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45. Neidhart von Reuenthal.

8. Der Griffel.

             

    Nun ist kleiner Vöglein süßes Singen
Und der lichten Blumen Schein vergangen gar.
    Wollt ein Weib mir liebes Ende bringen,
Wäre mir als hätt ich beides immerdar.
    Die mir ihre Gnade hat versagt von Kindesbeine,
Ich bitte doch die Gute, daß mir Gnade noch erscheine:
Meines Herzens Königin ich meine.

    Niemand soll an Frauen sich vergehen:
Ich hab es erfahren, meine ward mir gram.
    Der ist leider Leid von mir geschehen:
Gläsern war der Griffel, den ich einst ihr nahm,
    Ihr gekauft in einem Kram, zu kürzen ihr die Weile:
Das ward mir verwiesen bald zu meinem übeln Heile,
Als sie ritt mit Kindern auf dem Seile.

    Gute Leute eilten mirs zu sagen,
Sonst wär ich bescholten worden um ihr Glas.
    Da begann sie zornig mich zu fragen:
»Sagt mir, lieber Herr, wie deucht ich euch so blass,
    Daß ihr mir den Griffel nahmet unverdienter Dinge'?
Nimmer will ich künftig euer Tanzlied singen,
Noch nach euch den Reihen wieder springen.«

    »Frau, zu allen Dingen ziemt die Maße:
Zürnet so, daß euch das Zürnen nicht entstellt.
    Meine Wege gehn bei eurer Straße:
Sorgt, daß mich darum kein Flurwart überfällt.
    Saht ihr jemals wohl ein Weib die Männer also pfänden?
Alles mag ich sonst nach meinem Willen wohl vollenden.
Nach dem kleinen Griffel will ich senden.«

    Ich ersah nie junges Weib so lose,
Die sich beßer wiße Männern zu versagen,
    So sich alles ihres Thuns erbose.
Hei, sollt ich das Heu mit ihr zum Boden tragen,
    Wie wir hiebevor bei unsern Feiertänzen thaten!
Kräftig wir es mit den Füßen zu dem Zaune traten
Manchen Morgen früh und Abend spaten.


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