Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Auf dem Rückwege kamen wir über die Bildung des Schönen zu sprechen, wie es gut sei, daß Menschen aufstehen, die es darstellen, daß über ihre Mitbrüder auch dieses sanfte Licht sich verbreite und sie immer zu hellerer Klarheit fort führe; daß es aber auch gut sei, daß Menschen bestehen, welche geeignet sind, das Schöne in sich aufzunehmen und es durch Umgang auf Andere zu übertragen, besonders, wenn sie noch, wie mein Gastfreund, das Schöne überall aufsuchen, es erhalten und es durch Mühe und Kraft wieder herzustellen suchen, wo es Schaden gelitten hatte. Es sei ein ganz eigenes Ding um die Befähigung und den Drang hiezu.

»Wir haben schon einmal über Ähnliches gesprochen«, sagte mein Gastfreund, »meine Erfahrungen in der Zeit meines Lebens haben mich gelehrt, daß es ganz bestimmte Anlagen zu ganz bestimmten Dingen gibt, mit denen die Menschen geboren werden. Nur in der Größe unterscheiden sich diese Anlagen, in der Möglichkeit, sich auszusprechen, und in der Gelegenheit, kräftig zur Wirksamkeit kommen zu können. Dadurch scheint Gott die Mannigfaltigkeit der Taten mit ihrem nachdrücklichsten Erfolge, wie es auf der Erde notwendig ist, vermitteln zu wollen. Es erschien mir immer merkwürdig, wo ich Gelegenheit hatte, es zu beobachten, wie bei Menschen, die bestimmt sind, ganz Ungewöhnliches in einer Richtung zu leisten, sich ihre Anlage bis in die feinsten Fäden ihres Gegenstandes ausspricht und zu ihm hindrängt, während sie in Anderm bis zum Kindlichen unwissend bleiben können. Einer, der über Kunstdinge trotz aller Belehrung, trotz alles Umganges, trotz langjähriger täglicher Berührung mit auserlesenen Kunstwerken nie Anderes als Ungereimtes sagen konnte, war ein Staatsmann, der die feinsten Abschattungen seines Gegenstandes durchdrang, der die Gedanken der Völker und die Absichten der Menschen und Regierungen, mit denen er verkehrte, erriet und es verstand, alle Dinge seinen Zwecken dienstbar machen zu können, so daß das Anderen wie ein Zauberwerk eines Geistes erschien, was gleichsam ein Naturgesetz war. In meiner Jugend kannte ich einen Mann, der mit einem Verstande, über den wir uns vor Bewunderung kaum zu fassen wußten, in die Tiefen eines Kunstwesens, das er besprechen wollte, einging, und Gedanken zu Tage brachte, von denen wir nicht begriffen, wie sie in das Herz eines Menschen haben kommen können; während er die Meinungen und Absichten ganz gewöhnlicher Menschen und gerade solcher, die tief unter ihm standen, nicht durchschaute und den notwendigen Gang der Staaten nicht sah, weil ihm das Auge dafür versagt war oder weil er im Drange seiner Gegenstände darauf nicht achtete. Ich könnte noch mehrere Beispiele anführen: den zum Feldherrn Geborenen im Richtersaale um Mein und Dein, oder den, der wissenschaftliche Stoffe fördert, in der Bildung eines Heeres. So hat Gott es auch Manchen gegeben, daß sie dem Schönen nachgehen müssen und sich zu ihm wie zu einer Sonne wenden, von der sie nicht lassen können. Es ist aber immer nur eine bestimmte Zahl von solchen, deren einzelne Anlage zu einer besonderen großen Wirksamkeit ausgeprägt ist. Ihrer können nicht viele sein, und neben ihnen werden die geboren, bei denen sich eine gewisse Richtung nicht ausspricht, die das Alltägliche tun und deren eigentümliche Anlage darin besteht, daß sie gerade keine hervorragende Anlage zu einem hervorragenden Gegenstande haben. Sie müssen in großer Menge sein, daß die Welt in ihren Angeln bleibt, daß das Stoffliche gefördert werde und alle Wege im Betriebe sind. Sehr häufig aber kömmt es nun leider auf den Umstand an, daß der rechten Anlage der rechte Gegenstand zugeführt wird, was so oft nicht der Fall ist.«

»Könnte denn nicht die Anlage den Gegenstand suchen, und sucht sie ihn nicht auch oft?« fragte Eustach.

»Wenn sie in großer Macht und Fülle vorhanden ist, sucht sie ihn«, entgegnete mein Gastfreund, »zuweilen aber geht sie in dem Suchen zu Grunde.«

»Das ist ja traurig, und dann wird ihr Zweck verfehlt«, antwortete Eustach.

»Ich glaube nicht, daß ihr Zweck deshalb ganz verfehlt wird«, sagte mein Gastfreund, »das Suchen und das, was sie in diesem Suchen fördert und in sich und Anderen erzeugt, war ihr Zweck. Es müssen eben verschiedene, und zwar verschieden hohe und verschieden geartete Stufen erstiegen werden. Wenn jede Anlage mit völliger Blindheit ihrem Gegenstande zugeführt würde und ihn ergreifen und erschöpfen müßte, so wäre eine viel schönere und reichere Blume dahin, die Freiheit der Seele, die ihre Anlage einem Gegenstande zuwenden kann oder sich von ihm fern halten, die ihr Paradies sehen, sich von ihm abwenden und dann trauern kann, daß sie sich von ihm abgewendet hat, oder die endlich in das Paradies eingeht und sich glücklich fühlt, daß sie eingegangen ist.«

»Oft habe ich schon gedacht«, sagte ich, »da die Kunst so sehr auf die Menschen wirkt, wie ich an mir selber, wenn auch nur erst kurze Zeit, zu beobachten Gelegenheit hatte, ob denn der Künstler bei der Anlage seines Werkes seine Mitmenschen vor Augen habe und dahin rechne, wie er es einrichten müsse, daß auf sie die Wirkung gemacht werde, die er beabsichtiget.«

»Ich hege keine Zweifel, daß es nicht so ist«, erwiderte mein Gastfreund, »wenn der Mensch überhaupt seine ihm angeborne Anlage nicht kennt, selbst wenn sie eine sehr bedeutende sein sollte und wenn er mannigfaltige Handlungen vornehmen muß, ehe seine Umgebung ihn oder er sich selber inne wird, ja wenn er zuletzt sich seiner Freiheit gemäß seiner Anlage hingeben oder sich von ihr abwenden kann: so wird er wohl im Wirken dieser Anlage nicht so zu rechnen im Stande sein, daß sie an einem gewissen Punkte anlanden müsse; sondern je größer die Kraft ist, um so mehr, glaube ich, wirkt sie nach den ihr eigentümlichen Gesetzen, und das dem Menschen inwohnende Große strebt, unbewußt der Äußerlichkeiten, seinem Ziele zu und erreicht desto Wirkungsvolleres, je tiefer und unbeirrter es strebt. Das Göttliche scheint immer nur von dem Himmel zu fallen. Es hat wohl Menschen gegeben, welche berechnet haben, wie ein Erzeugnis auf die Mitmenschen wirken soll, die Wirkung ist auch gekommen, sie ist oft eine große gewesen, aber keine künstlerische und keine tiefe; sie haben etwas Anderes erreicht, das ein Zufälliges und Äußeres war, das die, welche nach ihnen kamen, nicht teilten und von dem sie nicht begriffen, wie es auf die Vorgänger hatte wirken können. Diese Menschen bauten vergängliche Werke und waren nicht Künstler, während das durch die wirkliche Macht der Kunst Geschaffene, weil es die reine Blüte der Menschheit ist, nach allen Zeiten wirkt und entzückt, so lange die Menschen nicht ihr Köstlichstes, die Menschheit, weggeworfen haben.«

»Es ist einmal in der Stadt die Frage gestellt worden«, sagte ich, »ob ein Künstler, wenn er wüßte, daß sein Werk, das er beabsichtigt, zwar ein unübertroffenes Meisterwerk sein wird, daß es aber die Mitwelt nicht versteht und daß es auch keine Nachwelt verstehen wird, es doch schaffen müsse oder nicht. Einige meinten, es sei groß, wenn er es täte, er tue es für sich, er sei seine Mit- und Nachwelt. Andere sagten, wenn er etwas schaffe, von dem er wisse, daß es die Mitwelt nicht verstehe, so sei er schon töricht und vollends, wenn er es schaffe und weiß, daß auch keine Nachwelt es begreifen wird.«

»Dieser Fall wird wohl kaum sein«, antwortete mein Gastfreund, »der Künstler macht sein Werk, wie die Blume blüht, sie blüht, wenn sie auch in der Wüste ist und nie ein Auge auf sie fällt. Der wahre Künstler stellt sich die Frage gar nicht, ob sein Werk verstanden werden wird oder nicht. Ihm ist klar und schön vor Augen, was er bildet, wie sollte er meinen, daß reine, unbeschädigte Augen es nicht sehen? Was rot ist, ist es nicht allen rot? Was selbst der gemeine Mann für schön hält, glaubt er das nicht für alle schön? Und sollte der Künstler das wirklich Schöne nicht für die Geweihten schön halten? Woher käme denn sonst die Erscheinung, daß einer ein herrliches Werk macht, das seine Mitwelt nicht ergreift? Er wundert sich, weil er eines andern Glaubens war. Es sind dies die Größten, welche ihrem Volke voran gehen und auf einer Höhe der Gefühle und Gedanken stehen, zu der sie ihre Welt erst durch ihre Werke führen müssen. Nach Jahrzehnten denkt und fühlt man wie jene Künstler, und man begreift nicht, wie sie konnten mißverstanden werden. Aber man hat durch diese Künstler erst so denken und fühlen gelernt. Daher die Erscheinung, daß gerade die größten Menschen die naivsten sind.

Wenn nun der früher angegebene Fall möglich wäre, wenn es einen wahren Künstler gäbe, der zugleich wüßte, daß sein beabsichtigtes Werk nie verstanden werden würde, so würde er es doch machen, und wenn er es unterläßt, so ist er schon gar kein Künstler mehr, sondern ein Mensch, der an Dingen hängt, die außer der Kunst liegen. Hieher gehört auch jene rührende Erscheinung, die von manchen Menschen so bitter getadelt wird, daß einer, dem recht leicht gangbare Wege zur Verfügung ständen, sich reichlich und angenehm zu nähren, ja zu Wohlstand zu gelangen, lieber in Armut, Not, Entbehrung, Hunger und Elend lebt und immer Kunstbestrebungen macht, die ihm keinen äußeren Erfolg bringen und oft auch wirklich kein Erzeugnis von nur einigem Kunstwerte sind. Er stirbt dann im Armenhause oder als Bettler oder in einem Hause, wo er aus Gnaden gehalten wurde.«

 

Wir waren unseres Freundes Meinung. Eustach ohnehin schon, weil er die Kunstdinge als das Höchste des irdischen Lebens ansah und ein Kunststreben als bloßes Bestreben schon für hoch hielt, wie er auch zu sagen pflegte, das Gute sei gut, weil es gut sei. Ich stimmte bei, weil mich das, was mein Gastfreund sagte, überzeugte, und Gustav mochte es geglaubt haben – Erfahrungen hatte er nicht -, weil ihm alles Wahrheit war, was sein Pflegevater sagte.

Von einem Streben, das gewissermaßen sein eigener Zweck sei, vom Vertiefen der Menschen in einen Gegenstand, dem scheinbar kein äußerer Erfolg entspricht und dem der damit Behaftete doch alles Andere opfert, kamen wir überhaupt auf Verschiedenes, an das der Mensch sein Herz hängt, das ihn erfüllt und das sein Dasein oder Teile seines Daseins umschreibt. Nachdem wir wirklich eine größere Zahl von Dingen durchsprochen hatten, die zu dem Menschen in das von uns angeführte Verhältnis treten können, als ich je vermutet hätte, machte mein Gastfreund folgenden Ausspruch: »Wenn wir hier alle die Dinge ausschließen, die nur den Körper oder das Tierische des Menschen betreffen und befriedigen und deren andauerndes Begehren mit Hinwegsetzung alles Andern wir mit dem Namen Leidenschaft bezeichnen, weshalb es denn nichts Falscheres geben kann, als wenn man von edlen Leidenschaften spricht, und wenn wir als Gegenstände höchsten Strebens nur das Edelste des Menschen nennen: so dürfte alles Drängen nach solchen Gegenständen vielleicht nicht mit Unrecht nur mit einem Namen zu benennen sein, mit Liebe. Lieben als unbedingte Werthaltung mit unbedingter Hinneigung kann man nur das Göttliche oder eigentlich nur Gott; aber da uns Gott für irdisches Fühlen zu unerreichbar ist, kann Liebe zu ihm nur Anbetung sein, und er gab uns für die Liebe auf Erden Teile des Göttlichen in verschiedenen Gestalten, denen wir uns zuneigen können: so ist die Liebe der Eltern zu den Kindern, die Liebe des Vaters zur Mutter, der Mutter zum Vater, die Liebe der Geschwister, die Liebe des Bräutigams zur Braut, der Braut zum Bräutigam, die Liebe des Freundes zum Freunde, die Liebe zum Vaterlande, zur Kunst, zur Wissenschaft, zur Natur, und endlich gleichsam kleine Rinnsale, die sich von dem großen Strome abzweigen, Beschäftigungen mit einzelnen, gleichsam kleinlichen Gegenständen, denen sich oft der Mensch am Abende seines Lebens wie kindlichen Notbehelfen hingibt, Blumenpflege, Zucht einer einzigen Gewächsart, einer Tierart und so weiter, was wir mit dem Namen Liebhaberei belegen. Wen die größeren Gegenstände der Liebe verlassen haben, oder wer sie nie gehabt hat, und wer endlich auch gar keine Liebhaberei besitzt, der lebt kaum und betet auch kaum Gott an, er ist nur da.

So faßt es sich, glaube ich, zusammen, was wir mit der Richtung großer Kräfte nach großen Zielen bezeichnen, und so findet es seine Berechtigung.«

»Jene Zeit«, sagte er nach einer Weile, »in welcher die Kirchen gebaut worden sind, wie wir eben eine besucht haben, war in dieser Hinsicht weit größer als die unsrige, ihr Streben war ein höheres, es war die Verherrlichung Gottes in seinen Tempeln, während wir jetzt hauptsächlich auf den stofflichen Verkehr sehen, auf die Hervorbringung des Stoffes und auf die Verwendung des Stoffes, was nicht einmal ein an sich gültiges Streben ist, sondern nur beziehungsweise, in so fern ihm ein höherer Gedanke zu Grunde gelegt werden kann. Das Streben unserer älteren Vorgänger war auch insbesondere darum ein höheres, weil ihm immer Erfolge zur Seite standen, die Hervorbringung eines wahrhaft Schönen. Jene Tempel waren die Bewunderung ihrer Zeit, Jahrhunderte bauten daran, sie liebten sie also, und jene Tempel sind auch jetzt in ihrer Unvollendung oder in ihren Trümmern die Bewunderung einer wieder erwachenden Zeit, die ihre Verdüsterung abgeschüttelt hat, aber zum allseitigen Handeln noch nicht durchgedrungen ist. Sogar das Streben unserer unmittelbaren Vorgänger, welche sehr viele Kirchen nach ihrer Schönheitsvorstellung gebaut, noch mehr Kirchen aber durch zahllose Zubauten, durch Aufstellung von Altären, durch Umänderungen entstellt und uns eine sehr große Zahl solcher Denkmale hinterlassen haben, ist in so ferne noch höher als das unsere, indem es auch auf Erbauung von Gotteshäusern ausging, auf Darstellung eines Schönen und Kirchlichen, wenn es sich auch in dem Wesen des Schönen von den Vorbildern der früheren Jahrhunderte entfernt hat. Wenn unsere Zeit von dem Stofflichen wieder in das Höhere übergeht, wie es den Anschein hat, werden wir in Baugegenständen nicht auch gleich das Schöne verwirklichen können. Wir werden Anfangs in der bloßen Nachahmung des als schön Erkannten aus älteren Zeiten befangen sein, dann wird durch den Eigenwillen der unmittelbar Betrauten manches Ungereimte entstehen, bis nach und nach die Zahl der heller Blickenden größer wird, bis man nach einer allgemeineren und begründeteren Einsicht vorgeht und aus den alten Bauarten neue, der Zeit eigentümlich zugehörige, entsprießen.«

»In der Kirche, welche wir eben gesehen haben«, sagte ich, »liegt nach meiner Meinung eine eigentümliche Schönheit, daß es nicht begreiflich ist, wie eine Zeit gekommen ist, in welcher man es verkennen und so Manches hinzufügen konnte, was vielleicht schon an sich unschön ist, gewiß aber nicht paßt.«

»Es waren rauhe Zeiten über unser Vaterland gekommen«, erwiderte er, »welche nur in Streit und Verwüstung die Kräfte übten und die tieferen Richtungen der menschlichen Seele ausrotteten. Als diese Zeiten vorüber waren, hatte man die Vorstellung des Schönen verloren, an seine Stelle trat die bloße Zeitrichtung, die nichts als schön erkannte als sich selber und daher auch sich selber überall hinstellte, es mochte passen oder nicht. So kam es, daß römische oder korinthische Simse zwischen altdeutsche Säulen gefügt wurden.«

»Aber auch unter den altdeutschen Kirchen ist diese, welche wir verlassen haben, wenn ich nach den Kirchen, die ich gesehen habe, urteilen darf, eine der schönsten und edelsten«, sagte ich.

»Sie ist klein«, erwiderte mein Gastfreund, »aber sie übertrifft manche große. Sie strebt schlank empor wie Halme, die sich wiegen, und gleicht auch den Halmen darin, daß ihre Bögen so natürlich und leicht aufspringen wie Halme, die da nicken. Die Rosen in den Fensterbögen, die Verzierungen an den Säulenknäufen, an den Bogenrippen, so wie die Rose der Turmspitze sind so leicht wie die verschiedenen Gewächse, die in dem Halmenfelde sich entwickeln.«

»Darum überkam mich auch wieder ein Gedanke«, antwortete ich, »den ich schon öfter hatte, daß man nehmlich die Fassung von Edelsteinen im Sinne altdeutscher Baudenkmale einrichten sollte, und daß man dadurch zu schöneren Gestaltungen käme.«

»Wenn ihr den Gedanken so nehmet«, erwiderte er, »daß sich die, welche Edelsteine fassen, im Sinne der alten Baumeister bilden sollen, welche Würdiges und Schönes auf einfache und erhebende Art darstellten, so dürftet ihr, glaube ich, recht haben. Wenn ihr aber meint, daß Gestaltungen, welche an mittelalterlichen Gebäuden vorkommen, im verkleinerten Maßstabe sofort als Schmuckdinge zu gebrauchen seien, so dürftet ihr euch irren.«

»So habe ich es gemeint«, sagte ich.

»Wir haben schon einmal über diesen Gegenstand gesprochen«, erwiderte er, »und ich habe damals selber auf die altertümliche Kunst als die Grundlage von Schmuck hingewiesen; aber ich habe damit nicht bloß die Baukunst gemeint, sondern jede Kunst, auch die der Geräte, der Kirchenstoffe, der weltlichen Stoffe, die Malerkunst, die Bildhauerkunst, die Holzschneidekunst und Ähnliches. Auch habe ich nicht die unmittelbare Nachahmung der Gestaltungen gemeint, sondern die Erkennung des Geistes, der in diesen Gestaltungen wohnt, das Erfüllen des Gemütes mit diesem Geiste, und dann das Schaffen in dieser Erkenntnis und in diesem Erfülltsein. Es steht der Übertragung der baulichen Gestaltungen auf Schmuck auch ein stoffliches Hindernis entgegen. Die Gebäude, an denen der Schönheitssinn besonders zur Ausprägung kam, waren immer mehr oder weniger ernste Gegenstände: Kirchen, Palläste, Brücken und im Altertume Säulen und Bögen. Im Mittelalter sind die Kirchen weit das Überwiegende; bleiben wir also bei ihnen. Um den Ernst und die Würde der Kirche darzustellen, ist der Stoff nicht gleichgültig, aus dem man sie verfertiget. Man wählte den Stein als den Stoff, aus dem das Großartigste und Gewaltigste von dem, was sich erhebt, besteht, die Gebirge. Er leiht ihnen dort, wo er nicht von Wald oder Rasen überkleidet ist, sondern nackt zu Tage steht, das erhabenste Ansehen. Daher gibt er auch der Kirche die Gewalt ihres Eindruckes. Er muß dabei mit seiner einfachen Oberfläche wirken und darf nicht bemalt oder getüncht sein. Das Nächste unter dem Emporstrebenden, was sich an das Gebirge anschließt, ist der Wald. Ein Baum übt nach dem Felsen die größte Macht. Daher ist die Kirche in Würde und künstlerischem Ansehen auch noch von Holz denkbar, sobald es nicht bemalt und nicht bestrichen ist. Eine eiserne Kirche oder gar eine von Silber könnte nicht anders als widrig wirken, sie würde nur wie roher Prunk aussehen, und von einer Kirche aus Papier, gesetzt, man könnte den Wänden auf die Dauer Widerstand gegen Wetter und den Verzierungen durch Pressen oder dergleichen die schönsten Gestalten geben, wendet sich das Herz mit Widerwillen und Verachtung ab. Mit dem Stoffe hängt die Gestaltung zusammen. Der Stein ist ernst, er strebt auf und läßt sich nicht in die weichsten, feinsten und gewundensten Erscheinungen biegen. Ich rede von dem Bausteine, nicht von dem Marmor. Daher hat man die Gestalten der Kirche aus ihm emporstrebend, einfach und stark gemacht, und wo Biegungen vorkommen, sind sie mit Maß und mit einem gewissen Adel ausgeführt und überladen nicht die Wände und die andern Bildungen. In der Zeit, als sie das Übergewicht zu bekommen anfingen, hörte auch die strenge Schönheit der Kirchen auf und die Niedlichkeit begann. Zu den Fassungen unseres Schmuckes nehmen wir Metall, und zwar meistens Gold. Das Metall aber hat wesentlich andere Merkmale als der Stein. Es ist schwerer; darf also, ohne uns zu drücken, nicht in größeren Stücken angewendet werden, sondern muß in zarte Gestaltungen auseinander laufen.

Dabei hat es unter allen Stoffen die größte Biegsamkeit und Dehnbarkeit, wir glauben ihm daher die kühnsten Windungen und Verschlingungen und fordern sie von ihm. Die Bildungen, besonders Zieraten aus Gold, können daher nicht genau dieselben sein wie die aus Stein, wenn beide schön sein sollen. Aber aus dem inneren Geiste des einen, glaube ich, kann man recht gut und soll man den innern Geist des andern kennen, und es dürfte Treffliches heraus kommen.«

Ich vermochte gegen diese Ansicht nichts Wesentliches einzuwenden. Eustach führte sie noch genauer durch Beispiele aus, die er von bekannten Steingestaltungen an Kirchen hernahm. Er zeigte, wie eine geläufige, leichte, kirchliche Steinbildung, wenn man sie etwa aus Gold machen lasse, sogleich schwer, träg und unbeholfen werde, und er zeigte auch, wie man nach und nach die Steingestaltung umwandeln müsse, daß sie zu einer für Gold tauge, und da lebendig und eigentümlich werde. Er versprach mir, daß er mir über diese Angelegenheit, wenn wir nach Hause gekommen sein würden, Zeichnungen zeigen würde. Ich sah hieraus, wie sehr meine Freunde über diesen Gegenstand nachgedacht haben und wie sie tatsächlich in ihn eingegangen seien.

»Es sind aber nicht bloß die Äußerlichkeiten an unserer Kirche sehr schön«, fuhr mein Gastfreund fort, »sondern die Gestalten der Heiligen auf dem Altare und in den Nischen sind schöner, als man sie sonst meistens aus dem Zeitalter, aus welchem die Kirche stammt, zu sehen gewohnt ist. Wenn ich sagte, daß die griechischen Bildergestalten eine größere sinnliche Schönheit haben als die aus dem Mittelalter, so ist dieses nicht ausnahmslos so. Es gibt auch höchst liebliche Gestalten aus dem Mittelalter, und wo keine Verzeichnung ist und wo sich Sinnlichkeit zeigt, sind sie meistens wärmer als die griechischen. In der kleinen Kirche ist Ähnliches vorhanden, deshalb habe ich so gerne ihre Wiederherstellung übernommen, deshalb bedaure ich, daß meine Mittel nicht so groß sind, die gänzliche Vollendung herbeiführen zu können, und deshalb habe ich so sehr nach den Gestalten, die in den Nischen fehlen, suchen lassen, um so viel als möglich die Kirche zu bevölkern, wenn auch der Gedanke Raum hatte, daß vielleicht nicht einmal alle Gestalten fertig geworden und alle Plätze besetzt gewesen seien. Vielleicht steht einmal eine höhere und allgemeinere Kraft auf, die diese und noch wichtigere Kirchen wieder in ihrer Reinheit darstellt.«

Wir kamen am zweiten Tage in dem Asperhofe an, und ich sagte, daß ich nun nicht mehr lange da verweilen könne. Mein Gastfreund erwiderte, daß er in einigen Tagen in den Sternenhof fahren werde, daß er mich einlade, ihn zu begleiten und daß ich bis dahin noch bei ihm bleiben möge.

Ich erklärte, daß bei mir wohl einige Tage keinen wesentlichen Unterschied machten, daß ich aber doch wünsche, bald zu meinen Eltern zurückkehren zu können.

So war der Abend vor der Abreise in den Sternenhof gekommen, und mein Gastfreund sagte an demselben in einem gelegenen Augenblicke zu mir: »Ihr tretet nun zu jemandem, der mir nahe ist, in ein inniges Verhältnis; es ist billig, daß ihr alles wisset, wie es in dem Sternenhofe ist und in welchen Beziehungen ich zu demselben stehe. Ich werde euch alles darlegen. Damit ihr aber in noch viel größerer Ruhe seid und mit Klarheit das Mitgeteilte aufnehmen könnet, so werde ich es euch erzählen, wenn ihr wieder in den Asperhof kommt. Ihr werdet jetzt zu euren Eltern gehen, wie ihr sagt, um ihnen zu berichten, wie ihr aufgenommen worden seid und wie die Angelegenheit steht. Wenn ihr dann nach eurem beliebigen Willen wieder zu mir kommt, sei es zu was immer für einer Zeit, so werdet ihr willkommen sein und bereitwilligen Empfang finden.«


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