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45. Neidhart von Reuenthal.

4. Der Federball.

           

    »Nun ist der kühle Winter gar zergangen,
Die Nacht ist kurz, der Tag beginnt zu langen:
    Uns kommt die wonnigliche Zeit,
Die Freude aller Welt verleiht,
Die Vögel sangen nie so lustig weit und breit.

    »Gekommen ist uns lichte Augenweide,
Der Rosen wunderviel sind auf der Haide,
    Die Blumen dringen durch das Gras;
Von Thaue war die Wiese naß,
Wo mir mein Gesell zu einem Kranze las.

    »Der Wald hat seiner greisen Tracht vergeßen,
Der Mai ist auf den grünen Zweig geseßen,
    Gewonnen hat er Laubes viel:
Nun schmück dich bald, mein traut Gespiel:
Du weist, daß ich dahin mit einem Ritter will.«

    Die Mutter hörte das und wollt es rügen:
»Nun laß hinfort dein Läugnen und dein Lügen.
    Dein Leichtsinn ist zu offenbar.
Wind ein Kränzlein um dein Haar,
Denn ohne Kleider must du, willst du zu der Schar.«

    »Mutter mein, wer gab euch das zu Lehen,
Daß ich euch sollt um meine Kleider flehen,
    Davon ihr keinen Faden spannt?
Stellt solchen Lärmen ein zuhand.
Wo ist der Schlüßel? schließt mir auf die Leinewand.«

    Das Linnen war in einen Schrein versperret,
Der ward mit einem Stuhlbein aufgezerret,
    Die Alte sahs nicht mehr hernach.
Als das Kind die Kiste brach,
Verstummt war ihre Zunge, daß sie nicht mehr sprach.

    Sie nahm hervor das Röcklein trotz der Alten:
Es war gelegt in viele kleine Falten;
    Ihr Gürtel war ein Riemen schmal.
Hin zu Dem von Reuenthal
Warf die stolze Magd den bunten Federball.


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