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Sechsundvierzigstes Kapitel

In einem Zimmer der Beletage des Hotel de Russie Unter den Linden befanden sich an diesem Nachmittag Berger und Direktor Schmenckel. Sie hatten eine lange Unterredung miteinander gehabt, und Herr Schmenckel erhob sich, um zu gehen. Berger stand ebenfalls auf.

»Sie wissen doch genau, was Sie sagen sollen?«

»Ich sollt' halt meinen«, erwiderte Herr Schmenckel und räusperte sich.

»Wollen wir's lieber doch noch einmal durchsprechen?«

»'s könnte vielleicht nicht schaden«, erwiderte Herr Schmenckel.

»Sagen Sie also, es täte Ihnen leid, daß Sie der Fürstin solche Ungelegenheiten bereitet. Sie selbst würden nie auf diesen Plan gekommen sein, wenn der Mensch – wie nannten Sie ihn doch?«

»Timm!«

»– Sie nicht darauf gebracht hätte. Jetzt wären Sie zur Einsicht gekommen, daß Ihre Handlungsweise sich für einen ehrlichen Mann nicht zieme, und Sie geben der Fürstin Ihr Wort, daß nimmer wieder ein Laut von dieser Angelegenheit über Ihre Lippen kommen solle.«

»Kommen solle!« wiederholte Herr Schmenckel.

»Was den Menschen, den Timm beträfe, so sollte sich Ihre Durchlaucht nur nicht ängstigen, und ihn, wenn er etwa die Frechheit hätte, zu kommen und ihr Geld abzufordern, durch ihre Bedienten zur Tür hinauswerfen lassen. Da Sie ihn in keiner Weise unterstützen würden, so hätte der Skandal, den er möglicherweise erregen könnte, nichts zu bedeuten. Haben Sie es jetzt ordentlich im Kopf?«

»Ich denk' es wird nun gehen«, sagte Herr Schmenckel nachdenklich.

»Und was die Hauptsache ist, Sie nehmen kein Geld von der Fürstin an, weder viel, noch wenig. Vergessen Sie das ja nicht.«

»Will's schon machen!« sagte der Direktor, mit einem plötzlichen Entschluß den Hut auf den Kopf drückend. »Adies, Herr Professor!«

»Adieu!« sagte Berger, ihm die Hand reichend. »Gehen Sie, und werden Sie wieder der ehrliche Mann, der Sie bis dahin gewesen sind.«

»Und nun«, murmelte Berger, als die Tür sich hinter Herrn Schmenckel geschlossen hatte, »ist der Augenblick gekommen, die alte Schuld quitt zu machen.« Er trat an das Bureau und nahm aus einer Schublade ein Kästchen von Ebenholz und ein Medaillon. Dann verließ er sein Zimmer und ging den Korridor entlang, bis er an eine Tür gelangte, an der er einen Augenblick lauschend stehenblieb. Der Schlüssel steckte im Schloß. Berger zog ihn geräuschlos ab und klopfte:

»Entrez!« rief eine krähende Stimme. Berger trat ein.

Der, den er suchte, stand mit dem Rücken nach der Tür vor dem Spiegel, eifrig beschäftigt, die glänzend braunen Löckchen seiner Perücke über der Stirn zu ordnen. Er wandte sich in der Meinung, daß es der Kellner sei, nicht nach dem Eintretenden um. Dieser ließ einen schnellen Blick durch das Zimmer gleiten, schloß die Tür ab und schritt dann bis mitten in das Gemach, wo er regungslos stehenblieb.

»Was wollen Sie?« sagte der Graf Malikowsky, der jetzt mit seiner Krawatte beschäftigt war.

»Mit Ihnen eine alte Rechnung quitt machen«, erwiderte Berger.

Der Graf wandte sich erschrocken um und starrte in Bergers bleiches, ernstes Gesicht, das durch das schwarze Pflaster auf der Stirn noch bleicher und ernster erschien.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie?« rief der Graf.

»Mein Name ist Berger. Was ich will, habe ich Ihnen bereits gesagt.«

»Wenn Sie eine Forderung an mich haben, wenden Sie sich an meinen Kammerdiener. Ich befasse mich mit dergleichen nicht.«

»Ich weiß es wohl«, sagte Berger, ohne eine Miene zu verändern, »daß der Graf Malikowsky Forderungen, die man an ihn persönlich gerichtet hat, gern durch andere Leute beantworten läßt, und wären diese andern selbst Meuchelmörder; diesmal aber, hoffe ich, werden Sie eine Ausnahme von der Regel machen.«

Bei diesen Worten trat er an den runden Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand, setzte das Ebenholzkästchen darauf und nahm die beiden Pistolen, die es enthielt, heraus.

Der Graf hatte diesem Beginnen mit einem Erstaunen, das ihn sprachlos und bewegungslos machte, zugesehen. Der Anblick der Pistolen brachte ihn indessen wieder zu sich, er eilte nach der Tür.

Berger vertrat ihm, die Pistolen in der Hand, den Weg.

»Ein Versuch noch, mir zu entwischen«, sagte er, »ein Hilferuf, und ich schieße Sie nieder. Treten Sie an jene Seite des Tisches, mir gegenüber; so!«

»Der Mensch ist verrückt«, murmelte der Graf, indem er, an allen Gliedern zitternd, Bergers Befehl Folge leistete.

»Wohl möglich«, sagte Berger mit einem unheimlichen Lächeln; »wenn ich's aber bin, so bin ich es zum nicht geringsten Teil durch Sie, mein Herr Graf. Sie kennen mich nicht mehr?«

»Nein! In der Tat, nein!«

»Kann sein; ich habe mich, seitdem ich zum letzten Male die zweifelhafte Ehre hatte, Ihnen gegenüberzustehen, einigermaßen verändert; ich will Ihrem Gedächtnisse zu Hilfe kommen. Kennen Sie auch diese nicht mehr?«

Er drückte das Medaillon auf und hielt es dem Grafen über den Tisch hinüber entgegen. Der Graf setzte seine goldene Lorgnette auf und blickte auf das Bild in der Kapsel. Es war das auf Email zierlich gemalte Porträt eines wunderschönen braunäugigen Mädchens, in der Tracht des Anfangs der zwanziger Jahre.

»Eleonore!« rief der Graf, einen Schritt zurückprallend.

»Ja, Eleonore«, wiederholte Berger, das Medaillon wieder schließend und zu sich steckend, »und nun werden Sie ja wohl auch hoffentlich wissen, wer ich bin und was das für eine Rechnung ist, die wir miteinander abzumachen haben.«

Der Graf war selbst durch seine Schminke hindurch totenbleich geworden; seine falschen Zähne klapperten, er mußte sich in einen Stuhl, der an dem Tische stand, sinken lassen, da er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.

Berger schien sich an diesem kläglichen Anblick zu weiden.

»Wie die Memme zittert«, sagte er, »wie ihm das faule Herz in der öden Brust an die Rippen pocht um das bißchen nichtsnutzige Leben! Elender Feigling, der nur den Mut hat, unschuldige Mädchen zu verführen, und in die Knie sinkt, sobald ihm ein Mann entgegentritt! Hier, nimm die Pistole, und mach einem Leben voll Schande durch einen halbwegs ehrlichen Tod ein Ende.«

»Ich kann nicht!« keuchte der Graf. »Haben Sie Mitleid mit mir! Sie sehen, ich bin ein vor der Zeit alter Mann; meine Hände zittern vor Gicht; ich kann keine Feder, geschweige denn eine Pistole festhalten.«

»Freilich«, sagte Berger, »der Mensch ist weiter nichts als ein übertünchtes Grab! Da wäre es wohl eine noch härtere Strafe, wenn man ihn leben ließe?«

Er senkte die Stirn und sann einen Augenblick nach.

»Sei's denn«, murmelte er. Er legte die Pistolen wieder in das Kästchen. Der Graf atmete auf.

»Ich habe mich nach dieser Stunde gesehnt dreißig Jahre lang; ich dachte wunder wie süß der Trank der Rache sein würde, aber das Gefäß, in dem er mir geboten wird, ekelt mich an; ich mag ihn nicht.«

Berger hatte das gesagt, als ob er mit sich selber spräche. Jetzt hob er den Kopf, heftete seine durchdringenden Augen auf den Grafen, der noch immer zusammengekauert in seinem Stuhl zitterte, und sagte:

»Ich bin mit Ihnen fertig. Ich will Ihnen Ihr jämmerliches Leben lassen, aber unter einer Bedingung. Noch in dieser Stunde reisen Sie von hier ab und lassen sich nie wieder in Deutschland sehen. Ich will nicht, daß ein Bube wie Sie deutsche Luft atmet.«

»Wie Sie wollen, was Sie wollen«, sagte der Graf, »ich will froh sein, wenn ich aus dem verdammten Lande weg bin.«

Berger steckte das Pistolenkästchen in die Tasche. Da tönte von der Straße herauf wilder Lärm. Berger war mit einem Satze am Fenster, das er in wilder Hast aufriß. Volksscharen, Männer, Weiber und Kinder, wälzten sich die Linden hinab. Wir sind verraten! Man schießt auf uns! Zu den Waffen, zu den Waffen!

»Zu den Waffen, zu den Waffen!« schrie Berger, die Arme in die Luft schleudernd. »Endlich, endlich! Habe Dank, du großer Geist!«

Er wandte sich vom Fenster, packte den Grafen, den die Neugier von seinem Stuhle emporgetrieben hatte und der ihm jetzt in den Weg kam, an der Brust, schüttelte ihn mit Riesenkraft und schrie:

»Hörst du, Memme, zu den Waffen! Ein ganzes Volk ruft es. Weiber und Kinder! Jetzt sollen all die alten Sünden quitt gemacht werden, die du und deinesgleichen seit dreißig Jahren auf euch geladen habt.«

Er stieß den Halbentseelten verächtlich von sich, schloß die Tür auf und stürzte hinaus.

Er rannte an einen Offizier, der eilig zum Zimmer hinein wollte. Es war der Fürst Waldernberg.

»Entschuldigen Sie, mein Vater, wenn ich meinem Versprechen, Sie zur Fürstin zu begleiten, nicht nachkommen kann«, sagte der Fürst atemlos. »Sie hören, daß die Emeute wieder im besten Gange ist, ich erwarte jeden Augenblick, daß Generalmarsch geschlagen wird.«

Der Graf war von der Szene mit Berger noch ganz außer sich. Er stierte den Fürsten mit einem bleichen, verstörten Gesicht an.

»Was haben Sie, mein Vater?« fragte der Fürst, der jetzt erst diese Veränderung bemerkte.

»Scheren Sie sich zum Teufel, Herr, mit Ihrem Vater!« rief der Graf. »Ich bin Ihr Vater nicht, will nicht Ihr Vater sein. Wenn Sie Ihren Vater sehen wollen, gehen Sie zu Ihrer Frau Mama, Sie werden ihn eben jetzt da finden.«

»Was heißt das, mein Vater?« sagte der Fürst, der zu fürchten begann, der Graf sei wahnsinnig geworden.

»Mein Vater!« höhnte der Graf. »Köstlich, herrlich! Aber ich habe das Possenspiel satt. Meinetwegen geht alle zum Teufel!«

Er riß an dem Glockenzuge. »Den Wagen vorfahren lassen, hören Sie!« schrie er den Kellner an. Und dann zum Fürsten gewandt: »Wollen Sie jetzt gehen, Herr, oder nicht?«

Der Fürst sah aus wie jemand, der nicht weiß, ob er seinen Augen und Ohren trauen soll. Plötzlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben. Er warf noch einen Blick auf den Grafen, der jetzt wie toll umherrannte, und verließ eilig das Gemach.


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