Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Die Einkehr

Eines Tages ging ich von dem Hochgebirge gegen das Hügelland hinaus. Ich wollte nehmlich von einem Gebirgszuge in einen andern übersiedeln und meinen Weg dahin durch einen Teil des offenen Landes nehmen. Jedermann kennt die Vorberge, mit welchen das Hochgebirge gleichsam wie mit einem Übergange gegen das flachere Land ausläuft. Mit Laub- oder Nadelwald bedeckt ziehen sie in angenehmer Färbung dahin, lassen hie und da das blaue Haupt eines Hochberges über sich sehen, sind hie und da von einer leuchtenden Wiese unterbrochen, führen alle Wässer, die das Gebirge liefert und die gegen das Land hinaus gehen, zwischen sich, zeigen manches Gebäude und manches Kirchlein und strecken sich nach allen Richtungen, in denen das Gebirge sich abniedert, gegen die bebauteren und bewohnteren Teile hinaus.

Als ich von dem Hange dieser Berge herab ging und eine freiere Umsicht gewann, erblickte ich gegen Untergang hin die sanften Wolken eines Gewitters, das sich sachte zu bilden begann und den Himmel umschleierte. Ich schritt rüstig fort und beobachtete das Zunehmen und Wachsen der Bewölkung. Als ich ziemlich weit hinaus gekommen war und mich in einem Teile des Landes befand, wo sanfte Hügel mit mäßigen Flächen wechseln, Meierhöfe zerstreut sind, der Obstbau gleichsam in Wäldern sich durch das Land zieht, zwischen dem dunkeln Laube die Kirchtürme schimmern, in den Talfurchen die Bäche rauschen und überall wegen der größeren Weitung, die das Land gibt, das blaue, gezackte Band der Hochgebirge zu erblicken ist, mußte ich auf eine Einkehr denken; denn das Dorf, in welchem ich Rast halten wollte, war kaum mehr zu erreichen. Das Gewitter war so weit gediehen, daß es in einer Stunde und bei begünstigenden Umständen wohl noch früher ausbrechen konnte.

Vor mir hatte ich das Dorf Rohrberg, dessen Kirchturm von der Sonne scharf beschienen über Kirschen- und Weidenbäumen hervor sah. Es lag nur ganz wenig abseits von der Straße. Näher waren zwei Meierhöfe, deren jeder in einer mäßigen Entfernung von der Straße in Wiesen und Feldern prangte. Auch war ein Haus auf einem Hügel, das weder ein Bauerhaus noch irgend ein Wirtschaftsgebäude eines Bürgers zu sein schien, sondern eher dem Landhause eines Städters glich. Ich hatte schon früher wiederholt, wenn ich durch die Gegend kam, das Haus betrachtet, aber ich hatte mich nie näher um dasselbe bekümmert. Jetzt fiel es mir um so mehr auf, weil es der nächste Unterkunftsplatz von meinem Standorte aus war und weil es mehr Bequemlichkeit als die Meierhöfe zu geben versprach. Dazu gesellte sich ein eigentümlicher Reiz. Es war, da schon ein großer Teil des Landes, mit Ausnahme des Rohrberger Kirchturmes, im Schatten lag, noch hell beleuchtet und sah mit einladendem schimmerndem Weiß in das Grau und Blau der Landschaft hinaus.

Ich beschloß also, in diesem Hause eine Unterkunft zu suchen.

Ich forschte dem zu Folge nach einem Wege, der von der Straße auf den Hügel des Hauses hinaufführen sollte. Nach meiner Kenntnis des Landesgebrauches war es mir nicht schwer, den mit einem Zaune und mit Gebüsch besäumten Weg, der von der Landstraße ab hinauf ging, zu finden. Ich schritt auf demselben empor und kam, wie ich richtig vermutet hatte, vor das Haus. Es war noch immer von der Sonne hell beschienen. Allein da ich näher vor dasselbe trat, hatte ich einen bewunderungswürdigen Anblick. Das Haus war über und über mit Rosen bedeckt, und wie es in jenem fruchtbaren hügligen Lande ist, daß, wenn einmal etwas blüht, gleich alles mit einander blüht, so war es auch hier: die Rosen schienen sich das Wort gegeben zu haben, alle zur selben Zeit aufzubrechen, um das Haus in einen Überwurf der reizendsten Farbe und in eine Wolke der süßesten Gerüche zu hüllen.

Wenn ich sage, das Haus sei über und über mit Rosen bedeckt gewesen, so ist das nicht so wortgetreu zu nehmen. Das Haus hatte zwei ziemlich hohe Geschosse.

Die Wand des Erdgeschosses war bis zu den Fenstern des oberen Geschosses mit den Rosen bedeckt. Der übrige Teil bis zu dem Dache war frei, und er war das leuchtende weiße Band, welches in die Landschaft hinaus geschaut und mich gewissermaßen herauf gelockt hatte. Die Rosen waren an einem Gitterwerke, das sich vor der Wand des Hauses befand, befestigt. Sie bestanden aus lauter Bäumchen. Es waren winzige darunter, deren Blätter gleich über der Erde begannen, dann höhere, deren Stämmchen über die ersten empor ragten, und so fort, bis die letzten mit ihren Zweigen in die Fenster des oberen Geschosses hinein sahen. Die Pflanzen waren so verteilt und gehegt, daß nirgends eine Lücke entstand und daß die Wand des Hauses, soweit sie reichten, vollkommen von ihnen bedeckt war.

Ich hatte eine Vorrichtung dieser Art in einem so großen Maßstabe noch nie gesehen.

Es waren zudem fast alle Rosengattungen da, die ich kannte, und einige, die ich noch nicht kannte. Die Farben gingen von dem reinen Weiß der weißen Rosen durch das gelbliche und rötliche Weiß der Übergangsrosen in das zarte Rot und in den Purpur und in das bläuliche und schwärzliche Rot der roten Rosen über. Die Gestalten und der Bau wechselten in eben demselben Maße. Die Pflanzen waren nicht etwa nach Farben eingeteilt, sondern die Rücksicht der Anpflanzung schien nur die zu sein, daß in der Rosenwand keine Unterbrechung statt finden möge. Die Farben blühten daher in einem Gemische durch einander.

Auch das Grün der Blätter fiel mir auf. Es war sehr rein gehalten, und kein bei Rosen öfter als bei andern Pflanzen vorkommender Übelstand der grünen Blätter und keine der häufigen Krankheiten kam mir zu Gesichte. Kein verdorrtes oder durch Raupen zerfressenes oder durch ihr Spinnen verkrümmtes Blatt war zu erblicken. Selbst das bei Rosen so gerne sich einnistende Ungeziefer fehlte. Ganz entwickelt und in ihren verschiedenen Abstufungen des Grüns prangend standen die Blätter hervor. Sie gaben mit den Farben der Blumen gemischt einen wunderlichen Überzug des Hauses. Die Sonne, die noch immer gleichsam einzig auf dieses Haus schien, gab den Rosen und den grünen Blättern derselben gleichsam goldene und feurige Farben.

 

Nachdem ich eine Weile mein Vorhaben vergessend vor diesen Blumen gestanden war, ermahnte ich mich und dachte an das Weitere. Ich sah mich nach einem Eingange des Hauses um. Allein ich erblickte keinen. Die ganze ziemlich lange Wand desselben hatte keine Tür und kein Tor. Auch durch keinen Weg war der Eingang zu dem Hause bemerkbar gemacht; denn der ganze Platz vor demselben war ein reiner, durch den Rechen wohlgeordneter Sandplatz. Derselbe schnitt sich durch ein Rasenband und eine Hecke von den angrenzenden, hinter meinem Rücken liegenden Feldern ab. Zu beiden Seiten des Hauses in der Richtung seiner Länge setzten sich Gärten fort, die durch ein hohes, eisernes, grün angestrichenes Gitter von dem Sandplatze getrennt waren. In diesen Gittern mußte also der Eingang sein.

Und so war es auch.

In dem Gitter, welches dem den Hügel heranführenden Wege zunächst lag, entdeckte ich die Tür oder eigentlich zwei Flügel einer Tür, die dem Gitter so eingefügt waren, daß sie von demselben bei dem ersten Anblicke nicht unterschieden werden konnten. In den Türen waren die zwei messingenen Schloßgriffe und an der Seite des einen Flügels ein Glockengriff.

Ich sah zuerst ein wenig durch das Gitter in den Garten. Der Sandplatz setzte sich hinter dem Gitter fort, nur war er besäumt mit blühenden Gebüschen und unterbrochen mit hohen Obstbäumen, welche Schatten gaben. In dem Schatten standen Tische und Stühle; es war aber kein Mensch bei ihnen gegenwärtig. Der Garten erstreckte sich rückwärts um das Haus herum und schien mir bedeutend weit in die Tiefe zu gehen.

Ich versuchte zuerst die Türgriffe, aber sie öffneten nicht. Dann nahm ich meine Zuflucht zu dem Glockengriffe und läutete.

Auf den Klang der Glocke kam ein Mann hinter den Gebüschen des Gartens gegen mich hervor. Als er an der innern Seite des Gitters vor mir stand, sah ich, daß es ein Mann mit schneeweißen Haaren war, die er nicht bedeckt hatte. Sonst war er unscheinbar und hatte eine Art Hausjacke an, oder wie man das Ding nennen soll, das ihm überall enge anlag und fast bis auf die Knie herabreichte. Er sah mich einen Augenblick an, da er zu mir herangekommen war, und sagte dann: »Was wollt ihr, lieber Herr?«

»Es ist ein Gewitter im Anzuge«, antwortete ich, »und es wird in Kurzem über diese Gegend kommen. Ich bin ein Wandersmann, wie ihr an meinem Ränzchen seht, und bitte daher, daß mir in diesem Hause so lange ein Obdach gegeben werde, bis der Regen, oder wenigstens der schwerere, vorüber ist.«

»Das Gewitter wird nicht zum Ausbruche kommen«, sagte der Mann.

»Es wird keine Stunde dauern, daß es kömmt«, entgegnete ich, »ich bin mit diesen Gebirgen sehr wohl bekannt und verstehe mich auch auf die Wolken und Gewitter derselben ein wenig.«

»Ich bin aber mit dem Platze, auf welchem wir stehen, aller Wahrscheinlichkeit nach weit länger bekannt als ihr mit dem Gebirge, da ich viel älter bin als ihr«, antwortete er, »ich kenne auch seine Wolken und Gewitter und weiß, daß heute auf dieses Haus, diesen Garten und diese Gegend kein Regen niederfallen wird.«

»Wir wollen nicht lange darüber Meinungen hegen, ob ein Gewitter dieses Haus netzen wird oder nicht«, sagte ich; »wenn ihr Anstand nehmet, mir dieses Gittertor zu öffnen, so habet die Güte und ruft den Herrn des Hauses herbei.«

»Ich bin der Herr des Hauses.«

Auf dieses Wort sah ich mir den Mann etwas näher an. Sein Angesicht zeigte zwar auch auf ein vorgerücktes Alter, aber es schien mir jünger als die Haare und gehörte überhaupt zu jenen freundlichen, wohlgefärbten, nicht durch das Fett der vorgerückten Jahre entstellten Angesichtern, von denen man nie weiß, wie alt sie sind. Hierauf sagte ich: »Nun muß ich wohl um Verzeihung bitten, daß ich so zudringlich gewesen bin, ohne weiteres auf die Sitte des Landes zu bauen. Wenn eure Behauptung, daß kein Gewitter kommen werde, einer Ablehnung gleich sein soll, werde ich mich augenblicklich entfernen. Denkt nicht, daß ich als junger Mann den Regen so scheue; es ist mir zwar nicht so angenehm, durchnäßt zu werden als trocken zu bleiben, es ist mir aber auch nicht so unangenehm, daß ich deshalb jemandem zur Last fallen sollte. Ich bin oft von dem Regen getroffen worden, und es liegt nichts daran, wenn ich auch heute getroffen werde.«

»Das sind eigentlich zwei Fragen«, antwortete der Mann, »und ich muß auf beide etwas entgegnen. Das Erste ist, daß ihr in Naturdingen eine Unrichtigkeit gesagt habet, was vielleicht daher kömmt, daß ihr die Verhältnisse dieser Gegend zu wenig kennt oder auf die Vorkommnisse der Natur nicht genug achtet. Diesen Irrtum mußte ich berichtigen; denn in Sachen der Natur muß auf Wahrheit gesehen werden. Das Zweite ist, daß, wenn ihr mit oder ohne Gewitter in dieses Haus kommen wollt, und wenn ihr gesonnen seid, seine Gastfreundschaft anzunehmen, ich sehr gerne willfahren werde. Dieses Haus hat schon manchen Gast gehabt und manchen gerne beherbergt, und wie ich an euch sehe, wird es auch euch gerne beherbergen und so lange verpflegen, als ihr es für nötig erachten werdet. Darum bitte ich euch, tretet ein.«

Mit diesen Worten tat er einen Druck am Schlosse des Torflügels, der Flügel öffnete sich, drehte sich mit einer Rolle auf einer halbkreisartigen Eisenschiene und gab mir Raum zum Eintreten.

Ich blieb nun einen Augenblick unentschlossen.

»Wenn das Gewitter nicht kömmt«, sagte ich, »so habe ich im Grunde keine Ursache, hier einzutreten; denn ich bin nur des anziehenden Gewitters willen von der Landstraße abgewichen und zu diesem Hause heraufgestiegen. Aber verzeiht mir, wenn ich noch einmal die Frage anrege. Ich bin beinahe eine Art Naturforscher und habe mich mehrere Jahre mit Naturdingen, mit Beobachtungen und namentlich mit diesem Gebirge beschäftigt, und meine Erfahrungen sagen mir, daß heute über diese Gegend und dieses Haus ein Gewitter kommen wird.«

»Nun müßt ihr eigentlich vollends herein gehen«, sagte er, »jetzt handelt es sich darum, daß wir gemeinschaftlich abwarten, wer von uns beiden recht hat. Ich bin zwar kein Naturforscher und kann von mir nicht sagen, daß ich mich mit Naturwissenschaften beschäftigt habe; aber ich habe manches über diese Gegenstände gelesen, habe während meines Lebens mich bemüht, die Dinge zu beobachten und über das Gelesene und Gesehene nachzudenken. In Folge dieser Bestrebungen habe ich heute die unzweideutigen Zeichen gesehen, daß die Wolken, welche jetzt noch gegen Sonnenuntergang stehen, welche schon einmal gedonnert haben und von denen ihr veranlaßt worden seid, zu mir herauf zu steigen, nicht über dieses Haus und überhaupt über keine Gegend einen Regen bringen werden. Sie werden sich vielleicht, wenn die Sonne tiefer kömmt, verteilen und werden zerstreut am Himmel herum stehen. Abends werden wir etwa einen Wind spüren, und morgen wird gewiß wieder ein schöner Tag sein. Es könnte sich zwar ereignen, daß einige schwere Tropfen fallen oder ein kleiner Sprühregen nieder geht, aber gewiß nicht auf diesen Hügel.«

»Da die Sache so ist«, erwiderte ich, »trete ich gerne ein und harre mit euch gerne der Entscheidung, auf die ich begierig bin.«

Nach diesen Worten trat ich ein, er schloß das Gitter und sagte, er wolle mein Führer sein.

 

Er führte mich um das Haus herum; denn in der den Rosen entgegengesetzten Seite war die Tür. Er führte mich durch dieselbe ein, nachdem er sie mit einem Schlüssel geöffnet hatte. Hinter der Tür erblickte ich einen Gang, welcher mit Amonitenmarmor gepflastert war.

»Dieser Eingang«, sagte er, »ist eigentlich der Haupteingang; aber da ich mir nicht gerne das Pflaster des Ganges verderben lasse, halte ich ihn immer gesperrt, und die Leute gehen durch eine Tür in die Zimmer, welche wir finden würden, wenn wir noch einmal um die Ecke des Hauses gingen. Des Pflasters willen muß ich euch auch bitten, diese Filzschuhe anzuziehen.«

Es standen einige Paare gelblicher Filzschuhe gleich innerhalb der Tür. Niemand konnte mehr als ich von der Notwendigkeit überzeugt sein, diesen so edlen und schönen Marmor zu schonen, der an sich so vortrefflich ist und hier ganz meisterhaft geglättet war. Ich fuhr daher mit meinen Stiefeln in ein Paar solcher Schuhe, er tat desgleichen, und so gingen wir über den glatten Boden. Der Gang, welcher von oben beleuchtet war, führte zu einer braunen getäfelten Tür. Vor derselben legte er die Filzschuhe ab, verlangte von mir, daß ich dasselbe tue, und, nachdem wir uns auf dem hölzernen Antritte der Tür der Filzschuhe entledigt hatten, öffnete er dieselbe und führte mich in ein Zimmer. Dem Ansehen nach war es ein Speisezimmer; denn in der Mitte desselben stand ein Tisch, an dessen Bauart man sah, daß er vergrößert oder verkleinert werden könne, je nachdem eine größere oder kleinere Anzahl von Personen um ihn sitzen sollte. Außer dem Tische befanden sich nur Stühle in dem Zimmer und ein Schrein, in welchem die Speisegerätschaften enthalten sein konnten.

»Legt in diesem Zimmer«, sagte der Mann, »euern Hut, euern Stock und euer Ränzlein ab, ich werde euch dann in ein anderes Gemach führen, in welchem ihr ausruhen könnt.«

Als er dies gesagt und ich ihm Folge geleistet hatte, trat er zu einer breiten Strohmatte und zu Fußbürsten, die sich am Ausgange des Zimmers befanden, reinigte sich an beiden sehr sorgsam seine Fußbekleidung und lud mich ein, dasselbe zu tun. Ich tat es, und da ich fertig war, öffnete er die Ausgangstür, die ebenfalls braun und getäfelt war, und führte mich durch ein Vorgemach in ein Ausruhezimmer, welches an der Seite des Vorgemaches lag.

»Dieses Vorgemach«, sagte er, »ist der eigentliche Eingang in das Speisezimmer, und man kömmt von der andern Tür in dasselbe.«

Das Ausruhezimmer war ein freundliches Gemach und schien recht eigens zum Sitzen und Ruhehalten bestimmt. Es befaßte nichts als lauter Tische und Sitze. Auf den Tischen lagen aber nicht, wie es häufig in unsern Besuchzimmern vorkömmt, Bücher oder Zeichnungen und dergleichen Dinge, sondern die Tafeln derselben waren unbedeckt und waren ausnehmend gut geglättet und gereinigt. Sie waren von dunklem Mahagoniholze, das in der Zeit noch mehr nachgedunkelt war. Ein einziges Geräte war da, welches kein Tisch und kein Sitz war, ein Gestelle mit mehreren Fächern, welches Bücher enthielt. An den Wänden hingen Kupferstiche.

»Hier könnt ihr ausruhen, wenn ihr vom Gehen müde seid oder überhaupt ruhen wollt«, sagte der Mann, »ich werde gehen und sorgen, daß man euch etwas zu essen bereitet. Ihr müßt wohl eine Weile allein bleiben. Auf dem Gestelle liegen Bücher, wenn ihr etwa ein wenig in dieselben blicken wollet.«

Nach diesen Worten entfernte er sich.

Ich war in der Tat müde und setzte mich nieder.

Als ich saß, konnte ich den Grund einsehen, weshalb der Mann vor dem Eintritte in dieses Zimmer so sehr seine Fußbekleidung gereinigt und mir den Wunsch zu gleicher Reinigung ausgedrückt hatte. Das Zimmer enthielt nehmlich einen schön getäfelten Fußboden, wie ich nie einen gleichen gesehen hatte. Es war beinahe ein Teppich aus Holz. Ich konnte das Ding nicht genug bewundern. Man hatte lauter Holzgattungen in ihren natürlichen Farben zusammengesetzt und sie in ein Ganzes von Zeichnungen gebracht. Da ich von den Geräten meines Vaters her an solche Dinge gewohnt war und sie etwas zu beurteilen verstand, sah ich ein, daß man alles nach einem in Farben ausgeführten Plane gemacht haben mußte, welcher Plan mir selber wie ein Meisterstück erschien. Ich dachte, da dürfe ich ja gar nicht aufstehen und auf der Sache herum gehen, besonders wenn ich die Nägel in Anschlag brachte, mit denen meine Gebirgsstiefel beschlagen waren. Auch hatte ich keine Veranlassung zum Aufstehen, da mir die Ruhe nach einem ziemlich langen Gange sehr angenehm war.

Da saß ich nun in dem weißen Hause, zu welchem ich hinauf gestiegen war, um in ihm das Gewitter abzuwarten.

Es schien noch immer die Sonne auf das Haus, blickte durch die Fenster dieses Zimmers schief herein und legte lichte Tafeln auf den schönen Fußboden desselben.

Als ich eine Weile gesessen war, bemächtigte sich meiner eine seltsame Empfindung, welche ich mir Anfangs nicht zu erklären vermochte. Es war mir nehmlich, als sitze ich nicht in einem Zimmer, sondern im Freien, und zwar in einem stillen Walde. Ich blickte gegen die Fenster, um mir das Ding zu erklären; aber die Fenster erteilten die Erklärung nicht: ich sah durch sie ein Stück Himmel, teils rein, teils etwas bewölkt, und unter dem Himmel sah ich ein Stück Gartengrün von emporragenden Bäumen, ein Anblick, den ich wohl schon sehr oft gehabt hatte. Ich spürte eine reine, freie Luft mich umgeben. Die Ursache davon war, daß die Fenster des Zimmers in ihren oberen Teilen offen waren. Diese oberen Teile konnten nicht nach Innen geöffnet werden, wie das gewöhnlich der Fall ist, sondern waren nur zu verschieben, und zwar so, daß einmal Glas in dem Rahmen vorgeschoben werden konnte, ein anderes Mal ein zarter Flor von weiß-grauer Seide. Da ich in dem Zimmer saß, war das Letztere der Fall. Die Luft konnte frei herein strömen, Fliegen und Staub waren aber ausgeschlossen.

Wenn nun gleich die reine Luft eine Mahnung des Freien gab, sah ich doch hierin nicht völlige Erklärung allein.

Ich bemerkte noch etwas anderes. In dem Zimmer, in welchem ich mich befand, hörte man nicht den geringsten Laut eines bewohnten Hauses, den man doch sonst, es mag im Hause noch so ruhig sein, mehr oder weniger in Zwischenräumen vernimmt. Diese Art Abwesenheit häuslichen Geräusches verbarg allerdings die Nachbarschaft bewohnter Räume, konnte aber eben so wenig als die freie Luft die Waldempfindung geben.


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