Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Der Abschied

Ich saß noch eine geraume Zeit unter dem Baume und legte mir zurecht, was ich gesehen und vernommen. Die Bienen summten in dem Baume, und die Vögel sangen in dem Garten. Das Haus, in welches der alte Mann gegangen war, blickte mit einzelnen Teilen, sei es von der weißen Wand, sei es von dem Ziegeldache durch das Grün der Bäume herüber, und zu meiner Rechten ging jenseits der Gebüsche, in der Gegend, in welcher ich das Schreinerhaus vermutete, ein dünner Rauch in die Luft empor. Das Singen der Vögel und das Summen der Bienen war mir beinahe eine Stille, da ich durch meine Gebirgswanderungen an solche andauernde Laute gewohnt war. Die Stille wurde unterbrochen durch einzelne Laute, welche von den Arbeitern im Garten herrührten, entweder daß man das Quieken einer Pumpe hörte, mit der man Wasser pumpte, und mittelst Rinnen in eine Tonne leitete, um es abends zum Begießen zu verwenden, oder daß eine menschliche Rede ferner oder näher erscholl, die einen Befehl oder eine Auskunft enthielt. Die verschiedenen Flecke des Himmels, welche durch das Grün der Bäume hereinsahen, waren ganz blau und zeigten, wie sehr mein Gastfreund mit seiner Voraussage des schönen Wetters Recht gehabt hatte.

Ich riß mich endlich aus meinen Gedanken und ging in dem Garten empor.

Ich ging zu dem großen Kirschbaume. Ich suchte das Freie, weil ich in dem Garten wegen der beschränkten Aussicht doch nicht einen genauen Überblick in Hinsicht der Witterungsverhältnisse machen konnte. Hier oben stand der Himmel als eine große, ausgedehnte Glocke über mir, und in der ganzen Glocke war kein einziges Wölklein. Das Hochgebirge, welches wir gestern nicht hatten sehen können, stand heute in seiner ganzen Klarheit an der Länge des südlichen Himmels dahin. Vor ihm waren die Vorlande mit manchen weißen Punkten von Kirchen und Dörfern, näher zu mir zeigte sich mancher Turm von einer Ortschaft, die ich kannte, und unter meinen Füßen ruhten der Garten und das Haus, in welchem ich gestern so freundlich aufgenommen worden war. Die Getreide, welche nicht weit von mir hinter der Planke des Gartens standen, und die gestern ganz ruhig gewesen waren, befanden sich heute in einem zwar schwachen, aber fröhlichen Wogen. Ich mußte denken, daß das Wetter nicht nur jetzt so schön sei, sondern daß es noch lange so schön bleiben werde.

Von dem großen Kirschbaume ging ich wieder in den Garten zurück und betrachtete verschiedene Gegenstände.

Ich ging auch noch einmal in das Gewächshaus. Ich konnte nun manches genauer ansehen, als es mir früher möglich gewesen war, da ich mit meinem Begleiter das Haus gleichsam nur durchschritten hatte. Der weiße Gärtner gesellte sich zu mir, erläuterte mir manches, gab mir über Verschiedenes Auskunft und beantwortete bereitwillig alle meine Fragen, wie weit seine Kenntnisse und seine Übersicht es zuließen. Als ich das Gebäude verlassen wollte, sagte er mir, er wolle mir noch etwas zeigen, was der Herr mir zu zeigen vergessen habe. Er führte mich auf einen Platz, der mit Sand bedeckt war, der von allen Seiten der Sonne zugänglich und doch durch Bäume und Gebüsche, die ihn in einer gewissen Entfernung umgaben, vor heftigen Winden geschützt war. Mitten auf dem Platze stand ein kleines gläsernes Haus, welches zum Teile in der Erde steckte. Dieser Umstand und dann der, daß es von Bäumen umringt war, machten, daß ich es früher nicht wahrgenommen hatte. Als wir näher kamen, sah ich, daß es ganz von Glas sei und nur so viel Gerippe habe, als sich zur Festigkeit der Tafeln notwendig zeige. Es war auch mit einem starken eisernen Gitter, wahrscheinlich des Hagels wegen, umspannt. Als wir die einigen Stufen von der Fläche des Gartens in das Innere hinabgestiegen waren, sah ich, daß sich Pflanzen in dem Hause befanden, und zwar nur eine einzige Gattung, nehmlich lauter Cactus. Mehr als hundert Arten standen in Tausenden von kleinen Töpfen da. Die niederen und runden standen frei, die langen, welche Luftwurzeln treiben, hatten Wände von Baumrinden neben sich, die mit Erde eingerieben waren, damit die Pflanzen die Luftwurzeln in sie schlagen konnten. Alle Glastafeln über unseren Häuptern waren geöffnet, daß die freie Luft den ganzen Raum durchdringen konnte und doch die Wirkung der Sonnenstrahlen nicht beirrt war. Die Töpfe standen in Reihen auf hölzernen Gestellen, die Gestelle aber waren wieder unterbrochen, so daß man in allen Richtungen herum gehen und alles betrachten konnte. Der Gärtner führte mich herum und zeigte mir die Abteilungen und Unterabteilungen, in welchen die Gewächse beisammenstanden.

Ich sagte, daß ich mich freue, daß mein Gastfreund auf die Familie dieser Pflanzen eine solche Sorgfalt wende, da sie gewiß besonders und merkwürdig wären.

»Wenn man sie länger betrachtet und länger mit ihnen umgeht, werden sie immer merkwürdiger«, antwortete mein Nachbar. »Die Stellung ihrer Bildungen ist so mannigfaltig, die Stacheln können zu einer wahren Zierde und zu einer Bewaffnung dienen, und die Blüten sind verwunderlich wie Märchen. In einem Monate würdet ihr sehr schöne sehen, jetzt sind sie noch zu wenig entwickelt.«

Ich sagte ihm, daß ich schon Blüten gesehen habe, nicht bloß solche, die, wie schön sie seien, doch überall wachsen, sondern auch andere, die selten sind, und solche, die mit der Schönheit den lieblichen Duft vereinen. Ich sagte ihm, daß ich in früheren Zeiten Pflanzenkunde getrieben habe, zwar nicht in Bezug auf Gartenpflege, sondern zu meiner Belehrung und Erheiterung, und daß die Cactus nicht das Letzte gewesen wären, dem ich eine Aufmerksamkeit geschenkt habe.

»Wenn der Herr alte Sachen sammelt«, sagte er, »so wäre es wohl auch recht, wenn er dies auch mit alten Pflanzen täte. Im Inghofe ist in dem Gewächshause ein Cereus, der stärker als ein Mannesarm sammt seiner Bekleidung ist. Er geht an der Wand empor, biegt sich um und wächst an der Decke des Hauses hin, an welcher er mit Bändern befestigt ist. Der untere Teil ist schon Holz geworden, daß man Namen eingeschnitten hat. Ich glaube, es ist ein Cereus peruvianus. Sie schätzen ihn nicht so hoch, und der Herr sollte den Cereus kaufen, wenn man auch wegen seiner Länge drei Wägen aneinander binden müßte, um ihn herüber bringen zu können. Er ist gewiß schon zweihundert Jahre alt.«

Ich antwortete auf diese Rede nicht, um ihm seine Zeitrechnung in Hinsicht der Cactuspflege in Europa nicht zu stören.

Ich dankte ihm, da ich endlich alles gesehen hatte, für seine Mühe und verließ das kleine Haus. Er verabschiedete sich sehr freundlich und mit vielen Verbeugungen.

Ich ging nun zu dem Eingangsgitter, durch welches mein Gastfreund mich gestern hereingelassen hatte, weil ich auch außerhalb des Gartens ein wenig herumsehen wollte. Ein Arbeiter, welcher in der Nähe beschäftigt war, öffnete mir die Tür, weil ich die Einrichtung des Schlosses nicht kannte, und ich trat in das Freie. Ich ging auf der Seite des Hügels, auf welcher ich gestern heraufgekommen war, in mehreren Richtungen herum. Wenn ich auch die Gegend des Landes, in der ich mich befand, im Allgemeinen sehr wohl kannte, so hatte ich mich doch nie so lange in ihr aufgehalten, um in das Einzelne eindringen zu können. Ich sah jetzt, daß es ein sehr fruchtbarer, schöner Teil sei, der mich aufgenommen hatte, daß sich anmutige Stellen zwischen die Krümmungen der Hügel hineinziehen und daß ein dichtes Bewohntsein der Gegend etwas sehr Heiteres erteile. Der Tag wurde nach und nach immer wärmer, ohne heiß zu sein, und es war jene Stille, die zur Zeit der Rosenblüte weit mehr als zu einer anderen auf den Feldern ist. In dieser Zeit sind alle Feldgewächse grün, sie sind im Wachsen begriffen, und wenn nicht viele Wiesen in der Gegend sind, auf welchen zu jener Zeit die Heuernte vorkömmt, so haben die Leute keine Arbeit auf den Feldern und lassen sie allein unter der befruchtenden Sonne.

Die Stille war wie in dem Hochgebirge; aber sie war nicht so einsam, weil man überall von der Geselligkeit der Nährpflanzen umgeben war.

 

Der Klang einer fernen Dorfglocke und meine Uhr, die ich herauszog, erinnerte mich daran, daß es Mittag sei.

Ich ging dem Hause zu, das Gitter wurde mir auf einen Zug an der Glockenstange geöffnet, und ich ging in das Speisezimmer. Dort fand ich meinen Gastfreund und Gustav, und wir setzten uns zu Tische. Wir drei waren allein bei dem Mahle.

Während des Essens sagte mein Gastfreund: »Ihr werdet euch wundern, daß wir so allein unsere Speisen verzehren. Es ist in der Tat sehr zu bedauern, daß die alte Sitte abgekommen ist, daß der Herr des Hauses zugleich mit den Seinigen und seinem Gesinde beim Mahle sitzt. Die Dienstleute gehören auf diese Weise zu der Familie, sie dienen oft lebenslang in demselben Hause, der Herr lebt mit ihnen ein angenehmes gemeinschaftliches Leben, und weil alles, was im Staate und in der Menschlichkeit gut ist, von der Familie kömmt, so werden sie nicht bloß gute Dienstleute, die den Dienst lieben, sondern leicht auch gute Menschen, die in einfacher Frömmigkeit an dem Hause wie an einer unverrückbaren Kirche hängen und denen der Herr ein zuverlässiger Freund ist. Seit sie aber von ihm getrennt sind, für die Arbeit bezahlt werden und abgesondert ihre Nahrung erhalten, gehören sie nicht zu ihm, nicht zu seinem Kinde, haben andere Zwecke, widerstreben ihm, verlassen ihn leicht und fallen, da sie familienlos und ohne Bildung sind, leicht dem Laster anheim. Die Kluft zwischen den sogenannten Gebildeten und Ungebildeten wird immer größer; wenn noch erst auch der Landmann seine Speisen in seinem abgesonderten Stübchen verzehrt, wird dort eine unnatürliche Unterscheidung, wo eine natürliche nicht vorhanden gewesen wäre.«

»Ich habe«, fuhr er nach einer Weile fort, »diese Sitte in unserem hiesigen Hause einführen wollen; allein die Leute waren auf eine andere Weise herangewachsen, waren in sich selber hineingewachsen, konnten sich an ein Fremdes nicht anschließen und hätten nur die Freiheit ihres Wesens verloren. Es ist kein Zweifel, daß sie sich nach und nach in das Verhältnis würden eingelebt haben, besonders die Jüngeren, bei denen die Erziehung noch wirkt; allein ich bin so alt, daß das Unternehmen weit über den Rest meiner Jahre hinausgeht. Ich befreite daher meine Dienstleute von dem Zwange, und jüngere Nachfolger mögen den Versuch wieder erneuern, wenn sie meine Meinung teilen.«

Mir fiel bei dieser Rede mein Elternhaus ein, in welchem es wohltuend ist, daß wenigstens die Handlungsdiener meines Vaters mit uns an dem Mittagstische essen.

Die Zeit nach dem Mittagsessen ward dazu bestimmt, den Meierhof zu besuchen, und Gustav durfte uns begleiten.

Wir gingen nicht den Weg, der an dem großen Kirschbaume vorüber und auf der Höhe der Felder dahin führt. Dieser Weg, sagte mein Gastfreund, sei mir schon bekannt; sondern wir gingen in der Nähe der Bienenhütte durch ein Pförtchen in das Freie und gingen auf einem Pfade über den sanften Abhang hinab, der noch mit hohen Obstbäumen, die die besseren Arten des Landes trugen und von dem Meierhofgarten übrig geblieben waren, bedeckt war. Die Wiesen, über die wir wandelten, waren so gut, wie ich sie selten angetroffen habe.

Da wir zu dem Gebäude gekommen waren, sah ich, daß es ein weitläufiges Viereck war wie die größeren Landhöfe der Gegend, daß man aber hie und da daran gebessert und daß man es durch Zubauten erweitert hatte. Der Hofraum war an den Gebäuden herum mit breiten Steinen gepflastert, der übrige Teil desselben war mit grobem Quarzsande bedeckt, der öfter umgearbeitet wurde. Die Gebäude, welche diesen Raum umgaben, enthielten die Ställe, Scheunen, Wagengewölbe und Wohnungen. Das Vorratshaus stand weiter entfernt in dem Garten. Wir besahen die Tiere, welche eben zu Hause waren, von den Pferden und Rindern angefangen bis zu den Schweinen und dem Federvieh hinunter. Für die Rinder war hinter dem Hause ein schöner Platz eingefangen, auf welchem sie in freie Luft gelassen werden konnten. Es strömte frisches Wasser in einer tiefen Steinrinne durch den Platz, von welchem sie trinken konnten. Ich hatte diese Einrichtung nie gesehen, und sie gefiel mir sehr.

Ein ähnlicher Platz war für das Federvieh eingefangen, und nicht weit davon war ein Anger, auf welchem sich die Füllen tummeln konnten. Wir besuchten auch die Wohnungen der Leute. Hier fielen mir die großen, schönen Steinrahmen auf, die an den Fenstern gesetzt waren, auch konnte man leicht die bedeutende Vergrößerung der Fenster sehen. In der Wagenhalle waren nicht bloß die Wägen und anderen Fahrzeuge, sondern auch die übrigen Landwirtschaftsgeräte in Vorrate vorhanden. Die Düngerstätte, welche auch hier wie in den meisten Wirtschaftshäusern unseres Landes in dem Hofe gewesen war, ist auf einen Platz hinter dem Hause verwiesen worden, den ringsum hohe Gebüsche umfingen.

»Es ist hier noch Vieles im Entstehen und Werden begriffen«, sagte mein Gastfreund, »aber es geht langsam vorwärts. Man muß die Vorurteile der Leute schonen, die unter anderen Umgebungen herangewachsen und sie gewohnt sind, damit sie nicht durch das Neue beirrt werden und ihre Liebe zur Arbeit verlieren. Wir müssen uns beruhigen, daß schon so Vieles geschehen ist, und auf das Weitere hoffen.«

Die Leute, welche dieses Haus bewohnten, waren damit beschäftigt, das Heu, welches gestern gemäht worden war, einzubringen oder, wo es not tat, vollkommen zu trocknen. Mein Gastfreund redete mit Manchem und fragte um Verschiedenes, das sich auf die täglichen Geschäfte bezog.


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