Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Am anderen Morgen saß ich nebst Gustav mit ihm in dem Wagen, und wir fuhren dem Sternenhofe zu.

Wir wurden dort so freundlich und heiter aufgenommen wie immer, ja noch freundlicher und heiterer als sonst. Die Zimmer, welche wir immer bewohnt hatten, standen für uns, wie für Personen, welche zu der Familie gehörten, in Bereitschaft. Natalie stand mit lieblichen Mienen neben ihrer Mutter und sah ihren älteren Freund und mich an. Ich grüßte mit Ehrerbietung die Mutter und fast mit gleicher Ehrerbietung die Tochter. Gustav war etwas schüchterner als sonst und blickte bald mich, bald Natalien an. Wir sprachen die gewöhnlichen Bewillkommungsworte und andere unbedeutende Dinge. Dann verfügten wir uns in unsere Zimmer.

Noch an demselben Tage und am nächsten besah mein Gastfreund verschiedene Dinge, welche zur Bewirtschaftung des Gutes gehörten, besprach sich mit Mathilden darüber, besuchte selbst ziemlich entfernte Stellen und ordnete im Namen Mathildens an. Auch die Arbeiten in der Hinwegschaffung der Tünche von der Außenseite des Schlosses besah er. Er stieg selber auf die Gerüste, untersuchte die Genauigkeit der Hinwegschaffung der aufgetragenen Kruste und die Reinheit der Steine. Er prüfte die Größe der in einer gewöhnlichen Zeit vollbrachten Arbeit und gab Aufträge für die Zukunft. Wir waren bei den meisten dieser Beschäftigungen gemeinschaftlich zugegen.

Man behandelte mich auf eine ausgezeichnete Art. Mathilde war so sanft, so gelassen und milde wie immer. Wer nicht genauer geblickt hätte, würde keinen Unterschied zwischen sonst und jetzt gewahr geworden sein. Sie war immer gütig und konnte daher nicht gütiger sein. Ich empfand aber doch einen Unterschied. Sie richtete das Wort so offen an mich wie früher; aber es war doch jetzt anders. Sie fragte mich oft, wenn es sich um Dinge des Schlosses, des Gartens, der Felder, der Wirtschaft handelte, um meine Meinung, wie einen, der ein Recht habe und der fast wie ein Eigentümer sei. Sie fragte gewiß nicht, um meine Meinung so gründlich zu wissen; denn mein Gastfreund gab die besten Urteile über alle diese Gegenstände ab, sondern sie fragte so, weil ich einer der ihrigen war. Sie hob aber diese Fragen nicht hervor und betonte sie nicht, wie jemand getan hätte, bei dem sie Absicht gewesen wären, sondern sie empfand das Zusammengehörige unseres Wesens und gab es so. Mir ging diese Behandlung ungemein lieb in die Seele. Mein Gastfreund war wohl beinahe gar nicht anders; denn sein Wesen war immer ein ganzes und geschlossenes; aber auch er schien herzlicher als sonst.

Gustav verlor sein anfängliches schüchternes Wesen. Obwohl er auch jetzt noch kein Wort sagte, welches auf unser Verhältnis anspielte – das taten auch die anderen nicht, und er hatte eine zu gute Erziehung erhalten, um, obgleich er noch so jung war, hierin eine Ausnahme zu machen -, so ging er doch zuweilen plötzlich an meine Seite, nahm mich bei einem Arme, drückte ihn oder nahm mich bei der Hand und drückte sie mit der seinen. Nur mit Natalie war es ganz anders. Wir waren beinahe scheuer und fremder, als wir es vor jenem Hervorleuchten des Gefühles in der Grotte der Brunnennymphe gewesen waren. Ich durfte sie am Arme führen, wir durften mit einander sprechen; aber wenn dies geschah, so redeten wir von gleichgültigen Dingen, welche weit entfernt von unseren jetzigen Beziehungen lagen. Und dennoch fühlte ich ein Glück, wenn ich an ihrer Seite ging, daß ich es kaum mit Worten hätte sagen können. Alles, die Wolken, die Sterne, die Bäume, die Felder schwebten in einem Glanze, und selbst die Personen ihrer Mutter und ihres alten Freundes waren verklärter. Daß in Natalien Ähnliches war, wußte ich, ohne daß sie es sagte.

Wenn wir an dem Scheunentore des Meierhofes vorbeigingen oder an einer anderen Tür oder an einem Felde oder sonst an einem Platze, auf welchem gearbeitet wurde, so traten die Menschen zusammen, blickten uns nach und sahen uns mit denselben bedeutungsvollen Augen an, mit denen man mich in dem Asperhofe angeschaut hatte. Es war mir also klar, daß man auch hier wußte, in welchen Beziehungen ich zu der Tochter des Hauses stehe. Ich hätte es auch aus der größeren Ehrerbietung der Diener heraus lesen können, wenn es mir nicht schon sonst deutlich gewesen wäre. Aber auch hier wie in dem Asperhofe bemerkte ich, daß es etwas Freundliches war, etwas, das wie Freude aussah, was sich in den Mienen der Leute spiegelte. Sie mußten also auch hier mit dem, was sich vorbereitete, zufrieden sein. Ich war darüber tief vergnügt; denn auf welchem Stande der Entwickelung die Leute immer stehen mögen, so ist es doch gewiß, wie ich aus dem Umgange mit vielen Menschen reichlich erfahren habe, daß Geringere die Höheren oft sehr richtig beurteilen und namentlich, wenn Verbindungen geschlossen werden, seien es Freundschaften, seien es Ehen, mit richtiger Kraft erkennen, was zusammen gehört und was nicht. Daß sie mich also zu Natalien gehörig ansahen, erfüllte mich mit nachhaltender inniger Freude.

Wie Natalie über diese Kundgebungen der Leute dachte, konnte ich nicht erkennen.

Nachdem so drei Tage vergangen waren, nachdem wir die verschiedensten Stellen des Schlosses, des Gartens, der Felder und der Wälder gemeinschaftlich besucht hatten, nachdem wir auch manchen Augenblick in den Gemäldezimmern und in denen mit den altertümlichen Geräten zugebracht und an Verschiedenem uns erfreut hatten, nachdem endlich auch alles, was in Angelegenheiten des Gutes zu besprechen und zu ordnen war, zwischen Mathilden und meinem Gastfreunde besprochen und geordnet worden war, wurde auf den nächsten Tag die Abreise beschlossen. Wir verabschiedeten uns auf eine ähnliche Weise, wie wir uns bewillkommt hatten, der Wagen war vorgefahren, und wir schlugen die Richtung zurück ein, in der wir vor vier Tagen gekommen waren.

 

Ich fuhr mit meinem Gastfreunde nur bis an die Poststraße und auf derselben bis zur ersten Post. Dort trennten wir uns. Er fuhr auf Nebenwegen dem Asperhofe zu, weil er mir zu lieb einen Umweg gemacht hatte, ich aber schlug mit Postpferden die Richtung gegen das Kargrat ein. Ich war entschlossen, im Kargrat für jetzt ganz abzubrechen und also die Gegenstände, die ich noch dort hatte, fortschaffen zu lassen. Als ich in dem kleinen Orte eingetroffen war, richtete ich meine Verhältnisse zurecht, ließ meine Dinge einpacken und schickte sie fort. Ich nahm von dem Pfarrer, welchen ich kennen gelernt hatte, Abschied, verabschiedete mich auch von meinen Wirtsleuten und von den anderen Menschen, die mir bekannt geworden waren, sagte, daß ich nicht weiß, wann ich in das Kargrat zurückkehren werde, um meine Arbeiten, welche ich wegen eines schnell eingetretenen Umstandes hatte abbrechen müssen, fortzusetzen, und reiste wieder ab.

Ich ging jetzt in das Lauterthal, um es zu besuchen. Es war in der Richtung nach meiner Heimat ein geringer Umweg, und ich wollte das Tal, das mir lieb geworden war, wieder sehen. Besonders aber führte mich ein Zweck dahin. Obwohl ich wenig Hoffnung hatte, daß mein Auftrag, den ich in dem Tale gegeben hatte, zu forschen, ob sich nicht doch noch die Ergänzungen zu den Vertäflungen meines Vaters fänden, einen Erfolg haben werde, so wollte ich doch nicht nach Hause reisen, ohne in dieser Hinsicht Nachfrage gehalten zu haben. Die gewünschten Ergänzungen hatten sich zwar nicht gefunden, auch keine Spur zu denselben war entdeckt worden; aber manche Leute hatte ich gesehen, denen ich in früheren Tagen geneigt worden war, Gegenstände hatte ich erblickt, von denen ich in vergangenen Jahren zu meinem Vergnügen umringt gewesen war.

Ich ging auch in das Rothmoor. Dort fand ich die Arbeiten noch in einem höheren Maße entwickelt und im Gange, als sie es bei meiner letzten Anwesenheit gewesen waren. Von mehreren Orten hatte man Bestellungen eingesendet, selbst von unserer Stadt, wo das Becken der Einbeere bekannt geworden war und manchen Beifall gefunden hatte, waren Briefe geschickt worden. Fremde kamen zu Zeiten in diese abgelegene Gegend, machten Käufe und hinterließen Aufträge. Ich sah also, daß sich Manches hier gebessert habe, betrachtete die Arbeiten und bestellte auch wieder einige neue, weil ich teils noch Stücke schönen Marmors hatte, aus denen irgend etwas gemacht werden konnte und weil anderen Teils in dem Garten des Vaters zur Brüstung oder zu anderen Stellen noch Gegenstände fehlten. Die Leute hatten mich recht freundlich und zuvorkommend empfangen, sie zeigten mir, was im Gange war, welche Verbesserungen sie eingeführt hatten und welche sie noch beabsichtigen. Sie ließen hiebei nicht unerwähnt, daß ich der kleinen Anstalt immer zugetan gewesen sei und daß ich zu den Verbesserungen manchen Anlaß und manchen Fingerzeig gegeben habe. Ich drückte meine Freude über alles das aus und versprach, daß ich, wenn ich in die Nähe käme, jederzeit recht gerne einen kurzen Besuch in dem Rothmoor machen würde.

Nach diesem unbedeutenden Aufenthalte im Lauterthale und im Rothmoor setzte ich meine Reise zu meinen Eltern ohne weitere Verzögerung fort.


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