Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Am anderen Tage am frühesten Morgen kam Klotilde zu mir. Als ich auf ihr Pochen geöffnet hatte und sie eingetreten war, verkündigte ihr Angesicht, daß die Mutter über meine Angelegenheit mit ihr gesprochen habe. Sie sah mich an, ging näher, fiel mir um den Hals und brach in einen Strom von Tränen aus. Ich ließ ihr ein Weilchen freien Lauf und sagte dann sanft: »Klotilde, wie ist dir denn?«

»Wohl und wehe«, antwortete sie, indem sie sich von mir zu einem Sitze führen ließ, auf den ich mich neben ihr niederließ.

»Du weißt nun also alles?«

»Ich weiß alles. Warum hast du mir es denn nicht früher gesagt?«

»Ich mußte doch vorher mit den Eltern sprechen, und dann, Klotilde, hatte ich gegen dich gerade den wenigsten Mut.«

»Und warum hast du nicht in früheren Sommern etwas gesagt?«

»Weil nichts zu sagen war. Es ist erst jetzt zu gegenseitiger Kenntnis gekommen, und da bin ich hergeeilt, mich den Meinigen zu offenbaren. Als das Gefühl nur das meine war und die Zukunft sich noch verhüllte, durfte ich nicht reden, weil es mir nicht männlich schien und weil die Empfindung, die vielleicht in Kurzem gänzlich weggetan werden mußte, durch Worte nicht gesteigert werden durfte.«

»Ich habe es immer geahnt«, sagte Klotilde, »und habe dir immer das höchste und größte Glück gewünscht. Sie muß sehr gut, sehr lieb, sehr treu sein. Ich habe nur das Verlangen, daß sie dich so liebt wie ich.«

»Klotilde«, antwortete ich, »du wirst sie sehen, du wirst sie kennen lernen, du wirst sie lieben; und wenn sie mich dann auch nicht mit der in der Geburt gegründeten schwesterlichen Liebe liebt, so liebt sie mich mit einer anderen, die auch mein Glück, dein Glück, das Glück der Eltern vermehren wird.«

»Ich habe oft gedacht, wenn du von ihr erzähltest, wie wenig du auch sagtest, und gerade, weil du wenig sagtest«, fuhr sie fort, »daß sich etwa da ein Band entwickeln könnte, daß es sehr zu wünschen wäre, daß du ihre Neigung gewännest und daß daraus eine bessere Einigung entstehen könnte als durch die Verbindung mit einem Mädchen unserer Stadt oder mit einem anderen.«

»Und nun ist es so«, erwiderte ich.

»Warum hast du denn nie ein Bild von ihr gemalt?« fragte sie.

»Weil ich sie eben so wenig oder noch weniger darum bitten konnte als dich oder die Mutter oder den Vater. Ich hatte nicht das Herz dazu«, antwortete ich.

»Nun sei recht glücklich, sei zufrieden bis in dein höchstes Alter, und bereue nie, auch nicht im geringsten den Schritt, den du getan hast«, sagte sie.

»Ich glaube, daß ich ihn nie bereuen werde, und ich danke dir innig für deine Wünsche, meine teure, meine geliebte Klotilde«, erwiderte ich.

Sie trocknete ihre Tränen mit dem Tuche, ordnete gleichsam ihr ganzes Wesen und sah mich freundlich an.

»Wer wird jetzt mit mir zeichnen, spanische Bücher lesen, Zither spielen, wem werde ich alles sagen, was mir in das Herz kömmt?« sprach sie nach einer Weile.

»Mir, Klotilde«, erwiderte ich, »alles, was ich früher war, werde ich dir bleiben. Lesen, Zeichnen, Zitherspielen wirst du mit Natalien; auch mitteilen wirst du dich ihr, und mit ihr wirst du das alles vollführen, was du bisher mit mir vollführt hast. Lerne sie nur erst kennen, und du wirst begreifen, daß es wahr ist, was ich sage.«

»Ich möchte sie gerne sehr bald sehen«, sagte sie.

»Du wirst sie bald sehen«, antwortete ich, »es muß sich jetzt eine Verbindung unserer Familie mit jenen Menschen, bei denen ich bisher so häufig gewesen bin, anknüpfen; ich wünsche selber, daß du sie bald, sehr bald sehest.«

»Bis dahin aber mußt du mir sehr viel von ihr erzählen, und wenn es möglich ist, mußt du mir ein Bild von ihr bringen«, sagte sie.

»Ich werde dir erzählen«, antwortete ich, »jetzt, da wir einmal von der Sache gesprochen haben, werde ich dir sehr gerne erzählen, ich werde mit dir leichter von dem Bunde reden als mit ihr selber. Ob ich dir ein Bild werde bringen oder schicken können, weiß ich nicht; wenn es möglich ist, werde ich es tun. Aber es wird nur in dem Falle sein können, wenn ein Bild von ihr da ist und man es mir, oder eine Abbildung davon überläßt. Behalte es dann, bis du mit ihr selber zusammen kömmst und wir in freundlicher Verbindung mit einander leben. Endlich aber, Klotilde...«

»Endlich?«

»Endlich wird doch auch die Zeit kommen, in welcher du von uns ausscheiden wirst, zwar nicht mit deinem Geiste, wohl aber mit einem Teile deiner Beziehungen, wenn nehmlich auch du eine tiefere Verbindung eingehst.«

»Nie, nie werde ich das tun«, rief sie beinahe heftig, »nein, ich könnte ihm zürnen, ihm, der mein Herz hier wegführen würde. Ich liebe nur den Vater, die Mutter und dich. Ich liebe dieses stille Haus und alle, die berechtigt in demselben aus und ein gehen, ich liebe das, was es enthält, und die Dinge, die sich in ihm allmählich gestalten, ich werde Natalien und ihre Angehörigen lieben, aber nie einen Fremden, der mich von euch ziehen wollte.«

»Er wird dich aber von uns ziehen, Klotilde«, sagte ich, »und du wirst doch da bleiben, er wird berechtigt sein, hier aus und ein zu gehen, er wird ein Ding sein, das sich in dem Hause allmählich gestaltet, und du wirst vielleicht nicht von Vater und Mutter gehen dürfen, gewiß aber wird kein Zwang sein, daß du sie oder mich weniger lieben müssest.«

»Nein, nein, rede mir nicht von diesen Dingen«, erwiderte sie, »es peinigt mich und zerstört mir das Herz, das ich dir mit großer Teilnahme in der Morgenstunde habe bringen wollen.«

»Nun, so reden wir nicht mehr davon, Klotilde«, sagte ich, »sei nur beruhigt und bleibe bei mir.«

»Ich bleibe ja bei dir«, antwortete sie, »und sprich freundlich zu mir.«

Sie hatte die letzte Spur der Tränen von ihrem Angesichte vertilgt, sie setzte sich auf dem Sitze neben mir noch mehr zurecht, und ich mußte mit ihr sprechen. Sie fragte mich von neuem um Natalien, wie sie aussehe, was sie tue, wie sie sich zu ihrer Mutter, ihrem Bruder und zu meinem Gastfreunde verhalte. Ich mußte ihr erzählen, wann ich sie zum ersten Male gesehen habe, wann ich in dem Sternenhofe gewesen sei, wann sie den Asperhof besucht habe, wann ein Ahnungsgefühl in mein Herz gekommen, wie es dort gewachsen sei, wie ich mit mir gekämpft habe, was dann gekommen sei und wie es sich gefügt habe, daß wir endlich die Worte zu einander gefunden haben.

Ich erzählte ihr gerne, ich erzählte ihr immer leichter, und je mehr sich die Worte von dem Herzen löseten, desto süßer wurde mein Gefühl. Ich hatte nicht geglaubt, daß ich von diesem meinem innersten Wesen zu irgend jemandem sprechen könnte; aber Klotildens Seele war der einzige liebe Schrein, in welchem ich das Teure niederlegen konnte.

Wir blieben sehr lange sitzen, immer fragte mich Klotilde wieder um Neues und wieder um Altes. Da kam die Mutter in meine Stube. Da sie uns in vertraulichem Gespräche sitzen fand, setzte sie sich auch zu dem Tische, der vor mir und Klotilden stand, und sagte nach einer kurzen Weile, daß sie gekommen sei, uns zum Frühmahle zu holen. Sie hätte Klotilden nirgends gesehen und hätte gemeint, daß sie an diesem Morgen bei mir sein müsse.

»Meine geliebten Kinder«, fuhr sie fort, »bewahrt euch eure Liebe, entfremdet euch nie eure Herzen und bleibt euch in allen Lagen zugewandt, wie ihr euch jetzt und wie ihr den Eltern zugewandt seid; dann werdet ihr einen Schatz haben, der einer der schönsten im Leben ist, und der so oft verkannt wird. Ihr werdet in eurer Vereinigung sittlich stark sein, ihr werdet die Freude eures Vaters bilden, und mir werdet ihr das Glück meines Alters sein.«

Wir antworteten nichts auf diese Rede, weil uns ihr Inhalt so natürlich war, und folgten der Mutter aus dem Zimmer.

 

Der Vater harrte schon unser in dem Speisegemache, und da jetzt die Ursache meiner unvermuteten Nachhausekunft allen bekannt war und keines sich dagegen erklärte, so sprachen wir nun unverhohlen gemeinschaftlich von der Angelegenheit. Die Eltern hegten die besten Erwartungen von dem neuen Bunde und freuten sich der Übereinstimmung zwischen mir und der Schwester. Ich mußte ihnen nun, wie ich es schon gegen Klotilde getan hatte, noch Mehreres von Natalien erzählen, wie sie sei, was sie tue, wohin sich ihre Bildung neige und wie sie ihre Jugend könne zugebracht haben. Auch von Mathilden und dem Sternenhofe so wie von dem Asperhofe und meinem Gastfreunde mußte ich noch Manches nachholen, was das Bild ergänzen sollte, welches sich die Meinigen von den dortigen Verhältnissen machten. Ich sagte ihnen auch, daß ein günstiges Geschick hier walte, da gerade Natalie jenes Mädchen gewesen sei, welches einmal bei der Aufführung des König Lear in einer Loge neben mir so ergriffen gewesen sei, welches mir großen Anteil eingeflößt, und mich, der ich den Schmerz im Trauerspiele geteilt hätte, im Herausgehen gleichsam zum Danke freundlich angeblickt habe. Erst in letzter Zeit sei das aufgeklärt worden.

Der Vater sagte, daß die Familien, die durch längere Zeit gleichsam durch ein unsichtbares Band verbunden gewesen waren, durch das Band der geistigen Entwicklung seines Sohnes und des Verkehrs desselben mit beiden Teilen, auch in der Wirklichkeit sich nähern, sich kennen lernen und in eine Verbindung treten werden.

Die Mutter entgegnete, das sei jetzt die dringendste Veranlassung, ja es sei nicht nur eine gesellschaftliche, sondern sogar eine Familienpflicht, daß der Vater, welcher, je älter er werde, mit einer desto wärmeren Ausdauer, welche unbegreiflich ist, sich an seine Arbeitsstube kette, nun endlich einmal sich den Geschäften entreiße, eine Reise mache und sich in derselben nur mit heiteren und schönen Dingen beschäftige.

»Nicht nur ich werde eine Reise machen«, antwortete er, »sondern auch du und Klotilde. Wir werden die Menschen dort, welche meinen Sohn so freundlich aufgenommen haben, besuchen. Aber auch sie werden eine Reise machen; denn auch sie werden zu uns in die Stadt kommen und in diesen Zimmern verweilen. Wann aber diese Reisen stattfinden werden, läßt sich jetzt noch gar nicht beurteilen. Jedenfalls muß unser Sohn zuerst allein wieder hinreisen und muß die Einwilligung seiner Familie überbringen. Seinem Ermessen und hauptsächlich den Ratschlägen seines älteren Freundes wird es dann anheimgegeben sein, wie die Sachen im weiteren Verlaufe sich entwickeln sollen. Die Reise unseres Sohnes muß aber sogleich geschehen; denn so fordert es die neue Pflicht, die er eingegangen ist. Wir werden abwarten, welche Nachrichten er uns von seiner Ankunft im Sternenhofe zusenden oder welche Meinung er uns selber überbringen wird.«

»Die Reise, mein Vater«, entgegnete ich, »wünsche ich, so bald es nur möglich ist, anzutreten, am liebsten sogleich morgen oder wenn ein Aufschub sein muß, doch übermorgen.«

»Es wird nicht verspätet sein, wenn du übermorgen reisest, da sich noch Einiges zum Besprechen ergeben kann«, antwortete er.

Klotilde äußerte ihre Freude, daß einmal alle eine Reise antreten würden.

»Und für den guten Vater könnte nun öfter der Anlaß gegeben sein«, sagte die Mutter, »daß er in das Freiere und Weitere komme, daß er reine Luft atme und Berg und Wald und Feld betrachte.«

»Ich werde doch einmal, meine liebe Therese, mein Buch abschließen«, erwiderte der Vater, »und es wird für mich der Stillstand der Geschäfte eintreten. Sie mögen in andere Hände übergehen oder sich ganz auflösen. Dann wird es Zeit sein, im Anblicke von Berg, Wald und Feld ein Haus zu mieten oder zu bauen, daß wir im Sommer dort und im Winter hier wohnen, wenn wir nicht gar lieber auch manchen Winter draußen bleiben wollen.«

»So hast du oft gesagt«, antwortete die Mutter, »aber es ist nicht geschehen.«

»Wenn Zeit und Ort darnach angetan sind, wird es geschehen«, erwiderte er.

»Wenn dann noch deine Gesundheit und dein geistiges Wesen davon den gewünschten Nutzen ziehen«, sagte die Mutter, »werde ich jeden Winter preisen, welchen wir mitten in irgend einem Lande zubringen.«

»Es wird sich Vieles ereignen, woran wir jetzt nicht denken«, antwortete der Vater.

Wir standen von dem Frühmahle auf, und jedes ging an seine Geschäfte.

Im Laufe des Vormittages ließ mich die Mutter wieder zu sich bitten und fragte mich, wie ich es denn zu halten gedenke, wo ich mit Natalien wohnen wolle. Es sei in dem Hause Platz genug, nur müßte alles gerichtet werden. Auch seien viele andere Dinge zu ordnen, besonders meine Kleider, in denen ich doch nun anders sein müsse. Sie wünsche meine Meinung zu hören, damit man zu rechter Zeit beginnen könne, um noch fertig zu werden.

Ich sagte, daß ich in der Tat auf diese Angelegenheit nicht gedacht habe, daß ihre Erwägung wohl noch Zeit habe, und daß wir vor Allem den Vater um Rat fragen sollten.

Sie war damit einverstanden.

Als wir nach dem Mittagsessen den Vater fragten, war er meiner Meinung, daß es noch zu frühe sei, an diese Dinge zu denken. Es würde schon zu rechter Zeit geschehen, daß alles, was not tue, in Ordnung gesetzt werden könne. Jetzt seien andere Dinge zu besprechen und zu bedenken. Wenn es an der Zeit sei, werde es die Mutter erfahren, daß sie alle ihre Maßregeln ausreichend treffen könne.

Sie war damit zufrieden.

 

Nachmittags fragte ich in der Stadt im Hause der Fürstin an und erfuhr, daß dieselbe zufällig auf mehrere Tage anwesend sei. Sie habe die Absicht, nach Riva zu gehen, um dort einige Wochen an den Ufern des blauen Gardasees zu verleben. Sie sei jetzt eben damit beschäftigt, die Vorbereitungen zu dieser Reise zu machen. Ich ließ anfragen, wann ich sie sprechen könnte, und wurde auf den nächsten Tag um zwölf Uhr bestellt.

Ich nahm zu dieser Zeit eine Mappe mit einigen meiner Arbeiten zu mir und verfügte mich in ihre Wohnung. Nach den freundlichen Empfangsworten drückte sie ihre Verwunderung aus, mich jetzt hier zu finden. Ich gab die Verwunderung für ihre Person zurück. Sie führte mir als Grund ihre beabsichtigte Reise an, und ich sagte, daß plötzlich gekommene Angelegenheiten meinen Sommeraufenthalt unterbrochen und mich in die Stadt geleitet hätten.

Sie fragte mich um meine Arbeiten während der Zeit meiner Abwesenheit.

Ich erklärte ihr dieselben. Als ich von dem Simmigletscher sprach, nahm sie besonderen Anteil, weil ihr dieses Gebirge aus früherer Zeit her bekannt war. Ich mußte ihr genau beschreiben und zeigen, wo wir gewesen und was wir getan haben. Ich zog die Zeichnungen, die ich in Farben von den Eisfeldern, ihren Einränderungen, ihrer Einbuchtung, ihrer Abgleitung und ihrem oberen Ursprunge gemacht hatte und in meiner Mappe mit mir trug, hervor und breitete sie vor ihr aus. Sie ließ sich jedes, auch das Kleinste an diesen Zeichnungen beschreiben und erklären. Ich mußte ihr auch versprechen, bei nächster günstiger Gelegenheit meine Zeichnung von dem Grunde des Lautersees ihr vorzulegen und auf das Genaueste zu erörtern. Es sei ihr dies doppelt wünschenswert, weil sie jetzt selber zu einem See reise, der einer der merkwürdigsten des südlichen Alpenabhanges sei. Hierauf befragte sie mich um meine anderen Bestrebungen auf dem Gebiete der bildenden Kunst, worauf ich erwiderte, daß ich heuer außer den Gletscherzeichnungen, die doch wieder fast nur wissenschaftlicher Natur seien, nichts hatte machen können, weder in Landschaften noch in Abbildung menschlicher Köpfe.

»Wenn ihr ein sehr schönes jugendliches Angesicht abbilden wollt«, sagte sie, »so müsset ihr suchen, das Angesicht der jungen Tarona abbilden zu dürfen. Ich bin alt, habe viel erfahren, habe sehr viele Menschen gesehen und betrachtet, aber es ist mir wenig vorgekommen, das edler, einnehmender und liebenswürdiger gewesen wäre als die Züge der Tarona.«

Ich errötete sehr tief bei diesen Worten.

Sie richtete die klaren, lieben Augen auf mich, lächelte sehr fein und sagte: »Haltet ihr etwa schon Jemanden für das Schönste?«

Ich antwortete nicht, und sie schien auch eine Antwort nicht zu erwarten. Von Natalien konnte ich ihr nichts sagen, da die Sache nicht so weit gediehen war, um sie Andern verkündigen zu können.

Wir brachen ab, ich verabschiedete mich bald, sie reichte mir gütig die Hand, welche ich küßte, und lud mich ein, ja im künftigen Winter sehr bald von dem Gebirge zurück zu kommen, da auch sie sehr bald in der Stadt einzutreffen gedenke.

Ich antwortete, daß ich über jenen Zeitpunkt jetzt durchaus nicht zu verfügen im Stande sei.

Am zweiten Tage Morgens stand ich reisefertig in meinem Zimmer. Der Wagen war vor das Haus bestellt worden. Ich hatte mir es nicht versagen können, in einem besonderen Wagen so schnell als möglich in den Sternenhof zu fahren. Vater, Mutter und Schwester waren in dem Speisezimmer, um von mir Abschied zu nehmen. Ich begab mich auch in dasselbe, und wir nahmen ein kleines Frühmahl ein. Nach demselben sagte ich Lebewohl.

»Gott segne dich, mein Sohn«, sprach die Mutter, »Gott segne dich auf deinem Wege, er ist der entscheidende, du bist nie einen so wichtigen gegangen. Wenn mein Gebet und meine Wünsche etwas vermögen, wirst du ihn nicht bereuen.«

Sie küßte mich auf den Mund und machte mir das Zeichen des Kreuzes auf die Stirn.

Der Vater sagte: »Du hast von deiner frühen Jugend an erfahren, daß ich mich nicht in deine Angelegenheiten menge; handle selbstständig und trage die Folgen. Wenn du mich frägst, wie du jetzt getan hast, so werde ich dir immer beistehen, in so weit es meine größere Erfahrung vermag. Aber einen Rat möchte ich dir doch in dieser wichtigen Angelegenheit geben oder vielmehr nicht einen Rat geben, sondern deine Aufmerksamkeit möchte ich auf einen Umstand leiten, auf den du vielleicht in der Befangenheit dieser Tage nicht gedacht hast. Ehe du das ernste Band schließest, ist noch Manches für dich notwendig, deinen Geist und dein Gemüt zu stärken und zu festigen. Eine Reise in die wichtigsten Städte Europas und zu den bedeutendsten Völkern ist ein sehr gutes Mittel dazu. Du kannst es, deine Vermögenslage hat sich sehr gebessert, und ich lege wohl auch etwas dazu, wie ich überhaupt mit dir Abrechnung halten muß.«

Ich war sehr bewegt und konnte nicht sprechen. Ich nahm den Vater nur bei der Hand und dankte ihm stumm.

Klotilde nahm mit Tränen Abschied und sagte leise, als ich sie an mich drückte: »Gehe mit Gott, es wird Alles recht sein, was du tust, weil du gut bist und weil du auch klug bist.«

Ich sprach die Hoffnung aus, daß ich bald wieder kommen werde, und ging die Treppe hinab.

Meine Reise war sehr schnell, weil überall die Pferde schon bestellt waren, weil ich nirgends schlief und zum Essen nur die kürzeste Zeit verwendete.

Als ich im Sternenhofe in das Zimmer Mathildens trat, kam sie mir entgegen und sagte: »Seid willkommen, es ist Alles, wie ich gedacht habe; denn sonst wäret ihr nicht zu mir, sondern zu unserem Freunde gekommen.«

»Meine Angehörigen ehren euch, ehren unseren Freund und glauben an unser Glück und an unsere Zukunft«, erwiderte ich.

»Seid willkommen, Natalie«, sagte ich, als diese gerufen worden und in das Zimmer getreten war, »ich bringe freundliche Grüße von den Meinigen.«

»Seid willkommen«, antwortete sie, »ich habe immer gehofft, daß es so geschehen und daß eure Abwesenheit so kurz sein wird.«

»Meine Hoffnung war wohl auch dieselbe«, erwiderte ich, »aber jetzt ist alles klar, und jetzt ist völlige Beruhigung vorhanden.«

Wir blieben bei Mathilden und sprachen einige Zeit miteinander.

Am zweiten Tage nach meiner Ankunft reiste ich zu meinem Gastfreunde. Mathilde hatte mir einen Wagen und Pferde mit gegeben.

Als ich in das Schreinerhaus gekommen war, in welchem sich mein Gastfreund bei meiner Ankunft befand, reichte er mir die Hand und sagte: »Ich bin von eurer Rückkunft bereits benachrichtigt; man hat mir von dem Sternenhofe gleich nach eurem Eintreffen in demselben geschrieben.«

Eustach sah mich seltsam an, so daß ich vermutete, er wisse auch bereits von der Sache.

Wir gingen nun in das Haus, und man öffnete mir meine gewöhnliche Wohnung. Gustav kam nach einer Weile zu mir herauf und konnte seiner Freude beinahe kein Ende machen, daß alles sei, wie es ist. Mein Gastfreund hatte ihm die Tatsache erst heute eröffnet. Er sprach ohne Rückhalt aus, daß ihm die Sache so weit, weit lieber sei, als wenn Tillburg seine Schwester aus dem Hause geführt hätte, dessen Wille wohl immer dahin gerichtet gewesen wäre.


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