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Vierzigstes Kapitel

Es war heute abend kaum noch ein Platz zu haben in den vier oder fünf großen Räumen, aus dem der »Dustre Keller« bestand. Elise, Berta und Pauline, die Schenkmädchen, hatten zu tun, wenn sie jedem durstigen Gast das gefüllte Seidel bringen und bei jedem sich wenigstens doch so lange aufhalten wollten, bis er Zeit gehabt, ihnen in die Wangen zu kneipen oder mindestens ein verbindliches Wort zu sagen.

Die Wirtin des Kellers hatte eben ihren Platz hinter dem Büfett verlassen, um die Runde durch den Keller zu machen, hier einem Bekannten vertraulich auf die Schulter zu klopfen, dort einen Fremden willkommen zu heißen, hier ein enthusiastisches Lob über die Trefflichkeit des Biers huldvoll entgegenzunehmen, dort einen etwaigen Tadel dadurch zu entkräften, daß sie das Glas des Klägers an den Mund führte und daraus einen Schluck tat, der für einen durstigen Weidmann eben recht gewesen wäre.

So war sie denn jetzt auch an ein paar Männer herangetreten, die in einer Ecke allein an einem kleinen Tische saßen und, die Köpfe zusammensteckend, sich im Flüsterton mit einem Eifer unterhielten, der deutlich genug bewies, daß der Gegenstand ihres Gespräches für sie von ungewöhnlichem Interesse war.

»Nun, Schmenckelchen, wie geht's?« sagte Frau Rosalie, die fette Hand auf die breite Schulter des starken Herrn im Sammetrock legend, »mir deucht, Ihr seht ein wenig echauffiert aus. Trinkt nur nicht zuviel, damit Ihr hernach Eure Kunststücke ordentlich macht. Ihr habt heute ein großes Publikum.«

»Ich fürcht', ich werd' heute Abend nichts Gescheites mehr zusammenbringen«, sagte der Direktor, dessen aufgedunsenes Gesicht sehr stark gerötet war, mit lallender Zunge.

»Aber, Schmenckel, Ihr habt es ja versprochen!« erwiderte Frau Rosalie, und ihre Augen blickten nichts weniger als freundlich. »Eine Liebe, wißt Ihr, ist der andern wert.«

»Mein Freund Schmenckel besinnt sich noch, verehrte Frau!« sagte der Begleiter des Direktors. »Er ist für den Augenblick nur etwas angegriffen von einem Renkontre, das wir vor einer Stunde Unter den Linden gehabt haben. Übrigens freue ich mich ganz ausnehmend, verehrte Frau, daß ich durch Herrn Schmenckel Ihre neue Adresse erfahren habe; ich habe Sie nach Ihrer alten seit zwei Tagen in der ganzen Stadt vergeblich gesucht.«

Frau Rosalie Pape warf einen prüfenden Blick auf den Sprecher. Es lag in seiner ganzen Erscheinung und in seiner Art zu sprechen ein Etwas, wodurch sie sich angenehm berührt fühlte.

»Mit wem habe ich das Vergnügen?« fragte sie.

»Ganz auf meiner Seite! Wollen Sie uns nicht für einen Augenblick die Ehre Ihrer Gesellschaft gönnen?« sagte der junge Mann, Frau Rosalien den noch unbesetzten Stuhl am Tische präsentierend. »Mein Name ist Albert Timm – aus Sundin –, ich habe einen Empfehlungsbrief an Sie von einem alten Freunde, der Sie bestens grüßen läßt. Darf ich mir erlauben, dieses Dokument in Ihre schönen Hände zu legen?« und Herr Timm überreichte der Frau einen unversiegelten Brief, den er aus einer sehr schäbigen Brieftasche genommen hatte.

Frau Rosalie schien über diese Mitteilung ein wenig betreten. Sie warf abermals einen noch schärfer prüfenden Blick auf den Fremden, entfaltete den Brief, wandte sich, so daß das Licht der Gasflamme darauf fiel und las:

Liebe Rosalie, Überbringer dieses ist ein sehr guter Freund von mir, dem Du unbedingt vertrauen kannst. Er wird Dir in Beziehung auf die *witzer Geschichte eine Mitteilung machen, daß Dir die Augen übergehen werden. Wenn Du und Jeremias ihm beistehen wollt, zweifle ich nicht, daß wir einem gewissen Erben zu seiner Erbschaft und uns zu einem Profit verhelfen können, der sich gewaschen hat. Adies! Es mag Dir immerhin wohl gehen, aber auch Deinem, Dich noch immer zärtlich liebenden T. G.

»Sie kennen die Hand?« fragte Herr Timm. als die Frau, nachdem sie den Brief zweimal sorgfältig gelesen, und dann nicht minder sorgfältig zusammengefaltet und in die Tasche gesteckt hatte, jetzt mit einem mißtrauischen Blick zu ihm aufschaute.

»Die Hand kommt mir allerdings bekannt vor«, erwiderte sie.

»Vorläufig die Hauptsache. Das übrige will ich Ihnen zur gelegenen Zeit schon sagen. Ich hoffe, daß Sie mir noch heute abend das Vergnügen und die Ehre einer vertraulichen Unterhaltung gewähren. Ich bin überzeugt, daß wir vor morgen früh die besten Freunde sind.«

Die Zuversicht und Bestimmtheit in dem Auftreten des jungen Mannes imponierte Frau Rosalie entschieden. Sie erwiderte den vertraulichen Druck von Alberts Hand und erhob sich, da gerade in diesem Augenblick eines der Mädchen des »Dustern Kellers« herantrat, zu melden, daß man am Büfett nach der Gebieterin verlange.

Albert wandte sich zu Schmenckel, der in seine Gedanken so vertieft war, daß er der Unterredung zwischen seinem Freunde sind Frau Rosalie wenig oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, und sagte, die abgebrochene Unterhaltung wieder aufnehmend:

»Ich begreife nicht, wie Sie auch nur einen Augenblick zweifeln können. Ich sage Ihnen, wie ihr euch so einander gegenüberstandet, fiel mir die Ähnlichkeit auf, obgleich ich in dem Augenblicke wahrhaftig nicht viel Zeit hatte, lange Beobachtungen zu machen. Ich gebe zu, der Zufall ist ganz wunderbar, der euch nach so vielen Jahren zum ersten Male, ohne daß ihr von eurer gegenseitigem hochverehrlichen Existenz auch nur eine Ahnung habt, an diesem Orte und zu dieser Stunde zusammenbringt; aber was ist's denn weiter? Ich habe allen Respekt vor dem Zufall, denn er hat mir schon oft im Leben aus der Patsche geholfen, wenn's mit allem Verstand der Verständigen Matthäi zum letzten war. Und dieser Zufall ist zu famos, als daß er nicht etwas mehr als bloßer Zufall sein sollte. Und was ist's denn schließlich so Wunderbares? Sie sind vor zweiundzwanzig Jahren der Galan eines wollüstigen Weibes. Der Gemahl ist während der ganzen Zeit verreist und kommt nur nach Hause, um nachzusehen, wie groß die Hörner sind, die seine treue Gattin für ihn in Bereitschaft hat, und sich nebenbei von dem Galan zum Fenster hinauswerfen zu lassen. Die Dame hat in ihrer Ehe nur ein Kind gehabt und dieses einzigen Kindes Alter stimmt auf ein Haar. Sie sind, sagen Sie, im Herbst Achtzehnhundertfünfundzwanzig in Petersburg gewesen, und der Fürst ist im Juni sechsundzwanzig geboren.« –

»Woher wissen Sie denn das aber?« fragte Herr Schmenckel und kraute sich ungläubig den dicken Kopf.

»Ich sage Ihnen, Mann, daß ich es weiß. Das kann Ihnen doch genug sein. Und gesetzten Falls, der Bursche wäre Ihr Sohn nicht, so –«

»Aber warum sollt' er denn nicht mein Sohn sein?« rief Herr Schmenckel und schlug mit seiner schweren Faust auf den Tisch. »Seh ich aus, als ob ich dazu nicht imstande wäre?«

Albert nahm die Brille ab, wischte die Gläser rein, setzte sie sich wieder auf, schaute lachend in des Seiltänzers hochgerötetes Gesicht und sagte gemütlich:

»Hört mal, Alter, Ihr seid der närrischste Kauz, der mir in meinem Leben begegnet ist. Erst spreche ich mich vergeblich heiser, um Euch zu beweisen, daß Ihr der Vater von diesem hoffnungsvollen Jüngling seid, und bei der bloßen Annahme, Ihr wäret es nicht, werdet Ihr grob und prügelt mich am Ende noch durch. Ich wollte aber nur dies sagen: gesetzten Falls, der Bursche ist nicht Euer Sohn, so kommt darauf auch nicht so viel an. Wir wollen vorläufig einmal auf den Busch klopfen, vorläufig einmal anfragen, ob sich die gnädige Frau Fürstin noch eines gewissen Herbstes in Petersburg erinnert und so weiter, und so weiter – ich setze meinen Kopf gegen einen hohlen Kürbis –, wir jagen sie ins Bockshorn, daß ihnen die Rubel nur so aus den Ärmeln fallen.«

»Aber werden Sie uns nicht die Polizei auf den Hals schicken?« meinte Herr Schmenckel, den Kopf schüttelnd.

»Pah! Sie werden froh sein, wenn sich kein Dritter hineinmischt! Es gibt für Leute wie wir keinen besseren Bundesgenossen als so ein schlechtes Gewissen – ich sage Ihnen, ich habe Erfahrungen in diesem Fach.«

Herr Schmenckel dachte über den verzwickten Fall so tief nach, daß ihm der Kopf glühte. Plötzlich kam ihm ein Gedanke, der, wenn auch nicht Licht in die rätselhafte Angelegenheit, so doch in den Charakter seines neuen Freundes werfen konnte.

»Aber«, sagte er, »was habt denn nur Ihr eigentlich für ein Interesse an der ganzen Geschichte?«

»Pfui, Herr Direktor«, antwortete Albert mit großer Indignation, »eine solche Frage hätte ich Ihnen nicht zugetraut! Haben Sie mich nicht aus den Klauen der Soldaten gerettet? Wäscht eine Hand nicht die andere? Gibt's auf der Welt nicht ein solches Ding wie Dankbarkeit? Wenn Sie partout ein armer Teufel bleiben und auf den Jahrmärkten herumziehen wollen, während Sie eine anständige Pension von einigen tausend Rubeln jährlich in Ihrem eigenen Hause verzehren und in Ihrer eigenen Equipage fahren können – mir ist es recht! Verzeihen Sie, daß ich Sie mit diesen Dingen behelligt habe, und lassen Sie uns von etwas anderem sprechen.«

»Aber so nehmen Sie doch Vernunft an«, rief Schmenckel ängstlich, »es fällt mir ja gar nicht ein, es Ihnen irgendwie übelzunehmen, daß Sie mich partout zu dem Vater von einem Fürsten machen wollen. Aber daß ich einen so vornehmen Sohn hab und gleich das erste Mal, daß ich ihn erschau', sollt' durchgewamst haben, das ist doch dann so erstaunlich, wenn Kaspar Schmenckeln das andere erzählen täten, er glaubt's nimmer.«

»Ich sehe nicht ein«, sagte Albert, »weshalb das erstaunlicher ist, als daß ich von den Tausenden in der Volksversammlung ganz zufälligerweise Eure Bekanntschaft mache, daß wir unter tausend Offizieren gerade dem Fürsten in den Weg laufen, ich ihn ganz zufälligerweise von früher her kenne, seinen Namen weiß, Ihnen den Namen nenne und Sie an den Namen eine Reminiszenz aus Ihrem Wanderleben knüpfen, die uns zu einer so unbezahlbaren Entdeckung verhilft. Ich kann Sie versichern, daß ich im Anfang fast ebenso erstaunt gewesen bin wie Sie, aber dergleichen dauert bei mir, Gott sei Dank, nicht lange.«

Albert warf sich in seinen Stuhl zurück und stocherte sich die Zähne. Schmenckel betrachtete mit unendlicher Verwunderung, in die sich eine Art von Grauen mischte, den Mann, der sich selbst durch eine so außerordentliche Begebenheit nicht aus der Fassung bringen ließ.

Es war mehrere Stunden später. In dem »Dustern Keller«, in dem es heute nacht sehr lebhaft zugegangen, waren nur noch wenige Gäste hier und da zerstreut, kleine Gruppen von drei und vier Personen – Leute von zum Teil wunderlichem Aussehen, Männer in schäbiger, manchmal phantastischer Kleidung mit verwüsteten, interessanten Gesichtern.

Doch auch diese Gruppen lösten sich allmählich auf; eine Flamme nach der andern wurde von den armen Mädchen ausgelöscht, die schon seit einer Stunde hier und da in den Ecken, mit den hübschen Köpfen auf den runden Armen, geschlafen hatten, und zuletzt war niemand mehr da als Herr Schmenckel, der auf einem der Sofas schnarchte, und zwei andere Herren, welche mit der Wirtin des Lokals an einem runden Tischchen bei einer Flasche Champagner saßen. Der eine dieser Herren war Albert Timm, der andere ein Mann in mittleren Jahren, der erst vor einer Stunde etwa gekommen und von Frau Rosalie Herrn Timm als der Bruder seines Sundiner Wirtes, Herr Jeremias Gutherz, vorgestellt worden war, und den Albert seiner Kleidung und seinem ganzen Aussehen nach für einen kleinen Bürger in nicht unebenen Verhältnissen gehalten haben würde, für einen Gewürzkrämer vielleicht oder Tabakshändler, wenn nicht in den schmalen, von dichten Brauen überschatteten Augen ein Etwas gelegen hätte, das anzudeuten schien: die Beschäftigung des Herrn sei keine ganz so harmlose, zum mindesten nicht immer eine so harmlose gewesen.

Die drei Personen hatten eine sehr eifrige Unterredung geführt, deren Resultat Albert jetzt zusammenfaßte.

»Es handelt sich also um zweierlei«, sagte er, »einmal, uns einen Einblick in die Taufregister der St. Marienkirche, oder noch besser, eine vidimierte Abschrift des Taufzeugnisses zu verschaffen, zweitens um die Auffindung der Hauptperson in dieser Komödie, ich meine des Herrn Oswald Stein.«

»Woraus wissen Sie denn aber, daß er sich hierher wenden wird?« fragte der Mann mit den seltsamen Augen.

»Ich vermute es nur. Er schrieb mir vor acht Tagen aus Paris: er könne sich dort nicht mehr halten und müsse suchen, der Heimat näher zu kommen, solange er die Reise noch bezahlen könne. Mir scheint es unzweifelhaft, daß er sich hierher gewandt hat oder wenden wird, wo er, wie ich von ihm selbst weiß, schon als Student literarische Verbindungen der verschiedensten Art angeknüpft hatte und deshalb noch am leichtesten hoffen darf, für sich und seine Holde Subsistenzmittel herbeizuschaffen. Nur glaube ich nicht, daß er unter seinem wahren Namen auftreten wird, um sich nicht etwaigen unangenehmen Begegnungen mit den Verwandten der Frau von Cloten auszusetzen, die ihm, wie ich weiß, überall nachspüren und ihn hier sicher sehr bald entdecken würden.«

»Die Erledigung dieses Punktes überlassen Sie meinem Freunde hier«, sagte Frau Rosalie, dem Herrn mit den sonderbaren Augen die Hand vertraulich auf den Kopf legend, »und nun, Ihr Herren, glaube ich, ist es Zeit, daß wir uns trennen. Morgen ist auch wieder ein Tag. – Ja, aber was fangen wir denn mit dem Kerl da auf dem Sofa an, der heute für zwölf getrunken hat?«

»Wir werden ihn nach Hause bringen müssen, wenn Sie, schöne Frau, nicht ein Plätzchen für ihn in Bereitschaft haben« – erwiderte Albert mit einem bezeichnenden Blick.

»Sie Schäker!« sagte die Dame, Albert in die Wangen kneipend, »ich werde Ihnen das lose Maul stopfen.«

»Aber hoffentlich doch nur mit einem Kusse!«

»Sie loser Vogel!« rief die Frau und schien nicht übel Lust zu haben, das Mittel in Anwendung zu bringen.

Albert wandte sich plötzlich zu Herrn Schmenckel und fing an, ihn erst schwächer, dann stärker und zuletzt aus allen Leibeskräften zu schütteln.

»Uff«, lallte der Riese im Schlaf, »laßt mich los, ich will schon mit dem Bub fertig werden.«

»Was will er?« sagte der Herr mit den sonderbaren Augen.

»Oh, er schwatzt im Schlaf«, sagte Albert, »geben Sie mir einmal ein Glas Wasser, Elischen, ich glaube, das wird ihn am ersten zu sich bringen.«

Endlich stand der Koloß aufrecht da, und man gelangte, wenn auch nicht ohne einige Mühe, die Kellertreppe hinauf auf die Straße.

Die Nacht war sehr finster, kein Stern am Himmel sichtbar. Der Wind wehte in klagenden Stößen durch die öden Gassen und drohte die flackernden Gaslichter ebenfalls auszulöschen. Herr Schmenckel kam in der frischen Luft wenigstens so weit zu sich, daß er seine Begleiter zärtlich umarmte, ihnen ewige Freundschaft schwor und jedem hunderttausend Silberrubel versprach, sobald es sich als sicher herausgestellt, daß der Fürst Waldernberg, den er heut' Unter den Linden durchgeprügelt, wirklich sein Sohn sei. So kamen sie an das Haus und schließlich auch in das Stübchen des Hintergebäudes, in dem Herr Schmenckel seine Wohnung aufgeschlagen. Der Riese taumelte auf sein dürftiges Lager; und seine beiden Begleiter entfernten sich, nachdem Herr Jeremias mit einer Blendlaterne, die er zu Timms nicht geringer Verwunderung aus der Tasche zog, in alle Winkel des Zimmers geleuchtet, wo sonderbare Gerätschaften: eiserne Kugeln, Reifen von Messing, Stangen und Stäbe von allen Sorten, Trommeln und Trompeten und Flitterkram jeder Art in wüster Unordnung aufeinander geschichtet waren.

»Nun müssen Sie das Maß Ihrer Güte vollmachen«, sagte Timm, als sie wieder auf der Straße standen, »und mir sagen, wie ich nach Hause komme. Ich wohne –«

»Weißes Roß in der Falkenstraße Nr. 43, nach hinten«, unterbrach ihn Herr Jeremias Gutherz, indem er seine Laterne verschloß und in die Tasche steckte.

»Sind Sie des Teufels?« rief Herr Timm, unwillkürlich einen Schritt zurücktretend. »Wie können Sie meine Wohnung wissen, die ich hier noch niemand gesagt habe?«

»Glauben Sie, daß ein so bedeutender Redner der Volksversammlung unter den Zelten uns lange unbekannt bleiben kann?« sagte der Mann mit der Blendlaterne.

»Uns? Wer ist uns?« fragte Timm.

»Das kann Ihnen gleich sein. Jedenfalls möchte ich Ihnen den Rat geben, Ihre Redeübungen lieber innerhalb Ihrer vier Pfähle zu halten, schon unserer Angelegenheit wegen, die arg ins Stocken geraten möchte, wenn Sie eingesteckt würden.«

»Pah«, sagte Timm, »glauben Sie denn, daß mir etwas an dem Ruhm eines politischen Märtyrers liegt? Ich habe den Leuten eine Rede gehalten, weil ich überhaupt gern rede, und zweitens, weil ich mich über die Spatzenköpfe ärgerte.«

»Desto besser«, sagte der andere trocken.

Timm warf, indem sie eben jetzt unter einer Gaslaterne hinschritten, einen Blick auf seinen Begleiter, und der rätselhafte Ausdruck der Augen des Mannes und die Blendlaterne und das »Uns« wurde ihm plötzlich klar.

»Entschuldigen Sie, Herr Gutherz«, sagte er, »ich glaube von Ihrem Herrn Bruder gehört zu haben, daß Sie ein sehr geschätztes Mitglied der geheimen Polizei sind.«

Der Mann mit den sonderbaren Augen lächelte:

»Ihr seid ein schlauer Fuchs!« sagte er. »Und habt eine feine Nase. Mein Bruder hat's Euch nun freilich nicht gesagt, denn er weiß nichts davon, und Rosalie auch nicht, denn die weiß es freilich, hat aber ihre Gründe, reinen Mund zu halten; also –«

»Wird's mir wohl der Teufel gesagt haben«, unterbrach ihn Timm, dem diese gelungene Probe seines Scharfsinns die alte Sicherheit wiedergegeben hatte. »Ich glaube, ich hätte es in Eurem Fache weit bringen können.«

»Das käme vielleicht nur auf Sie an.«

»Wieso?«

Der Mann mit den seltsamen Augen antwortete auf diese Frage nicht, sondern sagte, als sie jetzt an einer Ecke angekommen waren:

»Das ist Ihre Straße. Ich komme heute vormittag um elf Uhr zu Ihnen. Da wollen wir denn die Angelegenheit weiter besprechen.

Die Männer trennten sich. Ihr Fußtritt verhallte in den einsamen Straßen, während über die hohen Dächer schon das graue Morgenlicht herüberlugte.


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