Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Unter diesen Beschäftigungen und unter andern Dingen, welche schon frühere Winter eingeleitet hatten, ging die kältere Jahreszeit dahin. Als die Frühlingslüfte wehten und die Erde abzutrocknen begann, trat ich meine Sommerwanderung wieder an. Ich wählte doch abermals das Ahornhaus zu meinem Aufenthalte, wenn ich auch wußte, daß ich oft weit von ihm weggehen und lange von ihm würde entfernt bleiben müssen. Es war mir schon zur Gewohnheit geworden, und es war mir lieb und angenehm in ihm.

Das erste, was ich vornahm, war, daß ich Botschaft nach meinem Zitherspieljägersmanne aussandte. Da er überall zu finden ist, kam er sehr bald, und wir verabredeten, wie wir unsere Übungen im Zitherspiele fortsetzen würden. Gleichzeitig begann ich die Forschungen nach jenen Teilen der Wandverkleidungen, welche zu den meinem Vater überbrachten Pfeilerverkleidungen als Ergänzung gehörten. Ich forschte in dem Hause nach, in welchem Roland im vergangenen Sommer gezeichnet hatte, ich forschte bei dem Holzknechte, von welchem mir die Pfeilerverkleidungen waren verkauft worden, ich dehnte meine Forschungen in alle Teile der umliegenden Gegend aus, gab besonders Männern Aufträge, welche oft in die abgelegensten Winkel von Häusern und anderen Gebäuden kommen, wie zum Beispiele Zimmerleuten, Maurern, daß sie mir sogleich Nachricht gäben, wenn sie etwas aus Holz Geschnitztes entdeckten, ich reiste selber an manche Stellen, um nachzusehen: allein es fand sich nichts mehr vor. Als beinahe nicht zu bezweifeln stellte sich heraus, daß die von mir gekauften Verkleidungen einmal zu dem steinernen Hause der ausgestorbenen Gebirgskaufherren gehört haben, in welchem sie die Unterwand eines ganzen Saales umgeben haben mochten. Bei einer einmal vorgenommenen sogenannten Verschönerung späterer, verschwenderisch gewordener Nachkommen hat man sie wahrscheinlich weg getan und sie fremden Händen überlassen, die sie in abwechselnden Besitz brachten.

Die Pfeilerverkleidungen, welche gleichsam Nischen bildeten, in die man Heiligenbilder tun konnte, sind übrig geblieben, die anderen geraden Teile sind verkommen oder sogar mutwillig zerschlagen oder verbrannt worden.

Gleich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes ging ich auch mit meinem Jägersmanne von dem Ahornhause über das Echergebirge in das Echertal, wo der Meister wohnte, von dem der Jäger die Zither für mich gekauft hatte und von dem ich auch eine für meine Schwester kaufen wollte. Dieser Mann verfertigte Zithern für das ganze umliegende Gebirge und zur Versendung. Er hatte noch zwei mit der meinigen ganz gleiche. Ich wählte eine davon, da in der Arbeit und in dem Tone gar keine Verschiedenheit wahrgenommen werden konnte. Der Meister sagte, er habe lange keine so guten Zithern gemacht und werde lange keine solchen mehr machen. Sie seien alle drei von gleichem Holze, er habe es mit vieler Mühe gesucht und mit vielen Schwierigkeiten gefunden. Er werde vielleicht auch nie mehr ein solches finden. Auch werde er kaum mehr so kostbare Zithern machen, da seine entfernten Abnehmer nur oberflächliche Ware verlangten und auch die Gebirgsleute, die wohl die Güte verstehen, doch nicht gerne teure Zithern kauften.

Von dem Zitherspiele, welches mein Jäger mit mir übte, schrieb ich mir so viel auf, als ich konnte, um es der Schwester zum Einlernen und zum Spielen zu bringen.

 

Gegen die Zeit der Rosenblüte ging ich in den Asperhof und fand die zwei Zimmer schon für mich hergerichtet, welche ich im vorigen Sommer bewohnt hatte.

Am ersten Tage erzählte mir schon der Gärtner Simon, der von seinem Gewächshause zu mir herüber gekommen war, daß der Cereus peruvianus in dem Asperhofe sei. Der Herr habe ihn von dem Inghofe gekauft, und da ich gewiß Ursache dieser Erwerbung sei, so müsse er mir seinen Dank dafür abstatten. Ich hatte allerdings mit meinem Gastfreunde über den Cereus geredet, wie ich es dem Gärtner versprochen hatte; aber ich wußte nicht, wie viel Anteil ich an dem Kaufe hätte, und sagte daher, daß ich den Dank nur mit Zurückhaltung annehmen könne. Ich mußte dem Gärtner in das Cactushaus folgen, um den Cereus anzusehen. Die Pflanze war in freien Grund gestellt, man hatte für sie einen eigenen Aufbau, gleichsam ein Türmchen von doppeltem Glas, auf dem Cactushause errichtet und hatte durch Stützen oder durch Lenkung der Sonnenstrahlen auf gewisse Stellen des Gewächses Anstalten getroffen, daß der Cereus, der sich an der Decke des Gewächshauses im Inghofe hatte krümmen müssen, wieder gerade wachsen könne. Ich hätte nicht gedacht, daß diese Pflanze so groß sei und daß sie sich so schön darstellen würde.

Weil mein Vater an altertümlichen Dingen eine so große Freude hatte, weil ihn die Verkleidungen so sehr erfreut hatten, welche ich ihm im vergangenen Herbste gebracht hatte, so tat ich an meinen Gastfreund, da ich eine Weile in seinem Hause gewesen war, eine Bitte. Ich hatte die Bitte schon länger auf dem Herzen gehabt, tat sie aber erst jetzt, da man gar so gut und freundlich mit mir in dem Rosenhause war. Ich ersuchte nehmlich meinen Gastfreund, daß er erlaube, daß ich einige seiner alten Geräte zeichnen und malen dürfe, um meinem Vater die Abbilder zu bringen, die ihm eine deutlichere Vorstellung geben würden, als es meine Beschreibungen zu tun im Stande wären.

Er gab die Einwilligung sehr gerne und sagte: »Wenn ihr eurem Vater ein Vergnügen bereiten wollet, so zeichnet und malet, wie ihr wollt, ich habe nicht nur nichts dagegen, sondern werde auch Sorge tragen, daß in den Zimmern, die ihr benützen wollt, gleich alles zu eurer Bequemlichkeit hergerichtet werde. Sollte euch Eustach an die Hand gehen können, so wird er es gewiß sehr gerne tun.«

Am folgenden Tage war in dem Zimmer, in welchem sich der große Kleiderschrein befand, mit dem ich anfangen wollte, eine Staffelei aufgestellt und neben ihr ein Zeichnungstisch, ob ich mich des einen oder des andern bedienen wollte. Der Schrein war von seiner Stelle weg in ein besseres Licht gerückt, und alle Fenster bis auf eines waren mit ihren Vorhängen bedeckt, damit eine einheitliche Beleuchtung auf den Gegenstand geleitet würde, der gezeichnet werden sollte. Eustach hatte alle seine Farbstoffe zu meiner Verfügung gestellt, wenn etwa die von mir mitgebrachten irgendwo eine Lücke haben sollten. Das zeigte sich sogleich klar, daß die Zeichnungen jedenfalls mit Farben gemacht werden müßten, weil sonst gar keine Vorstellung von den Gegenständen hätte erzeugt werden können, die aus verschiedenfarbigem Holze zusammengestellt waren.

Ich ging sogleich an die Arbeit. Mein Gastfreund hatte auch für meine Ruhe gesorgt. So oft ich zeichnete, durfte niemand in das Zimmer kommen, in dem ich war, und so lange sich überhaupt meine Gerätschaften in demselben befanden, durfte es zu keinem andern Gebrauche verwendet werden. Um desto mehr glaubte ich meine Arbeit beschleunigen zu müssen.

 

Es waren indessen Mathilde und Natalie in dem Asperhofe angekommen, und sie lebten dort, wie sie im vorigen Jahre gelebt hatten.

Ich zeichnete fleißig fort. Niemand stellte das Verlangen, meine Arbeit zu sehen. Eustach hatte ich gebeten, daß ich ihn zuweilen um Rat fragen dürfe, was er bereitwillig zugestanden hatte. Ich führte ihn daher zu Zeiten in das Zimmer, und er gab mir mit vieler Sachkenntnis an, was hie und da zu verbessern wäre. Nur Gustav ließ Neugierde nach der Zeichnung blicken; nicht daß ihm geradezu eine Äußerung in dieser Hinsicht entfallen wäre; aber da er sich so an mich angeschlossen hatte und da sein Wesen sehr offen und klar war, so erschien es nicht schwer, den Wunsch, den er hegte, zu erkennen. Ich lud ihn daher ein, mich in dem Zimmer zu besuchen, wenn ich zeichnete, und ich richtete es so ein, daß meine Zeichnungszeit in seine freien Stunden fiel. Er kam fleißig, sah mir zu, fragte um allerlei und geriet endlich darauf, auch ein solches Gemälde versuchen zu wollen. Da mein Gastfreund nichts dawider hatte, so überließ ich ihm meine Farben zur Benützung, und er begann auf einem Tische neben mir sein Geschäft, indem er den nehmlichen Schrein abbildete wie ich. Im Zeichnen war er sehr unterrichtet, Eustach war sein Lehrmeister; dieser hatte aber bisher noch immer nicht zugegeben, daß sein Zögling den Gebrauch der Farben anfange, weil er von dem Grundsatze ausging, daß zuvor eine sehr sichere und behende Zeichnung vorhanden sein müsse. Die Spielerei aber mit dem Schreine – denn es war nichts weiter als eine Spielerei – ließ er als eine Ausnahme geschehen.

Ich wurde in Kurzem mit der ersten Arbeit fertig. Das Bild sah in den genau und gewissenhaft nachgeahmten Farben fast noch lieblicher und reizender aus als der Gegenstand selber, da alles ins Kleinere und Feinere zusammengerückt war.

Da ich die Zeichnung vollendet hatte, legte ich sie meinem Gastfreunde und Mathilde vor. Sie billigten dieselbe und schlugen einige kleine Änderungen vor. Da ich die Notwendigkeit derselben einsah, nahm ich sie sogleich vor. Hierauf wurde von ihnen so wie von Eustach die Abbildung für fertig erklärt.

Nach dem Kleiderschreine nahm ich den Schreibtisch mit den Delphinen vor.

Weil ich durch die erste Zeichnung schon einige Fertigkeit erlangt hatte, so ging es bei der zweiten schneller, und alles geriet mit mehr Leichtigkeit und Schwung. Ich war fertig geworden und legte auch diese Abbildung Mathilden, meinem Gastfreunde und Eustach vor. Gustav hatte in der Zeit auch seine Zeichnung des großen Schreines vollendet und brachte sie herbei. Er wurde ein wenig ausgelacht, und andererseits wurden ihm auch Dinge angegeben, die er noch zu verändern und hinein zu machen hätte. Auch bei mir wurden Verbesserungen vorgeschlagen. Als wir beide mit unsern Ausfeilungen fertig waren, wurden in dem Zimmer, in welchem wir gezeichnet hatten, die Geräte wieder an den Platz gerückt, und die Staffelei und unsere Malergerätschaften wurden daraus entfernt. Ich hatte mir in diesem Zimmer nur die zwei Gegenstände abzubilden vorgenommen.

Hierauf versuchte ich noch einige kleinere Gegenstände.

Unterdessen waren manche Leute zum Besuche in das Rosenhaus gekommen, wir selber hatten auch einige Nachbarn aufgesucht, hatten Spaziergänge gemacht, und an mehreren Abenden saßen wir im Garten oder vor den Rosen oder unter dem großen Kirschbaume und es wurde von verschiedenen Dingen gesprochen.

 

Eustach sagte mir einmal, da ich von den Geräten in dem Sternenhofe redete und die Äußerung machte, daß meinen Vater Abbildungen von ihnen sehr freuen würden, es könne keinen Schwierigkeiten unterliegen, daß ich in dem Sternenhofe ebenso zeichnen dürfe wie in dem Asperhause. Ich ging auf die Sache nicht ein, da ich nicht den Mut hatte, mit Mathilde darüber zu sprechen. Am andern Tage zeigte mir Eustach die Einwilligung an, und Mathilde lud mich auf das Freundlichste ein und sagte, daß mir in ihrem Hause jede Bequemlichkeit zu Gebote stehen würde. Ich dankte sehr freundlich für die Güte, und nach mehreren Tagen fuhr ich mit den Pferden meines Gastfreundes in den Sternenhof, während Mathilde und Natalie noch in dem Rosenhause blieben.

Im Sternenhofe fand ich zu meiner Überraschung schon alles zu meinem Empfange vorbereitet. Da Bilder in dem Schlosse waren, hatte man auch mehrere Staffeleien, welche man mir zur Auswahl in das große Zimmer gestellt hatte, in welchem die altertümlichen Geräte standen. Auch ein Zeichnungstisch mit allem Erforderlichen war in das Zimmer geschafft worden. Ich wählte unter den Staffeleien eine und ließ die übrigen wieder an ihre gewöhnlichen Orte bringen. Den Zeichnungstisch behielt ich zur Bequemlichkeit neben der Staffelei bei mir. Es war nun zum Malen beinahe alles so eingerichtet wie im Asperhofe. Auch durfte ich mir die Geräte, die ich zu zeichnen vorhatte, in das Licht rücken lassen wie ich wollte. Zum Wohnen und Schlafen hatte man mir das nehmliche Zimmer hergerichtet, in welchem ich bei meinem ersten Besuche gewesen war. Zum Speisen wurde mir der Saal, in dem ich arbeitete, oder mein Wohnzimmer frei gestellt. Ich wählte das Letzte.

Ich betrachtete mir vorerst die Geräte und wählte diejenigen aus, die ich abbilden wollte. Hierauf ging ich an die Arbeit. Ich malte sehr fleißig, um die Unordnung, welche meine Arbeiten notwendig in dem Hause machen mußten, so kurz als möglich dauern zu lassen. Ich blieb daher den ganzen Tag in dem Saale, nur des Abends, wenn es dämmerte, oder Morgens, ehe die Sonne aufging, begab ich mich in das Freie oder in den Garten, um einen Gang in der erquickenden Luft zu machen oder gelegentlich auch, stille stehend oder auf einer Ruhebank sitzend, die weite Gegend um mich herum zu betrachten. Oft, wenn ich die Pinsel gereinigt und all das unter Tags gebrauchte Malergeräte geordnet und an seinen Platz gelegt hatte, saß ich unter den alten hohen Linden im Garten und dachte nach, bis das späte Abendrot durch die Blätter derselben herein fiel und die Schatten auf dem Sandboden so tief geworden waren, daß man die kleinen Gegenstände, die auf diesem Boden lagen, nicht mehr sehen konnte. Noch öfter aber war ich auf dem Platze hinter der Epheuwand, von welchem aus das Schloß in die großen Eichen eingerahmt zu erblicken war und neben und hinter dem Schlosse sich die Gegend und die Berge zeigten. Es war die Stille des Landes, wenn der heitere Späthimmel sich über das Schloß hinzog, wenn die Spitzen von dessen Dachfähnchen glänzten, sich in Ruhe das Grün herum lagerte und das Blau der Berge immer sanfter wurde.

Zuweilen, in besonders heißen Tagen, ging ich auch in die Grotte, in welcher die Marmornymphe war, freute mich der Kühle, die da herrschte, sah das gleiche Rinnen des Wassers und sah den gleichen Marmor, auf dem nur zuweilen ein Lichtchen zuckte, wenn sich ein später Strahl in dem Wasser fing und auf die Gestalt geworfen wurde.

In dem Schlosse war es sehr einsam, die Diener waren in ihren abgelegenen Zimmern, ganze Reihen von Fenstern waren durch herabgelassene Vorhänge bedeckt, und zu dem Hofbrunnen ging selten eine Gestalt, um Wasser zu holen, daher er zwischen den großen Ahornen eintönig fortrauschte. Diese Stille machte, daß ich desto mehr der Bewohnerinnen dachte, die jetzt abwesend waren, daß ich meinte, ihre Spuren entdecken zu können, und daß ich dachte, ihren Gestalten irgendwo begegnen zu müssen. Besser war es, wenn ich in die Landschaft hinausging. Dort lebten die Klänge der Arbeit, dort sah ich heitere Menschen, die sich beschäftigten, und regsame Tiere, die ihnen halfen.

Es war eine Art von Verwalter in dem Schlosse, der den Auftrag haben mußte, für mich zu sorgen, wenigstens tat er alles, was er zu meiner Bequemlichkeit für nötig erachtete. Er fragte oft nach meinen Wünschen, ließ mehr Speisen und Getränke auf meinen Tisch stellen als nötig war, sorgte stets für frisches Wasser, Kerzen und andere Dinge, ließ eine Menge Bücher, die er aus der Büchersammlung des Schlosses genommen haben mochte, in mein Zimmer bringen und meinte zuweilen, daß es die Höflichkeit erfordere, daß er mehrere Minuten mit mir spreche. Ich machte so wenig als möglich Gebrauch von allen für mich in diesem Schlosse eingeleiteten Anstalten und ging nicht einmal in die Meierei, in welcher es sehr lebhaft war, um durch meine Gegenwart oder durch mein Zuschauen nicht jemanden in seiner Arbeit zu beirren.


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