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29. Walther von der Vogelweide.

7. Die Zauberin.

   

    Wunder nimmt mich immer, was erblickt
Wohl dieß Weib an mir,
    Daß ihr Zauber eben Mich bestrickt?
Wie geschah das ihr?
    Hat sie denn nicht Augen?
Oder trügt sie ihr Gesicht?
Aller Männer Schönster bin ich nicht,
Leugnen will nicht taugen.

    Hat ihr Jemand was von mir gelogen,
Schaue sie doch her:
    An meiner Schönheit ist sie arg betrogen,
Denn die wiegt nicht schwer.
    Schaut den Kopf nur, schauet,
Der ist nicht zu wohlgethan;
Sie betrügt fürwahr ein eitler Wahn,
Wenn sie dem nicht trauet.

    Tausend Männer weilen, wo sie weilt,
Schöner von Gesicht;
    Kunst ward mir ein wenig zugetheilt,
Aber Schönheit nicht.
    Ist die Kunst geringe,
Thu ich doch nicht karg damit.
Mancher freut sich, der an Kummer litt,
Wenn ich Lieder singe.

    Nimmt sie Kunst für schönes Angesicht,
Daran thut sie gut;
    Will sie das, so tadl ich fürder nicht
Was sie an mir thut.
    So will ich mich neigen
Und ihr ganz zu Willen sein.
Was bedarf es aber Zauberein?
Ich bin doch ihr eigen.

    Nun vernehmt von ihrer Zauberlist:
Damit steht es so:
    Sie ist ein Weib, die schön und ehrbar ist,
Und mit Andern froh.
    Daß sie mehr ersonnen
Wider mich, das kann nicht sein:
Ihres Wesens Lieblichkeit allein
Schafft mir Schmerz und Wonnen.


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