Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Das Erste, was ich dort nach dem innigsten und aufrichtigsten Bewillkommen sah, war, daß mein Vater das teils gläserne, teils hölzerne Häuschen, in welchem die alten Waffen hingen, um welches sich der Epheu rankte und welches im Grunde den äußersten Ansatz oder gleichsam einen Erker des rechten Flügels des Hauses gegen den Garten bildete, in dem vergangenen Sommer hatte umbauen lassen. Er hatte es bedeutend vergrößert, aber die Leisten, Spangen und Rahmen, in denen das Glas befestigt war, hatte er in der früheren Art gelassen, nur waren sie dem Stoffe nach neu gemacht und mit schönen Verzierungen und Schnitzereien versehen. Die Simse des Daches waren nach mittelalterlicher Weise verfertigt, schön geschnitzt und verziert. Der Epheu war wieder an Leisten empor geleitet worden und blickte an manchen Stellen durch das Glas herein. Die Fenster waren nicht mehr nach Außen und Innen zu öffnen wie früher, sondern zum Verschieben. Die größte Veränderung aber war die, daß der Vater zwei Säulen hatte aufführen lassen, während früher die beiden Wände, welche nach Außen geschaut hatten, aus Glas verfertigt gewesen waren. Diese zwei Pfeiler hatten genau die Abmessungen, daß die zwei Verkleidungen, welche ich ihm in dem vorigen Herbste gebracht hatte, auf dieselben paßten. Die Verkleidungen waren aber noch nicht auf ihnen, weil das Mauerwerk zuerst austrocknen mußte, daß das Holz an demselben keinen Schaden nehmen konnte. Der Vater hatte mir nur den ganzen Plan und die Vorrichtungen zu seiner Ausführung gesagt. So wie es mich einerseits freute, daß der Vater das Holzkunstwerk so schätzte, daß er eigens zu dem Zwecke, es anbringen zu können, das Häuschen hatte umbauen lassen, so war es mir andererseits erst recht schmerzlich, daß ich die Ergänzungen zu den Verkleidungen nicht aufzufinden im Stande gewesen war. Ich sagte dem Vater von meinen Bemühungen und von meinem Leidwesen wegen des schlechten Erfolges. Er und die Mutter trösteten mich und sagten, es sei alles auch in der vorhandenen Gestalt recht schön, was verschwunden ist und nicht mehr erlangt werden kann, müsse man nicht eigensinnig anstreben, sondern sich an dem, was eine gute Gunst uns noch erhalten habe, freuen. Das Häuschen werde eine Erinnerung sein, und so oft man sich in demselben, wenn es vollkommen in den Stand gesetzt sein würde, befinden werde, werde einem die Zeit vorschweben, in welcher das Holzwerk gemacht worden sei, und die, in welcher ein lieber Sohn es zur Freude des Vaters aus dem Gebirge gebracht habe.

Ich mußte mich wohl, obgleich ungern, beruhigen. Es erschien mir jetzt erst recht schön, wenn die Verkleidungen am ganzen Innern des Häuschens herum liefen und über ihnen einerseits die Pfeiler und andererseits die Fenster schimmerten.

Nach einigen Tagen, in welchen die ersten Besprechungen geführt wurden, die nach einer Reise eines Familiengliedes im Schoße einer Familie immer vorfallen, wenn auch die Reise eine jährlich wiederkommende ist, legte ich dem Vater, da unterdessen auch meine Koffer und Kisten angekommen waren, die Abbildungen vor, welche ich von den Geräten und Fußböden im Rosenhause und im Sternenhofe gemacht hatte. Ich war auf die Wirkung sehr neugierig. Ich hatte einen Sonntag abgewartet, an welchem er Zeit hatte und an welchem er gerne nach dem Mittagessen eine geraume Weile in dem Kreise seiner Familie zubrachte. Ich legte die Blätter vor ihm auf einem Tische auseinander. Er schien mir bei ihrem Anblick – ich kann sagen – betroffen. Er sah die Blätter genau an, nahm jedes mehrere Male in die Hand und sagte längere Zeit kein Wort. Endlich ging seine Empfindung in eine unverhohlene Freude über. Er sagte, ich wisse gar nicht, was ich gemacht hätte, ich wisse gar nicht, welchen Wert diese Dinge hätten, ich hätte in früherer Zeit die Schönheit und Zusammenstimmigkeit dieser Dinge mit Worten gar nicht so in das rechte Licht gestellt, wie es sich jetzt in Farbe und Zeichnung, wenn auch beides mangelhaft wäre, beurkunde. Im ersten Augenblicke hielt der Vater die Geräte, welche ich in dem Sternenhofe abgebildet hatte, für wirklich alte; als ich ihn aber auf die tatsächlichen Verhältnisse derselben aufmerksam machte, sagte er, das müsse ein außerordentlicher Mensch sein, der diese Entwürfe gemacht habe, er müsse nicht nur mit der alten Bauart und Zusammenstellung der Geräte sehr vertraut sein, sondern er müsse auch ein ungewöhnliches Schönheitsgefühl haben, um aus der Menge der überlieferten Gestalten das zu wählen, was er gewählt habe. Und die Zusammenreihung der Geräte sei so aus einem Gusse, als wären sie einstens zu einem Zweck und in einer Zeit verfertigt worden. Auch die wirklich alten Geräte im Rosenhause seien von einer Schönheit, wie er sie nie gesehen habe, obgleich ihm die vorzüglichsten und berühmtesten Sammlungen der Stadt und mancher Schlösser bekannt wären. Zwei so auserlesene Stücke wie den großen Kleiderschrein und den Schreibschrein mit den Delphinen dürfte man kaum irgendwo finden. Sie wären wert, in einem kaiserlichen Gemache zu stehen.

 

Ich erzählte ihm, um den Mann, der die Entwürfe für den Sternenhof gemacht hatte, näher zu bezeichnen, daß ich viele Bauzeichnungen und Zeichnungen von anderen Dingen in dem Rosenhause gesehen habe, welche weit höhere Gegenstände darstellen und auch mit einer ungleich größeren Vollendung ausgeführt seien, als ich bei meinen Abbildungen anzubringen im Stande gewesen wäre. Diese Arbeiten seien bei dem Manne Vorbildungen gewesen, damit er die Entwürfe hätte machen können, die er gemacht habe.

Er schien auf meine Worte nicht zu achten, sondern legte irgend ein Blatt hin, nahm ein anderes auf und betrachtete es.

»So weit ich aus den Abbildungen urteilen kann«, sagte er, »sind die altertümlichen Gegenstände, welche du mir da veranschaulicht hast, nicht nur an sich sehr vortrefflich, sondern sie sind auch höchst wahrscheinlich, wie Farbe und Zeichnung dartut, sehr zweckmäßig wieder hergestellt. Meine Habseligkeiten sinken dagegen zu Unbedeutenheiten herab, und ich sehe aus diesen Blättern, wie man die Sache anfassen muß, wenn man die Zeit, die Kenntnisse und die Mittel dazu hat.«

Mich freute es jetzt recht sehr, daß ich auf den Gedanken gekommen war, dem Vater diese Dinge nachzubilden, um ihm eine Vorstellung von ihnen zu geben; mich freute sein Anteil, den er an ihnen nahm, und die Freude, die er darüber hatte.

»Es sind nun zwei Wege, die zu gehen sind«, meinte die Mutter, »entweder kannst du dir nach diesen Gemälden die Dinge, die sie darstellen, machen lassen, um dich immerwährend daran zu ergötzen, oder du kannst in den Asperhof und Sternenhof reisen und sie in Wirklichkeit sehen, um eine Freude zu haben, so lange du sie siehst, und in der Erinnerung dich zu laben, wenn du wieder weggereist bist.«

Der Vater antwortete: »Die Geräte, die hier gezeichnet sind, nachmachen zu lassen, ist eine Unzukömmlichkeit; denn erstens müßte hiezu die Einwilligung des Eigentümers erlangt werden, und wenn sie auch erlangt worden wäre, so hätten zweitens die nachgebildeten Gegenstände in meinen Augen nicht den Wert, den sie haben sollten, weil sie doch nur, wie die Maler sagen, Copien wären. Es böte sich auch noch der Gedanke, mit Einwilligung des Eigentümers nach diesen Abbildungen neue Zusammenstellungen entwerfen und in Wirklichkeit ausführen zu lassen; allein das verlangt eine so große Geschicklichkeit, welche ich nicht nur mir nicht zutraue, sondern welche ich auch an den Arbeitern in ähnlichen Dingen, die ich in unserer Stadt kenne, nicht aufzufinden hoffe. Und zuletzt wären die verfertigten Gegenstände doch noch immer nichts mehr als halbe Copien. Das Verfertigen geht also nicht. Was deinen zweiten Weg anbelangt, Mutter, so werde ich ihn gewiß gehen. Ich habe mir schon früher bei den Erzählungen von diesen Dingen vorgenommen, die Reise zu ihnen zu machen; jetzt aber, da ich die Abbildungen sehe, werde ich die Reise nicht nur um so gewisser, sondern auch in viel näherer Zeit machen, als es wohl sonst hätte geschehen können.«

»Das wird recht schön sein«, riefen wir fast alle aus einem Munde.

Die Mutter sagte: »Du solltest gleich die Zeit bestimmen und solltest gleich mit deinem Sohne verabreden, daß er dich in derselben zu dem alten Manne in das Rosenhaus führe, welcher dich schon auch in den Sternenhof geleiten würde.«

»Nun, so dränget nur nicht«, erwiderte er, »es wird geschehen, das ist genug; binden, wißt ihr, kann sich ein Mann nicht, der von seinem Geschäfte abhängt und nicht wissen kann, welche Umstände einzutreten vermögen, die von ihm Zeit und Handlungen fordern.«

Die Mutter kannte ihn zu gut, um weiter in ihn zu dringen, er würde bei seinem ausgesprochenen Satze geblieben sein. Sie beruhigte sich mit dem Erlangten.

Sowohl sie als die Schwester dankten mir, daß ich dem Vater die Bilder gebracht hatte, die ihm ein solches Vergnügen bereiteten.

»Die Fußböden müssen auch vortrefflich sein«, rief er aus.

»Sie sind viel schöner als die ungefähre Malerei andeuten kann«, erwiderte ich, »mein Pinsel kann noch immer nicht den Glanz und die Zartheit und das Seidenartige der Holzfasern ausdrücken, was man alles dort so liebt, daß nur mit Filzschuhen auf diesen Böden gegangen werden darf.«

»Das kann ich mir denken«, antwortete er, »das kann ich mir denken.«

Hierauf mußte ich ihm alle Hölzer nennen, die hier mit Farben angegeben waren und aus denen die abgebildeten Gegenstände bestanden. Die meisten kannte er ohnehin, was mich freute, weil es der Beweis war, daß ich die Farben nicht unsachgemäß angewendet habe. Die er nicht kannte, nannte ich ihm. Ich wußte sie fast alle ganz genau anzugeben.

Er verwunderte sich wieder und immer aufs Neue und suchte sich die Gegenstände recht lebhaft vorzustellen.

Die Mutter und Schwester fragten mich, ob ich recht lange zu dieser Arbeit gebraucht hätte und ob ich nicht dabei beklommen gewesen wäre.

Ich antwortete, daß ich des Zweckes willen sehr fleißig gewesen sei, daß es anfänglich langsam gegangen sei, daß ich aber nach und nach Übung erlangt hätte und daß ich dann weit schneller vorwärtsgekommen sei, als ich selber geahnt habe. Und was die Beklemmung anbelangt, so hätte ich sie freilich im Anfange gehabt; aber da die Dinge einmal auf mich gewirkt hätten, da ich in Eifer geraten wäre, da sich hie und da ein Gelingen eingestellt hätte, namentlich da mir durch die Entschiedenheit der Erscheinung mancher Holzgattung die Farbe gleichsam von selber in die Hand gegeben worden wäre, so hätte sich bald die Unbefangenheit eingefunden und nach und nach sich die Lust hinzu gesellt.

Nach diesen Worten zeigte mir der Vater auch manchen Fehler, den ich in den Arbeiten gemacht hätte, und setzte mir auseinander, wie ich selbe, falls ich wieder ähnliche Dinge entwerfen sollte, vermeiden könnte. Da er Gemälde hatte, da er sich seit Jahren mit denselben beschäftigt hatte, so durfte ihm wohl ein Urteil in dieser Hinsicht zugewachsen sein, und ich erkannte das, was er sagte, als vollkommen richtig an und glaubte mich aber auch befähigt zu fühlen, es in Zukunft besser zu machen.

Nach den Fehlern ging der Vater auch auf die Vorzüge der Arbeit über und sagte, daß er nach den Zeichnungen von Köpfen, die ich vor einiger Zeit gemacht hätte, zu schließen, von mir nicht erwartet hätte, daß ich etwas so Sachgemäßes in Ölfarben würde ausführen können.

Dieser Sonntagsnachmittag war eine sehr liebe, angenehme Zeit.

Die Freundlichkeit der Schwester, die sie besonders an diesem Nachmittage an den Tag legte, war mir ein schönerer Lohn, als wenn ein Kenner gesagt hätte, daß meine Blätter ausgezeichnet seien, das Lob der Mutter, daß ich auf den Vater und das väterliche Haus gedacht habe und aus Liebe zu beiden, um Freude zu bereiten, eine beschwerliche Arbeit unternommen habe, erregte mir die angenehmsten Gefühle, und da auch der Vater mit einigen gewählten Worten seinen Dank aussprach und sagte, daß er dieses Zartgefühl nicht vergessen werde, konnte ich nur mit großer Gewalt die Tränen bemeistern.

Ich gab ihm alle Blätter als Eigentum, und er reihte sie seiner Sammlung von Merkwürdigkeiten ein.

Am nächsten Tage packte ich die Zithern aus, legte beide der Schwester vor und ließ ihr die Wahl, ob sie die meinige oder die neuangekaufte als für sie gehörig annehmen wolle. Sie wählte die neue und freute sich darüber sehr. Ich zeigte ihr auch die Stücke, welche ich mir nach dem Spiele meines Gebirgslehrmeisters geschrieben hatte, und ließ sie ihr in ihrem Zimmer, daß sie sie abschreiben lassen könne und daß sie ihre Übungen darnach begönne. Ich versprach ihr, in diesem Winter ihr Lehrer in dieser Kunst zu sein.

Nach einiger Zeit brachte ich auch meine Malereien von Gebirgslandschaften zum Vorscheine. Ich hatte bis dahin immer nicht den Mut dazu gehabt; aber endlich machte mir mein Gewissen zu bittere Vorwürfe, daß ich gegen meine Angehörigen Heimlichkeiten habe. Ich zeigte meinem Vater die Blätter auch an einem Sonntagsnachmittage. Ich blickte ihm erstaunt in das Angesicht, als er dieselben gesehen hatte und das Nehmliche sagte, was mein Gastfreund im Rosenhause und was Eustach gesagt hatten. Bei diesen letzten beiden hatte es mich nicht gewundert, da ich sie für Kenner hielt und da sie Gebirgsbewohner waren. Der Vater aber, der zwar Bilder besaß, war ein Kaufherr und war nie lange in dem Gebirge gewesen. Es erhöhte dies meine Ehrfurcht gegen ihn noch mehr. Er zeigte mir, wo ich unwahr gewesen war, und setzte mir auseinander, wie es hätte sein sollen, was ich augenblicklich begriff. Das was er lobte und richtig fand, gefiel mir selber nachher doppelt so wohl.


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