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Sechsunddreißigstes Kapitel

Um dieselbe Zeit waren in der Konditorei neben der Hauptwache am Markt – dem Versammlungsorte der Sundiner jeunesse dorée – zwei Herren eifrig am Billardtische. Die beiden Herren waren von Barnewitz und von Cloten. Von Cloten, der in allen Künsten sich auszeichnete, die keinen guten Kopf, sondern nur ein scharfes Auge und eine sichere Hand erfordern, hatte seinem Gegner alle Partien abgenommen und war in einer ebenso vortrefflichen Stimmung, als der andere ärgerlich dreinschaute.

»Noch eine, Barnewitz?« sagte Cloten triumphierend, als er eben die zwölfte Partie mit einem glänzenden Ball beendigt hatte.

»Danke!« sagte Barnewitz, seine Queue auf das Billard werfend, »bin heute nicht in der rechten Stimmung, kann überhaupt bei dem verdammten Zwielicht nicht gut spielen.«

»Wollen uns die Lampen anstecken lassen.«

»Nein, danke! Ein andermal! Kannst mir morgen vormittag Revanche geben.«

Cloten legte jetzt seine Queue ebenfalls hin, trat vor den Spiegel und drehte sich den blonden Schnurrbart, während Barnewitz sich auf ein Sofa warf und gähnte.

»'s ist verdammt langweilig«, sagte er; »man weiß doch bei Gott nicht, wie man den Nachmittag hinbringen soll.«

»Wollen spazierengehen.«

»Bei der Hundekälte?«

»Partie Pikett?«

»Ist auch langweilig.«

»'ne Flasche Rotspon?«

»Geht schon eher.«

»Ernst! Eine Flasche Pichon und Licht!« Der Kellner bracht, das Verlangte. Cloten warf sich Barnewitz gegenüber in einen Lehnstuhl und streckte die Beine von sich.

»Nun?«

»Nun?«

»Weißt du nichts?«

»Nein; du?«

»Nein.«

Eine lange Pause trat ein, während deren die Herren schweigend ihren Wein schlürften und ihre Zigarren rauchten.

»Wie geht's deiner Frau, Cloten?« fragte von Barnewitz plötzlich.

»Danke, gut; weshalb?« erwiderte Cloten, über diese brüske Frage nicht wenig verwundert.

»Nun, man wird doch nach deiner Frau fragen dürfen; oder ist auch das nicht einmal erlaubt?«

»Allerdings, aber wie kommst du darauf?«

»Weil sie in den letzten Tagen so außerordentlich liebenswürdig war.«

»Ist das etwas so Merkwürdiges?« fragte Cloten, nicht ohne einige Verlegenheit seinen Schnurrbart drehend.

»Gewiß; denn sie hatte die Zeit vorher alle, dich nicht ausgenommen, so schauderhaft traktiert, daß man über diesen plötzlichen Wechsel einigermaßen erstaunt sein durfte. Übrigens ist's nicht mir allein aufgefallen, alle Welt spricht darüber.«

»Die Welt sollte sich doch nur an ihre eigene Nase fassen«, sagte Cloten, mit vor Ärger zitternder Hand sein Glas füllend.

»Gewiß; aber sie tut's nun einmal nicht.«

»Der Teufel soll sie holen.«

»Meinetwegen; aber wenn du lieber von etwas anderem sprechen willst, mir ist 's recht. Ich dachte nur, daß ich als dein ältester Freund die Pflicht hätte, dich auf gewisse Dinge aufmerksam zu machen.«

»Nun, so komm endlich einmal heraus mit der Sprache, was soll's, was gibt's?«

»Ich werde mich wohl hüten, wenn du bei dem ersten Worte schon in eine so verteufelte Aufregung gerätst.«

»Ich bin nicht aufgeregt«, rief Cloten und stieß sein Glas auf den Tisch, daß der Fuß abbrach und der Wein auf die Platte strömte.

»Du bist ein wunderlicher Mensch«, sagte Barnewitz. »Warte doch, bis du Ursache hast, dich zu ereifern. Was ist's denn bis jetzt? Man erzählt sich, daß ihr nicht gerade Seide miteinander spinnt, daß deine Frau ihre eigenen Wege geht, daß ihr euch manchmal zankt, und so weiter!«

»Wer erzählt sich das?«

»Alle Welt.«

»Und was glaubst du davon?«

Barnewitz zuckte die Achseln.

»Ich möchte dir nicht gern weh tun, Arthur; aber leugnen kann ich's nicht, daß mir das Betragen deiner Frau höchst verdächtig vorkommt. Es scheint mir, wie so ziemlich unserm ganzen Kreise unzweifelhaft, daß sie irgendein Verhältnis hat, und ich glaube auch, daß ich in Beziehung auf die Person die richtige Fährte habe.«

»Ich beschwöre dich, daß du mir alles sagst, was du weißt«, sagte Cloten mit pathetischer Gebärde.

»Erinnerst du dich der Gesellschaft, die ich im Sommer gab? Aber, was solltest du nicht; wir wollten uns ja damals gegenseitig die Köpfe einschlagen! Nun, schon auf dieser Gesellschaft hat deine Frau mit dem verdammten Bengel, dem Doktor Stein, auf eine Weise kokettiert, daß es allen auffiel, auch mir. Ich hatte die Sache indessen vollkommen vergessen, bis ich gestern wieder daran erinnert wurde. Ich war gestern, wie du dich erinnerst, früher von Stilows weggegangen, weil mir, offen gestanden, der Wein zu schlecht war und ich großen Durst hatte. So geriet ich denn in den Ratskeller, wo die Gesellschaft freilich gemein genug, der Wein aber vortrefflich ist. Es saßen so ein Dutzend Menschen: Literaten, Schauspieler und sonstiges Gesindel um einen Tisch, unter ihnen unser alter Bekannter, der Feldmesser Timm, der das große Wort führte. Ich setzte mich in einiger Entfernung, ließ mir ein paar Dutzend Austern und eine Flasche Champagner geben und hörte zu, weil ich wohl zuhören mußte. Sie sprachen Gott weiß was für verrücktes Zeug, von dem ich kein Wort verstand und wollte eben einnicken, als plötzlich dein Name genannt wurde, oder vielmehr nicht dein Name, sondern der deiner Frau. Natürlich war ich sofort wieder hell wach. – ›Wer ist das?‹ fragte einer. ›Eine ganz famose Person‹, sagte Timm. – ›Nun, und die poussiert Freund Stein?‹ – ›So ist es.‹ – ›Ein verteufelter Kerl, dieser Stein. Wie ist er denn an die gekommen?‹ – ›Das ist eine lange Geschichte‹, sagte Timm, und nun steckten sie die Köpfe zusammen und sprachen so leise, daß ich das übrige nicht verstehen konnte. Jedenfalls lachten sie dabei wie toll, und ich hatte große Lust, ihnen meine Flasche an die Köpfe zu werfen.«

»Weshalb hast du's nicht getan?« fragte Cloten.

»Ich fange in einem fremden Lokal nicht gerne Skandal an; es ist mir zu oft schlecht bekommen«, erwiderte Barnewitz, sich den Rest in sein Glas gießend.

Eine Pause entstand, die Cloten mit den in heftigem Ton ausgestoßenen Worten unterbrach: »Ich glaube kein Wort von alledem!«

Barnewitz zuckte die Achseln.

»Es ist auch das Beste, was du tun kannst.«

»Ich verbitte mir dergleichen!« rief Cloten auffahrend.

»Ich sage nichts, als was die Welt sagt«, erwiderte Barnewitz, sein Glas behaglich schlürfend.

»Du meinst, über dich sagt die Welt nichts?« fragte Cloten höhnisch.

»Was sagt die Welt von mir?« rief Barnewitz, jetzt ebenfalls aufspringend. »Der Teufel soll den holen, der es wagt – und ich dächte, du hättest vor allen Grund, deinen Mund zu halten.«

»Grund oder nicht, ich sehe nicht ein, weshalb ich nicht ebensogut sprechen darf wie du.«

»Du!« sagte Barnewitz, die Hände in die Taschen steckend, mit höhnischem Grinsen. »Du denkst wohl Wunder, welches Glück du bei den Damen machst.«

Die Herren waren gezwungen, ihren Wortwechsel abzubrechen, denn gerade jetzt wurde die Tür zum Billardzimmer geöffnet und der Konsistorialrat Jäger, nachdem er durch seine runden Brillengläser einen vorsichtigen Blick hineingeworfen, schlich in das Gemach.

Auf des Herrn blassem Gesicht trat heute das stereotype Lächeln mit den heruntergezogenen Mundwinkeln um so mehr hervor, als er sich offenbar Mühe gab, die Stirn in die ernstesten Falten zu legen und durch die runden Brillengläser möglichst melancholisch dreinzuschauen.

So näherte er sich den beiden Edelleuten, machte ihnen eine sehr verbindliche Verbeugung und sagte:

»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, wenn ich die Herren störe, indessen –«

»Kommen Sie her«, sagte Barnewitz, der sehr froh über diese Störung war, »trinken Sie ein Glas Pichon mit; Kellner, noch eine –«

»Bitte, bitte, danke ergebenst, bedaure nochmals unendlich, daß ich die Herren in diesem gemütlichen Plauderstündchen unterbreche, indessen ich hörte in Ihrem Hause, Herr von Cloten, daß ich Sie hier finden würde, und eine Sache von Wichtigkeit, die ich Ihnen mitzuteilen habe –«

»Genieren sich die Herren nicht«, sagte Barnewitz, »ich gehe so lange ins Lesezimmer.«

»Bitte, bitte – ich habe nur drei Worte –«

»Na, immerzu, ruft mich nur, wenn ihr fertig seid.«

Mit diesen Worten ging Barnewitz in das Nebengemach, wo er, die Ellenbogen auf den Tisch und das Haupt in die Hände gestemmt, sich in die Lektüre des Sundiner Amtsblattes vertiefte.

Er war kaum fort, als Jäger sich zu Cloten wandte und in geheimnisvollem Flüstertone sagte: »Herr von Cloten, ich habe Ihnen eine Nachricht mitzuteilen, die Sie erschrecken wird.«

Cloten wurde blaß und trat einen Schritt zurück. Sein erster Gedanke war, daß sein Pferdestall in Brand geraten und Arabella und Macdonald, seine beiden Vollblutpferde, ein Raub der Flammen geworden. Aber der Konsistorialrat ließ ihn nicht lange in dieser schrecklichen Ungewißheit, sondern sagte mit hohler Stimme, die Mundwinkel so tief herunterziehend, daß sie unter dem Kinn wieder zusammenzustoßen schienen:

»Ihre Frau Gemahlin –«

»Ha!« rief Cloten. »Was soll's, was gibt's?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Jäger, »aber ich fürchte Schlimmes. Sehen Sie dieses Blatt? Ich hab es soeben auf dem Schreibtisch meiner Frau gefunden – doch bevor ich Ihnen, was auf dem Blatte steht, vorlese, schwören Sie mir, daß Sie nie sagen wollen, von wem diese Nachricht ursprünglich stammt.«

»Ich schwöre, was Sie wollen«, sagte Cloten, »was hat's mit dem Blatt auf sich?«

»Gleich, gleich, lassen Sie mich nur erst sagen, daß seit einigen Monaten eine Freundschaft zwischen Ihrer Frau Gemahlin und meiner Frau entstanden war, deren Intimität mich einigermaßen in Verwunderung setzte, besonders nachdem ich bemerkt hatte, daß sich zu diesen Zusammenkünften, die rein poetische Zwecke verfolgen sollten – Sie wissen, Herr von Cloten, daß meine Frau Direktrice des lyrischen Kränzchens ist –, stets, oder doch wenigstens sehr oft, eine dritte Persönlichkeit gesellte, gegen die ich, offen gestanden, von früher schon eine unüberwindliche Antipathie hatte. Diese Persönlichkeit ist –«

»Der Doktor Stein, weiß schon, weiter«, sagte Cloten mit atemloser Hast.

»Sie wissen schon – in der Tat«, sagte Herr Jäger mit einem Lächeln, das unheimlich hinter den Brillengläsern hervorglitzerte, »Oh, so ist mir ja der schwerste Teil meiner Mitteilungen erspart. Nun, Herr von Cloten, wenn Sie es bereits wissen, will ich nicht weiter erwähnen, wie in meine ahnungslose Seele der erste Feuerfunke des Verdachtes fiel, wie dieser Funke durch mancherlei höchst eigentümliche Beobachtungen zur Flamme angeschürt wurde, die mein Herz, das für das Glück meiner Brüder schlägt« – hier legte der Konsistorialrat die schwarzbehandschuhte Hand auf die linke Brust – »zu verzehren drohte. Meiner Frau den Umgang mit der betreffenden Persönlichkeit zu verbieten, wagte ich nicht. Sie wissen, Herr von Cloten, Dichtergemüter sind exaltiert, und der ästhetische Standpunkt –«

»Aber ich bitte Sie, kommen Sie zur Sache«, rief Cloten, »was steht denn auf dem Blatte?«

»Sehen Sie!« sagte Jäger, das Papier auseinanderfallend. »Es ist das Konzept eines Gedichtes, das ich, noch naß, auf dem Schreibtisch meiner Frau, die, wie mir das Mädchen sagte, einen Besuch zu machen ausgegangen war, soeben fand. Darf ich es Ihnen lesen?«

»Ja, in des Teufels Namen«, rief Cloten, »obgleich ich nicht begreife –«

»Sie werden es sofort«, erwiderte der andere, rückte sich seine Brille zurecht, schob das Licht etwas näher und las mit halblauter, schnurrender Stimme, während ihm der junge Edelmann über die Achsel auf das Papier sah: »Sundin, den zehnten Dezember 1847 – Sie sehen, das Datum stimmt genau.

Ins Album einer Fliehenden

Du fliehst! – Es leuchten die funkelnden Sterne
Bei der sausenden Jagd durch kimmerische Nacht;
Du fliehst! Und ach, es folgte dir gerne,
Die so treu deine heimliche Liebe bewacht!
Doch die eh'lichen Ketten, die harten, die kalten,
Mich fest auf dem Lager, dem freudlosen, halten –
Du fliehst – ich bleib in kimmerischer Nacht.

Sie sehen diese poetischen Übertreibungen einer sonst so keuschen, liebevollen Seele«, sagte Herr Jäger, der die letzten Verse mit etwas unsicherer Stimme gelesen hatte.

»Weiter, weiter«, rief Cloten.

Der andere fuhr fort.

        »Du fliehst! Es blitzen die schnee'gen Gefilde
Es donnert der Huf auf der Fläche von Eis,
Es schreckt dich die Nacht nicht, die schaurige, wilde,
Es lockt dich der Liebe unendlicher Preis.
Du fliehst! Und mit Recht, was soll denn die Stolze,
Die Schöne beim Gatten, der Puppe aus Holze
Und Leder? Was soll ihr ein Lager von Eis!«

»Das geht auf mich!« sagte Cloten vor Wut mit den Zähnen knirschend.

»Ohne Zweifel, ohne Zweifel«, erwiderte der Konsistorialrat, »aber hören Sie weiter!

       Du fliehst! Und drüben am felsigen Strande,
Im Häuschen der Amme, so traut und so klein,
Da fallen die schweren, die fesselnden Bande,
Da nennst du ihn dein, da nennt er dich sein.
Da stürzen die feurigen Bäche zusammen,
Da lohen zum Himmel die sprühenden Flammen,
In der Kammer der Alten, so nieder und klein.

Du fliehst! Doch ach! nicht dort ist der Hafen;
Zu nah ist der Späher; sein Auge, es wacht;
Wollt ihr selig den Schlaf der Vergessenheit schlafen,
Flieht, bis ein milderer Himmel euch lacht!
Flieht bis zur »Seine« geweihetem Strome,
Wo »Notre-Dame« vom heiligen Dome
Mit Mutteraug' über Liebende wacht.«

Der Konsistorialrat faltete das Blatt zusammen, schob es wieder in die Tasche und sagte:

»Dieses Gedicht machte mich, der ich die Dichtweise meiner Gattin kenne und weiß, daß sie ihre Stoffe gern aus dem Leben nimmt, sehr bestürzt. Wie erschrak ich aber, als ich, von dem Vorrechte des Gatten Gebrauch machend und weiter zwischen den umhergestreuten Papieren kramend, dies Zettelchen fand« – hier faßte er in die Westentasche –, »kennen Sie diese Handschrift, Herr von Cloten?«

»Es ist die Hand meiner Frau!« rief der junge Edelmann, einen Blick auf das Papier werfend: »Es bleibt bei der Verabredung, liebe Primula! Alles ist bereit. Rendezvous drüben bei der Lemberg. Morgen um diese Zeit liegt eine Welt zwischen uns. Werde ich Sie noch einmal umarmen? Ich bin bis drei Uhr zu Haus. Gern, sehr gern sähe ich Sie – aber dürfen Sie es wagen, ohne Verdacht auf sich zu lenken? Ich überlasse es Ihnen. Adieu, adieu, Teuerste! Noch heute frei! Oh, ich kann den Gedanken nicht fassen. Adieu! Tausendmal adieu!« – »Himmelhöllenelement!« rief Cloten, das Papier in der Hand zerknitternd und in die Tasche steckend. »Jetzt wird mir alles klar. Wußte ich doch gar nicht, was dies ewige Besuchen der alten Person in Fährdorf zu bedeuten hatte! Aber ich will ihnen das Spiel verderben; ich will –«

Da Herr von Cloten in diesem Augenblick so recht eigentlich noch nicht wußte, was er wollte, schwieg er und lief wie ein von heftigen Zahnschmerzen Geplagter im Zimmer auf und ab.

Der andere betrachtete ihn, den Kopf auf die rechte Schulter geneigt und die Hände aneinanderlegend, durch seine runden Brillengläser wie eine Eule das Flattern eines Gimpels, der sich auf einer Leimrute gefangen hat.

»Sie können nicht glauben, teuerster Herr von Cloten«, sagte er, »wie tief meine Seele über dies alles betrübt ist, und glauben Sie, ich hätte gewiß geschwiegen, wenn es nicht eines guten Schäfers Pflicht wäre, das Lamm aus dem Rachen des Wolfes zu reißen. Denn ein Wolf ist dieser Mensch. Ich habe ihn vom ersten Augenblick als solchen erkannt; aber man wollte ja nicht auf mich hören. Jetzt kommt es an den Tag. Noch diesen Morgen war der Kanonikus Schwarz, einer der Scholarchen des Gymnasiums, bei mir und erzählte mir, daß auf Antrag des Direktor Klemens bereits eine Disziplinaruntersuchung gegen den entsetzlichen Menschen eingeleitet sei, deren Resultat ohne allen Zweifel die Entlassung, seine schimpfliche Entlassung zur Folge haben werde; und während ich noch überlege, wie man am besten, am schlagendsten dokumentieren könne, daß man den Wolf in Schafskleidern wohl erkannt habe, muß mir eben jetzt der Zufall diese Papiere in die Hände spielen, die den klarsten Beweis liefern, daß alles Schlimmste, was man diesem Menschen nachsagte, noch immer nicht schlimm genug war. Ich wußte vom ersten Augenblick an, was die Pflicht mir gebot. Sicher, daß meine Gattin nie erfahren werde, wie ich sie sozusagen in dieser Sache bloßgestellt habe; der Diskretion eines Edelmanns gewiß, eilte ich –«

»Ich muß Barnewitz mit ins Vertrauen ziehen«, rief plötzlich Cloten; und er machte eine Bewegung nach dem Zimmer, wohin sich Barnewitz zurückgezogen hatte.

»Um Gott, Herr von Cloten«, rief der Erschrockene, »wollen Sie mich unglücklich machen? Bedenken Sie, Sie haben geschworen, mich und meine Frau nicht zu verraten –«

»Dummes Zeug«, sagte Cloten, »Sie wollen doch nicht, daß ich allein mich auf eine solche verdammte Geschichte – Barnewitz!«

»Was gibt's?« sagte der Gerufene, von seinem Amtsblatt aufschauend.

»Komm einmal her! Ich habe dir etwas Wichtiges mitzuteilen.«

Barnewitz kam, und Cloten erzählte ihm mit fliegenden Worten, um was es sich handle, während Jäger, sich verlegen die Hände reibend, danebenstand.

»Es ist kein Zweifel«, schloß Cloten, »ich will's nur gestehen, ich habe auch schon einen ähnlichen Verdacht gehabt; freilich auf den Halunken, den Stein, wäre ich nicht gefallen. Aber es trifft alles ein. Ich weiß, daß sie heute wieder nach Fährdorf hinüber wollte, und jetzt fällt mir ein, daß sie ganz gegen ihre Gewohnheit ausdrücklich sagte, sie würde vor Abend nicht zurückkommen; und da du nun gestern abend auch – oh, es ist kein Zweifel, kein Zweifel! Was soll ich tun? Was soll ich tun?« – und der junge Mann schlug sich mit der geballten Faust vor die Stirn.

»Was du tun sollst?« sagte Barnewitz. »Sie laufen lassen, wohin sie will.«

»Verzeihen Sie«, sagte der Konsistorialrat, »das würde einen ungeheuren Skandal geben, dem jetzt, meiner Meinung nach, durch energisches Handeln noch vorgebeugt werden kann.«

»Der Herr hat recht«, sagte Cloten, »wir dürfen sie nicht weglassen; aber ich allein – willst du mir helfen, Barnewitz?«

»Avec plaisir«, antwortete Barnewitz, »ich habe so stets eine Pike auf den Bengel gehabt.«

»Aber periculum in mora, meine Herren. Sie müssen sich sofort auf den Weg machen«, sagte der Konsistorialrat.

»Das wollen wir«, sagte Cloten, »komm, Barnewitz, ich kann dir unterwegs mitteilen, was ich für einen Plan entworfen habe. Der Konsistorialrat begleitet uns noch ein Streckchen.«

»Recht gern, recht gern«, erwiderte er. »Meine Zeit ist freilich beschränkt, sehr beschränkt. Ah – zu dieser Tür hinaus; bitte, bitte, gehen Sie voran!«

Und die drei Herren verließen eiligst das Lokal.


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