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29. Walther von der Vogelweide.

15. Das täuschende Bild.

                   

    O fänd ich frohe Himmelfahrt!
Ich habe Manchem mit Gesang
Das Herz erfreut mein Leben lang;
Hätt ich dabei mich selbst bewahrt!
    Preis ich des Leibes Minne, ists der Seele leid:
Sie sagt, erlogen, Wahnsinn seis.
Die wahre Minne lebe fort in Ewigkeit,
Beglücke stäts und täusche nie.
    Leib, flieh ein Glück so trügerisch,
Nur stäte Minne halte werth;
Mich dünkt, die du bis jetzt begehrt,
Sei nicht bis auf die Gräte Fisch.

    Ich hatt ein schönes Bild erwählt:
O weh, daß ich es je gekannt.
So manches Wort daran gewandt,
Da nun ihm Reiz und Sprache fehlt.
    Drin wohnt' ein Wunder, das entwich ins leere Blau:
Das Bildniss schwieg mir fürderhin.
Sein lilienrosig Antlitz ward so kerkergrau,
Verloren gieng ihm Duft und Schein.
    Bild, bin ich denn gekerkert hier
In dich, so bitt ich, gieb mich frei,
Damit mein Weilen zwangslos sei:
Nicht scheiden kann ich doch von dir.

    Welt, wie du lohnst, hab ich gesehn:
Was du mir giebst, das nimmst du mir.
Wir scheiden Alle bloß von dir;
Schäm dich, soll mir es so ergehn.
    Ich habe Seel und Leib (das war zu viel)
Tausendmal gewagt um dich;
Zu alt ward ich indess, nun dien ich dir
Zum Spiel! Zürn ich darum, so lachest du:
    Lach du nur eine Weile noch,
Dein Jammertag wird endlich kommen,
Der nimmt dir was du uns genommen
Und brennt dich dann zur Strafe doch.


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