Oswald Spengler
Der Untergang des Abendlandes – Erster Band
Oswald Spengler

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18

Ich sagte, daß die Ölmalerei am Ende des 17. Jahrhunderts, wo alle großen Meister kurz nacheinander starben, erlosch. Aber der Impressionismus im engeren Sinne ist ja eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts? Die Malerei hat also 200 Jahre länger geblüht oder dauert heute noch fort? Man täusche sich nicht. Zwischen Rembrandt und Delacroix oder Constable liegt eine tote Strecke, und was bei dem letzten beginnt, ist trotz aller Zusammenhänge in Hinsicht auf Technik und Vortrag sehr verschieden von dem, was mit dem ersten endete. Hier, wo von einer lebendigen Kunst von höchster Symbolik die Rede ist, zählen die rein dekorativen Künstler des 18. Jahrhunderts nicht mit. Täuschen wir uns auch nicht über den Charakter der neuen malerischen Episode, die jenseits von 1800, der Grenze von Kultur und Zivilisation, noch einmal die Illusion einer großen Kultur der Malerei erwecken konnte. Sie selbst hat ihr eigentliches Thema als Freilicht bezeichnet und damit den Sinn ihrer flüchtigen Erscheinung deutlich genug enthüllt. Freilicht – das ist die bewußte, intellektuelle und brutale Abwendung von dem, was man plötzlich »die braune Sauce« nannte und was, wie wir sahen, in den Bildern der großen Meister die eigentlich metaphysische Farbe war. Auf ihr baute sich die Malkultur der Schulen, vor allem der niederländischen auf, die im Rokoko rettungslos dahinschwand. Dies Braun, das Symbol räumlicher Unendlichkeit, das für den faustischen Menschen aus dem Gemälde ein seelenhaftes Etwas schuf, empfand man plötzlich als Unnatur. Was war geschehen? Beweist die Wandlung nicht, daß ebenso die Seele sich fortgestohlen hatte, für welche diese verklärte Farbe etwas Religiöses, ein Zeichen der Sehnsucht, der ganze Sinn einer lebendigen Natur gewesen war? Der Materialismus der westeuropäischen Weltstädte blies in die Asche und rief diese seltsame und kurze Nachblüte von zwei Malergenerationen hervor – denn mit der Generation Manets war alles wieder zu Ende. Ich hatte das erhabene Grün Grünewalds, Lorrains, Giorgiones als die katholische Farbe des Raumes bezeichnet und das transzendente Braun Rembrandts als die Farbe des protestantischen Weltgefühls. Das Freilicht, das jetzt eine neue Farbenskala entfaltet, bezeichnet demgegenüber die Irreligion.Es war deshalb ganz unmöglich, vom Freilicht aus zu einer echt religiösen Malerei zu kommen. Das in der Malerei liegende Weltgefühl ist bis zu dem Grade irreligiös und nur für eine »Vernunftreligion« gültig, daß jeder der zahlreichen, ehrlich gemeinten Versuche hohl und unwahr wirkt (Uhde, Puvis de Chavannes). Ein einziges Freilichtbild verweltlicht sofort das Innere einer Kirche und setzt sie zu einem Ausstellungsraum herab. Der Impressionismus ist aus den Sphären Beethovenscher Musik und Kantischer Sternenräume auf die Erdoberfläche zurückgekehrt. Dieser Raum ist erkannt, nicht erlebt, gesehen, nicht geschaut; es ist Stimmung darin, nicht Schicksal; es ist das mechanische Objekt der Physik und nicht die gefühlte Welt der pastoralen Musik, was Courbet und Manet in ihre Landschaften bringen. Was Rousseau mit tragisch treffendem Ausdruck als Rückkehr zur Natur prophezeit hatte, vollzieht sich in dieser sterbenden Kunst. So kehrt ein Greis von Tag zu Tag »zur Natur zurück«. Der neue Künstler ist Arbeiter, nicht Schöpfer. Er stellt ungebrochene Spektralfarben nebeneinander. Die feine Handschrift, der Tanz der Pinselstriche macht groben Gewohnheiten Platz: Punkte, Quadrate, breite anorganische Massen werden aufgetragen, vermengt, verbreitet. Neben dem breiten, flachen Pinsel erscheint der Spachtel als Werkzeug. Der Ölgrund der Leinwand wird in die Wirkung einbezogen und bleibt stellenweise frei. Eine gefährliche Kunst, peinlich kalt, krank, für überfeinerte Nerven, aber wissenschaftlich bis zum äußersten, energisch in allem, was die Bewältigung technischer Widerstände angeht, programmatisch zugespitzt: es ist das Satyrspiel zur großen Ölmalerei von Lionardo bis Rembrandt. Sie konnte nur in dem Paris Baudelaires zu Hause sein. Corots silberne Landschaften in ihren graugrünen und braunen Tönen träumen noch von dem Seelischen der alten Meister. Courbet und Manet erobern den kahlen physikalischen Raum, den Raum als »Tatsache«. Der versonnene Entdecker Lionardo macht dem malenden Experimentator Platz. Corot, das ewige Kind, Franzose, nicht Pariser, fand seine jenseitigen Landschaften überall, Courbet, Monet, Manet, Cézanne porträtieren ein und dieselbe Örtlichkeit immer wieder, peinlich, mühsam, arm an Seele, den Wald von Fontainebleau oder die Seineufer von Argenteuil oder jenes merkwürdige Tal bei Arles. Rembrandts mächtige Landschaften liegen durchaus im Weltraume, die Manets in der Nähe einer Bahnstation. Die Freilichtmaler, echte Großstädter, nahmen von den kühlsten Spaniern und Holländern, Velasquez, Goya, Hobbema und Franz Hals die Musik des Raumes, um sie – mit Hilfe der englischen Landschafter und später der Japaner, intellektueller und hochzivilisierter Köpfe – ins Empirische und Naturwissenschaftliche zu übersetzen. Es ist der Unterschied von Naturerlebnis und Naturwissenschaften, von Herz und Kopf, von Glauben und Wissen.

Anders in Deutschland. In Frankreich war eine große Malerei abzuschließen, hier war sie nachzuholen. Denn der malerische Stil von Rottmann, Wasmann, K. D. Friedrich und Runge bis zu Marées und Leibl setzt alle Glieder der Entwicklung voraus; sie liegen dem Technischen zugrunde, und wo auch eine Schule den neuen Stil pflegen will, bedarf sie einer geschlossenen inneren Tradition. Hierin beruht die Schwäche und Stärke der letzten deutschen Malerei. Die Franzosen besaßen eine eigne Überlieferung vom frühen Barock bis auf Chardin und Corot herab. Zwischen Lorrain und Corot, Rubens und Delacroix besteht ein lebendiger Zusammenhang. Aber alle großen Deutschen des 18. Jahrhunderts waren, als Künstler, Musiker geworden. Daß diese Musik, ohne ihr innerstes Wesen zu verändern, seit Beethoven doch noch einmal in Malerei umschlug, ist eine Seite der deutschen Romantik. Hier hat sie am längsten geblüht, hier ihre liebenswürdigsten Früchte getragen. Denn diese Köpfe und Landschaften sind eine heimliche, sehnsuchtsvolle Musik. Etwas von Eichendorff und Mörike ist noch in Thoma und Böcklin zu finden. Nur bedurfte man einer fremden Lehre für das, was an eigner innerer Tradition fehlte. Alle diese Maler gingen nach Paris. Aber indem sie, wie Manet und sein Kreis, auch die alten Meister von 1670 studierten und kopierten, empfingen sie ganz neue, ganz andre Wirkungen, während die Franzosen nur Erinnerungen an etwas empfanden, das längst in ihre Kunst eingegangen war. Und so ist die deutsche bildende Kunst außerhalb der Musik – seit 1800 – eine verspätete Erscheinung, hastig, ängstlich, verworren, um Mittel und Ziel verlegen. Es war keine Zeit zu verlieren Was die deutsche Musik und die französische Malerei in Jahrhunderten geworden waren, sollte durch eine oder zwei Malergenerationen eingeholt werden. Die erlöschende Kunst drängte nach der letzten Fassung, die ein traumhaftes Durchfliegen der ganzen Vergangenheit notwendig machte. So erscheinen hier wunderlich faustische Naturen, wie Marées und Böcklin, von einer Ungewißheit in allem Formalen, die in unsrer Musik mit ihrer sicheren Tradition – man denke an Bruckner – ganz unmöglich war. Die programmatisch klare und innerlich um so ärmere Kunst der französischen Impressionisten kennt diese Tragik ebensowenig. Aber das gleiche gilt von der deutschen Literatur, die seit der Goethezeit in jedem größeren Werk etwas begründen wollte und etwas abschließen mußte. Wie Kleist, Shakespeare und Stendhal zugleich in sich fühlte und mit verzweifeltem Bemühen, in ewigem Ungenügen ändernd und zerstörend zweihundert Jahre psychologischer Kunst zur Einheit schmieden wollte; wie Hebbel die Problematik von »Hamlet« bis »Rosmersholm« in einen dramatischen Typus preßte, so haben Menzel, Leibl, Marées die alten und neuen Vorbilder: Rembrandt, Lorrain, van Goyen, Watteau, Delacroix, Courbet und Manet in eine einzige Form zu drängen versucht. Während die kleinen frühen Interieurs von Menzel alle Entdeckungen des Manetkreises vorwegnehmen und Leibl manches ausführt, woran Courbet scheiterte, ist andrerseits in ihren Bildern das metaphysische Braun und Grün der alten Meister noch einmal der volle Ausdruck eines inneren Erlebnisses. Menzel hat wirklich ein Stück preußisches Rokoko, Marées wirklich etwas von Rubens, Leibl in seinem Bild der Frau Gedon wirklich etwas von Rembrandts Porträtkunst nacherlebt und wiedererweckt. Das Atelierbraun des 17. Jahrhunderts hatte eine zweite Kunst von höchstem faustischem Gehalt zur Seite gehabt, die Radierung. Rembrandt ist in beiden der erste Meister aller Zeiten gewesen. Auch die Radierung hat etwas Protestantisches, und sie liegt den südlicheren, katholischen Malern der grünblauen Atmosphäre und der Gobelins immer fern. Leibl war, wie der letzte Braunmaler, so auch der letzte große Radierer, dessen Blätter von jener rembrandthaften Unendlichkeit sind, die den Betrachter immer wieder neue Geheimnisse entdecken läßt. Marées endlich besaß die mächtige Intuition des großen Barockstils, die Guéricault und Daumier noch eben in eine geschlossene Form bannen konnten, die sich aber in seinem Falle, eben ohne die Stärke der westlichen Tradition, nicht in die Welt der malerischen Erscheinung zwingen ließ.


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