Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Als ich in dem Asperhofe ankam, sagten mir der Gärtner und die Dienstleute, daß Mathilde, Natalie, mein Gastfreund, Eustach, Roland und Gustav in den Sternenhof fort seien. Die Rosen waren schon verblüht, und man hatte mich nicht mehr erwartet. Mein Gastfreund hatte gesagt, daß ich, weil ich ihm im Frühlinge mitgeteilt hatte, daß ich heuer ganz nahe an dem Simmieise wohnen werde, wahrscheinlich im Sommer von dorther den weiten Weg nicht werde haben machen wollen, und daß zu vermuten sei, daß ich im Herbst meine Arbeit abkürzen und auf eine Zeit bei meinen Freunden einsprechen werde. Sollte ich aber dennoch kommen, so hatten die Leute den Auftrag, zu sagen, daß man mich bitte, in den Sternenhof nachzukommen.

Ich mietete also des andern Tages auf der Post einen leichten Wagen und schlug die Richtung nach dem Sternenhofe ein.

Als ich in der Umgebung desselben angekommen war, sah ich an Zäunen und in Gärten noch manche Rose frisch blühen, obwohl im Asperhofe weder auf dem Gitter noch im Garten eine zu erblicken gewesen war, außer mancher welken und gerunzelten Blume, die man abzunehmen vergessen hatte. Auch auf der Anhöhe, die zu dem Schlosse empor leitete, waren an Rosenbüschen, die gelegentlich den Rasen säumten, weil man im Sternenhofe die Rosen nicht eigens pflegte, sondern sie nur wie gewöhnlich als schönen Gartenschmuck zog, noch Knospen, die ihres Aufbrechens harrten. Diese Tatsache mag daher kommen, weil der Sternenhof näher an den Gebirgen und höher liegt als das Rosenhaus meines Freundes.

In dem Hofe des Hauses nahmen die Leute mein Gepäck und die Pferde in Empfang und wiesen mich die große Treppe hinan. Da ich gemeldet worden war, wurde ich in Mathildens Zimmer geführt und fand sie in demselben allein. Sie ging mir fast bis zu der Tür entgegen und empfing mich mit derselben offenen Herzlichkeit und Freundlichkeit, die ihr immer eigen war. Sie führte mich zu dem Tische, der an einem mit Blumen geschmückten Fenster stand, wo sie gerne saß, und wies mir ihr gegenüber einen Stuhl an dem Tische an. Als wir uns gesetzt hatten, sagte sie: »Es freut mich sehr, daß ihr noch gekommen seid, wir haben geglaubt, daß ihr heuer den weiten Weg nicht machen würdet.«

»Wo man mich so freundlich aufnimmt«, antwortete ich, »und wo man mich so gütig behandelt, dahin mache ich gerne einen Weg, ich mache ihn jedes Jahr, wenn er auch weit ist, und wenn ich auch meine Beschäftigung unterbrechen muß.«

»Und jetzt findet ihr mich und Natalien nur allein in diesem Hause«, erwiderte sie, »die Männer, da sie sahen, daß ihr nach dem Abblühen der Rosen noch nicht gekommen waret, meinten, ihr würdet im Sommer nun gar nicht mehr kommen, und haben eine kleine Reise angetreten, die auch Gustav mitmacht, weil er das Reisen so liebt. Sie besuchen eine kleine Kirche in einem abgelegenen Gebirgstale, deren Zeichnung Roland gebracht hat. Die Kirche wurde in der Zeichnung sehr schön befunden, und zu ihr sind sie nun unter Rolands Führung auf dem Wege. Wo sie nach der Besichtigung derselben hinfahren werden, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß sie nur einige Tage ausbleiben und in den Sternenhof zurückkehren werden. Ihr müßt sie hier erwarten, sie werden eine Freude haben, euch zu sehen, und ich werde mich bemühen, alles Erforderliche einzuleiten, daß ihr indessen hier die beste Bequemlichkeit haben könnet.«

»Der Bequemlichkeit«, erwiderte ich, »bin ich weder gewohnt, noch schlage ich sie hoch an. Ich möchte nur nicht eine Störung in euer jetziges einsames Hauswesen bringen. Das Höchste, was mir zu Teil werden kann, habe ich empfangen, eine freundliche Aufnahme.«

»Wenn auch gewiß eine freundliche Aufnahme das Höchste ist, und wenn ihr auch eine Bequemlichkeit nicht begehret«, antwortete sie, »so ist die Freundlichkeit in den Mienen bei der Aufnahme eines Gastes nicht das Einzige, so schätzenswert sie dort ist, sondern sie muß sich auch in der Tat äußern, und es muß uns erlaubt sein, unsere Pflicht, die uns lieb ist, zu erfüllen, und dem Gaste eine so gute Wohnlichkeit zu bereiten, als es die Umstände erlauben, er mag sie nun benützen oder nicht.«

»Was ihr für eine Pflicht haltet, will ich nicht bestreiten«, antwortete ich, »ich will es nicht beirren, nur wünschen muß ich, daß es mit so wenig eigener Aufopferung als möglich verbunden ist.«

»Diese wird nicht groß sein«, sagte sie, »auf einige Aufmerksamkeit in Hinsicht der Genauigkeit und Willigkeit der Leute kömmt es an, und diese müsset ihr mir schon erlauben.«

Sie zog mit diesen Worten an einer Glockenschnur und bedeutete den hereinkommenden Diener, daß er ihr den Hausverwalter rufe.

Da dieser erschienen war, sagte sie ihm mit sehr einfachen und kurzen Worten, daß für einen längeren Aufenthalt für mich in dem Hause auf das Beste gesorgt werden möge. Als er sich entfernen wollte, trug sie ihm noch auf, vorerst dem Fräulein zu sagen, wer gekommen sei, sie würde es später auch selber melden, und zum Abendessen würden wir in dem Speisezimmer zusammen kommen.

Der Hausverwalter entfernte sich, und Mathilde sagte, jetzt wäre das Hauptsächlichste getan, und es erübrige später nur noch, sich einen Bericht über die Mittel und die Art der Ausführung geben zu lassen.

Wir gingen nun auf andere Gespräche über. Mathilde fragte mich um mein Befinden und um das Allgemeine meiner Beschäftigungen, denen ich mich in diesem Sommer hingegeben habe.

Ich antwortete ihr, daß mein körperliches Befinden immer gleich wohl geblieben sei. Man habe mich von Kindheit an zu einem einfachen Leben angeleitet, und dieses, verbunden mit viel Aufenthalt im Freien, habe mir eine dauernde und heitere Gesundheit gegeben. Mein geistiges Befinden hänge von meinen Beschäftigungen ab. Ich suche dieselben nach meiner Einsicht zu regeln, und wenn sie geordnet und nach meiner Meinung mit Aussicht auf einen Erfolg vor sich gehen, so geben sie mir Ruhe und Haltung. Sie sind aber in den letzten Jahren, was meine Hauptrichtung anbelangt, fast immer dieselben geblieben, nur der Schauplatz habe sich geändert. Die Nebenrichtungen sind freilich andere geworden, und dies werde wohl fortdauern, so lange das Leben daure.

Hierauf fragte ich nach dem Wohlbefinden aller unserer Freunde.

Mathilde antwortete, man könne hierüber sehr befriedigt sein. Mein Gastfreund fahre in seinem einfachen Leben fort, er bestrebe sich, daß sein kleiner Fleck Landes seine Schuldigkeit, die jedem Landbesitze zum Zwecke des Bestehenden obliege, bestmöglich erfülle, er tue seinen Nachbarn und andern Leuten viel Gutes, er tue es ohne Gepränge und suche hauptsächlich, daß es in ganzer Stille geschehe, er schmücke sich sein Leben mit der Kunst, mit der Wissenschaft und mit andern Dingen, die halb in dieses Gebiet, halb beinahe in das der Liebhabereien schlagen, und er suche endlich sein Dasein mit jener Ruhe der Anbetung der höchsten Macht zu erfüllen, die alles Bestehende ordnet. Was zuletzt auch noch zum Glücke gehört, das Wohlwollen der Menschen, komme ihm von selber entgegen. Eustach und der ziemlich selbständige Roland haben sich zum Teile an dieses Gewebe von Tätigkeiten angeschlossen, zum Teile folgen sie eigenen Antrieben und Verhältnissen. Gustav strebe erst auf der Leiter seiner Jugend empor, und sie glaube, er strebe nicht unrichtig. Wenn dieses sei, so werde dann die letzte Sprosse an jede Höhe dieses Lebens anzulegen sein, auf der ihm einmal zu wandeln bestimmt sein dürfte. Was endlich sie selber und Natalie betreffe, so sei das Leben der Frauen immer ein abhängiges und ergänzendes, und darin fühle es sich beruhigt und befestigt. Sie beide hätten den Halt von Verwandten und nahen Angehörigen, dem sie zur Festigung von Natur aus zugewiesen wären, verloren, sie leben unsicher auf ihrem Besitztume, sie müßten Manches aus sich schöpfen wie ein Mann und genießen der weiblichen Rechte nur in dem Widerscheine des Lebens ihrer Freunde, mit dem der Lauf der Jahre sie verbunden habe. Das sei die Lage, sie daure ihrer Natur nach so fort und gehe ihrer Entwicklung entgegen. Mich hatte diese Darstellung Mathildens beinahe ernst gemacht. Die Stimmung milderte sich wieder, da wir auf die Erzählung von Dingen kamen, die sich in diesem Sommer zugetragen hatten. Mathilde berichtete mir über die Rosenblüte, über die Besuche in derselben, über ihr Leben auf dem Sternenhofe und über das Gedeihen alles dessen, was der Jahresernte entgegen sehe. Ich beschrieb ihr ein wenig meinen jetzigen Aufenthaltsort, erklärte ihr, was ich anstrebe, und erzählte ihr, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln wir es auszuführen versuchen.

Nachdem das Gespräch auf diese Art eine Zeit gedauert hatte, empfahl ich mich und begab mich in mein Zimmer.

Es war mir dieselbe Wohnung eingeräumt und hergerichtet worden, welche ich jedes Mal, so oft ich in dem Sternenhofe gewesen war, inne gehabt hatte. Ein Diener hatte mich von dem Vorzimmer Mathildens in dieselbe geführt. Sie hatte beinahe genau dasselbe Ansehen wie früher, wenn ich ein Bewohner dieses Hauses gewesen war. Sogar die Bücher, welche der Hausverwalter jedes Mal zu meiner Beschäftigung herbeigeschafft hatte, waren nicht vergessen worden. Nachdem ich mich eine Weile allein befunden hatte, trat dieser Hausverwalter herein und fragte mich, ob alles in der Wohnung in gehöriger Ordnung sei oder ob ich einen Wunsch habe. Als ich ihm die Versicherung gegeben hatte, daß alles über meine Bedürfnisse trefflich sei, und nachdem ich ihm für seine Mühe und Sorgfalt gedankt hatte, entfernte er sich wieder.

Ich überließ mich eine Zeit der Ruhe, dann ging ich in den Räumen herum, sah bald bei dem einen, bald bei dem andern Fenster auf die bekannten Gegenstände, auf die nahen Felder und auf die entfernten Gebirge hinaus und kleidete mich dann zu dem Abendessen anders an.

Zu diesem Abendessen wurde ich bald, da ich spät am Tage in dem Schlosse angekommen war, gerufen.

Ich begab mich in den Speisesaal und fand dort bereits Mathilden und Natalien. Mathilde hatte sich anders angekleidet, als ich sie bei meiner Ankunft in ihrem Zimmer getroffen hatte. Von Natalien wußte ich dies nicht; aber da sie ein ähnliches Kleid anhatte wie Mathilde, so vermutete ich es und mußte überzeugt sein, daß man ihr meine Ankunft gemeldet habe. Wir begrüßten uns sehr einfach und setzten uns zu dem Tische.

Mir war es äußerst seltsam und befremdend, daß ich mit Mathilden und Natalien allein in ihrem Hause bei dem Abendtische sitze.

Die Gespräche bewegten sich um gewöhnliche Dinge.

Nach dem Speisen entfernte ich mich bald, um die Frauen nicht zu belästigen, und zog mich in meine Wohnung zurück.

Dort beschäftigte ich mich eine Zeit mit Papieren und Büchern, die ich aus meinem Koffer hervorgesucht hatte, geriet dann in Sinnen und Denken und begab mich endlich zur Ruhe.

 

Der folgende Tag wurde zu einem einsamen Morgenspaziergange benützt, dann frühstückten wir mit einander, dann gingen wir in den Garten, dann beschäftigte ich mich bei den Bildern in den Zimmern. Der Nachmittag wurde zu einem Gange in Teile des Meierhofes und auf die Felder verwendet, und der Abend war wie der vorhergegangene.

Mit Natalien war ich, da sie jetzt mit ihrer Mutter allein in dem Schlosse wohnte, beinahe fremder als ich es sonst unter vielen Leuten gewesen war.

Wir hatten an diesem Tage nicht viel mit einander gesprochen und nur die allergewöhnlichsten Dinge.

Der zweite Tag verging wie der erste. Ich hatte die Bilder wieder angesehen, ich war in den Zimmern mit den altertümlichen Geräten gewesen und hatte den Gängen, Gemächern und Abbildungen des oberen Stockwerkes einen Besuch gemacht.

Am dritten Tage meines Aufenthaltes in dem Sternenhofe, nachmittags, da ich eine Weile in die Zeilen des alten Homer geblickt hatte, wollte ich meine Wohnung, in der ich mich befand, verlassen und in den Garten gehen. Ich legte die Worte Homers auf den Tisch, begab mich in das Vorzimmer, schloß die Tür meiner Wohnung hinter mir ab und ging über die kleinere Treppe im hinteren Teile des Hauses in den Garten.

Es war ein sehr schöner Tag, keine einzige Wolke stand an dem Himmel, die Sonne schien warm auf die Blumen, daher es stille von Arbeiten und selbst vom Gesange der Vögel war. Nur das einfache Scharren und leise Hämmern der Arbeiter hörte ich, welche mit der Hinwegschaffung der Tünche des Hauses in der Nähe meines Ausganges auf Gerüsten beschäftigt waren. Ich ging neben Gebüschen und verspäteten Blumen einem Schatten zu, welcher sich mir auf einem Sandwege bot, der mit ziemlich hohen Hecken gesäumt war. Der Sandweg führte mich zu den Linden, und von diesen ging ich durch eine Überlaubung der Eppichwand zu. Ich ging an ihr entlang und trat in die Grotte des Brunnens. Ich war von der linken Seite der Wand gekommen, von welcher man beim Herannahen den schöneren Anblick der Quellennymphe hat, dafür aber das Bänkchen nicht gewahr wird, welches in der Grotte der Nymphe gegenüber angebracht ist. Als ich eingetreten war, sah ich Natalien auf dem Bänklein sitzen. Sie war sehr erschrocken und stand auf. Ich war auch erschrocken; dennoch sah ich in ihr Angesicht. In demselben war ein Schwanken zwischen Rot und Blaß, und ihre Augen waren auf mich gerichtet.

Ich sagte: »Mein Fräulein, ihr werdet mir es glauben, wenn ich euch sage, daß ich von dem Laubgange an der linken Seite dieser Wand gegen die Grotte gekommen bin und euch habe nicht sehen können, sonst wäre ich nicht eingetreten und hätte euch nicht gestört.«

Sie antwortete nichts und sah mich noch immer an.

Ich sagte wieder: »Da ich euch nun einmal beunruhigt habe, wenn auch gegen meinen Willen, so werdet ihr mir es wohl gütig verzeihen, und ich werde mich sogleich entfernen.«

»Ach nein, nein«, sagte sie.

Da ich schwankte und die Bedeutung der Worte nicht erkannte, fragte ich: »Zürnet ihr mir, Natalie?«

»Nein, ich zürne euch nicht«, antwortete sie, und richtete die Augen, die sie eben niedergeschlagen hatte, wieder auf mich.

»Ihr seid auf diesen Platz gegangen, um allein zu sein«, sagte ich, »also muß ich euch verlassen.«

»Wenn ihr mich nicht aus Absicht meidet, so ist es nicht ein Müssen, daß ihr mich verlasset«, antwortete sie.

»Wenn es nicht eine Pflicht ist, euch zu verlassen«, erwiderte ich, »so müßt ihr euren Platz wieder einnehmen, von dem ich euch verscheucht habe. Tut es, Natalie, setzt euch auf eure frühere Stelle nieder.«

Sie ließ sich auf das Bänkchen nieder, ganz vorn gegen den Ausgang, und stützte sich auf die Marmorlehne.

Ich kam nun auf diese Weise zwischen sie und die Gestalt zu stehen. Da ich dieses für unschicklich hielt, so trat ich ein wenig gegen den Hintergrund. Allein jetzt stand ich wieder aufrecht vor dem leeren Teile der Bank in der nicht sehr hohen Halle, und da mir auch dieses eher unziemend als ziemend erschien, so setzte ich mich auf den andern Teil der Bank und sagte: »Liebt ihr wohl diesen Platz mehr als andere?«

»Ich liebe ihn«, antwortete sie, »weil er abgeschlossen ist und weil die Gestalt schön ist. Liebt ihr ihn nicht auch?«

»Ich habe die Gestalt immer mehr lieben gelernt, je länger ich sie kannte«, antwortete ich.

»Ihr ginget früher öfter her?« fragte sie.

»Als ich durch die Güte eurer Mutter manche Geräte in dem Sternenhofe zeichnete und fast allein in demselben wohnte, habe ich oft diese Halle besucht«, erwiderte ich. »Und später auch, wenn ich durch freundliche Einladung hieher kam, habe ich nie versäumt, an diese Stelle zu gehen.«

»Ich habe euch hier gesehen«, sagte sie.

»Die Anlage ist gemacht, daß sie das Gemüt und den Verstand erfüllet«, antwortete ich, »die grüne Wand des Eppichs schließt ruhig ab, die zwei Eichen stehen wie Wächter und das Weiß des Steins geht sanft von dem Dunkel der Blätter und des Gartens weg.«

»Es ist alles nach und nach entstanden, wie die Mutter erzählt«, erwiderte sie, »der Eppich ist erzogen worden, die Wand vergrößert, erweitert und bis an die Eichen geführt. Selbst in der Halle war es einmal anders. Die Bank war nicht da. Aber da der Marmor so oft betrachtet wurde, da die Menschen vor ihm standen oder selbst in der Halle neben ihm, da die Mutter ebenfalls die Gestalt gerne betrachtete und lange betrachtete: so ließ sie aus dem gleichen Stoffe, aus dem die Nymphe gearbeitet ist, diese Bank machen, und ließ dieselbe mit der kunstreichen, vorchristlich ausgeführten Lehne versehen, damit sie einerseits zu dem vorhandenen Werke stimme und damit andererseits das Werk mit Ruhe und Erquickung angesehen werden könne. Mit der Zeit ist auch die Alabasterschale hieher gekommen.«

»Die Menschen werden von solchen Werken gezogen«, antwortete ich, »und die Lust des Schauens findet sich.«

»Ich habe diese Gestalt von meiner Kindheit an gesehen und habe mich an sie gewöhnt«, sagte sie, »haltet ihr nicht auch den bloßen Stein schon für sehr schön?«

»Ich halte ihn für ganz besonders schön«, erwiderte ich.

»Mir ist immer, wenn ich ihn lange betrachte«, sagte sie, »als hätte er eine sehr große Tiefe, als sollte man in ihn eindringen können und als wäre er durchsichtig, was er nicht ist. Er hält eine reine Fläche den Augen entgegen, die so zart ist, daß sie kaum Widerstand leistet und in der man als Anhaltspunkte nur die vielen feinen Splitter funkeln sieht.«

»Der Stein ist auch durchsichtig«, antwortete ich, »nur muß man eine dünne Schichte haben, durch die man sehen will. Dann scheint die Welt fast goldartig, wenn man sie durch ihn ansieht. Wenn mehrere Schichten übereinander liegen, so werden sie in ihrem Anblicke von Außen weiß, wie der Schnee, der auch aus lauter durchsichtigen kleinen Eisnadeln besteht, weiß wird, wenn Millionen solcher Nadeln auf einander liegen.«

»So habe ich nicht unrecht empfunden«, sagte sie.

»Nein«, erwiderte ich, »ihr habt recht geahnt.«

»Wenn die Edelsteine nicht nach dem geachtet werden, was sie kosten«, sagte sie, »sondern nach dem, wie sie edel sind, so gehört der Marmor gewiß unter die Edelsteine.«

»Er gehört unter dieselben, er gehört gewißlich unter dieselben«, erwiderte ich. »Wenn er auch als bloßer Stoff nicht so hoch im Preise steht wie die gesuchten Steine, die nur in kleinen Stücken vorkommen, so ist er doch so auserlesen und so wunderbar, daß er nicht bloß in der weißen, sondern auch in jeder andern Farbe begehrt wird, daß man die verschiedensten Dinge aus ihm macht, und daß das Höchste, was menschliche bildende Kunst darzustellen vermag, in der Reinheit des weißen Marmors ausgeführt wird.«

»Das ist es, was mich auch immer sehr ergriff, wenn ich hier saß und betrachtete«, sagte sie, »daß in dem harten Steine das Weiche und Runde der Gestaltung ausgedrückt ist, und daß man zu der Darstellung des Schönsten in der Welt den Stoff nimmt, der keine Makel hat. Dies sehe ich sogar immer an der Gestalt auf der Treppe unsers Freundes, welche noch schöner und ehrfurchterweckender als dieses Bildwerk hier ist, wenngleich ihr Stoff in der Länge der vielen Jahre, die er gedauert hat, verunreinigt worden war.«

»Es ist gewiß nicht ohne Bedeutung«, entgegnete ich, »daß die Menschen in den edelsten und selbst hie und da ältesten Völkern zu diesem Stoffe griffen, wenn sie hohes Göttliches oder Menschliches bilden wollten, während sie Ausschmückungen in Laubwerk, Simsen, Säulen, Tiergestalten und selbst untergeordnete Menschen- und Götterbilder aus farbigem Marmor, aus Sandstein, aus Holz, Ton, Gold oder Silber verfertigten. Es wäre zugänglicherer, behandelbarerer Stoff gewesen: Holz, Erde, weicher Stein, manche Metalle; sie aber gruben weißen Marmor aus der Erde und bildeten aus ihm. Aber auch die andern Edelsteine, aus denen man verschiedene Dinge macht, geschnittene Steine, allerlei Gestalten, Blumen- und Zierwerk, so wie endlich diejenigen, die man besonders Edelsteine nennt und zum Schmucke der menschlichen Gestalt und hoher Dinge anwendet, haben in ihrem Stoffe etwas, das anzieht und den menschlichen Geist zu sich leitet, es ist nicht bloß die Seltenheit oder das Schimmern, das sie wertvoll macht.«

»Habt ihr auch die Edelsteine kennen zu lernen gesucht?« fragte sie.

»Ein Freund hat mir Vieles von ihnen gezeigt und erklärt«, antwortete ich.

»Sie sind freilich für die Menschen sehr merkwürdig«, sagte sie.

»Es ist etwas Tiefes und Ergreifendes in ihnen«, antwortete ich, »gleichsam ein Geist in ihrem Wesen, der zu uns spricht, wie zum Beispiele in der Ruhe des Smaragdes, dessen Schimmerpunkten kein Grün der Natur gleicht, es müßte nur auf Vogelgefiedern, wie das des Colibri, oder auf den Flügeldecken von Käfern sein – wie in der Fülle des Rubins, der mit dem rosensammtnen Lichtblicke gleichsam als der vornehmste unter den gefärbten Steinen zu uns aufsieht – wie in dem Rätsel des Opals, der unergründlich ist – und wie in der Kraft des Diamantes, der wegen seines großen Lichtbrechungsvermögens in einer Schnelligkeit wie der Blitz den Wechsel des Feuers und der Farben gibt, den kaum die Schneesterne noch der Sprühregen des Wasserfalles haben. Alles, was den edlen Steinen nachgemacht wird, ist der Körper ohne diesen Geist, es ist der inhaltleere, spröde, harte Glanz statt der reichen Tiefe und Milde.«

»Ihr habt von der Perle nicht gesprochen.«

»Sie ist kein Edelstein, gesellt sich aber im Gebrauche gerne zu ihm. In ihrem äußern Ansehen ist sie wohl das Bescheidenste; aber nichts schmückt mit dem so sanft umflorten Seidenglanze die menschliche Schönheit schöner als die Perle. Selbst an dem Kleide eines Mannes, wo sie etwas hält, wie die Schleife des Halstuches oder wie die Falte des Brustlinnens, dünkt sie mich das Würdigste und Ernsteste.«

»Und liebt ihr die Edelsteine als Schmuck?« fragte sie.

»Wenn die schönsten Steine ihrer Art ausgewählt werden«, antwortete ich, »wenn sie in einer Fassung sind, welche richtigen Kunstgesetzen entspricht, und wenn diese Fassung an der Stelle, wo sie ist, einen Zweck erfüllt, also notwendig erscheint: dann ist wohl kein Schmuck des menschlichen Körpers feierlicher als der der Edelsteine.«


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