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28. Wolfram von Eschenbach.

2. Ein Gleiches.
(Wächterlied)

Wächter.
            Seine Klauen
Durch die Wolken sind geschlagen,
Er steigt empor mit großer Kraft.
    Ich seh ihn grauen
Täglich, wenn er kommt zu tagen,
Den Tag, der lieber Nachbarschaft
    Berauben will den werthen Mann,
Den ich herein mit Sorgen ließ.
Ich bring ihn hinnen, wenn ich kann;
All seine Würdigkeit michs leisten ließ.
 
Frau.
    Wächter, du singest
Was mir Freuden viel zerstreut
Und mehret meines Herzens Klage.
    Märe du bringst,
Die mich leider nicht erfreut,
Immer Morgens vor dem Tage.
    Die sollst du mir verschweigen gar,
Bei deiner Treu gebiet ichs dir,
Und lohn es, wenn ich kann, fürwahr.
So bleibt noch mein Geselle hier bei mir.
 
Wächter.
    Er muß von hinnen
Bald, und sich nicht säumen mehr:
Nun gieb ihm Urlaub, Herrin werth.
    Laß ihn minnen
So still bei seiner Wiederkehr,
Daß ihm kein Unheil widerfährt.
    Er ergab sich meiner Treue ja,
Daß ich ihn bringen sollt hindann.
Es ist nun Tag; Nacht war es, da
Mit Küssen mir dein Gruß ihn abgewann.
 
Frau.
    Was dir gefalle,
Wächter, sing, und laß ihn hier,
Der Minne bracht und Minn empfieng.
    Von deinem Schalle
Zu früh erschraken beide wir.
Wenn noch kein Tagstern ob ihm gieng
    Empor, der her nach Minn ist kommen,
Noch nirgend schien des Tages Licht,
Hast du ihn oftmals mir genommen
Aus blanken Armen, aus dem Herzen nicht.

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