandplatze vor dem Rosengitter an dem Hause wollte man sich versammeln.

Wir kleideten uns in andere Kleider und kamen vor dem Hause zusammen.

Mein Vater, der wahrscheinlich sehr neugierig war, alles in diesem Hause zu sehen, hatte sich zu Risach gesellt, sie standen vor den Rosengewächsen, und mein Gastfreund erklärte dem Vater alles. Mathilde war an der Seite meiner Mutter, Klotilde und Natalie hielten sich an den Armen, und ich und Gustav so wie zu Zeiten auch Eustach und Roland hielten uns in der Nähe der alten Männer auf. Wir gingen von dem Sandplatze in den Garten, damit die Meinigen zuerst diesen sähen. Mein Gastfreund machte für meinen Vater den Führer und zeigte und erklärte ihm alles. Wo meine Mutter und Klotilde an dem Gesehenen Anteil nahmen, wurde es ihnen von ihren Begleiterinnen erläutert.

»Da sehe ich ja aber doch Faltern«, sagte mein Vater, als wir eine geraume Strecke in dem Garten vorwärts gekommen waren.

»Es wäre wohl kaum denkbar und möglich, daß meine Vögel alle Keime ausrotteten«, antwortete mein Gastfreund, »sie hindern nur die unmäßige Verbreitung. Einiges bleibt aber immer übrig, was für das nächste Jahr Nahrung liefert. Zudem kommen auch von der Ferne Faltern hergeflogen. Sie wären wohl auch die schönste Zierde eines Gartens, wenn ihre Raupen nicht so oft für unsere menschlichen Bedürfnisse so schädlich wären.«

»Bringen denn nicht aber auch die Vögel manchen Baumfrüchten Schaden?« fragte mein Vater.

»Ja, sie bringen Schaden«, entgegnete mein Gastfreund, »er trifft hauptsächlich die Kirschenarten und andere weichere Obstgattungen; aber im Verhältnisse zu dem Nutzen, den mir die Vögel bringen, ist der Schaden sehr geringe, sie sollen von dem Überflusse, den sie mir verschaffen, auch einen Teil genießen, und endlich, da sie neben ihrer natürlichen Nahrung von mir noch außerordentliche und mitunter Leckerbissen bekommen, so ist dadurch der Anlaß zu Angriffen auf mein Obst geringer.«

Wir gingen durch den ganzen Garten. Jedes Blumenbeet, jede einzelne merkwürdigere Blume, jeder Baum, jedes Gemüsebeet, der Lindengang, die Bienenhütte, die Gewächshäuser, alles wurde genau betrachtet. Der Tag hatte sich beinahe ganz ausgeheitert, und eine Fülle von Blüten lastete und duftete überall. Wir gingen bis zu dem großen Kirschbaume empor und sahen von ihm über den Garten zurück. Der Vater fühlte sich ganz glücklich, alles das sehen und betrachten zu können. Die Mutter mochte wohl ihren Umgebungen nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt haben wie der Vater, und sie mochte mit Mathilden mehr über das Wohl und Wehe und über die Zukunft ihrer Kinder gesprochen haben. Auch dürfte der Inhalt der Gespräche zwischen Klotilden und Natalien nicht vorherrschend der Garten gewesen sein. Sie konnten manche Fäden über andere Dinge anzuknüpfen gehabt haben.

Von dem großen Kirschbaume mußte wieder in das Haus zurückgegangen werden, weil die Zeit, welche noch bis zu dem Mittagessen gegeben gewesen war, ihren Ablauf genommen hatte. Man verfügte sich einen Augenblick in seine Zimmer und versammelte sich dann im Speisesaale.

Der Nachmittag war zur Besichtigung des Meierhofes, der Wiesen und Felder bestimmt. Wir gingen von dem großen Kirschbaume auf den Getreidehügel hinaus und auf ihm fort bis zu der Felderrast. Wir gingen genau den Weg, welchen ich an jenem Abende mit meinem Gastfreunde gegangen war, als ich mich zum ersten Male in dem Asperhofe befunden hatte. Wir sahen von der Felderrast ein wenig herum. Die Esche hatte eben ihre ersten kleinen Blätter angesetzt und suchte sie auszubreiten. Wir konnten uns nicht niedersetzen, weil das Bänkchen dazu viel zu klein war. Von der Felderrast gingen wir in den Meierhof. Wir schlugen den Weg ein, welchen ich einmal mit Natalien allein gewandelt war. Nach der Besichtigung des Meierhofes, in welchem mein Gastfreund meinem Vater das Kleinste und Größte zeigte, und in welchem er ihm erklärte, wie alles früher ausgesehen hatte, was daraus geworden war und was noch werden sollte, gingen wir durch die Meierhofwiesen, durch die Felder am Abhange des Hügels des Rosenhauses, dann den Hügel herum, endlich in das Gehölze des Teiches und von ihm an dem Erlenbache zurück, so daß wir wieder zu dem großen Kirschbaume kamen und von ihm in das Haus zurückkehrten. Es war mittlerweile Abend geworden. Alles hatte die Bewunderung meines Vaters erregt.

Der nächste Tag war dazu bestimmt, das Innere des Hauses, seine Kunstschätze und alles, was es sonst enthielt, zu besehen. Mein Gastfreund führte meinen Vater zuerst in alle Zimmer des Erdgeschosses, dann über den Marmorgang die Treppe hinan zur Marmorgestalt. Wir waren alle mit, außer Eustach und Roland. Bei der Marmorgestalt hielten wir uns sehr lange auf. Von ihr gingen wir in den Marmorsaal, in welchem mein Gastfreund meinem Vater alle Marmorarten nannte und ihm die Orte ihres Vorkommens bezeichnete. Dann besuchten wir nach und nach die Wohnzimmer meines Gastfreundes, die Zimmer mit den Bildern, Büchern, Kupferstichen, das Lesezimmer, das Eckzimmer mit den Vogelbrettchen und endlich die Gastzimmer und die Wohnung Mathildens. Auch Rolands Gemach wurde besehen, in welchem auf einer Staffelei sein beinahe fertiges Bild stand. Den Beschluß machte der Besuch des Schreinerhauses und die Besichtigung seiner Einrichtung und alles dessen, was da eben gefördert wurde. War mein Vater schon gestern voll Bewunderung gewesen, so war er heute beinahe außer sich. Die Marmorgestalt hatte seinen Beifall so sehr, daß er sagte, er könne sich von seinen Reisen her nicht auf Vieles erinnern, was von altertümlichen Werken besser wäre als diese Gestalt. Sie wurde von allen Seiten besehen und wieder besehen, dieser Teil und jener Teil und das Ganze wurde besprochen. So etwas, sagte mein Vater, könne er nicht entfernt aufweisen, nur einige seiner alten geschnittenen Steine könnten neben dieser Gestalt noch besehen werden. Der Marmorsaal gefiel ihm sehr, und der Gedanke, ein solches Gemach zu bauen, erschien ihm als ein äußerst glücklicher. Er pries die Geduld meines Gastfreundes im Suchen des Marmors und lobte die, welche die Zusammenstellung entworfen hatten, daß etwas so Reines und Großartiges zu Stande gekommen sei. Die alten Geräte, die Bilder, die Bücher, die Kupferstiche beschäftigten meinen Vater auf das Lebhafteste, er sah alles genau an und sprach als Liebhaber und auch als Kenner über Vieles. Mein Gastfreund verständigte sich leicht mit ihm, ihre Ansichten trafen häufig zusammen und ergänzten sich häufig, in so ferne man überhaupt Ansichten in einer Gesellschaft, in welcher man sich kurz fassen mußte, aussprechen konnte. Meine Mutter freute sich innig über die Freude des Vaters. So war es denn also doch in Erfüllung gegangen, was sie so oft gewünscht hatte, daß mein Vater das Haus meines Gastfreundes besuchte, und es war auf eine liebe Art in Erfüllung gegangen, die sie sich gewiß einstens nicht gedacht hatte. Rolands Bild betrachtete der Vater sehr aufmerksam, er hielt es für höchst bedeutend, er sprach mit Risach über Verschiedenes in demselben und äußerte sich, daß, nach diesem Werke zu urteilen, Roland eine hoffnungsvolle Zukunft vor sich haben dürfte. Daß es meinen Gastfreund mit Vergnügen erfüllte, daß seine Schöpfungen mit solcher Anerkennung von einem Manne, aus dessen Worten die Berechtigung zu einem Urteile hervorging, betrachtet werden, ist begreiflich. Die zwei Männer schlossen sich immer mehr an einander und vergaßen zuweilen ein wenig die übrige Gesellschaft. In dem Schreinerhause, in welchem Eustach den Führer machte, wurden nicht nur alle Zeichnungen und Pläne durchgesehen, sondern die ganze Einrichtung und die Art, wie hier verfahren werde, sammt allen Werkzeugen, wurde einer genauen Beobachtung unterzogen. Der Vater war voll der Billigung darüber. Mit Besichtigung dieser Dinge war der ganze Tag verbraucht worden.

Am nächsten Tage fuhr man in den Alizwald, damit mein Gastfreund meinen Eltern den Forst zeigen konnte, welcher zu dem Asperhofe gehörte.

Die folgenden Tage waren für die Gesellschaft schon weniger vereinigend. Man zerstreute sich und ging dem nach, was eben die meiste Anziehungskraft ausübte. Zu mir und Natalien kamen nach und nach alle Bewohner des Rosenhauses und des Meierhofes, um uns Glück und Segen zu unserer bevorstehenden Vereinigung zu wünschen. Sie hatten jetzt erst, nach geschehener Verlobung, die Gewißheit davon erhalten, hatten es aber in früherer Zeit aus den Vorgängen, die sie sahen, gemutmaßt und geschlossen. Mein Vater holte Vieles wieder im Einzelnen nach, was er im Allgemeinen gesehen hatte, er war bald hier, bald dort und war viel mit dem Besitzer des Hauses beschäftigt. Die Frauen ließen sich das angelegen sein, was Sache des Hauswesens ist, und verkehrten manche Weile mit Katharinen. Wir jüngeren Leute gingen viel in dem Garten herum, besuchten manche Stelle und machten Spaziergänge. Wir waren mehrere Male bei den Gärtnerleuten, saßen einmal lange bei ihrem Tische und besahen einmal ausführlich für uns die Gewächshäuser und ließen uns das Vorhandene von dem Gärtner erklären. Eines Tages waren wir auch alle im Inghofe, und die Bewohner des Inghofes waren eines andern Tages im Asperhofe. Der Pfarrer von Rohrberg und mehrere der angeseheneren Bewohner der Gegend waren von nahe oder von ferne herzugekommen, um zu dem ihnen bekannt gewordenen Ereignisse ihren Glückwunsch darzubringen. Selbst Bauersleute der Nachbarschaft und Andere, die mich und Natalien kannten, kamen zu demselben Zwecke.

Wir mußten zwölf Tage in dem Asperhofe zubringen, dann aber wurde unser Reisewagen bepackt, und wir traten die Rückreise in unsere Vaterstadt an.

 

Da wir zu Hause angekommen waren, wurde sogleich daran gegangen, Zimmer in Bereitschaft zu setzen, daß wir den Gegenbesuch, wenn er eintreffen würde, anstandsvoll empfangen könnten. Ich rüstete mich indessen auch noch zu etwas Anderem, was noch vor der Verbindung mit Natalien statthaben mußte, zu meiner großen Reise. Ich suchte die Anstalten so zu treffen, daß ich glaubte, nichts Wesentliches außer Acht gelassen zu haben. Die Notwendigkeit, mir durch diese Reise noch Manches, was mir fehlte, anzueignen und in dieser Hinsicht nicht zu weit hinter Natalien zurückstehen zu müssen, war mir einleuchtend, und eben so einleuchtend war es mir, daß ich eine größere Reise allein machen müsse, ehe ich in künftiger Zeit mit Natalien eine Reise antreten könnte. Ich hatte auch vor, mich gleich nach der Zeit, in der uns der Gegenbesuch abgestattet sein würde, auf die Reise zu begeben.

Der Gegenbesuch kam drei Wochen nach dem Tage, an welchem wir in der Stadt angelangt waren. Ein Brief hatte ihn vorher angekündigt. Mathilde, Risach, Natalie und Gustav trafen in einem schönen Reisewagen ein. Sie wurden in die für sie in Bereitschaft gehaltenen Zimmer geführt. Nachdem sie sich umgekleidet hatten, kamen wir zum Gruße in unserem Besuchzimmer zusammen. Der Empfang in unserem Hause war so herzlich und innig, wie er nur immer in dem Sternenhofe und in dem Hause meines Gastfreundes gewesen war. In allen Mienen war Freude, und alle Worte setzten die begonnene Bekanntschaft und die sich entwickelnde Freundschaft fort. Selbst bis auf die Dienerschaft pflanzte sich das angenehme Gefühl über. Aus einzelnen Worten und aus den heitern Angesichtern entnahm man, wie sehr ihnen die wunderschöne Braut gefalle. Was unser Haus und die Stadt für die Gäste Angenehmes bieten konnte, wurde ihnen zur Verfügung gestellt. Wie auf den beiden Landsitzen wurde auch hier alles gezeigt, was das Haus enthält.

Die Gäste wurden in die Zimmer geführt, besahen Bilder, Bücher, alte Schreine und geschnittene Steine. Sie kamen in das gläserne Eckhäuschen und in alle Teile des Gartens. In Hinsicht der Bilder meines Vaters sprach sich mein Gastfreund dahin aus, daß sie als Ganzes durchaus wertvoller seien als seine Sammlung, obwohl er auch einzelne Stücke besitze, welche dem Besten aus meines Vaters Sammlung an die Seite gestellt werden könnten. Meinen Vater freute dieses Urteil, und er sagte, er hätte ungefähr dasselbe gefällt.

Die geschnittenen Steine, sagte mein Gastfreund, seien auserlesen, und denen hätte er nichts Gleiches entgegenzustellen, es müßte nur das Marmorstandbild sein.

»Das ist es auch, und das ist das Höchste, was in beiden Kunstsammlungen besteht«, erwiderte mein Vater.

Die Schnitzarbeiten im Glashäuschen waren meinem Gastfreunde aus meinen Abbildungen bekannt. Er beschäftigte sich aber doch mit ihrer genauen Besichtigung und erteilte ihnen mit Rücksicht auf die Zeit ihrer Entstehung viel Lob. Mein Einbeerblatt aus Marmor im Garten wurde einer Anerkennung nicht für unwürdig erachtet. Meinen Vater erquickte die Würdigung seiner Schätze von einem Manne, wie Risach war, sehr, und ich glaube, er hatte keine angenehmeren Stunden gehabt, seit er alle diese Dinge zusammen gebracht, als die Zeit, die Risach bei ihm gewesen war. Selbst jenen Augenblick dürfte er kaum vorgezogen haben, da sich zum ersten Male meine Augen für den Wert dessen geöffnet hatten, was er besaß. Bei mir war es damals nur Gefühl gewesen, bei Risach war jetzt es Urteil.

Zum Vergnügen außer dem Hause geschahen zwei Theaterbesuche, drei gemeinschaftliche Besuche in Kunstsammlungen und einige Fahrten in die Umgebung.

Bei dieser Zusammenkunft wurde auch die Vermählungszeit besprochen. Ich sollte meine angekündigte Reise unternehmen und nach der Zurückkunft sollte kein Aufschub mehr stattfinden. Der Tag werde dann festgestellt werden. Nach dieser Verabredung wurde Abschied genommen. Der Abschied war dieses Mal sehr schwer, weil er auf länger genommen wurde und weil unglückliche Zufälle in der Abwesenheit nicht unmöglich sein konnten. Aber wir waren standhaft, wir scheuten uns, vor Zeugen, selbst vor so lieben, einen Schmerz zu äußern, sondern trennten uns und versprachen, uns zu schreiben.

Als uns unsere Gäste verlassen hatten, zeigten wir in Briefen an einige uns sehr befreundete Familien meine Verlobung an. Zur Fürstin ging ich selbst, um ihr dieses Verhältnis zu eröffnen. Sie lächelte herzlich und sagte, daß sie sehr wohl bemerkt habe, daß ich einmal, da sie des Namens Tarona Erwähnung getan hatte, äußerst heftig errötet sei.

Ich erwiderte, daß ich damals nur errötet sei, weil sie mich auf einer inneren Neigung betroffen habe, den Namen Tarona habe ich in jener Zeit an Natalien noch gar nicht gekannt. Ich sprach auch von meiner Reise, sie lobte diesen Entschluß sehr und erzählte mir von den Verhältnissen verschiedener Hauptstädte, in denen sie in früheren Jahren zeitweilig gewohnt hatte. Sie erwähnte kurz auch Manches über das äußere Ansehen der Länder, da sie eine große Freundin landschaftlicher Schönheiten war. Sie hatte eben in dem Augenblicke vor, wieder an den Gardasee zu gehen, den sie schon öfter besucht hatte. Das war auch die Ursache, daß sie noch so spät im Frühlinge in der Stadt war. Sie ersuchte mich, nach meiner Zurückkunft wieder bei ihr auf ein Weilchen zu erscheinen. Ich versprach es.


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