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Neunundzwanzigstes Kapitel

Es war nach dem Tee. Julius war bereits zu Bett gegangen. Der alte Baumann hatte die Sachen abgeräumt und sich dann mit einem wohlwollenden Blick auf seine Herrin und ihren Besuch entfernt. Melitta und Oldenburg waren allein in der »roten Stube«.

»Weshalb bist du heute so verstimmt?« sagte Melitta, die auf dem Sofa saß, während der Baron seiner Gewohnheit gemäß langsam im Zimmer auf und ab schritt.

»Ich bin nicht verstimmt.«

»Nun denn, nachdenklich?«

»Das eher. Ich habe heute nachmittag einen Brief von Birkenhain gehabt. Hattest du in den letzten Tagen einen Brief von ihm?«

»Nein; weshalb?«

»Hm!«

»Ist das eine Antwort?«

»Gewiß, und zwar eine sehr vieldeutige. Hm bedeutet sehr viel –«

»In diesem Falle zum Beispiel?«

»Weißt du, daß wir aller Wahrscheinlichkeit nach, ohne eine Ahnung davon gehabt zu haben, mit Czika und Xenobi und mit Oswald zu gleicher Zeit in Fichtenau gewesen sind?«

Melitta wurde sehr rot und wußte nicht sogleich, was sie erwidern sollte. Oldenburg ließ ihr aber auch keine Zeit zu einer Erwiderung, sondern nahm Birkenhains Brief aus der Tasche, setzte sich an den Tisch, Melitta gegenüber und sagte:

»Birkenhain schreibt nämlich, nachdem er mir auf meine Anfrage wegen Julius Auskunft erteilt – Julius soll mindestens bis Neujahr mit allem Unterricht verschont werden –, folgendes:

Sie haben sich, Herr Baron, in Ihren Briefen so oft und so teilnehmend nach dem Professor Berger erkundigt, dessen Bekanntschaft Sie bei mir im Sommer gemacht hatten, daß es Sie interessieren wird, von diesem in der Tat außerordentlichen Manne wieder einmal zu hören. Sie erinnern sich aus den Gesprächen, die Sie mit ihm geführt haben, daß sein Wahnsinn zu der Kategorie der philosophischen gehörte und daß er seinen Fundamentalsatz oder vielmehr seine fixe Idee von der absoluten Nichtigkeit alles Seins – dem großen Urnichts, wie er es nannte – mit der ganzen Gelehrsamkeit und dem ganzen Scharfsinn, die ihm in so reichem Maße zu Gebote standen, verteidigte. Meine Hoffnung, den ausgezeichneten Mann in kurzer Zeit herstellen zu können, erwies sich leider als vergeblich, und ich gestehe, daß die Methode, die ich bei ihm einschlug, vielleicht nicht die richtige war. Ich wollte durch Klaustration, Entziehung von Büchern usw. ihm die Empfindung des Verlassenseins, der Langeweile wecken und damit zugleich die Komplementsempfindungen der Sehnsucht nach Gesellschaft, nach Unterhaltung, mit anderen Worten: die Lust am Leben. Aber ich hatte den Fonds von innerm Leben, der dem Kranken zu Gebote stand, bei weitem zu gering angeschlagen. Er hätte jahrelang von den Schätzen seines Geistes zehren können, und die einzige Folge meiner Bemühungen war, daß er sich ungestört tiefer in sein bodenloses Urnichts versenkte. Indessen hoffte ich doch noch immer auf eine günstige Reaktion, die meiner Meinung nach bei einem so kräftigen Geiste, wie Berger trotz alledem war, nicht ausbleiben konnte. In dieser Zeit – es war genau an demselben Tage, als Sie mit Frau von Berkow hier waren, und ich vergaß damals nur bei der Eile, die Sie hatten, mit Ihnen von diesen Dingen, die mich höchlichst interessierten, zu sprechen, kam mir ein Besuch, der sich bei mir für Berger angekündigt hatte, gerade recht. Es war dies ein junger Mann, namens Doktor Stein« – Oldenburg blickte nicht auf, als er an diese Stelle gekommen war –, »von dem mir ein jüngerer Grünwalder Kollege, in dessen Gesellschaft er reiste, geschrieben hatte, daß er der Liebling und vertrauteste Freund Bergers gewesen sei. Ich versprach mir von diesem Besuche die günstigsten Resultate, eine Hoffnung, die allerdings einigermaßen abgeschwächt wurde, als ich die persönliche Bekanntschaft des Herrn Stein machte, eines auffallend schönen, vornehm aussehenden Mannes, der aber, bei offenbar bedeutenden Gaben und tüchtiger Bildung, mit sich und der Welt so zerfallen schien, wie wir das leider in unserer tat- und haltlosen Zeit, die weder weiß, was sie will, noch, was sie soll, nur zu häufig in höherem oder geringerem Grade bei den begabtesten Individuen finden. Freilich hätte ich bei reiflicher Überlegung mir voraussagen können, daß jemand, an den sich Berger in der allerletzten Zeit vor dem Ausbruche seines Wahnsinns so innig attachierte, wohl ebenfalls ein Hypochonder sein mußte. Aber er war nun einmal da und die Sache nicht mehr rückgängig zu machen; überdies hatte ich Herrn Stein, ehe ich ihn zu Berger ließ, sehr bestimmte Instruktion seines Verhaltens gegeben und erwartete nun mit großer Spannung das Resultat dieser Zusammenkunft, bei der ich geflissentlich nicht zugegen war. Dieses Resultat war eigentümlich.

Als ich von der Unterredung mit Ihnen und Frau von Berkow nach Hause kam, begab ich mich sogleich zu dem Kranken, der unterdes mit seinem Besuch auf meinen Wunsch einen Spaziergang in den Wald gemacht hatte.

Mein erster Blick überzeugte mich, daß etwas Besonderes mit ihm vorgegangen sein mußte. Er ging in heftiger Erregung auf und ab. Sowie er mich sah, blieb er vor mir stehen und sagte: ›Was halten Sie von meiner Theorie, Doktor, die sich praktisch noch nicht erprobt hat?‹ – ›Nicht viel!‹ erwiderte ich, ›wie kommen Sie aber darauf?‹ – ›Oh, es ist mir heute abend ein Gedanke gekommen, der so naheliegt, so nahe, daß ich nicht begreife, wie ich nicht schon früher darauf gekommen bin.‹ – Ich bat ihn, sich näher zu erklären. ›Ich kann es jetzt nicht‹, sagte er, ›aber sobald ich dazu imstande bin, soll es gewiß geschehen.‹ – Ich mußte mich mit diesem Versprechen begnügen, denn es war vergebens, daß ich weiter in ihn drang. Ich hoffte von Herrn Stein mehr zu erfahren. Er war noch in derselben Nacht abgereist, dringender Geschäfte halber, wie er mir in einem Briefchen, das von einer der nächsten Stationen datiert war, am folgenden Tage schrieb. Was zwischen ihm und Berger verhandelt war, blieb für mich ein Geheimnis; ich hörte nur von andern, daß sie am Abend in einer Fuhrmannskneipe gesehen worden waren, wo sie mit Seiltänzern an einem Tisch gesessen und getrunken hatten, die sich zufällig im Orte aufhielten und durch eine schöne Zigeunerin mit einem noch schöneren Kinde« – Oldenburgs Stimme zitterte etwas, als er diese Worte las –, »die zur Gesellschaft gehörten, ebensoviel Furore machten als durch ihre Kunststücke. Berger war an den folgenden Tagen sehr still und in sich gekehrt; ich ließ ihn ruhig gewähren, denn ich wollte in die Krise, die in seinem Zustande offenbar eingetreten war, nicht störend eingreifen. Er hatte von Anfang an Freiheit gehabt, zu gehen und zu kommen, wann er wollte. Es fiel deshalb auch weder den Wärtern noch dem Pförtner auf, daß er am Morgen des siebenten Tages – es war der Tag, an dem Frau von B. abreiste – gegen acht Uhr morgens die Anstalt verließ. Aber diesmal stellte er sich im Laufe des Tages nicht wieder ein wie sonst stets, auch nicht zur Nacht, auch nicht am folgenden Tage. Er war und blieb verschwunden.

Meine Stimmung infolge dieses Ereignisses können Sie sich leicht denken. Indessen war ich, trotzdem die Recherchen, die sofort mit aller Energie und Umsicht angestellt worden, kein Resultat hatten, fest überzeugt, daß Berger nicht gewaltsam Hand an sich gelegt haben könne. Er hatte sich zu oft und mit großem Nachdruck gegen dieses Mittel, ›den gordischen Knoten nur noch fester zu schlingen‹, wie er es nannte, ausgesprochen. Ein Brief von seiner Hand, den ich kurze Zeit darauf mit dem Poststempel einer kleinen norddeutschen Stadt erhielt, bewies mir zu meiner nicht geringen Freude, daß ich mich nicht geirrt hatte. In diesem Briefe bat mich der seltsame Mann um Verzeihung, wenn er mir durch seine heimliche Entfernung von Fichtenau unruhige Tage bereitet haben sollte; aber er habe nicht gewußt, wie er den Gedanken, von dem er mir Rechenschaft zu geben versprochen, anders hätte ausführen können. Die Expedition, auf der er sich in diesem Augenblick in Gesellschaft sehr guter Leute und schlechter Musikanten befinde, sei eben die Ausführung dieses Gedankens, der Gedanke selbst aber sei der, daß er die Aszese, die praktische Seite seiner Theorie von der Nichtigkeit des Seins, nicht zwischen den vier Wänden seines Zimmers, überhaupt nicht in der Einsamkeit, sondern nur in der Menschenwelt, und zwar vorzugsweise in den tiefsten Schichten dieser Welt, in die er jetzt hinabgestiegen sei, zur Geltung bringen könne. Ich solle ihn, wenn ich irgendein Interesse an ihm nähme, dabei nicht stören und gewärtig sein, daß er mir seinerzeit die Resultate seiner Expedition, die sehr günstig zu werden versprächen, mitteilen würde.«

Oldenburg faltete Birkenhains Brief, nachdem er ihn soweit gelesen, wieder zusammen und blickte zu Melitta hinüber.

»Wie ist es, Melitta«, sagte er, »du bist doch mehrere Tage in Fichtenau gewesen; hast du von dieser schönen Zigeunerin und ihrem Kinde, von denen mir eine Ahnung sagt, daß es Xenobi und Czika gewesen sind, auch etwas gehört?«

»Noch mehr«, erwiderte Melitta, »es waren Xenobi und Czika, und ich habe sie gesehen und gesprochen.«

Oldenburg stützte den Kopf in die Hand. »Also doch!« murmelte er. »Und du – warum hast du mir nichts gesagt?«

»Weil ich deinen Kummer um die Verlorne zu erneuern fürchtete, weil ich – höre mich an, Adalbert, ich will dir es sagen; ich hätte es dir längst schon gesagt, wenn ich dazu den Mut gehabt hätte.« – Und sie erzählte Oldenburg ihr Zusammentreffen mit der braunen Gräfin im Walde von Fichtenau, wie sie sich bemüht, die Zigeunerin zu bereden, mit ihr zu kommen, welchen Schmerz es ihr bereitet, als all ihr Bitten, all ihr Zureden nichts fruchteten; und schließlich, wie sie Xenobi das Versprechen abgenommen habe, ihr das Kind zu bringen, wenn sie einmal anderen Sinnes werden sollte, und daß sie der festen Überzeugung lebe, es werde dies früher oder später geschehen.

Während die junge Frau so sprach, liefen ihr die Tränen über die Wangen, und ihre Stimme zitterte vor innerlichster Erregung.

Oldenburg stand auf und küßte ihr schweigend die Hand; dann ging er mit starken Schritten in dem Gemach auf und ab, während Melitta weitererzählte, wie sie kurz vorher, ehe sie die Zigeunerin getroffen, den Wagen der Seiltänzer überholt habe, und daß sie sich auch erinnere, einen Mann in blauer Bluse, den sie für einen Landmann gehalten, unter den Seiltänzern gesehen zu haben. »Es ist kein Zweifel«, fuhr sie fort, »daß die guten Leute und schlechten Musikanten, von denen Berger in seinem Briefe an Birkenhain spricht, niemand anders sind als eben diese Seiltänzer, denen er sich angeschlossen und mit denen er, wie aus dem Briefe hervorgeht, nach Norddeutschland, vielleicht sogar in unsere Nähe gewandert ist. Wenn Birkenhain den Ort genannt hätte, möchte ich dir raten, sofort dahin zu reisen und alles zu versuchen, Xenobi mit dir zurückzubringen; so aber würdest du dich nur wieder auf eine Irrfahrt begeben, von der du um eine schöne Hoffnung ärmer, verstimmt und krank heimkehrtest. Ich rate dir deshalb: Schreibe an Birkenhain und warte, ehe du etwas unternimmst, seine Antwort ab! Freilich kann und will ich dir nicht verhehlen, daß ich es, alles in allem für besser halte, du überlässest die Entwicklung dieses wunderbaren Verhältnisses vertrauensvoll der Zukunft. Xenobi hat tausend Mittel und Wege, dir zu entschlüpfen, wenn sie will; ihr Entschluß, zu uns zurückzukehren, oder uns Czika zu überlassen, muß das Werk ihres freien Willens sein.«

»Wenn du meinst, daß Abwarten in diesem Falle das beste ist, weshalb rätst du mir denn, das Gegenteil zu tun?«

»Weil ich fürchte, daß es dir unmöglich sein wird, ruhig stillzusitzen, nachdem du die Spur der Verlorenen wieder aufgefunden hast; weil ich weiß, daß du dich schmerzlich nach deinem Kinde sehnst, weil ich fühle, daß die Resignation, zu der du dich jetzt verurteilt hast, unnatürlich ist, und endlich –«

»Endlich?«

»Weil, wenn ich dir zurede, nichts zu tun, um Czika wiederzugewinnen, es den Anschein haben möchte, als wünschte ich dir ein solches Glück nicht, und ich möchte um alles nicht, daß auch nur der leiseste Verdacht einer solchen Lieblosigkeit auf mir haftete.«

»Das Menschenherz ist ein wunderlich Ding«, sagte Oldenburg, nachdem er seine Zimmerpromenade eine Zeitlang schweigend fortgesetzt hatte, »kannst du es glauben, Melitta, daß ich jetzt beinahe möchte, du zeigtest dich weniger bereit, mir mein Kind und das Weib, das es geboren, wiederzugeben?«

»Unmöglich, Adalbert!«

»Und doch ist es so. Ich habe mir vorgenommen, stets gegen dich so rückhaltslos wahr zu sein, wie ich es gegen mich selbst bin, mich wenigstens zu sein bemühe, und da kann ich dir auch dies nicht verschweigen. Früher, als du mir unerreichbar fern schienst wie die himmlischen Sterne, sehnte ich mich wohl nach anderen Menschenherzen, an ihnen zu erwarmen, an ihrem Schlage zu fühlen, daß es um mich her nicht tot sei wie in mir; oder ich stürzte mich in tolle Exzesse und halsbrechende Abenteuer, um doch wenigstens so zu irgendeinem Gefühl des Daseins zu kommen. Jetzt ist das mit einem Schlage anders geworden. Seitdem mir der leiseste Hoffnungsschimmer, du könntest doch noch dereinst mein Weib werden, aufgegangen ist, steht die Welt in ewiger Jugendschöne wieder vor mir da; aber nun möchte ich auch die Quelle, aus der ich mir diese Verjüngung getrunken habe, von aller Beimischung rein und ungetrübt erhalten. Wie du mir alles bist, so möchte ich, daß ich dir alles wäre; daß du kein anderes Verlangen hättest, als geliebt und immer mehr geliebt zu werden, wie ich kein anderes Verlangen habe, als dich zu lieben und immer mehr zu lieben. Was kümmert uns die andere Welt? Sie ist für mich versunken und vergessen.«

Melitta hatte gesenkten Hauptes diesen Sturm von Leidenschaft über sich hinrauschen lassen. Als Oldenburg schwieg, griff sie nach dem Tagebuche, das aufgeschlagen vor ihr auf dem Tische lag, wandte ein paar Blätter um und las:

»Der Mann strebt seiner Natur nach ins Allgemeine und Grenzenlose; bei der Frau, wie sie denn überhaupt der Natur nähersteht, ist der charakteristische Zug aller Kreatur, die Eigenliebe, viel schärfer ausgeprägt. Der Mann repräsentiert die Zentrifugal-, die Frau die Zentripetalkraft der moralischen Welt. Ginge es bloß nach jenen, so würde die Welt bald ein einziges großes Wolkenkuckucksheim sein; ginge es nur nach diesen, so erhöben wir uns niemals über die Spitzen der Halme, die über dem Lerchennest in der Ackerfurche nicken. Das Mittel, die beiden entgegengesetzten Pole zu binden, ist die Liebe. In der Liebe zu einem reizenden Weibe lernt der Mann, daß er nicht bloß Bürger im Reiche der Geister ist; in der Liebe zu einem edlen Manne lernt die Frau, daß es noch höhere Interessen gibt als die des häuslichen Herdes. Sie müssen sich also gegenseitig ergänzen; sie muß ihn daran erinnern, daß die Menschheit aus Menschen besteht; er sie die großen Worte der Neuzeit: Freiheit, Brüderlichkeit, an denen unsere begabtesten Frauen erst buchstabieren, fließend lesen lehren.«

Melitta klappte das Buch zu und blickte zu Oldenburg hinauf, der, die Arme über die Brust gekreuzt, in einiger Entfernung vor ihr stand.

»Du hattest recht«, sagte er, »mich nicht zum Apostaten meiner eigenen Überzeugungen werden zu lassen, und nur das eine möchte ich wissen, ob dein Bekehrungseifer ganz lauter ist, ob die Priesterin nicht bloß deshalb den Sünder so eifrig an die Gottheit weist, weil ihr die verlangenden Blicke, die er auf sie selbst richtet, lästig werden.«

»Oldenburg!«

»Ja, Melitta, es muß heraus, es drückt mir sonst das Herz ab. Du weißt, wie unsäglich, wie grenzenlos ich dich liebe. Der Wunsch, dich zu besitzen, ist allmächtig in mir; ich habe ihn so lange genährt, daß mein ganzes Wesen ihm zugeströmt ist, sich in ihm konzentriert hat. Ohne dich bin ich nichts, mit dir wage ich es gegen eine Welt in Waffen. Ich weiß es wohl, daß man das Gute um des Guten willen tun muß, und daß, wer einen Lohn begehrt, seinen Lohn dahin hat; aber ich bin kein Heiliger, ich bin ein Mensch mit menschlichen Schwächen und Leidenschaften, die ihm wie ein wildes Meer über dem Kopf zusammenschlagen, wenn nicht die liebe, geliebte Hand rettend seine ausgestreckte Hand ergreift. Melitta, sag, daß du die Meine sein willst, und meine Taten sollen nicht geringer sein als meine Worte.«

Oldenburg war auf demselben Platze, in derselben Stellung stehengeblieben. Wie in seiner Haltung, so lag in dem Ton seiner Stimme mehr Trotz als Bitte.

Melitta fühlte das wohl; aber sein Stolz beleidigte sie diesmal nicht, wie es doch schon so oft der Fall gewesen war. Sie antwortete in einem beinahe demütigen Tone:

»Laß uns nicht übereilt handeln, Adalbert! Wie lieb du mir bist, das weißt du, und das muß dir vorläufig genug sein. Sieh, Adalbert, dieser Brief kommt gerade recht, uns an unsere Pflichten zu erinnern. Du mußt dein Kind wiederhaben; ich würde keine Stunde meines Lebens wieder froh werden, müßte ich wirklich fürchten: die Liebe zu mir hätte in deinem edlen Herzen das heiligste Gefühl erstickt. Und Adalbert, bedenke auch dies! ich glaube es gern: Du liebst das arme Weib nicht mehr, das einst die Leidenschaft des Jünglings entflammt hat; aber sie ist die Mutter deines Kindes! Was willst du zu deiner Czika sagen, wenn sie dich dereinst fragt, warum denn eine andere als das arme Weib, das sie Mutter nennt, die Gattin ihres Vaters ist?«

»Wo hast du Oswald Stein, seitdem du ihn in Fichtenau gesprochen, zum letzten Mal getroffen?«

Oldenburg sprach diese wenigen Worte langsam und mit schneidender Schärfe.

Melitta wurde dunkelrot.

»Wer sagt dir, daß ich ihn überhaupt in Fichtenau gesehen habe?«

»Ich dachte es mir nur. Vielleicht, daß du mir diese Begegnung verschwiegen hast wie jene andere.«

»Und wenn ich ihn nun in Fichtenau gesehen hätte?«

»So wäre das gerade, was ich erwartet habe.«

»Und wenn ich ihn nun seitdem wiedergesehen hätte?«

»So bewiese mir das, daß mein Hierherkommen für mich ebenso unschicklich wie für dich unbequem ist.«

Oldenburg ging quer durch das Zimmer und nahm von dem Tischchen vor dem Spiegel Reitpeitsche und Handschuhe. Als er wieder vor Melitta vorüberkam, blieb er stehen und sagte: »Gute Nacht, Melitta.« – »Gute Nacht«, erwiderte die junge Frau, ohne die Augen aufzuschlagen. Er wartete einen Augenblick und noch einen, ob sie ihn ansehen, ob sie nicht noch ein Wort sagen werde, aber er wartete vergeblich. Kein Wort, kein Seufzer entrang sich seiner gepreßten Brust; er ging nach der Tür, öffnete sie leise und schloß sie ebenso geräuschlos wieder.

Melitta fuhr in die Höhe. Sie eilte nach der Tür; aber, anstatt sie zu öffnen, lehnte sie sich nur mit hocherhobenen Armen daran und brach in leidenschaftliches Weinen aus. »Ich wußte es ja, daß es so kommen würde«, murmelte sie. »Armer, armer Adalbert.«

Plötzlich ertönte Hufschlag dicht vor dem Fenster. Sie eilte von der Tür nach dem Fenster und riß es auf, lehnte sich weit hinaus und rief: »Adalbert, Adalbert!« aber der Sturm, der ihr die eisigen Schneeflocken ins Gesicht schlug, verwehte ihre Stimme, und der schwarze Schatten von Roß und Reiter, der noch eben über die weiße Fläche durch die graue Nacht lautlos dahinglitt, war im nächsten Augenblick verschwunden.


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