Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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»Außer dem Schutze«, fuhr er nach einer Weile fort, »brauchen die Vögel auch Nahrung. Sie meiden die nahrungsarmen Orte und unterscheiden sich hierdurch von den Menschen, welche zuweilen große Strecken weit gerade dahin wandern, wo sie ihren Unterhalt nicht finden. Die Vögel, die für unseren Garten passen, ernähren sich meistens von Gewürmen und Insekten; aber wenn an einem Platze, der zum Nisten geeignet ist, die Zahl der Vögel so groß wird, daß sie ihre Nahrung nicht mehr finden, so wandert ein Teil aus und sucht den Unterhalt des Lebens anderswo. Will man daher an einem Orte eine so große Zahl von Vögeln zurückhalten, daß man vollkommen sicher ist, daß sie auch in den ungezieferreichsten Jahren hinlänglich sind, um Schaden zu verhüten, so muß man ihnen außer ihrer von der Natur gegebenen Nahrung auch künstliche mit den eigenen Händen spenden. Tut man das, so kann man so viele Vögel an einem Platze erziehen, als man will. Es kömmt nur darauf an, daß man, um seinen Zweck nicht aus den Augen zu verlieren, nur so viel Almosen gibt, als notwendig ist, einen Nahrungsmangel zu verhindern. Es ist wohl in dieser Hinsicht im allgemeinen nicht zu befürchten, daß in der künstlichen Nahrung ein Übermaß eintrete, da den Tieren ohnehin die Insekten am liebsten sind. Nur wenn diese Nahrung gar zu reizend für sie gemacht würde, könnte ein solches Übermaß erfolgen, was leicht an der Vermehrung des Ungeziefers erkannt werden würde. Einige Erfahrung läßt einen schon den rechten Weg einhalten. Im Winter, in welchem einige Arten dableiben, und in Zeiten, wo ihre natürliche Kost ganz mangelt, muß man sie vollständig ernähren, um sie an den Platz zu fesseln. Durch unsere Anstalten sind Vögel, die im Frühlinge nach Plätzen suchten, wo sie sich anbauen könnten, in unserem Garten geblieben, sie sind, da sie die Bequemlichkeit sahen und Nahrung wußten, im nächsten Jahre wieder gekommen oder, wenn sie Wintervögel waren, gar nicht fortgegangen. Weil aber auch die Jungen ein Heimatsgefühl haben und gerne an Stellen bleiben, wo sie zuerst die Welt erblickten, so erkoren sich auch diese den Garten zu ihrem künftigen Aufenthaltsorte. Zu den vorhandenen kamen von Zeit zu Zeit auch neue Einwanderer, und so vermehrt sich die Zahl der Vögel in dem Garten und sogar in der nächsten Umgebung von Jahr zu Jahr. Selbst solche Vögel, die sonst nicht gewöhnlich in Gärten sind, sondern mehr in Wäldern und abgelegenen Gebüschen, sind gelegentlich gekommen, und da es ihnen gefiel, dageblieben, wenn ihnen auch manche Dinge, die sonst der Wald und die Einsamkeit gewähren, hier abgehen mochten. Zur Nahrung rechnen wir auch Licht, Luft und Wärme. Diese Dinge geben wir nach Bedarf dadurch, daß wir die Bauplätze zu den Nestern an den verschiedensten Stellen des Gartens anbringen, damit sich die Paare die wärmeren oder kühleren, luftigeren oder sonnigeren aussuchen können. Für welche keine taugliche Stelle möglich ist, die sind nicht hier. Es sind das nur solche Vögel, für welche die hiesigen Landstriche überhaupt nicht passen, und diese Vögel sind dann auch für unsere Landstriche nicht nötig. Zu den geeigneten Zeiten besuchen uns auch Wanderer und Durchzügler, die auf der Jahresreise begriffen sind.

Sie hätten eigentlich keinen Anspruch auf eine Gabe, allein da sie sich unter die Einwohner mischen, so essen sie auch an ihrer Schüssel und gehen dann weiter.«

»Auf welche Weise gebt ihr denn den Tieren die nötige Nahrung?« fragte ich.

»Dazu haben wir verschiedene Einrichtungen«, sagte er. »Manche von den Vögeln haben bei ihrem Speisen festen Boden unter den Füßen, wie die Spechte, die an den Bäumen hacken, und solche, die ihre Nahrung auf der platten Erde suchen; andere, besonders die Waldvögel, lieben das Schwanken der Zweige, wenn sie essen, da sie ihr Mahl in eben diesen Zweigen suchen. Für die ersten streut man das Futter auf was immer für Plätze, sie wissen dieselben schon zu finden. Den anderen gibt man Gitter, die an Schnüren hängen, und in denen, in kleine Tröge gefüllt oder auf Stifte gesteckt, die Speise ist. Sie fliegen herzu und wiegen sich essend in dem Gitter. Die Vögel werden auch nach und nach zutraulich, nehmen es endlich nicht mehr so genau mit dem Tische, und es tummeln sich Festfüßler und Schaukler auf der Fütterungstenne, die neben dem Gewächshause ist, wo ihr mich heute morgen gesehen habt.«

»Ich habe das von heute morgen mehr für zufällig als absichtlich gehalten«, sagte ich.

»Ich tue es gerne, wenn ich anwesend bin«, erwiderte er, »obwohl es auch andere tun können. Für die ganz schüchternen, wie meistens die neuen Ankömmlinge und die ganz und gar eingefleischten Waldvögel sind, haben wir abgelegene Plätze, an die wir ihnen die Nahrung tun. Für die vertraulicheren und umgänglicheren bin ich sogar auf eine sehr bequeme und annehmliche Verfahrungsweise gekommen. Ich habe in dem Hause ein Zimmer, vor dessen Fenster Brettchen befestigt sind, auf welche ich das Futter gebe. Die Federgäste kommen schon herzu und speisen vor meinen Augen. Ich habe dann auch das Zimmer gleich zur Speisekammer eingerichtet und bewahre dort in Kästen, deren kleine Fächer mit Aufschriften versehen sind, dasjenige Futter, das entweder in Sämereien besteht oder dem schnellen Verderben nicht ausgesetzt ist.«

»Das ist das Eckzimmer«, sagte ich, »das ich nicht begriff, und dessen Brettchen ich für Blumenbrettchen ansah und doch für solche nicht zweckmäßig fand.«

»Warum habt ihr denn nicht gefragt?« erwiderte er.

»Ich nahm es mir vor und habe wieder darauf vergessen«, antwortete ich.

»Da die meisten Sänger von lebendigen Tierchen leben«, setzte er seine Erzählung fort, »so ist es nicht ganz leicht, die Nahrung für alle zu bereiten. Da aber doch ein großer Teil nebst dem Ungeziefer auch Sämereien nicht verschmäht, so sind in der Speisekammer alle Sämereien, welche auf unseren Fluren und in unseren Wäldern reifen und werden, wenn sie ausgehen oder veralten, durch frische ersetzt. Für solche, welche die Körner nicht lieben, wird der Abgang durch Teile unseres Mahles, zartes Fleisch, Obst, Eierstückchen, Gemüse und dergleichen, ersetzt, was unter die Körner gemischt wird. Die Kohlmeise erhält sehr gerne, wenn sie tätig ist, und besonders, wenn sie um ihre Jungen sich gut annimmt, ein Stückchen Speck zur Belohnung, den sie außerordentlich liebt. Auch Zucker wird zuweilen gestreut. Für den Trank ist im Garten reichlich gesorgt. In jede Wassertonne geht schief ein befestigter Holzsteg, an welchem sie zu dem Wasser hinabklettern können. In den Gebüschen sind Steinnäpfe, in die Wasser gegossen wird, und in dem Dickichte an der Abendseite des Gartens ist ein kleines Quellchen, das wir mit steinernen Rändern eingefaßt haben.«

»Da habt ihr ja Arbeit und Sorge in Fülle mit diesen Gartenbewohnern«, sagte ich.

»Es übt sich leicht ein«, antwortete er, »und der Lohn dafür ist sehr groß. Es ist kaum glaublich, zu welchen Erfahrungen man gelangt, wenn man durch mehrere Jahre diese gefiederten Tiere hegt und gelegentlich die Augen auf ihre Geschäftigkeit richtet. Alle Mittel, welche die Menschen ersonnen haben, um die Gewächse vor Ungeziefer zu bewahren, so trefflich sie auch sein mögen, so fleißig sie auch angewendet werden, reichen nicht aus, wie es ja in der Lage der Sache gegründet ist. Wie viele Hände von Menschen müßten tätig sein, um die unzählbaren Stellen, an denen sich Ungeziefer erzeugt, zu entdecken und die Mittel auf sie anzuwenden. Ja, die ganz gereinigten Stellen geben auf die Dauer keine Sicherheit und müssen stets von neuem untersucht werden. In den verschiedensten Zeiten und unbeachtet entwickeln sich die Insekten auf Stengeln, Blättern, Blüten, unter der Rinde und breiten sich unversehens und schnell aus. Wie könnte man da die Keime entdecken und vor ihrer Entwicklung vernichten? Oft sind die schädlichen Tierchen so klein, daß wir sie mit unseren Augen kaum zu entdecken vermögen, oft sind sie an Orten, die uns schwer zugänglich sind, zum Beispiele in den äußersten Spitzen der feinsten Zweige der Bäume. Oft ist der Schaden in größter Schnelligkeit entstanden, wenn man auch glaubt, daß man seine Augen an allen Stellen des Gartens gehabt, daß man keine unbeachtet gelassen und daß man seine Leute zur genauesten Untersuchung angeeifert hat. Zu dieser Arbeit ist von Gott das Vogelgeschlecht bestimmt worden und insbesondere das der kleinen und singenden, und zu dieser Arbeit reicht auch nur das Vogelgeschlecht vollkommen aus. Alle Eigenschaften der Insekten, von denen ich gesprochen habe, ihre Menge, ihre Kleinheit, ihre Verborgenheit und endlich ihre schnelle und plötzliche Entwicklung schützen sie gegen die Vögel nicht. Sprechen wir von der Menge. Alle Singvögel, wenn sie auch später Sämereien fressen, nähren doch ihre Jungen von Raupen, Insekten, Würmern, und da diese Jungen so schnell wachsen und so zu sagen unaufhörlich essen, so bringt ein einziges Paar in einem einzigen Tage eine erkleckliche Menge von solchen Tierchen in das Nest, was erst hundert Paare in zehn, vierzehn, zwanzig Tagen! So lange brauchen ungefähr die Jungen zum Flüggewerden. Und alle Stellen, wie zahlreich sie auch sein können, werden von den geschäftigen Eltern durchsucht. Sprechen wir von der Kleinheit der Tierchen. Sie oder ihre Larven und Eier mögen noch so klein sein, von den scharfen, spähenden Augen eines Vogels werden sie entdeckt. Ja manche Vögel, wie das Goldhähnchen, der Zaunkönig, dürfen ihren Jungen nur die kleinsten Nahrungsstückchen bringen, weil dieselben, wenn sie dem Ei entschlüpft sind, selber kaum so groß wie eine Fliege oder eine kleine Spinne sind. Gehen wir endlich auf die Abgelegenheit und Unerreichbarkeit der Aufenthaltsorte der Insekten über, so sind sie dadurch nicht vor dem Schnabel der Vögel geschützt, wenn sie für ihre Jungen oder sich Nahrung brauchen. Was wäre einem Vogel leicht unzugänglich? In die höchsten Zweige schwingt er sich empor, an der Rinde hält er sich und bohrt in sie, durch die dichtesten Hecken dringt er, auf der Erde läuft er, und selbst unter Blöcke und Steingerölle dringt er. Ja, einmal sah ich einen Buntspecht im Winter, da die Äste zu Stein gefroren schienen, auf einen solchen mit Gewalt loshämmeren und sich aus dessen Innern die Nahrung holen. Die Spechte zeigen auf diese Weise – ich sage es hier nebenbei – auch die Äste an, die morsch und vom Gewürme ergriffen sind, und daher weggeschafft werden müssen.

Was zuletzt den unvorhergesehenen und plötzlichen Raupenfraß anlangt, den der Mensch zu spät entdeckt, so kann er sich nicht einstellen, da die Vögel überall nachsehen und bei Zeiten abhelfen.«

»Wie sehr diese Tiere für das Ungeziefer geschaffen sind«, sagte er nach einer Weile, »zeigt sich aus der Beobachtung, daß sie die Arbeit unter sich teilen. Die Blaumeise und die Tannenmeise entdeckt die Brut der Ringelraupe und anderer Raupengattungen an den äußersten Spitzen der Zweige, wo sie unter der Rinde verborgen ist, indem sie, sich an die Zweige hängend, dieselben absucht, die Kohlmeise durchsucht fleißig das Innere der Baumkrone, die Spechtmeise klettert Stamm auf Stamm ab und holt die versteckten Eier hervor, der Finke, der gerne in den Nadelbäumen nistet, weshalb auch solche Bäume in dem Garten sind, geht gleichwohl gerne von ihnen herab und läuft den Gängen der Käfer und der gleichen nach, und ihn unterstützen oder übertreffen vielmehr die Ammerlinge, die Grasmücken, die Rotkehlchen, die auf der Erde unter Kohlpflanzen und in Hecken ihre Nahrung suchen und finden. Sie beirren sich wechselseitig nicht und lassen in ihrer unglaublichen Tätigkeit nicht nach, ja sie scheinen sich eher darin einander anzueifern. Ich habe nicht eigens Beobachtungen angestellt; aber wenn man mehrere Jahre unter den Tieren lebt, so gibt sich die Betrachtung von selber.«

»Auch einen eigentümlichen Gedanken«, fuhr er fort, »hat das Walten dieser Tiere in mir erweckt oder vielmehr bestärkt; denn ich hatte ihn schon längst. Allen Tatsachen, die wichtig sind, hat Gott außer unserem Bewußtsein ihres Wertes auch noch einen Reiz für uns beigesellt, der sie annehmlich in unser Wesen gehen läßt.

Diesen Tierchen nun, die so nützlich sind, hat er, ich möchte sagen, die goldene Stimme mitgegeben, gegen die der verhärtetste Mensch nicht verhärtet genug ist. Ich habe in unserem Garten mehr Vergnügen gehabt als manchmal in Sälen, in denen die kunstreichste Musik aufgeführt wurde, die selten zu hören ist. Zwar singt ein Vogel in einem Käfige auch; denn der Vogel ist leichtsinnig, er erschrickt zwar heftig, er fürchtet sich; aber bald ist der Schrecken und die Furcht vergessen, er hüpft auf einen Halt für seine Füße und trällert dort das Lied, das er gelernt hat und das er immer wiederholt. Wenn er jung und sogar auch alt gefangen wird, vergißt er sich und sein Leid, wird ein Hin- und Widerhüpfer in kleinem Raume, da er sonst einen großen brauchte, und singt seine Weise; aber dieser Gesang ist ein Gesang der Gewohnheit, nicht der Lust. Wir haben an unserm Garten einen ungeheueren Käfig ohne Draht, Stangen und Vogeltürchen, in welchem der Vogel vor außerordentlicher Freude, der er sich so leicht hingibt, singt, in welchem wir das Zusammentönen vieler Stimmen hören können, das in einem Zimmer beisammen nur ein Geschrei wäre, und in welchem wir endlich die häusliche Wirtschaft der Vögel und ihre Gebärden sehen können, die so verschieden sind und oft dem tiefsten Ernste ein Lächeln abgewinnen können. Man hat uns in diesem Hegen von Vögeln in einem Garten nicht nachgeahmt. Die Leute sind nicht verhärtet gegen die Schönheit des Vogels und gegen seinen Gesang, ja diese beiden Eigenschaften sind das Unglück des Vogels. Sie wollen dieselben genießen, sie wollen sie recht nahe genießen, und da sie keinen Käfig mit unsichtbaren Drähten und Stangen machen können wie wir, in dem sie das eigentliche Wesen des Vogels wahrnehmen könnten, so machen sie einen mit sichtbaren, in welchem der Vogel eingesperrt ist und seinem zu frühen Tode entgegen singt. Sie sind auf diese Weise nicht unfühlsam für die Stimme des Vogels, aber sie sind unfühlsam für sein Leiden. Dazu kommt noch, daß es der Schwäche und Eitelkeit des Menschen, besonders der Kinder, angenehm ist, eines Vogels, der durch seine Schwingen und seine Schnelligkeit gleichsam aus dem Bereiche menschlicher Kraft gezogen ist, Herr zu werden und ihn durch Witz und Geschicklichkeit in seine Gewalt zu bringen. Darum ist seit alten Zeiten der Vogelfang ein Vergnügen gewesen, besonders für junge Leute; aber wir müssen sagen, daß es ein sehr rohes Vergnügen ist, das man eigentlich verachten sollte. Freilich ist es noch schlechter und muß ohne weiteres verabscheut werden, wenn man Singvögel nicht des Gesanges wegen fängt, sondern sie fängt und tötet, um sie zu essen. Die unschuldigsten und mitunter schönsten Tiere, die durch ihren einschmeichelnden Gesang und ihr liebliches Benehmen ohnehin unser Vergnügen sind, die uns nichts anders tun als lauter Wohltaten, werden wie Verbrecher verfolgt, werden meistens, wenn sie ihrem Triebe der Geselligkeit folgen, erschossen, oder, wenn sie ihren nagenden Hunger stillen wollen, erhängt. Und dies geschieht nicht, um ein unabweisliches Bedürfnis zu erfüllen, sondern einer Lust und Laune willen. Es wäre unglaublich, wenn man nicht wüßte, daß es aus Mangel an Nachdenken oder aus Gewohnheit so geschieht. Aber das zeigt eben, wie weit wir noch von wahrer Gesittung entfernt sind. Darum haben weise Menschen bei wilden Völkern und bei solchen, die ihre Gierde nicht zu zähmen wußten oder einen höheren Gebrauch von ihren Kräften noch nicht machen konnten, den Aberglauben aufgeregt, um einen Vogel seiner Schönheit oder Nützlichkeit willen zu retten. So ist die Schwalbe ein heiliger Vogel geworden, der dem Hause Segen bringt, das er besucht, und den zu töten Sünde ist. Und selten dürfte es ein Vogel mehr verdienen als die Schwalbe, die so wunderschön ist und so unberechenbaren Nutzen bringt. So ist der Storch unter göttlichen Schutz gestellt, und den Staren hängen wir hölzerne Häuser in unsere Bäume. Ich hoffe, daß, wenn unseren Nachbarn die Augen über den Erfolg und den Nutzen des Hegens von Singvögeln aufgehen, sie vielleicht auch dazu schreiten werden, uns nachzuahmen; denn für Erfolg und Nutzen sind sie am empfänglichsten. Ich glaube aber auch, daß unsere Obrigkeiten das Ding nicht gering achten sollten, daß ein strenges Gesetz gegen das Fangen und Töten der Singvögel zu geben wäre und daß das Gesetz auch mit Umsicht und Strenge aufrecht erhalten werden sollte. Dann würde dem menschlichen Geschlechte ein heiligendes Vergnügen aufbewahrt bleiben, wir würden durch die Länder wie durch schöne Gärten gehen, und die wirklichen Gärten würden erquickend dastehen, in keinem Jahre leiden und in besonders unglücklichen nicht den Anblick der gänzlichen Kahlheit und der traurigen Verödung zeigen. Wollt ihr nicht auch ein wenig unsere gefiederten Freunde ansehen?«

»Sehr gerne«, sagte ich.

 

Wir standen von dem Sitze auf und gingen mehr in die Tiefe des Gartens zurück.

Das vielstimmige Vogelgezwitscher durch den Garten und das helle Singen in unserer Nähe, welches mir gestern nachmittag, da ich es in das Zimmer hinein gehört hatte, seltsam gewesen war, erschien mir nun sehr lieblich, ja ehrwürdig, und wenn ich einen Vogel durch einen Baum huschen sah oder über einen Sandweg laufen, so erfüllte es mich mit einer Gattung Freude. Mein Begleiter führte mich zu einer Hecke, wies mit dem Finger hinein und sagte: »Seht!«

Ich antwortete, daß ich nichts sähe.

»Schaut nur genauer«, sagte er, indem er mit dem Finger neuerdings die Richtung wies.

Ich sah nun unter einem äußerst dichten Dornengeflechte, welches in die Hecke gemacht worden war, ein Nest. In dem Neste saß ein Rotkehlchen, wenigstens dem Rücken nach zu urteilen. Es flog nicht auf, sondern wendete nur ein wenig den Kopf gegen uns und sah mit den schwarzen, glänzenden Augen unerschrocken und vertraulich zu uns herauf.

»Dieses Rotkehlchen sitzt auf seinen Eiern«, sagte mein Begleiter, »es ist eine Spätehe, wie sie öfter vorkommen. Ich besuche es schon mehrere Tage und lege ihm die Larve des Mehlkäfers in die Nähe. Das weiß der Schelm, darum frägt er mich schon darnach und fürchtet den Fremden nicht, der bei mir ist.«

In der Tat, das Tierchen blieb ruhig in seinem Neste und ließ sich durch unser Reden und durch unsere Augen nicht beirren.

»Man muß eigentlich ehrlich gegen sie sein«, sagte mein Gastfreund; »aber ich habe keine Larve in der Hand, darum bitte ich dich, Gustav, gehe in das Haus und hole mir eine.«

Der Jüngling wendete sich schnell um und eilte in das Haus.

Indessen führte mich mein Begleiter eine Strecke vorwärts und zeigte mir neuerdings in einer Hecke unter Dornen ein Nest, in welchem eine Ammer saß.

»Diese sitzt auf ihren Jungen, die noch kaum die ersten Härchen haben, und erwärmt sie«, sagte mein Begleiter. »Sie kann nicht viel von ihnen weg, darum bringt den meisten Teil der Nahrung der Vater herbei. Nach einigen Tagen aber werden sie schon so stark, daß sie der Mutter überall hervor sehen, wenn sie sich auch zeitweilig auf sie setzt.«

Auch die Ammer flog bei unserer Annäherung nicht auf, sondern sah uns ruhig an.


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