Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Nun hielt ich mich nicht mehr länger in dem Asperhofe auf und eilte in die Tann.

Ich stieg dort auf Berge, ich arbeitete sehr angestrengt, ich spielte sehr viel auf meiner Zither und las in meinen Büchern.

Eines Tages gegen den Spätsommer hin hörte ich mit Allem auf. Ich packte meine Kisten, tat die Werkzeuge und die Schriften, die sich auf meine Arbeiten bezogen, in ihre Fächer und Koffer, entließ fast alle Leute, versah die Kisten mit Aufschriften, verordnete ihre Versendung und ging dann in das Lauterthal. Dort nahm ich nur den alten Kaspar und von den jungen Männern einen, der mir besonders lieb geworden war, und beschloß, die Messung des Lautersees zu Ende zu bringen.

Ich mietete mich in dem Seewirtshause ein, richtete alle Geräte, welche mir zu meinem Vorhaben nötig waren, zurecht, ließ diejenigen neu verfertigen, welche ich nicht hatte, und ging ans Werk. Ich arbeitete recht fleißig. So lange das Licht des Tages leuchtete, waren wir auf dem Wasser. Nachts – außer einigen Stunden Schlafes – war ich an dem Papiere teils mit Rechnungen, teils mit Schreiben, teils sogar mit Zeichnen beschäftigt. Ich wiederholte einige Messungen, welche ich in früheren Zeiten vorgenommen hatte, um mich von der Beständigkeit oder Wandelbarkeit des Wasserstandes oder des Seegrundes zu überzeugen. Da ein durchaus gleicher Wasserstand nicht zu denken ist, so bezog ich meine Messungen auf einen mittleren Stand und stellte immer die Frage, wie tief unter diesem Stande die bestimmten Stellen des Seegrundes liegen. Dieser mittlere Stand, der nach demjenigen genommen wurde, welcher in der meisten Zeit des Jahres herrscht, war in meiner Abbildung auch der Wasserspiegel. Ihn nahm ich bei den Nachmessungen zur Richtschnur. In größeren Entfernungen von dem Ufer hatte sich der Seegrund seit dem Beginne meiner Messungen nicht geändert, oder wenn er sich geändert hatte, war es so wenig, daß es durch unsere Meßwerkzeuge nicht wahrzunehmen war. An jenen Ufern oder in der Nähe derselben, wo große Tiefen herrschten und steile, ruhige Wände standen, an denen bei Regengüssen höchstens schmale Bänder oder seichte Wasserflächen niederrieseln, war ebenfalls keine Veränderung. Aber an seichten Stellen bei flacheren Ufern, wo der Regen Gerölle und andere Dinge einführt, fanden sich schon Veränderungen vor. Am meisten aber waren die Wandlungen und am größten, wo eine Schlucht sich gegen das Wasser öffnete, aus welcher ein Bergbach hervorströmte, der, je nachdem er weiter her floß oder bei Güssen heftiger anschwoll, auch größere Berge von Gerölle in den See schob und dort liegen ließ.

Nach der Wiederholung dieser alten Messungen wurde zu neuen geschritten, die zur Vollendung der mir zum Ziele gesetzten Kenntnisse notwendig waren. Ebenso wurden die Zeichnungen der Gebilde, welche sich außerhalb des Wassers als Ufer befanden, fleißig fortgesetzt.

Zweimal wurde die Arbeit unterbrochen. Ich ging in das Rothmoor, um nachzusehen, wie weit die Dinge, die aus meinen Marmoren verfertigt werden sollten, gediehen wären und wie gut sie ausgeführt würden. Die Fortschritte waren zu loben. Man sagte – und ich selber sah die Möglichkeit ein -, daß in diesem Sommer noch alles fertig werden würde. Aber in Hinsicht der Güte hatte ich Ausstellungen zu machen. Ich ordnete mit Bitten, Vorstellungen und Versprechen an, daß man das, was ich angab, so genau und so rein mache, wie ich es wollte.

Wenn Regenzeit war, so daß die Wolken an den Bergen herum hingen und weder diese noch die Gestalt des Sees richtig zu überblicken waren, so blieb ich zu Hause und zeichnete und malte dasjenige in mein Hauptblatt, was ich im Freien auf viele Nebenblätter aufgenommen hatte. So rückte das Unternehmen der Vollendung immer näher.

Endlich waren die Arbeiten im Freien beendigt, und es erübrigte nur noch, die vielen Angaben, welche in meinen Papieren zerstreut waren und welche ich bisher nicht hatte bewältigen können, in die Zeichnung einzutragen und die Gestalten, welche ich auf einzelnen Blättern hatte, teils mit der Hauptzeichnung wegen der Richtigkeit zu vergleichen, teils diese, wo es nottat, zu ergänzen. Auch Farben mußten auf verschiedene Stellen aufgetragen werden.

Nach langer Arbeit und nach vielen Schwierigkeiten, die ich zur Erzielung einer großen Genauigkeit zu überwinden hatte, war das Werk eines Tages fertig, und der ganze Entwurf lag in schwermütiger Düsterheit und in einer Schönheit vor meinen Augen, die ich selber nicht erwartet hatte. Ich betrachtete allein die Abbildung eine Weile, da niemand war, der das Anschauen mit mir geteilt hätte, rollte dann das Blatt auf eine Walze, verpackte es sehr gut in einen Koffer, nahm von dem See und von allen Bewohnern des Seewirtshauses Abschied und begab mich auf den Weg in das Ahornhaus des Lauterthales.

Dort siedelte ich mich an. Ich ging nun täglich in das Rothmoor, blieb den ganzen Tag dort und kehrte Abends zurück, so daß ich in der Dämmerung im Ahornhause ankam. Ich sah im Rothmoore den Arbeiten an meinen Marmoren zu, dem Schneiden, Feilen, Reiben, Schleifen und Glätten. Ich gab auch an, wie Manches zu behandeln sei und wie es einer größeren Vollendung, namentlich aber einer größern Genauigkeit entgegen geführt werden könnte.

 

Das Wasserbecken meines Vaters wurde nach und nach fertig und die kleineren Dinge, welche gemacht werden sollten, waren ebenfalls vollendet. Die Sonne schien in die Bauhütte, und das Becken erglänzte recht rein und schön in derselben. Ich ließ von starken Balken Behältnisse zimmern. In diese wurden die Teile des Beckens mit Winden, Hebeln und Stricken gepackt und zur Versendung bereitet. Die Wägen mußten eigens vorgerichtet werden, damit die Behältnisse an den Strom gebracht werden könnten. Diese Vorrichtung war endlich fertig. Das Aufladen wurde bewerkstelligt, und die Wägen gingen ab. Ich ging mit ihnen bis an den Strom und verließ sie keinen Augenblick, um wo möglich jeden Unfall zu verhüten. Am Strome wurden die Behältnisse auf ein Schiff verladen und weiter befördert. Von dem Landungsplatze vor unserer Stadt wurden sie endlich wieder durch starke Wägen in unsern Garten gebracht.

Es wurde nun daran geschritten, das Wasserwerk in diesem Herbste noch fertig zu machen. Der Vater hatte auf Briefe von mir und auf gesendete Maße den Dingen bereits vorarbeiten lassen. Es wurden nun noch mehrere Arbeiter gedungen und ein Wasserbaukundiger genommen, welcher die Arbeiten zu leiten hatte. Ich war den ganzen Tag bei dem Werke zugegen und half mit. Der Vater kargte sich ebenfalls alle mögliche Zeit ab, um zugegen sein und zuschauen zu können. Die Röhren wurden gelegt, die Steigröhre verzapft, der Stengel über sie gebaut, mit den nötigen Eisen gestärkt und verlötet, und an demselben wurde das Blatt befestigt. Der Pfropfen, welcher den in das Blatt mündenden Stengel geschlossen gehalten hatte, wurde gelüftet, und der reine Strahl fiel auf die im Blatte liegende Einbeere hinunter, füllte das Becken und glitt von demselben, als es gefüllt war, auf den sanften gelb marmornen Fußboden nieder und rieselte in dessen Rinne weiter. Die Farben stimmten sehr gut zusammen, das Dunkel des Stengels hob sich von dem Rosenrot des Blattes ab, und das Gelb des Fußbodens gab dem Rosenrot eine schönere Farbe und einen feineren Glanz. Es waren mehrere Gäste zur Eröffnung des Werkes geladen worden, und diese sowie Vater, Mutter und Schwester freuten sich des Gelingens.

Der Vater reichte mir als Gegengeschenk, sehr schön gebunden und auf den Deckeln mit halberhabener Arbeit versehen, das Nibelungenlied. Ich dankte ihm sehr dafür.

Es wurde beschlossen, für den Winter ein Bretterhäuschen über das Wasserwerk machen zu lassen und dasselbe gut zu verwahren, daß keine Kälte eindringen könne. Für den Frühling wurden Pläne entworfen, wie man die Gartenumgebungen des Beckens einrichten solle, daß der ganze Anblick ein desto würdigerer und schönerer sei. Man hoffte, bis zum Eintritte der besseren Jahreszeit mit den Entwürfen im Reinen zu sein und beginnen zu können.

Ich übergab außer dem Becken auch die andern Marmorgegenstände, welche in dem Rothmoore waren verfertiget worden. Darunter befanden sich Säulen und Simse, welche an einer Stelle verwendet werden sollten, die am Ende des Gartens lag, eine Aussicht auf die Berge und auf die Umgebung bot und auf welcher der Vater etwas zu errichten vorhatte, das der Aussicht würdig wäre und sie besser genießen lasse. Ich meinte, es dürfte eine schöne Fassung anzulegen sein, die den Platz begrenzt, die breite Flächen hat, daß man sich auf dieselben lehnen und Dinge auf sie legen könne und an der sich Sitze befänden, auf welchen man ausruhen könne. Wenn in der Nähe dieser Fassung ein Tisch wäre, würde es noch besser sein. Außerdem hatte ich Schalen zu beliebigem Gebrauche gebracht, Ringe, die einen Vorhang fassen, Tischplatten, Pfeilerverzierungen, Steine von verschiedener Farbe, die im Vierecke geschliffen waren und die man der Reihe nach auf Papier oder Ähnliches legen konnte, und noch mehrere Dinge dieser Art. Dem Vater zeigte ich die Zeichnung von dem Kerberger Altare und sagte, daß ich sie eigens für ihn gemacht habe und sie ihm hiemit übergebe. Er war sehr erfreut darüber und dankte mir dafür. Der Altar war ihm zwar nicht neu, er hatte ihn in früherer Zeit, ehe er wieder hergestellt worden war, gesehen, und die Zeichnung des wiederhergestellten Altares war unter den von meinem Gastfreunde dem Vater im vorigen Jahre gesendeten Zeichnungen gewesen. Deßohngeachtet war es ihm sehr angenehm, die Zeichnung zu besitzen und sie öfter und nach Muße betrachten zu können. Er machte mich auf mehrere Dinge aufmerksam, die er nach wiederholter Betrachtung entdeckt hatte. Zuerst sah er, daß der Altar viel reicher und mannigfaltiger sei, als da er ihn in noch unverbessertem Zustande vor vielen Jahren in Wirklichkeit gesehen hatte; dann machte er mich darauf aufmerksam, daß dieses Werk schon die Rundlinie habe, daß die Türmchen durch gewundene Stäbe in Gestalten von Pyramiden gebildet und daß die menschlichen Gestalten schon sehr durchgearbeitet seien, was alles darauf hindeute, daß das Werk nicht mehr der Zeit der strengen gothischen Bauart angehöre, sondern derjenigen, wo diese Art sich schon zu verwandeln begonnen hatte. Auch zeigte er mir, daß Teile der Verzierungen im Laufe der Zeiten an andere Orte gestellt worden seien als an die sie gehören, daß die Büsten sich nicht an dem rechten Platze befinden und daß menschliche Gestalten verloren gegangen sein müssen. Er holte Bücher aus seinem Bücherschreine herbei, in denen Abbildungen waren und aus denen er mir die Wahrheit dessen bewies, was er behauptete. Ich sagte ihm, daß mein Gastfreund und Eustach der nehmlichen Meinung sind, daß aber die Wiederherstellungen, welche man an dem Altare gemacht hat, im strengen Wortverstande nicht Wiederherstellungen gewesen seien, sondern daß man sich zuerst nur zum Zwecke gesetzt habe, den Stoff zu erhalten und weitere Umänderungen oder größere Ergänzungen einer ferneren Zeit aufzubewahren, wenn sich überhaupt die Mittel und Wege dazu fänden. Nur solche Ergänzungen sind gemacht worden, bei denen die Gestalt des Gegenstandes unzweifelhaft gegeben war.

Die Bücher des Vaters machten mich auf die Sache, die sie behandelten, mehr aufmerksam, ich bat ihn, daß er sie mir in meine Wohnung leihe, und begann sie durchzugehen. Sie führten mich dahin, daß ich die Baukunst und ihre Geschichte vom Anfange an genauer kennen zu lernen wünschte und mir alle Bücher, die hiezu nötig waren, nach dem Rate meines Vaters und Anderer ankaufte.


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