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Vierzehntes Kapitel

Um dieselbe Zeit, als im Hotel Grenwitz diese Verhandlung stattfand, wanderte vor einem großen Hause in einer der Vorstädte Sundins ein junger Mann mit jener Ungeduld auf und ab, die das Herz eines rechtschaffenen Liebhabers erfüllt, der an einem kühlen Herbstabend in dichtem Nebelgeriesel auf die Dame seines Herzens wartet, die er »Schlag sieben Uhr – aber komm ja pünktlich!« aus einem Kränzchen abholen sollte und um halb acht noch immer in lebhaftester Konversation an dem hellerleuchteten Fenster hinter der weißen Gardine sitzen sieht, oder sitzen zu sehen glaubt.

»Daß doch selbst die gescheitesten Frauen eine so äußerst vage Vorstellung von der Zeit haben«, murmelte der junge Mann, seine Uhr hervorziehend und bei dem spärlichen Lichte einer glimmenden Zigarre die Zeit ablesend, »es ist ein psychologisches Faktum, das ich nächstens in einer eigenen Monographie behandeln werde.«

Er warf das Zigarrenende fort, das ihm den Schnurrbart zu versengen drohte, und schaute zu dem erleuchteten Fenster empor.

Gott sei Dank! man bricht auf! Dunkle Schatten schweben an den Gardinen hin und her! Jetzt nur noch den Mantel umgebunden, den Hut aufgesetzt, einen Abschiedskuß – dann noch eine kurze Konversation von zehn Minuten über den Ort des nächsten Kränzchens – sodann noch einen Abschiedskuß – das Fenster wird dunkler, in dem Hausflur wird es heller – jetzt noch eine Schlußdebatte auf der letzten Treppenstufe – enfin! –

»Kommst du endlich, Kleine?« sagte Doktor Braun, die schlanke Mädchengestalt, die aus dem Hause getreten und leichten Schrittes durch den kleinen Garten, der das Haus von der Straße trennt, geeilt war, an der eisernen Gitterpforte in Empfang nehmend.

»Armer Franz, du hast doch nicht schon gewartet?« antwortete das Mädchen, sich zärtlich in den Arm ihres Bräutigams schmiegend.

»Oh, nicht doch, kaum der Rede wert, eine halbe Stunde etwa.«

»Ich wußte wirklich nicht, wie spät es war. Die Zeit ist mir so schnell vergangen, trotzdem das Kränzchen heute nur aus zwei Personen bestand. Rate: aus welchen?«

»Aus dir vielleicht?«

»Sehr weise! Und weiter?«

»Helene Grenwitz?«

»Richtig! Sie läßt dich schönstens grüßen. Denke dir, sie wird nun doch wohl bei der Bärin bleiben, trotzdem ihre Eltern den Winter über in der Stadt wohnen werden und, ich glaube, heute schon angekommen sind. Das wird einmal wieder etwas zu klatschen geben. Die arme Helene tut mir von Herzen leid.«

»Weshalb?«

»Wie du fragst! Ist es nicht schon schlimm genug, daß die ganze Stadt es merkwürdig findet, daß ein Mädchen von sechzehn – nein sechzehn und einem halben Jahr – noch einmal in Pension geschickt wird, nachdem sie kaum vier Wochen zu Hause gewesen ist? Und solange Grenwitzens nicht in der Stadt wohnten, ließ es sich zur Not erklären, aber jetzt – ich finde es ganz abscheulich. Die Leute müssen ja wer weiß was von ihr denken, und man kann es ihnen sogar nicht übelnehmen, wenn sie Helenen mit dem Duell zwischen ihrem Vetter und deinem liebenswürdigen Freund Stein in Verbindung bringen.«

»Und was sagt Fräulein Helene?«

»Nichts; du kennst sie ja. Sie spricht nie von Familienangelegenheiten; höchstens, daß sie einmal ihres alten Vaters erwähnt, den sie sehr zu lieben scheint. Sie ist still und ernst, aber nicht eigentlich traurig.«

»Ich glaube, sie ist viel zu stolz, als daß sie wirklich traurig sein könnte.«

»Wie das?«

»Trauer ist eine passive Stimmung, die Stimmung jemandes, der einsieht, daß er gegen das Geschick nicht ankämpfen kann und sich wohl oder übel zum Dulden bequemt. Es gibt aber Charaktere, die sich wehren, solange es geht, und wenn es nicht mehr geht, nicht die Waffen in demütiger Ergebung strecken, sondern sie zerbrechen und dem Sieger trotzig vor die Füße werfen.« Sophie schmiegte sich inniger an den Geliebten und sagte nach einer Pause:

»Ich gehöre nicht zu den Charakteren, Franz. Ich bin nicht zu stolz, um traurig zu sein; ich bin in dieser letzten Zeit oft recht traurig gewesen. Ich war es schon, als du mit Herrn Stein abgereist warst, trotzdem ich doch damals eigentlich gar keine Ursache dazu hatte. Und nun gar neulich, als Vater krank wurde und ich an seinem Bette saß und meine größte Angst nächst der, Vater könnte sterben, die war, daß du meinen Brief nicht erhalten hättest, und dich immer weiter und weiter von mir entferntest, während mein Herz vor Sehnsucht nach dir fast zerbrach. Du bist doch, ehe du mich abholtest, noch einmal da gewesen?«

»Natürlich. Es geht besser. Ich bat ihn, sich wieder niederzulegen; aber er bestand darauf, bis zu unserer Zurückkunft aufzubleiben.«

»Und ich habe so viel Zeit verplaudert! Laß uns schneller gehen!«

»Es kommt nun auf ein paar Minuten mehr oder weniger nicht an; und überdies möchte ich gern definitiv mit dir über unsere Zukunft sprechen. Wir müssen endlich einmal aus diesem Provisorium heraus, das weder Gott – ich meine der Natur – noch den Menschen angenehm ist und mit jedem Tag lästiger wird. Ein unverheirateter Mann ist ein Fisch; aber ein Bräutigam ist weder Fisch noch Fleisch. Wenn zwei Menschen durch die Liebe Mann und Weib sind in ihrem eigenen Herzen und Gewissen, so sollen sie es auch vor den Menschen sein, können anders die äußeren Bedingungen der Ehe erfüllt werden. Das ist aber bei uns der Fall. Wir haben genug zum Leben und mehr brauchen wir vorläufig nicht; das andere findet sich. Summa summarum: Wollen wir unsere Hochzeit auf heute über vier Wochen festsetzen?«

»Aber Franz, ich bin noch nicht zur Hälfte mit meiner Aussteuer fertig!«

»So heiraten wir mit der halben Aussteuer.«

»Und was wird der Vater dazu sagen; du weißt, wie unsäglich schwer es ihm wird, mich von sich zu lassen; und soll ich gerade jetzt dies Opfer von ihm fordern, wo er meiner mehr als je bedarf? Ich habe nicht den Mut, ihm den Vorschlag zu machen.«

»Aber ich habe ihn; dein Vater weiß, daß ich nicht weniger aufrichtig als er selbst dein Bestes will; und er ist viel zu verständig, um nicht einzusehen, daß es so bei weitem am besten ist. Komm, mein Mädchen, lasse den Kopf nicht hängen. Heute über vier Wochen sind wir Mann und Frau.«

»Ach, Franz, ich wollte, wir wären es erst. Aber ich fürchte, ich fürchte; der Himmel meint es nicht so gut mit uns!«

»Warum nicht? Er meint es gut mit allen, die den Mut haben, ihr Glück zu wollen. Denn, wie sagt der Dichter: In unsrer Brust sind unsres Schicksals Sterne.«

Die Eile, zu welcher Franz drängte, hatte in der Krankheit von Sophies Vater einen sehr triftigen Grund. Franz wußte als Arzt am besten, daß das Leben des vortrefflichen Mannes nur noch an einem schwachen Faden hing. Er hatte sich von dem Schlaganfall, der ihn vor nun ungefähr vierzehn Tagen betroffen, allerdings sehr schnell erholt; aber mehrere böse Symptome verkündeten, daß ein zweiter und dann, bei der nervösen, überaus fein organisierten Natur des Mannes, vielleicht tödlicher Anfall möglich, ja sogar wahrscheinlich sei. Starb aber der Vater, bevor die Verbindung zwischen seiner Tochter und Franz zustande gekommen war, so wäre das arme Mädchen, dessen Mutter schon lange in der Erde ruhte, und das weder Geschwister noch sonstige Verwandte hatte, in eine sehr kritische Lage gekommen. Denn, daß unter diesen Umständen das Haus des Mannes, den sie liebte, ihre einzige Heimat sei, würde die Welt nicht haben begreifen können.

Heute zum ersten Male war der Geheimrat auf ein paar Stunden wieder aufgestanden und hatte sich in einem Lehnstuhle aus seinem Schlafzimmer vor den Kamin des Wohnzimmers rollen lassen. Er hatte darauf bestanden, daß seine Tochter, die seit dem Beginn seiner Krankheit sein Lager kaum verlassen halte, in ihr Kränzchen ging; er hatte seinen Schwiegersohn, der interimistisch seine Praxis übernommen hatte und der gegen Abend ihn zu besuchen kam, nach wenigen Minuten wieder weggeschickt: Er wollte allein sein; er wollte die erste Stunde, wo er den fürchterlichen Druck auf seinem Gehirn geringer fühlte, zum Nachdenken über seine Situation benutzen. Er würde eine so schädliche Aufregung freilich als Arzt einem Patienten streng verboten haben; aber jetzt war er Arzt und Kranker zugleich und konnte an sich selbst erfahren, daß der Arzt gar manches fordern kann, was der Kranke beim besten Willen zu leisten nicht imstande ist.

Und wohl mochte es dem Geheimrat schwer werden, die graue Schattengestalt der Sorge zu verscheuchen, die sich, je dunkler es im Zimmer wurde, immer dichter und dichter an ihn herandrängte. Wie schlimm es in physischer Hinsicht um ihn stand, konnte ihm, der wer weiß wie viel ähnliche Fälle beobachtet und wieder beobachtet hatte, am wenigstens verborgen sein. Er wußte nur zu wohl, daß er von nun an geistig und körperlich ein Krüppel sein und bleiben werde, daß er nur noch das Gnadenbrot des Lebens esse, daß der Tod jeden Augenblick die verfallene Schuld einkassieren könne. Und doch war dies, sosehr er auch am Leben hing, sein geringster Kummer. Der Arzt sträubte sich nicht gegen das allgewaltige Geschick, dem er mit aller Kunst noch keinen hatte entreißen können; der Schüler Epikurs wußte, daß Wonnen und Schmerzen, Freuden und Leiden in dem Gewebe unserer Existenz untrennbar vereinigt sind. Aber, was ihm das Herz unsäglich schwer machte, war der Gedanke, daß es ihm nun unmöglich sein würde, seine zerrütteten Vermögensverhältnisse zu ordnen, daß er als ein Bankrotteur aus dem Leben gehen, daß er seine Gläubiger durch seinen Tod um ihr Eigentum betrügen würde.

Der Unglückliche seufzte, während er das tiefgebeugte Haupt in den Händen verbarg.

Und seine Tochter, seine geliebte Tochter! Wo war die Hoffnung geblieben, sie einst mit einem Vermögen ausstatten zu können, das die gemeinen Sorgen des Lebens auf immer von der Verwöhnten, Verzärtelten fernhalten sollte, ihr die Mittel gewähren sollte, immerdar eine behagliche Existenz zu führen, wie sie sich für die feinbesaitete Natur des jungen Mädchens einzig zu ziemen schien? Jetzt konnte er ihr nicht nur kein Vermögen – nein, nicht einmal einen ehrlichen, fleckenlosen Namen hinterlassen!

Sie hatte keine Ahnung von der mißlichen pekuniären Lage ihres Vaters. Er hatte nie den Mut gehabt, ihr kindliches Gemüt mit Sorgen zu verdüstern, die er von sich selbst, solange es ging, fernhielt. Sie nahm mit Sicherheit an, daß ihr Vater, wenn nicht ein reicher, so doch vermögender Mann sei, daß sie sich den bescheidenen Luxus, mit dem sie sich umgab, unbedenklich gestatten könnte.

Und war sie die einzige, die sich in diesem Wahne befand, die er aus Scheu vor peinlichen Auseinandersetzungen in diesem Wahne gelassen hatte? Dachten seine Freunde nicht ebenso? Vor allem der jüngste und liebste seiner Freunde, der Mann, der das Herz seiner Tochter gewonnen hatte und dem er selbst mit herzlicher, freundschaftlicher, väterlicher Liebe zugetan war, der durch sein biederes, edles Wesen, durch seinen Geist und seine Güte diese Liebe, diese Freundschaft im reichsten Maße verdiente? Was würde er sagen, was würde er tun, wenn er erführe, was er über kurz oder lang doch einmal erfahren mußte; ja, was ihm der Vater seiner Braut, wenn er nicht allen Ansprüchen auf den Namen eines ehrlichen Mannes entsagen wollte, unter diesen Umständen ohne allen Verzug mitzuteilen gezwungen war?

Der Geheimrat drückte sein Gesicht fester in die zitternden Hände und stöhnte laut wie ein von grausamen Qualen Gefolterter.

Und plötzlich fühlte er sich von weichen Armen sanft umschlungen, und eine Mädchenstimme rief ängstlich: »Vater, liebes Väterchen, du bist gewiß wieder recht krank!« und die freundliche, feste Stimme eines Mannes, der eine seiner Hände ergriffen hatte, um nach dem Puls zu fühlen, sagte: »Sie sind zu lange aufgeblieben, Papa! Wir müssen machen, daß wir wieder ins Bett kommen.«

Wie ein erquickender Regen auf eine sonneversengte Pflanze, so fielen diese Stimmen, diese Worte lind und labend in das Herz des armen, an Leib und Seele kranken Mannes. Er legte seine Arme um den schlanken Leib des Kindes und zog es an sein Herz in langer, stummer Umarmung. Er hätte weinen können, wenn er sich nicht geschämt hätte. Sophie fragte wieder und wieder, ob er sich kränker fühle; Franz, der nach Licht geklingelt hatte, bat immer dringender, er möge nicht durch längeres Aufbleiben das mühsam Gewonnene wieder aufs Spiel setzen. Der Geheimrat wollte nichts von Zubettgehen hören; er fühle sich in dem Lehnstuhl ganz behaglich und durchaus nicht angegriffen. Überdies habe er mit Franz zu sprechen. Sophie möge nur ruhig das Abendbrot besorgen.

Franz, dessen Scharfblick die Unruhe, die Aufregung des Patienten nicht entgangen war, hielt es für das beste, seinem Wunsche Folge zu leisten, und winkte seiner Braut, sie allein zu lassen. Sophie entfernte sich mit einem ängstlich fragenden Blick auf Franz, den dieser mit einem ermutigenden Lächeln beantwortete.

Die Tür hatte sich kaum hinter der schlanken Gestalt des jungen Mädchens geschlossen, als der Geheimrat Franz' Hand ergriff und mit einer Stimme, die vergebens nach Festigkeit rang, sagte.

»Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, Franz, das ich unter diesen Umständen, wo ich jeden Augenblick auf den Tod gefaßt sein muß, nicht länger verschweigen kann, ohne ehrlos zu handeln.«

»Was ist es, Papa?« fragte Franz, einen Stuhl dicht an den Platz des Geheimrats rückend und seine Hände freundschaftlich in die seinen nehmend.

»Das ist es!« sagte der Geheimrat! – und nun erzählte er Franz, daß er im Laufe der Jahre, zum Teil infolge eines Mangels an weiser Sparsamkeit, zum Teil durch vielfältige Darlehen, die er an Arme, Bedürftige aller Art gemacht und niemals wiederbekommen habe, tief in Schulden geraten sei; daß er gehofft habe, sich durch verdoppelten Fleiß in den nächsten Jahren wieder heraufzuarbeiten, eine Hoffnung, die, wie er jetzt nur zu schmerzlich fühle, nicht in Erfüllung gehen werde.

Der Geheimrat machte hier eine Pause, sei es, weil er für den Moment zu erschöpft war; sei es, weil er von Franz eine Antwort erwartete. Als der junge Mann aber mit niedergeschlagenen Augen in seinem Schweigen verharrte, fuhr der Kranke nach dieser Pause mit leiserer und erregterer Stimme fort:

»Verzeihen Sie, lieber Franz, daß ich in einem vielleicht sträflichen, aber sehr erklärlichen Egoismus so lange mit dieser Enthüllung Ihnen gegenüber gezögert habe. Es ist eine schreckliche Aufgabe, Menschen betrüben zu müssen, die man lieb hat; Menschen ärmer machen zu müssen, die man mit allen Gütern dieser Erde überschütten möchte.«

Er schwieg und versuchte seine Hände aus den Händen des jungen Mannes zu ziehen, gleichsam als habe die Entdeckung, die er soeben gemacht, die vertraute Freundschaft gestört und aufgehoben. Aber Franz rückte nur näher an den Kranken und sagte, ihm mit seinen klaren, treuen, klugen Augen tief in die Augen sehend:

»Ich habe Sie ruhig aussprechen lassen, Papa; nun lassen Sie mich dasselbe tun. – Wenn jemand einem Freunde, den er liebt, einen unermeßlichen kostbaren Schatz schenkt, einen Schatz, an dem das Herz des Freundes so hängt, daß er ohne ihn nicht mehr leben könnte und möchte, und der Geber spräche nun zum Freunde: ›Lieber, während ich diesen Schatz hütete, habe ich, wie du dir denken kannst, auf die Leitung und Regelung meiner übrigen Angelegenheiten nicht die nötige Sorgfalt verwenden können. Es sind da einige Gläubiger, die bezahlt sein wollen und bezahlt werden müssen. Willst du nicht die Sache übernehmen? Du bist jünger und rüstiger, und du hast keinen Widerwillen gegen Geschäfte‹ – wenn, sage ich, der Geber also zu dem so reich Beschenkten spräche, und dieser wollte antworten: ›Den Schatz, der mich in alle Zukunft so unermeßlich reich macht, nehme ich freilich, aber was deine übrigen Angelegenheiten betrifft, so siehe zu, wie du fertig wirst; ich will nichts damit zu schaffen haben‹, – würde man ihn, der so antwortete, nicht mit Recht für ein Ungeheuer von Herzlosigkeit, für ein Scheusal von Undankbarkeit halten? Genauso aber liegt die Sache zwischen uns. Der großmütige Geber sind Sie, der so überreich Beschenkte bin ich, der unermeßlich kostbare Schatz ist meine, unsere Sophie. Zwischen uns kann nicht mehr von Mein und Dein die Rede sein; was ich besitze, gehört Ihnen, der Sie mir in der dreifach ehrwürdigen Gestalt des Freundes, des Lehrers, des Vaters erscheinen. Was ich aber besitze, sind zehn- bis elftausend Taler, die ich von einer Tante, die ich nie gesehen habe, erbte, und die Ihnen jederzeit zur Verfügung stehen. Ich weiß, daß diese Summe nicht genügt, Sie von den eingegangenen Verbindlichkeiten zu befreien. Aber eine Erleichterung, eine Hilfe wird sie Ihnen immer sein, und ich bitte, ja ich beschwöre Sie, von dieser Hilfe den ausgedehntesten Gebrauch zu machen. – Nein, Papa, schütteln Sie nicht den Kopf! Es hilft Ihnen nichts. Sie sind Sophie, mir und sich selbst die Erfüllung meiner Bitte schuldig. Und dann: Ich will Sie nicht um eine Gefälligkeit bitten, ohne auf eine äquivalente Gegenleistung zu dringen. Wir haben den Termin unserer Hochzeit immer noch nicht festgesetzt. Wir scheuten uns, mit der Sprache herauszurücken, weil wir Ihren Widerspruch, zum mindesten Ihre mit Widerstreben gegebene Einwilligung fürchteten. Jetzt bin ich kühn geworden und bitte nicht um Flandern, noch Gedankenfreiheit, König Philipp, sondern um die Erlaubnis, deine Infantin, Donna Sophia, heute über vier Wochen als mein ehelich Gemahl heimführen zu dürfen. Sieh! Da ist sie selbst! – Knie nieder, Mädchen, und danke deinem Herrn und Vater für seine Güte. Er willigt in unsere Vermählung heute über vier Wochen.«

Sophie, die bei Franz' letzten Worten in das Zimmer getreten war, eilte auf den Vater zu:

»Gutes, liebes Väterchen! Herzallerliebstes Väterchen!« rief sie, den Geheimrat umarmend und ihn zärtlich auf Stirn und Lippen küssend. Der Geheimrat war in einer unbeschreiblichen Erregung. Seine zitternden Lippen versuchten umsonst ein Wort hervorzubringen; seine tränenüberströmten Augen wandten sich bald auf die vor ihm kniende Tochter, bald auf den Mann, der über ihn gebeugt dastand und seinen Arm vertraulich um seinen Nacken geschlungen hatte. Sein von der Krankheit angegriffenes Gehirn vermochte nicht das Chaos der auf ihn einstürmenden Gedanken zu bewältigen, aber in seinem Herzen sagte vernehmlich eine Stimme, daß er nun ruhig sterben könne.

Franz, der nicht ohne Grund fürchtete, daß die heftige Gemütserschütterung eine Verschlimmerung in dem Zustande des Kranken herbeiführen könne, beeilte sich, dieser Szene ein Ende zu machen. Er klingelte und hieß den eintretenden Bedienten, ihm beim Zubettbringen des Herrn zu helfen. Der Geheimrat ließ alles ohne Widerrede mit sich geschehen. Franz und der Diener rollten den Stuhl bis an die Tür des nächsten Gemaches, die schon von Sophie geöffnet war, hoben ihn über die Schwelle und schlossen die Tür hinter sich, während Sophie allein in dem Wohnzimmer zurückblieb.

Nach einigen Minuten kam Franz zurück. Er war bewegt, wie Sophie ihn kaum je gesehen hatte; aber sie sah auch zugleich, daß diese Bewegung keine schmerzliche war. Seine Augen blitzten, sein Schritt war elastisch wie eines Siegers Schritt, und seine sonst etwas scharfe Stimme klang weicher und voller, als er jetzt, die Geliebte fast stürmisch in seine Arme schließend, sagte:

»Freue dich, Mädchen, es geht alles gut, vortrefflich. Ich habe dem Papa seine Einwilligung abgeschmeichelt und abgetrotzt. Sagte ich dir nicht, in vier Wochen sind wir Mann und Frau? Sagte ich dir nicht: In unserer Brust sind unsers Schicksals Sterne? Oh, ich fühle einen ganzen Himmel in meiner Brust! Liebe, liebe Sophie!«

»Lieber, lieber Franz.«

Und die Liebenden hielten sich lange innig umschlungen.

Dann, als die Flut herrlichster Gefühle sich zu ruhigeren Wogen sänftigte, wanderten sie Arm in Arm in dem Gemache auf und ab, und ihre Stimmen waren leise wie ihre Schritte auf dem Teppich, und was sie flüsterten war süß und traulich wie das von einem roten Schleier gedämpfte Licht der Lampe, die auf dem Tische vor dem Sofa brannte.

Sie waren so in ihr bald ernstes, bald heiteres, und von einem gelegentlichen halb unterdrückten Lachen oder verstohlenen Kuß unterbrochenes Gespräch vertieft, daß jemand, der um diese Stunde fast täglich in das Haus des Geheimrats kam, erst dreimal an die Tür pochen mußte, ehe sie beide zu gleicher Zeit mit Herein antworteten.


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