Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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An einem Pfeiler, der mit einem langen, altertümlich gefaßten Spiegel geschmückt war, stand der Tisch mit den Musikgeräten, den ich im Rosenhause in der Wiederherstellung befindlich und zu Anfang dieses Sommers bereits vollendet gesehen hatte.

Ich konnte vor Verwunderung kein Wort sagen.

Der Vater, der mein Gefühl verstand, sagte: »Der Tisch ist mein Eigentum. Er ist mir in diesem Sommer gesendet worden, und es war die Bitte beigefügt, ich möge ihn unter meinen andern Dingen als Erinnerung an einen Mann aufstellen, dessen größte Freude es wäre, einem Andern, der seine Neigung gleichen Dingen zuwende wie er, ein Vergnügen zu machen.«

»Da muß ich nun augenblicklich zu meinem Freunde reisen«, rief ich.

»Den Dank habe ich ihm wohl schon ausgedrückt«, sagte der Vater; »aber wenn du hingehen und es mit dem eigenen Munde tun willst, so freut es mich um desto mehr.«

Die Schwester hüpfte oder sprang beinahe in dem Zimmer herum und rief: »Ich habe es mir gedacht, daß er so handeln wird, ich habe es mir gedacht. O der Freude, o der Freude! Wirst du bald abreisen?«

»Morgen mit dem frühesten Tagesanbruch«, erwiderte ich, »heute müssen noch Pferde bestellt werden.«

»Es ist eine späte Jahreszeit und du bist kaum gekommen, mein Sohn«, sagte die Mutter; »aber ich halte dich nicht ab. Der Tisch und noch mehr die Gesinnung des Mannes, der ihn sendete, haben auf deinen Vater wie ein Glück gewirkt. Das müssen vortreffliche Menschen sein.«

»Sie haben ihres Gleichen nicht auf Erden«, rief ich. Ohne zu säumen schickte ich den Knecht auf die Post, um mir auf den nächsten Morgen um vier Uhr zwei Pferde zu bestellen. Dann sprachen wir noch von dem Tische. Der Vater breitete sich über seine Eigenschaften aus, er erklärte uns dieses und jenes und setzte mir dann in einer längeren Beweisführung auseinander, warum er gerade auf diesem Platze stehen müsse, auf dem er stehe. Ohne von den Gemälden des Vaters etwas zu sagen, auf welche ich mich sehr gefreut hatte und von denen ich mit dem Vater hatte reden wollen, und ohne auf meinen diesjährigen Sommeraufenthalt näher einzugehen, ließ ich den Rest des Tages verfließen und erwartete mit Ungeduld den Morgen. Nur gelegentliche Fragen des Vaters beantwortete ich und hörte zu, wenn er wieder von dem sprach, was in diesem Sommer ein Ereignis für ihn gewesen war. Vor dem Schlafengehen nahmen wir Abschied, und ich begab mich auf meine Zimmer.

Um drei Uhr des Morgens war ein leichter Lederkoffer gepackt, und eine halbe Stunde später stand ich in guten Reisekleidern da. In dem Speisezimmer, in welchem noch ein Frühstück für mich bereit stand, erwarteten mich die Mutter und die Schwester. Der Vater, sagten sie, schlummre noch sehr sanft. Das Frühmahl war eingenommen, die Pferde standen vor dem Haustore, die Mutter verabschiedete sich von mir, die Schwester begleitete mich zu dem Wagen, küßte mich dort auf das Innigste und Freudigste, ich stieg ein und der Wagen fuhr in der noch überall dicht herrschenden Finsternis davon.

Ich war nie mit eigenen Postpferden gefahren, weil ich die Auslage für Verschwendung hielt. Jetzt tat ich es, mir ging die Reise noch immer nicht schnell genug, und auf jeder Post, wo ich neue Pferde und einen neuen Wagen erhielt, däuchte mir der Aufenthalt zu lange.

Ich hatte den Vater um den Brief nicht gefragt, der mit den Zeichnungen oder mit dem Tische gekommen war, auch hatte ich mich nicht um die Art erkundigt, wie diese Dinge eingelangt seien. Der Vater hatte ebenfalls nichts davon erwähnt. Ich beschloß, meinem Vorhaben treu zu bleiben und hierüber eine Frage nicht zu stellen.

 

Nach einer nur durch das notwendige Essen von mir unterbrochenen Fahrt bei Tag und Nacht kam ich gegen den Mittag des zweiten Tages in dem Rosenhause an. Ich hielt vor dem Gitter, gab einem Knechte, der gar nicht erstaunt war, weil er an mein Gehen und Kommen in diesem Hause gewohnt sein mochte, meinen Koffer, sendete Wagen und Pferde auf die letzte Post, in die sie gehörten, zurück, ging in das Haus und fragte nach meinem Freunde.

Er sei in seinem Arbeitszimmer, sagte man mir.

Ich ließ mich melden und wurde hinaufgewiesen.

Er kam mir lächelnd entgegen, als ich eintrat. Ich sagte, er scheine zu wissen, weshalb ich komme.

»Ich glaube es mir denken zu können«, antwortete er.

»Dann werdet ihr euch nicht wundern«, sagte ich, »daß ich in diesem Jahre, für welches ich schon Abschied genommen habe, mittelst einer sehr eiligen Reise noch einmal in euer Haus komme. Ihr habt meinem Vater eine doppelte Freude erwiesen, ihr habt zu mir nichts gesagt, mein Vater hat mir auch nichts geschrieben, wahrscheinlich, um den Eindruck, wenn ich die Sache selber sähe, größer zu machen: ich müßte ein sehr unrechtlicher Mensch sein, wenn ich nicht käme und für den Jubel, der in mein Herz kam, nicht dankte. Ich weiß nicht, wodurch ich es denn verdient habe, daß ihr das getan habt, was ihr tatet; ich weiß nicht, wie ihr denn mit meinem Vater zusammenhänget, daß ihr ihm ein so kostbares Geschenk macht und daß ihr mit den Zeichnungen so in Liebe an ihn dachtet.

Ich danke euch tausendmal und auf das herzlichste dafür. Ich habe euch für alles Freundliche, was mir in eurem Hause zu Teil geworden ist, in meinem Herzen gedankt, ich habe euch auch mit Worten gedankt. Dieses aber ist das Liebste, was mir von euch gekommen ist, und ich biete euch den heißesten Dank dafür an, der sich am besten aussprechen würde, wenn es mir nur auch einmal gegönnt wäre, für euch etwas tun zu können.«

»Das dürfte sich vielleicht auch einmal fügen«, antwortete er, »das Beste aber, was der Mensch für einen andern tun kann, ist doch immer das, was er für ihn ist. Das Angenehmste an der Sache ist mir, daß ich mich nicht getäuscht habe und daß euer Vater an den Sendungen Freude hatte und daß die Freude des Vaters auch euch Freude machte. Im übrigen ist ja alles sehr einfach und natürlich. Ihr habt mir von den altertümlichen Dingen erzählt, welche euer Vater besitzt und welche ihm Vergnügen machen, ihr habt von seinen Bildern gesprochen, ihr habt ihm Schnitzwerke gebracht, für welche er eigens einen kleinen Erker seines Hauses umbauen ließ, ihr habt euch große Mühe gegeben, die Ergänzungen zu den Schnitzereien zu finden, habt sogar meinen Rat hiebei eingeholt, und es war euch unangenehm, befürchten zu müssen, daß ihr das Gesuchte trotz alles Strebens nicht finden würdet. Da dachte ich, daß ich vielleicht mit einem meiner Gegenstände eurem Vater ein Vergnügen machen könnte, besprach mich mit Eustach und sandte den Tisch. Das Übersenden der Zeichnungen war auch ganz folgerichtig. Ihr habt im vorigen Jahre mit vieler Mühe hier und im Sternenhofe Abbildungen von Geräten gemacht, um eurem Vater nur im Allgemeinen eine Vorstellung von dem zu geben, was hier ist. Wie nahe lag es also, ihm Zeichnungen zu schicken, in denen noch weit mehr, weit Umfassenderes und weit Edleres enthalten ist, obgleich sie nur die Sammlung eines einzelnen Menschen sind und weit hinter dem zurückstehen, was an Prachtwerken hie und da besteht. Wir haben vielerlei an alten Geräten hier, wir können etwas entbehren, haben schon Manches weggegeben, und geben gerne etwas einem Manne, der damit Freude hat und der es zu pflegen und zu achten versteht.«

»Es würde mir sehr viel Schmerz machen«, sagte ich, »wenn ihr nur im Entferntesten denken könntet, daß ich mit meinen Handlungen auf ein solches Ergebnis habe hinzielen können.«

»Das habe ich nie geglaubt, mein junger Freund«, antwortete er, »sonst hätte ich die Sachen gar nicht geschickt. Aber es ist die zwölfte Stunde nahe. Gehet mit mir in das Speisezimmer. Wir wußten zwar von eurer Ankunft nichts; aber es wird sich schon etwas vorfinden, daß ihr nicht Hunger leiden müsset und daß auch wir nicht einen Abbruch leiden.«

Mit diesen Worten gingen wir in das Speisezimmer.

Nach dem Essen wurde ich von Gustav in meine Wohnung geleitet, die immer in reinlichem Stande gehalten wurde und die jetzt von einem schwachen Feuer wohltätig erwärmt war. Mir tat eine Ruhe etwas not, und die mäßige Wärme erquickte meine Glieder.

Im Laufe des Nachmittages sagte mein Gastfreund zu mir: »Es ist nie ein so schöner Spätherbst gewesen als heuer, meine Witterungsbücher weisen keinen solchen seit meinem Hiersein aus, und es sind alle Anzeichen vorhanden, daß dieser Zustand noch mehrere Tage dauern wird. Nirgends aber sind solche klare Spätherbsttage schöner als in unseren nördlichen Hochlanden. Während nicht selten in der Tiefe Morgennebel liegen, ja der Strom täglich in seinem Tale Morgens den Nebelstreifen führt, schaut auf die Häupter des Hochlandes der wolkenlose Himmel herab und geht über sie eine reine Sonne auf, die sie auch den ganzen Tag hindurch nicht verläßt. Darum ist es auch in dieser Jahreszeit in dem Hochlande verhältnismäßig warm, und während die rauhen Nebel in der Tiefgegend schon die Blätter von den Obstbäumen gestreift haben, prangt oben noch mancher Birkenwald, mancher Schlehenstrauch, manches Buchengehege mit seinem goldenen und roten Schmucke. Nachmittags ist dann gewöhnlich auch die Aussicht über das ganze Tiefland deutlicher als je zu irgend einer Zeit im Sommer. Wir haben daher beschlossen, heuer noch eine Reise in das Hochland zu machen, wie ich es in früherer Zeit schon in manchen Jahren getan habe. Die Entfernungen sind dort nicht so groß, und sollten sich die Vorboten melden, daß das Wetter sich zur Änderung anschicke, so können wir jederzeit den Heimweg antreten und ohne viel Ungemach den Asperhof wieder erreichen. Morgen wird Mathilde und Natalie eintreffen, sie fahren mit uns, auch Eustach begleitet uns. Wolltet ihr nicht auch den Weg mit uns machen und einige Tage der lieblichen Spätzeit mit uns genießen? Kömmt dann Schnee oder Regen, wenn wir wieder in meinem Hause angelangt sind, so werdet ihr wohl auf dem Postwagen eure Heimreise machen können und das Wetter wird euch nicht viel anhaben.«

»Es kann mir nie viel anhaben«, entgegnete ich, »weil ich gegen seine Einflüsse abgehärtet bin, auch könnte mir in dem Gefühle, welches ich gegen euch habe, keine größere Annehmlichkeit begegnen, als einige Zeit in eurer Gesellschaft zu reisen; aber zu Hause wissen sie nichts davon und erwarten mich wahrscheinlich schon bald.«

»Ihr könntet sie ja in einem Briefe verständigen«, sagte er.

»Das kann ich tun«, erwiderte ich. »Wenn ich auch gleich nach meiner Ankunft nach einer viele Monate dauernden Abwesenheit wieder fortgereist bin, wenn sie mich auch schon in den nächsten Tagen erwarten, so werden sie doch einsehen, daß ein längerer Aufenthalt in der Gesellschaft eines Mannes, zu welchem ich in einer Angelegenheit wie die zwischen uns vorgefallene gereist bin, nur in der Natur der Sache gegründet ist. Sie würden es weit übler nehmen, wenn ich unter den bestehenden Verhältnissen nach Hause käme, als wenn ich noch eine Weile bei euch bleibe.«

»Ich habe euch meine Frage und mein Anerbieten gestellt«, antwortete mein Gastfreund, »handelt nach eurem besten Ermessen. Was ihr tut, wird wohl das Rechte sein.«

»Ich schreibe sogleich den Brief.«

»Gut, und ich werde ihn sofort auf die Post senden.«

 

Ich ging in meine Zimmer und schrieb einen Brief an den Vater. Es war wohl das Rechte, was ich tat. Wie schwer würden es mir Vater, Mutter und Schwester verziehen haben, wenn ich mich nicht mit Freude an einen Mann zu einer kurzen Reise angeschlossen hätte, der so an unserm Hause gehandelt hat.

Als ich mit dem Briefe fertig war, trug ich ihn hinab, und der Knecht, der gewöhnlich zu allen Botengängen verwendet wurde, wartete schon auf ihn, um nebst anderen Aufträgen ihn an den Ort zu bringen, in welchem er auf die Post kommen sollte.

 

Am anderen Tage, schon im Verlaufe des Vormittages, kamen Mathilde und Natalie. Es schien, daß allen die Ursache, weshalb ich, nachdem ich schon Abschied genommen hatte, wieder in das Rosenhaus gekommen war, Freude machte. Sie sahen mich freundlicher an. Selbst Natalie, die mich so gemieden hatte, war anders. Ich glaubte einige Male, wenn ich abgewendet war, ihren Blick auf mich gerichtet zu wissen, den sie aber sogleich, wenn ich hinsah, weg wendete. Gustav schloß sich mit ganzem Herzen an mich an und hatte darüber kein Hehl. Ich wußte schon, daß er mir immer seine Neigung in großem Maße zugewendet habe, und ich erwiderte sie aus dem Grunde meiner Seele.

Nachmittags wurden die Vorbereitungen zur Reise gemacht, und am anderen Morgen noch vor Aufgang der Sonne fuhren wir ab. Mit Mathilde fuhren Natalie und ein Dienstmädchen, mit meinem Gastfreunde fuhren Eustach, Gustav und ich. Mit Roland sollten wir irgend wo im Lande zusammen treffen, er sollte eine Strecke mit uns reisen, und für diesen Fall war es dann bestimmt, daß Gustav in dem Wagen der Mutter untergebracht werden mußte. Die eigentümliche Art des Hochlandes erzeugte einen eigentümlichen Plan des Reisens. Wir hatten nehmlich beschlossen, über manchen steilen und länger dauernden Berg hinan zu gehen, ebenso über manchen hinab. Dies sollte die ganze Gesellschaft zuweilen zusammen bringen, zuweilen trennen. Man konnte auf diese Art Manches gemeinschaftlich genießen, Manches vereinzelt, sich aber in Kürze davon Mitteilungen machen.

Ehe noch die Sonne den höchsten Punkt ihres Bogens erklommen hatte, waren wir bereits die Dachung empor gekommen, welche das niedrere Land von dem Hochlande trennt, und fuhren nun in das eigentliche Ziel unserer Reise hinein.

Mein Gastfreund hatte Recht. In dem milden, sanften Schimmer der Nachmittagsonne, die hier fast wärmer schien als in den Ebenen und Tälern des Tieflandes, fuhren wir einem lieblichen Schauplatze entgegen. Selbst untergeordnete Umstände vereinigten sich, die Reise angenehm zu machen. Die sandigen Straßen des Oberlandes, welche auch sehr gut gebaut waren, zeigten sich, ohne staubig zu sein, sehr trocken, was von den Wegen in der Tiefe nicht gesagt werden konnte, die teils durch die täglichen Morgennebel getränkt, teils ihres schweren Bodens halber schon in langen Strecken feucht, kühl und schmutzig waren. So rollten wir bequem dahin, alles war klar, durchsichtig und ruhig. Nataliens gelber Reisestrohhut tauchte vor uns auf oder verschwand, so wie ihr Wagen einen leichten Wall hinan ging oder jenseits desselben hinab fuhr.

Die Sonne stand an dem wolkenlosen Himmel, aber schon tief gegen Süden, gleichsam als wollte sie für dieses Jahr Abschied nehmen. Die letzte Kraft ihrer Strahlen glänzte noch um manches Gestein und um die bunten Farben des Gestrippes an dem Gesteine. Die Felder waren abgeerntet und umgepflügt, sie lagen kahl den Hügeln und Hängen entlang, nur die grünen Tafeln der Wintersaaten leuchteten hervor. Die Haustiere, des Sommerzwanges entledigt, der sie auf einen kleinen Weidefleck gebannt hatte, gingen auf den Wiesen, um das nachsprossende Gras zu genießen, oder gar auf den Saatfeldern umher. Die Wäldchen, die die unzähligen Hügel krönten, glänzten noch in dieser späten Zeit des Jahres entweder goldgelb in dem unverlorenen Schmuck des Laubes oder rötlich oder es zogen sich bunte Streifen durch das dunkle, bergan klimmende Grün der Föhren empor. Und über allem dem war doch ein blasser, sanfter Hauch, der es milderte und ihm einen lieben Reiz gab. Besonders gegen die Talrinnen oder Tiefen zu war die blaue Farbe zart und schön. Aus diesem Dufte heraus leuchteten hie und da entfernte Kirchtürme oder schimmerten einzelne weiße Punkte von Häusern. Das Tiefland war von den Morgennebeln befreit, es lag sammt dem Hochgebirge, das es gegen Süden begrenzte, überall sichtbar da und säumte weithinstreichend das abgeschlossene Hügelgelände, auf dem wir fuhren, wie eine entfernte, duftige, schweigende Fabel. Von Menschentreiben darin war kaum etwas zu sehen, nicht die Begrenzungen der Felder, geschweige eine Wohnung, nur das blitzende Band des Stromes war hie und da durch das Blau gezogen. Es war unsäglich, wie mir alles gefiel, es gefiel mir bei weitem mehr als früher, da ich das erste Mal dieses Land mit meinem Gastfreunde genauer besah. Ich tauchte meine ganze Seele in den holden Spätduft, der alles umschleierte, ich senkte sie in die tiefen Einschnitte, an denen wir gelegentlich hin fuhren, und übergab sie mit tiefem, innerem Abschlusse der Ruhe und Stille, die um uns waltete.

Als wir einmal einen langen Berg empor klommen, dessen Weg einerseits an kleinen Felsstücken, Gestrippe und Wiesen dahinging, andererseits aber den Blick in eine Schlucht und jenseits derselben auf Berge, Wiesen, Felder und entfernte Waldbänder gewährte, als die Wägen voran gingen und die ganze Gesellschaft langsam folgte, vielfach stehen bleibend und sich besprechend, geriet ich neben Natalien, die mich, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten, fragte, ob ich noch das Spanische betreibe.

Ich antwortete ihr, daß ich es erst seit Kurzem zu lernen begonnen habe, daß ich aber seit der Zeit immer darin fortgefahren sei und daß ich zuletzt mich an Calderon gewagt habe.

Sie sagte, von ihrer Mutter sei ihr das Spanische empfohlen worden. Es gefalle ihr, sie werde nicht davon ablassen, so weit nehmlich ihre Kräfte darin ausreichen, und sie finde in dem Inhalte der spanischen Schriften, besonders in der Einsamkeit der Romanzen, in den Pfaden der Maultiertreiber und in den Schluchten und Bergen eine Ähnlichkeit mit dem Lande, in dem wir reisen. Darum gefalle ihr das Spanische, weil ihr dieses Land hier so gefalle. Sie würde am liebsten, wenn es auf sie ankäme, in diesen Bergen wohnen.

»Mir gefällt auch dieses Land«, erwiderte ich, »es gefällt mir mehr, als ich je gedacht hätte. Da ich zum ersten Male hier war, übte es auf mich schier keinen Reiz aus, ja mit seinem raschen Wechsel und doch mit der großen Ähnlichkeit aller Gründe stieß es mich eher ab, als es mich anzog. Da ich mit unserem Gastfreunde später einmal einen größeren Teil bereiste, war es ganz anders, ich fand mich zu dieser Weitsicht und Beschränktheit, zu dieser Enge und Großartigkeit, zu dieser Einfachheit und Mannigfaltigkeit hingeneigt. Ich fühlte mich bewegt, obwohl ich an ganz andere Gestalten gewohnt war und sie liebte, nehmlich an die des Hochgebirges. Heute aber gefällt mir alles, was uns umgibt, es gefällt mir so, daß ich es kaum zu sagen im Stande bin.«

»Seht, das geht immer so«, erwiderte sie. »Als ich mit meinem Vater zum ersten Male hier war, freilich befand ich mich noch in den Kinderjahren, war mir das unaufhörliche Auf- und Abfahren so unangenehm, daß ich mich auf das Äußerste wieder in unsere Stadt und in deren Ebenen zurück sehnte. Nach langer Zeit fuhr ich mit der Mutter durch diese Gegenden und später wiederholt in derselben Gesellschaft wie heute, außer euch, und jedes Mal wurde mir das Land und seine Gestaltungen, ja selbst seine Bewohner lieber. Auch das ist eigentümlich und angenehm, daß man Wagenreisen und Fußreisen verbinden kann. Wenn man, wie wir jetzt tun, die Wägen verläßt und einen langen Berg hinan geht oder ihn hinab geht, wird einem das Land bekannter, als wenn man immer in dem Wagen bleibt. Es tritt näher an uns. Die Gesträuche an dem Wege, die Steinmauern, die sie hier so gerne um die Felder legen, ein Birkenwäldchen mit den kleinsten Dingen, die unter seinen Stämmen wachsen, die Wiesen, die sich in eine Schlucht hinab ziehen, und die Baumwipfel, welche aus der Schlucht herauf sehen, hat man unmittelbar vor Augen. In Ebenen eilt man schnell vorbei. Hier ist gerade so eine Schlucht, wie ich sprach.«

Wir blieben ein Weilchen stehen und sahen in die Schlucht hinab. Beide sprachen wir gar nichts. Endlich fragte ich sie, woher sie denn wisse, daß ich die spanische Sprache lerne.

»Unser Gastfreund hat es uns gesagt«, erwiderte sie, »er hat uns auch gesagt, daß ihr Calderon leset.«

Nach diesen Worten gingen wir weiter. Die andere Gesellschaft, welche vor uns gewesen war, blieb im Gespräche stehen, und wir erreichten sie. Die Gespräche wurden allgemeiner und betrafen meistens die Gegenstände, welche man eben, entweder in nächster Nähe oder in großer Entfernung, sah.

Weil nach Untergang der Sonne gleich große Kühle eintrat und unsere Reise nicht den Zweck hatte, große Strecken zurück zu legen, sondern das zu genießen, was die Zeit und der Weg boten, so wurde, als die Sonne hinter den Waldsäumen hinab sank, Halt gemacht und die Nachtherberge bezogen. Die Einteilung war schon so gemacht worden, daß wir zu dieser Zeit in einem größeren Orte eintrafen. Wir gingen noch ins Freie. Wie schnell war in Kurzem der Schauplatz geändert! Die belebende und färbende Sonne war verschwunden, alles stand einfärbiger da, die Kühle der Luft ließ sich empfinden, in der Tiefe der Wiesengründe zogen sich sehr bald Nebelfäden hin, das ferne Hochgebirge stand scharf in der klaren Luft, während das Tiefland verschwamm und Schleier wurde. Der Westhimmel war über den dunkeln Wäldern hellgelb, manche Rauchsäule stieg aus einer Wohnung gegen ihn auf, und bald auch glänzte hie und da ein Stern, die feine Mondessichel wurde über den Zacken des westlichen Waldes sichtbar, um in sie zu sinken.

Wir gingen nun in ein Zimmer, das für uns geheizt worden war, verzehrten dort unser Abendessen, blieben noch eine Zeit in Gesprächen sitzen und begaben uns dann in unsere Schlafgemächer.


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