Oswald Spengler
Der Untergang des Abendlandes – Erster Band
Oswald Spengler

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Die Kunst der Renaissance ist, aus diesem Gesichtspunkt betrachtet – der sie bei weitem nicht erschöpftZ. folg. Bd. II, S. 916f., 924. -, eine Auflehnung gegen den Geist der faustischen, wälderhaften Musik des Kontrapunkts, die sich eben anschickte, ihre Herrschaft über die gesamte Formensprache der abendländischen Kultur aufzurichten. Sie ging folgerichtig aus der reifen Gotik hervor, in der dieser Wille unverhüllt hervorgetreten war. Sie hat diese Abkunft nie verleugnet und ebensowenig den Charakter einer bloßen Gegenbewegung, deren Art notwendig von den Formen der Urbewegung abhängig blieb, deren Rückwirkung auf die zögernde Seele sie darstellt. Sie ist eben deshalb ohne wahre Tiefe, und zwar in beiderlei Sinn – ohne Tiefe der Idee und ohne Tiefe der Erscheinung. Was das erste betrifft, so braucht man nur an die entfesselte Leidenschaft zu denken, mit der das gotische Weltgefühl sich in der ganzen abendländischen Landschaft entlädt, um zu fühlen, was für eine Bewegung es war, die um 1420 von einem kleinen Kreis erlesener Geister, Gelehrter, Künstler, Humanisten ausging.Sie ist nicht nur national italienisch – das ist die italienische Gotik auch –, sondern rein florentinisch, und auch in Florenz nur das Ideal einer Gesellschaftsschicht. Was man im Trecento Renaissance nennt, hat seinen Mittelpunkt in der Provence, vor allem am päpstlichen Hofe zu Avignon, und ist nichts als die höfisch-ritterliche Kultur Südeuropas von Oberitalien bis Spanien, die unter den stärksten Eindrücken der maurischen vornehmen Gesellschaft in Spanien und Sizilien stand. Dort handelt es sich um Sein oder Nichtsein einer neuen Seele, hier um eine Frage des Geschmacks. Die Gotik ergreift das ganze Leben bis in seine geheimsten Winkel. Sie hat einen neuen Menschen, eine neue Welt geschaffen. Sie hat von der Idee des Katholizismus bis zum Staatsgedanken der deutschen Kaiser, vom ritterlichen Turnier bis zum Bilde der eben entstehenden Städte, vom Dom bis zur Bauernstube, vom Bau der Sprache bis zum Brautschmuck der Dorfmädchen, vom Ölgemälde bis zum Spielmannslied allem und jedem die Sprache einer einheitlichen Symbolik aufgeprägt. Die Renaissance bemächtigte sich einiger Künste des Bildes und Wortes, und damit war alles getan. Sie hat die Denkweise Westeuropas, das Lebensgefühl in nichts verändert. Sie drang bis zum Kostüm und zur Gebärde vor, nicht bis zu den Wurzeln des Daseins, denn die Weltanschauung des Barock ist selbst in Italien dem inneren Wesen nach eine Fortsetzung der Gotik.Das Ornament der Renaissance ist lediglich Schmuck und bewußte artistische Erfindung. Erst der ausgesprochene Barockstil zeigt wieder ein »Müssen« von hoher Symbolik. Sie hat zwischen Dante und Michelangelo, die ihre Grenzen schon überschreiten, keine ganz große Persönlichkeit hervorgebracht. Und was das zweite betrifft, so hat sie selbst in Florenz das Volkstum nicht berührt, in dessen Tiefe – erst dies macht die Erscheinung Savonarolas und seine ganz andere Gewalt über die Gemüter verständlich – der gotisch-musikalische Unterstrom ruhig dem Barock zufließt.

Der Renaissance als einer antigotischen und dem Geiste der polyphonen Musik feindlichen Bewegung entspricht in der Antike die dionysische als eine antidorische und dem plastisch-apollinischen Weltgefühl entgegengesetzte. Sie ist nicht aus dem thrakischen Dionysoskult »hervorgegangen«. Sie hat ihn erst als Waffe und Gegensymbol zur olympischen Religion herangezogen, ganz ebenso wie man in Florenz den Kult der Antike erst zur Rechtfertigung und Stärkung des eigenen Gefühls zu Hilfe rief. Die große Auflehnung erfolgte dort im 7. und also hier im 15. Jahrhundert. Es handelt sich in beiden Fällen um einen Zwiespalt im Untergrunde der Kultur, der seinen physiognomischen Ausdruck in einer ganzen Epoche des Geschichtsbildes, vor allem in deren künstlerischer Formenwelt gefunden hat, um einen Widerstand der Seele gegen ihr Schicksal, das sie nunmehr in seinem vollen Umfange begreift. Die innerlich widerstrebenden Mächte, Fausts zweite Seele, die sich von der andern trennen will, suchen den Sinn der Kultur umzubiegen; die unausweichliche Notwendigkeit soll verleugnet, aufgehoben, umgangen werden; es ist Angst vor der Vollendung der historischen Geschicke durch Ionik und Barock darin. Dort knüpft sie sich an den Dionysoskult mit seinem musikalischen, entwirklichenden, den Körper vergeudenden Orgiasmus, hier an die Tradition des »Altertums« und an dessen Kultus des Körperhaft-Plastischen, die beide als fremde Ausdrucksmittel bewußt herangezogen werden, um durch die Kraft ihrer gegensätzlichen Formensprache dem unterdrückten Gefühl einen Schwerpunkt, ein eigenes Pathos zu verleihen und damit der Strömung in den Weg zu treten, welche dort von Homer und dem geometrischen Stil zu Phidias, hier von den gotischen Domen über Rembrandt zu Beethoven geht.

Aus dem Charakter einer Gegenbewegung folgt, daß es ebenso leicht ist zu definieren, was sie bekämpft, als schwer, was sie erreichen will. Das ist die Schwierigkeit aller Renaissanceforschung. Im Gotischen (und Dorischen) ist es gerade umgekehrt. Es kämpft für, nicht gegen etwas. Aber Renaissancekunst – das ist ganz eigentlich antigotische Kunst. Renaissancemusik ist ein Widerspruch in sich selbst. Die Musik am Hofe der Medici war die südfranzösische ars nova; die im Dome von Florenz gehorchte dem niederländischen Kontrapunkt: aber beides ist gleichmäßig gotisch und gehört dem gesamten Abendland.

Die übliche Auffassung der Renaissance ist bezeichnend dafür, wie sehr man die laut ausgesprochene Absicht mit dem tieferen Sinn einer Bewegung verwechseln kann. Die Kritik hat seit Burckhardt jede einzelne Behauptung der führenden Geister über ihre Tendenzen widerlegt, aber nachdem dies geschehen war, das Wort Renaissance wesentlich im alten Sinne weiter gebraucht. Gewiß, der Unterschied im Architektonischen, überhaupt im künstlerischen Gesamtbilde ist auffallend, sobald man über die Alpen kommt. Aber eben deshalb, weil diese Empfindung allzu populär ist, hätte man ihr mißtrauen und sich fragen sollen, ob hier nicht oft der Unterschied von Nord und Süd innerhalb ein und derselben Formenwelt einen Unterschied von gotisch und »antik« vortäuscht. Vieles wirkt auch in Spanien antik, nur weil es südlich ist. Der Laie wird, wenn man ihn vor die Frage stellt, ob der große Klosterhof von S. Maria Novella oder die Fassade des Palazzo Strozzi zur Gotik gehören, sicherlich falsch raten. Andernfalls hätte der plötzliche Wandel des Eindrucks nicht jenseits der Alpen, sondern erst jenseits des Apennin beginnen müssen, denn Toskana ist eine künstlerische Insel in Italien selbst. Oberitalien gehört durchaus einer byzantinisch gefärbten Gotik; Siena insbesondere ist eine echte Stadt der Gegenrenaissance. Rom ist bereits die Heimat des Barock. Die Änderung des Empfindens erfolgt aber gleichzeitig mit der des Landschaftsbildes.

Tatsächlich hat Italien die Geburt des gotischen Stils innerlich nicht miterlebt. Es stand um 1000 unter der unbedingten Herrschaft des byzantinischen Geschmacks im Osten, des maurischen im Süden. Erst die reife Gotik hat hier Wurzel gefaßt, und zwar mit einer Innigkeit und Gewalt, die keiner einzigen der großen Renaissanceschöpfungen innewohnt – man denke an das hier entstandene »Stabat mater«, das »Dies irae«, an Katharina von Siena, an Giotto und Simone Martini –, aber südlich aufgehellt und gleichsam als klimatisch gemilderte Fremdheit. Sie übernahm oder verdrängte nicht etwa einen angeblichen Nachklang der Antike, sondern ausschließlich eine byzantinisch-sarazenische Formensprache, die in den Bauten Venedigs und Ravennas und noch viel mehr in der Ornamentik der Gewebe, Geräte, Gefäße, Waffen aus dem Orient täglich und überall zu den Sinnen redete.

Wäre die Renaissance eine Erneuerung des antiken Weltgefühls gewesen – aber was heißt das? –, so hätte sie das Symbol des umschlossenen und rhythmisch gegliederten Raumes durch das des geschlossenen Baukörpers ersetzen müssen. Aber davon ist nie die Rede gewesen. Im Gegenteil. Die Renaissance pflegt ganz ausschließlich eine Architektur des Raumes, den ihr die Gotik vorschrieb, nur daß sein Atem, seine klare, ausgeglichene Ruhe im Gegensatz zum Sturm und Drang des Nordens anders ist, nämlich südlich, sonnig, sorglos, hingegeben. Nur darin liegt der Unterschied. Ein neuer Baugedanke ist nicht hervorgetreten. Man kann diese Architektur beinahe auf Fassaden und Höfe reduzieren.

Aber die Richtung des Ausdrucks auf das »Gesicht« der fensterreichen Straßen- oder Hofseite, das immer den Geist der inneren Struktur spiegelt, ist echt gotisch und in einer sehr tiefen Weise mit der Porträtkunst verwandt; und der Hallenhof ist vom Sonnentempel zu Baalbek bis zum Löwenhof der Alhambra echt arabisch. Der Tempel von Pästum, ganz Körper, steht inmitten dieser Kunst vollkommen vereinsamt da. Niemand hat ihn gesehen, niemand ihn nachzuahmen versucht. Ebensowenig ist die florentinische Plastik freie Rundplastik attischer Art. Jede ihrer Statuen fühlt noch eine unsichtbare Nische hinter sich, in welche die gotische Plastik deren wirkliche Urbilder hineinkomponiert hatte. Im Verhältnis zum Hintergrund und im Aufbau des Körpers zeigen der »Meister der Königsköpfe« von der Kathedrale zu Chartres und der Meister des Bamberger Georgenchors dieselbe Durchdringung von »antiken« und gotischen Ausdrucksmitteln, die Giovanni Pisano, Ghiberti und selbst Verrocchio in ihrer Ausdrucksweise nicht weiter gesteigert, und der sie niemals widersprochen haben.

Zieht man von den Vorbildern der Renaissance alles ab, was seit der römischen Kaiserzeit entstanden ist, also der magischen Formenwelt zugehört, so bleibt nichts übrig. Von den spätrömischen Bauten selbst aber ist Zug um Zug alles ausgeschieden, was aus der großen Zeit vor Anbruch des Hellenismus stammt. Entscheidend ist die Tatsache, daß jenes Motiv, welches die Renaissance geradezu beherrscht und seiner Südlichkeit wegen uns als ihr edelstes Kennzeichen gilt, die Verbindung von Rundbogen und Säule, zwar sehr ungotisch, im antiken Stil aber gar nicht vorhanden ist, vielmehr das in Syrien entstandene Leitmotiv der magischen Architektur darstellt.

Und gerade jetzt empfängt man vom Norden die entscheidenden Einwirkungen, welche im Süden erst die volle Befreiung von Byzanz und dann den Schritt von der Gotik zum Barock vollziehen halfen. In der Landschaft zwischen Amsterdam, Köln und ParisParis gehört zu ihr. Man sprach dort noch im 15. Jahrhundert ebensoviel flämisch als französisch, und mit den alten Teilen seines architektonischen Bildes zählt Paris zu Brügge und Gent, nicht zu Troyes und Poitiers. – dem Gegenpol von Toskana in der Stilgeschichte unsrer Kultur – sind neben der gotischen Architektur der Kontrapunkt und die Ölmalerei geschaffen worden. Von dort kamen 1428 Dufay und 1516 Willaert in die päpstliche Kapelle, und dieser begründete 1527 die für den Barockstil der Musik entscheidende Schule von Venedig, wo de Rore aus Antwerpen sein Nachfolger wurde. Von einem Florentiner erhielten Hugo van der Goes den Auftrag des Portinari-Altars für S. Maria Nuova und Memling den für ein Jüngstes Gericht. Aber daneben wurden zahlreiche andre Bilder erworben, vor allem auch niederländische Porträts, die einen außerordentlichen Einfluß übten, und um 1450 kam Rogier van der Weyden selbst nach Florenz, wo seine Kunst bewundert und nachgeahmt wurde. Um 1470 brachten Justus van Gent die Ölmalerei nach Umbrien und der niederländisch ausgebildete Antonello da Messina nach Venedig. Wie viel Niederländisches und wie wenig »Antike« ist in den Bildern von Filippino Lippi, Ghirlandajo und Botticelli, vor allem in den Kupferstichen von Pollaiuolo und sogar bei Lionardo! Den vollen Einfluß des gotischen Nordens auf die Architektur, Musik, Malerei, Plastik der Renaissance hat man heute noch kaum zuzugestehen gewagt.A. Schmarsow, Gotik in der Renaissance (1921). B. Haendke, Der niederl. Einfluß auf die Malerei Toskana-Umbriens (Monatsh. f. Kunstwiss. 1912).

Gerade damals führte auch Nikolaus Cusanus, Kardinal und Bischof von Brixen (1401-1464), das Infinitesimalprinzip, diese kontrapunktische Methode der Zahlen, in die Mathematik ein, die er aus der Idee Gottes als des unendlichen Wesens ableitete. Leibniz verdankt ihm die entscheidende Anregung zur Durchführung seiner Differentialrechnung. Aber damit hatte er bereits der dynamischen, der Barockphysik Newtons die Waffe geschmiedet, mit der sie die statische Idee einer südlichen Physik, die an Archimedes anknüpfte und noch in Galilei wirksam war, endgültig überwand.

Die Hochrenaissance ist der Augenblick einer scheinbaren Verdrängung des Musikalischen aus der faustischen Kunst. In Florenz, an dem einzigen Punkt, wo die antike und die abendländische Kulturlandschaft aneinandergrenzen, ist während einiger Jahrzehnte durch einen großartigen Akt ganz eigentlich metaphysischer Auflehnung ein Bild der Antike aufrechterhalten worden, das seine tieferen Züge ohne Ausnahme der Verneinung gotischer verdankt und das dennoch seine Gültigkeit vor unserem Gefühl, wenn auch nicht vor unserer Kritik, über Goethe hinaus noch heute behauptet. Das Florenz des Lorenzo de' Medici und das Rom Leos X. – das ist für uns antik; das ist das ewige Ziel unsrer geheimsten Sehnsucht; das allein erlöst von aller Schwere, aller Ferne, nur weil es antigotisch ist. So streng ist der Gegensatz apollinischen und faustischen Seelentums ausgeprägt.

Aber man täusche sich nicht über den Umfang dieser Illusion. Man pflegte in Florenz Fresko und Relief, im Widerspruch zum gotischen Glasgemälde und zum byzantinischen Goldgrundmosaik. Es war die einzige Zeit des Abendlandes, wo die Skulptur den Rang einer herrschenden Kunst einnahm. Im Bilde dominieren die abgewogenen Körper, die geordneten Gruppen, die tektonischen Elemente der Architektur. Die Hintergründe haben keinen eignen Wert und dienen nur als Füllung zwischen und hinter der satten Gegenwart der Vordergrundsgestalten. Hier stand die Malerei eine Zeitlang wirklich unter der Herrschaft der Plastik. Verrocchio, Pollaiuolo und Botticelli waren Goldschmiede. Aber diese Fresken haben trotzdem nichts vom Geiste Polygnots. Man braucht nur durch eine große Sammlung antiker Vasen zu gehen – das einzelne Stück oder die Abbildung fälschen den Eindruck; Vasengemälde sind die einzige Art antiker Kunstwerke, die wir im Original in solcher Menge nebeneinander sehen können, daß wir ein eindringliches Bild des Kunst wollens empfangen –, um den vollkommen unantiken Geist der Renaissancemalerei mit Händen zu greifen. Die große Tat Giottos und Masaccios, die Schöpfung einer Freskomalerei, scheint nur eine Erneuerung der apollinischen Fühlweise zu sein. Das Tiefenerlebnis, das Ideal der Ausdehnung, welches ihr zugrunde liegt, ist nicht der apollinische raumlose, in sich beschlossene Körper, sondern der gotische Bildraum. So sehr die Hintergründe zurücktreten, sie sind da. Aber wieder ist es die Lichtfülle, die Durchsichtigkeit, die mittägige große Ruhe des Südens, die in Toskana und nur hier den dynamischen Raum zum statischen macht, dessen Meister Piero della Francesca wurde. Waren es auch Bildräume, die man malte, so erlebte man sie doch nicht als ein unbegrenztes, musikhaft in die Tiefe strebendes und webendes Sein, sondern hinsichtlich ihrer sinnlichen Begrenztheit. Man gab ihnen gewissermaßen Körper. Man ordnete sie in Flächenschichten. Man pflegte, mit einer scheinbaren Nähe zum hellenischen Ideal, die Zeichnung, die scharfen Konturen, die körperlichen Grenzflächen – nur daß sie hier den einen perspektivischen Raum gegen die Dinge, in Athen die einzelnen Dinge gegen das Nichts abgrenzten; und in demselben Grade, wie die Woge der Renaissance sich wieder glättete, läßt die Härte dieser Tendenz nach, von Masaccios Fresken in der Brancaccikapelle bis zu Raffaels Stanzen; und das sfumato Lionardos, das Verschwimmen der Ränder mit dem Hintergrund, führt das Ideal einer musikalischen an Stelle einer reliefmäßigen Malerei herauf. Ebensowenig ist die geheime Dynamik der toskanischen Skulptur zu verkennen. Zur Reiterstatue des Verrocchio würde man vergebens ein attisches Seitenstück suchen. Diese Kunst war eine Maske, der Geschmack einer erlesenen Gesellschaft, zuweilen eine Komödie, aber nie ist eine Komödie besser zu Ende gespielt worden. Der unsagbar innigen Reinheit der Form gegenüber vergißt man, was die Gotik an Urgewalt und Tiefe voraus hat. Aber es muß noch einmal gesagt werden: die Gotik ist die einzige Grundlage der Renaissance. Die Renaissance hat die wirkliche Antike nicht einmal berührt, geschweige denn verstanden und »wiederbelebt«. Das ganz unter literarischen Eindrücken stehende Bewußtsein des Florentiner Kreises hat den verführerischen Namen geprägt, um dem Verneinenden der Bewegung eine Wendung ins Bejahende zu geben. Er beweist, wie wenig solche Strömungen von sich selbst wissen. Man wird hier nicht ein großes Werk finden, das die Zeitgenossen des Perikles oder selbst diejenigen Cäsars nicht als völlig fremd abgelehnt hätten. Diese Palasthöfe sind maurische Höfe; die Rundbogen auf den schlanken Säulen sind syrischen Ursprungs. Cimabue lehrte sein Jahrhundert, die Kunst der byzantinischen Mosaiken mit dem Pinsel nachzubilden. Von den beiden berühmten Kuppelbauten der Renaissance ist die Florentiner Domkuppel ein Meisterwerk der späten Gotik, die von St. Peter eines des frühen Barock. Und als Michelangelo sich vermaß, hier »das Pantheon auf die Maxentiusbasilika zu türmen«, nannte er zwei Bauwerke vom reinsten früharabischen Stil. Und das Ornament – ja, gibt es ein echtes Renaissanceornament? Etwas, das mit der symbolischen Gewalt gotischer Ornamentik vergleichbar ist, jedenfalls nicht. Aber welcher Herkunft ist dieser heitere und vornehme Schmuck, der von großer innerer Einheit ist und dessen Zauber ganz Westeuropa erlag? Es ist ein großer Unterschied zwischen der Heimat eines Geschmacks und der seiner Ausdrucksmittel. Man findet in den frühflorentinischen Motiven der Pisano, Maiano, Ghiberti, della Quercia viel Nordisches. Man unterscheide an all diesen Kanzeln, Grabmälern, Nischen, Portalen die äußere, übertragbare Form – als solche ist die ionische Säule ja selbst ägyptischer Herkunft – vom Geist der Formensprache, der sie als Mittel und Zeichen einverleibt wird. Alle antiken Einzelzüge sind gleichgültig, solange sie etwas Unantikes durch die Art ihrer Verwendung ausdrücken. Aber noch bei Donatello sind sie weit seltener als im hohen Barock. Ein streng antikes Kapitäl wird man überhaupt nicht finden.

Und trotzdem ist für Augenblicke etwas Wunderbares erreicht worden, das durch Musik nicht wiederzugeben war, ein Gefühl für das Glück der vollkommenen Nähe, für reine, ruhende, erlösende Raumwirkungen von lichter Gliederung, frei von der leidenschaftlichen Bewegtheit der Gotik und des Barock. Das ist nicht antik, aber es ist ein Traum von antikem Dasein, der einzige, den die faustische Seele träumen, in dem sie sich vergessen konnte.


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