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Vorrede.

An Uebersetzungen französischer, italienischer und spanischer Lieder ist in Deutschland von jeher kein Mangel gewesen; neuerdings hat man auch, und wer sollte es nicht loben? provenzalische Lyrik des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts bei uns eingeführt, Gedichte jener Troubadours, die südliche, leidenschaftliche Glut in glänzendere Farben kleidet als das bescheidene deutsche Minnelied, das gleichwohl lieblicher duftet, inniger zum Herzen spricht. Was hilft es ihm? es müste doch wieder wie in Deutschland Alles, was »nicht weit her« ist, das Aschenbrödel sein, wenn nicht längst schon der Führer jener heimischen Nachtigallenschar, mit Gottfried von Straßburg zu sprechen, vielleicht nicht sowohl durch die Schönheit seiner Lieder als durch den männlichen Freimuth, womit er sich in den großen Kämpfen der Zeit auf die Seite des Kaisers stellte, wenigstens für sich eine Theilnahme erweckt hätte, deren sich keiner jener stolzen Provenzalen zu rühmen hat. Aber Walther von der Vogelweide ( 29), der reichste, vielseitigste und vollendetste Dichter jener Zeit, bildet doch nur den Einen Gipfel unserer höfischen Liederdichtung; als den andern würde der Leser Nithart ( 45) erkennen, wenn ich nicht Bedenken getragen hätte, mehr von ihm zu geben, so lange uns seine Lieder noch nicht in kritischer Sichtung vorliegen, ein Wunsch, den uns M. Haupt wohl bald erfüllen wird. Auch hob sich die Dichtung weder sogleich zu diesen beiden Gipfeln, noch sank sie von ihnen unmittelbar wieder ins Thal. Der Absturz freilich ist jäher; aber viele reizende Höhen steigen sehr allmählich zu dem ersten Gipfel empor und auf ihren mannigfaltigen und eigenthümlichen Formen mag der Blick gerne verweilen. Auch ergötzt es zu sehen, wie die Kunst des Minnegesangs in ihrer höchsten Blüthe, ja schon vor derselben so allgemeine Würdigung fand, daß selbst Kaiser und Könige nicht umhin konnten, sie zu üben, weil sie einen unerläßlichen Theil der ritterlichen Bildung ausmachte.

Nach dem Vorgange der s. g. Manessischen Sammlung beginnt unsere Auswahl mit diesen Liedern der Fürsten, die nach meinem Urtheile, das weder nach unten noch oben zu schmeicheln liebt, keineswegs zu den geringsten gehören. Daß es Kaiser Heinrich VI., des Rothbarts Sohn war, der die Reihe dieser gesangkundigen Fürsten eröffnet, glaube ich in dem Aufsatze dargethan zu haben, dem mein zu früh verstorbener Freund, Heinr. Fr. Otto Abel, in seinem trefflichen Werke: König Philipp der Hohenstaufe (Berlin, 1852) eine Stelle gegönnt hat.

Unser zweites Buch zeigt dann die Entwickelung der Lyrik bis zu jenen beiden Gipfelpunkten, von welchen der eine die strenghöfische Kunft in reiner und edler Haltung darstellt, der andere dem Volksleben näher steht und sich heiterer und anmuthiger entfaltet. Zunächst vor Walther habe ich Wolfram von Eschenbach ( 28) gestellt, die Krone der epischen Kunstpoesie, der auch als Liederdichter hohen Schwung nimmt und ein prächtiges Gefieder entfaltet. Leider konnte ich von seinen wenigen Liedern nur einige geben und selbst diese nicht alle ganz. Doch wird es erfreuen zu sehen, wie sein sittliches Gefühl, das auch seine epischen Schöpfungen über alle stellt, dem Wächterliede den Abschied gab, derselben Gattung, für deren Erfinder er gilt, in der er jedenfalls unerreicht ist. Weiter ab vor Walther steht Heinrich von Morungen ( 21), der ihn doch fast in Schönheit der Bilder und Adel der Empfindung überstrahlt. Zwischen jenen beiden Gipfeln gewahren wir in Gottfried von Nifen ( 30) und Ulrich von Lichtenstein ( 38) schon Spuren des Absinkens, dort in Virtuosität ohne herzliches Gefühl, hier in conventionelle Abgeschmacktheiten, die freilich die Parodie herausforderten, wie sie im Tannhäuser ( 46) und schon bei Nifen hervortritt. Den Gegensatz Ulrichs bildet in unserer Auswahl Reinmar von Brennenberg ( 39): wie jener unser Gefühl empört, indem er vermählt einer vermählten Fürstin um mehr dient als ihren Gruß, an dem sich noch Walther begnügt hatte, so rührt dieser durch die Reinheit seines Herzens, indem er der Sage nach als Opfer der gleichen Unsitte fällt, die ihm weniger als seiner Zeit zum Vorwurf gereicht. Lieber als bei diesen bedenklichen Zuständen wird man bei der frischen Lebensfülle der ältesten Lieder bis zu Heinrich von Veldeke ( 19) weilen. In ihnen belauschen wir die Kindheit der Lyrik, die sich kaum erst dem mütterlichen Schooß der epischen Volksdichtung entwunden hat. Alles klingt hier noch volksthümlich, Alles athmet das lebendige Naturgefühl unserer eigensten Dichtung. Die Aufforderung zum Tanz, zum Genuß der Mailust, der Sommerfreude wird noch heute im Volke gesungen und gesprungen. Vgl. Meine Volkslieder, S. 205. 209. Sie findet sich auch bei Graf Konrad von Kilchberg ( 11), sie klingt bei Johann von Brabant ( 4) an, sie bildet den volksmäßigen Grund der Nithart'schen Poesie, und die allgemeine Sitte, mit Sommer und Winter anzuheben, der zuerst Reinmar der alte ( 26. 1) ausdrücklich entsagte, zu der aber Nithart zurückkehrt, hängt damit zusammen. Auch in diesen ältesten Liedern ist schon Minnegesang, geistlicher bei Heriger ( 17), weltlicher in den alterthümlichen Strophen, die Kürnbergs ( 13) Namen tragen; aber noch eigentlich kein Frauendienst, vielmehr sehen wir das natürliche Verhältniss der Geschlechter noch gewahrt, indem Frauen bewundernd zu der Kraft und Kühnheit der Männer emporblicken. Nicht weniger lehrreich ist die Form dieser alten, noch von keinem fremden Hauch berührten Lieder, zu welchen auch die Spervogels ( 15a) und Milons von Sevelingen ( 15) zählen. Wir erkennen den Ursprung der Nibelungenstrophe aus der alten Langzeile von acht Hebungen, von welchen die letzte schon in der alliterierenden Zeit auf die Pause fallen durfte, wovon der nur vierzeilige erste Merseburger Heilspruch doch Ein Beispiel bewahrt, einige auch das Hildebrandslied und zahlreiche das unschätzbare Muspilli. Umgekehrt zeigen nun die dem Kürnberg zugeschriebenen Lieder die vollen acht Hebungen auch in den drei ersten Langzeilen der Strophen. Ebenso läßt sich das hohe Alter des Mittelreims an Milon von Sevelingen und der heimische Ursprung der Dreitheiligkeit an den alten Liedern von Ungenannten ( 18) darthun. Neben den dreitheiligen erscheinen hier auch zweitheilige Lieder, wie sie bei Nithart zurückkehren: sie sind gewiss uralt und selbst die Nibelungenstrophe fällt unter ihr Gesetz. Es ist nur Täuschung, wenn sie lyrischen Ursprung zu haben scheint, weil die ältesten uns erhaltenen Beispiele, eben jene Strophen, die Kürnbergs Namen tragen, lyrisch sind: darauf wollte ich gerade aufmerksam machen, daß diese Lyrik noch ganz epischen Character trägt: sie ist noch kaum der Epik entwachsen und kleidet sich darum in ihre Formen. In dieser Rücksicht bilden die zarten Lieder, die sich Dietmar von Eist ( 14) zuschreiben, die Kehrseite der Kürnbergischen, mit denen sie doch dem Inhalte nach verwandt sind: sie gehen meist von der Halbzeile aus, wie jene von der Langzeile: daß beide metrisch zusammenfallen und aus der alliterierten Zeile von acht Hebungen ihren gemeinsamen Ursprung nahmen, kann hier nicht ausgeführt werden.

Wenn ich einen Theil der sonst Spervogel beigelegten Strophen dem zu lange unerkannt gebliebenen Heriger zugetheilt habe, so beruht dieß darauf, daß dieser sich in einer derselben ( S. 62) nennt; wahrscheinlich gehört ihm auch der andere Theil, in welchem der Name Spervogel ( S. 52) nichts für dessen Verfaßerschaft beweist: es ist der gleiche Fall wie bei Kürnberg ( S. 39), nur daß wir dessen Namen beibehalten müßen, weil er sich noch durch keinen andern ersetzen läßt. In Herigers Liedern ist uns das Aelteste und Eigenthümlichste bewahrt, was wir von deutscher Didaktik besitzen: die Aehnlichkeit mit dem eddischen Hawamal ist schlagend und erstreckt sich selbst auf die Gegenstände; fast möchte man einen äußern Zusammenhang vermuthen. Diese Didactik ist noch episch gefärbt, sie bedient sich aber lyrischer Formen; bei dem kaum so poetischen Freidank ( 44) ist schon beides abgestreift; nur der volksmäßige Grund scheint noch durch.

Nachdem einmal, was Herigern gehörte, auf Spervogels Namen gekommen war, schrieb man einem jüngern Spervogel zu, was nach Form und Inhalt verwandt, doch durch künstlichern Strophenbau spätern Ursprung zu verrathen schien. Die wenigen Stücke, die wir mittheilen konnten, mögen nicht alle gleichen Werth haben; aber einige sind vortrefflich.

Im dritten Buche habe ich die schönsten Abschnitte des Wartburgkriegs nur in der Absicht ausgehoben, die große poetische Kraft dieses in unsern Literaturgeschichten vielgeschmähten Gedichts einem größern Kreise zur Anschauung zu bringen.

Obgleich ich nicht erwarte, daß alle Leser meinen Geschmack theilen, so hoffe ich doch, billige Beurtheilung werde mir einräumen, daß ich ziemlich das Beste ausgewählt habe. Mancher wird freilich diesen oder jenen Liebling vermissen; es fragt sich aber, ob meine Kräfte zu einer leidlichen Uebertragung ausgereicht hätten und so sollte ich für meine Enthaltsamkeit eher Dank verdient haben, denn wer läßt sich seine Lieblinge gern entstellen? Hier berühre ich aber einen Punkt, der dieß ganze Unternehmen als ein gewagtes erscheinen läßt, denn Entstellung ist am Ende auch die beste Uebersetzung, und die meine, die sich nicht für die beste ausgiebt, muß auf so vielfachern Undank gefaßt sein, je größer jetzt glücklicherweise schon die Zahl deren ist, welche die Originale lesen und lieben. Aber die Zahl noch zu mehren, den Urtexten neue Freunde zu gewinnen, ist der nächste Zweck der Uebersetzungen. Ob es ihre einzige Bestimmung ist, ob nicht auch dann noch, wenn Alle die alten Lieder lesen, Uebersetzungen dienen können, die eigene Sprache zu bereichern und zu bilden, das ist eine Frage, die ich nicht entscheiden will.

Seit Tiecks Auswahl aus den Minnesingern war kein größerer Versuch mehr gemacht worden, die frühste Blüthe deutscher Lyrik unserer veränderten Sprache wieder anzueignen. Jener erste, so wohlgemeint, ja verdienstlich er heißen mochte, konnte doch kein sonderliches Verlangen nach weitern Mittheilungen hervorrufen. Nach der Gleimschen Periode, die Umdichtungen statt Uebersetzungen geliefert hatte, geriethen die Romantiker auf den entgegengesetzten Abweg, mehr die Schreibung als die Sprache zu erneuen und so nicht sowohl Uebersetzungen als die alten Lieder selbst vorzulegen. Da hiermit das Verständniss fast gar nicht gefördert war, so kann der geringe Erfolg umsoweniger befremden, als sich damals schon an den Alten eine Uebersetzungskunst ausgebildet hatte, die an Uebertragung auch der Minnelieder zu viel größern Ansprüchen zu berechtigen schien. Diese haben sich, seit wir mit den Feinheiten der alten Sprache und Metrik vertrauter geworden sind, zu solcher Höhe gesteigert, daß es jetzt viel leichter ist, aus einer alten oder fremden Sprache zu übersetzen als aus dem Mittelhochdeutschen. Bei Liedern, die leichten Fluß verlangen, sind diese Schwierigkeiten doppelt groß. An Fleiß habe ich es nicht fehlen laßen, und vielfältige Vorübung wird man mir wohl zugestehen; gleichwohl vermochte ich bei anstrengender Bemühung nur den allerkleinsten Theil des unermeßlichen Schatzes zu heben, und auch diesen nicht in seinem ursprünglichen Glanze: ich bin zufrieden, wenn man das alte Gepräge erkennt

Bonn im Januar 1857.

K. S.


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