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(8. April 1559.)
Ein Müller saß im Baierland Auf einer Mühl', die »Schönmühl'« genannt, Wohlhabend, der hatt' einen Sohn, Der zeigte früh Ingenium schon. Drum schickt' er ihn zur Schule hin. Er lernte mit begier'gem Sinn, Begriff bald die Purilia.Purilia (puerilia): Anfangsgründe. Nun war ein alter Pfarrer da Im nächsten Dorf – sein Vetter er wâs –, Derselbe rieth dem Müller, daß Er weiter ließ den Sohn studir'n, Er hätt' ein gut sinnreiches Hirn, Möcht' wol erreichen der Künste Stuhl. Sollt' schicken ihn auf die Hochschul'. Der gute Müller folgt' dem Rath, Schickt' seinen Sohn gen Ingolstadt. Allda er denn studirend war Und schrieb dem Vater immerdar Um Geld, zu kaufen dies und das, Zu Büchern auch ohn' Unterlaß, Die er in Meng' zusammenbrächte. Der Sohn studirte dort die Rechte Und wollt' ein doctor juris werden. Das Geldausgeben schafft' Beschwerden Dem Müller und viel Schmerzen gar. Als das gewähret hatt' drei Jahr', Ließ kommen er den Sohn nach Haus Und wollt' ihn einmal forschen aus, Was er die Zeit studiret hätt', Wie er sein Geld anlegen thät. Und als der Sohn heimkam, darnach Der Vater zu dem Sohne sprach: »Viel Geld wandt' ich auf dich, mein Kind, Zeig' mir, wo deine Bücher sind.« Da bracht' ein Buch ihm der Student, Das man den Kodex zubenennt. Mitten darin die Schrift war grob, Doch kleine Schrift darum und drob. Als der Müller das Buch aufthät Und sah, daß zweierlei Schrift es hätt', Da hatt' er Wunder groß darob Und fragt', warum denn klein und grob Im Buch die Lettern thäten stehn. Der Sohn sprach: »Vater, thu' verstehn: Die grobe Schrift der Text ist bloß, Die kleine drum, das ist die Gloss'.« Der Müller sprach zum Sohne sein: »Du weißt, Sohn, ich kann kein Latein. Weiß nicht, was Text ist oder Gloss', Sag's deutsch mir, so versteh' ich's bloß.« Der sprach: »Der Text ist die Wahrheit, Wie das eben vor langer Zeit Die alten Kaiser gesetzet wohl. Gerecht und aller Weisheit voll, Ihre Statuten und Gesetz', Nach denen im Gericht man stets Soll richten mit Gerechtigkeit: Und darnach aber mit der Zeit Darüber die Gelehrten schrieben, Wie jeglichen sein Geist getrieben, Wie man die Wahrheit soll verstehn, Und mit dem Rechte soll umgehn. Doch schrieb der dies und jener das, Sie fehlen oft der rechten Straß' Mit den Kommentaren, lang und groß; Schau, Vater, das nennt man die Gloss'.« Der Müller schwieg doch zu dem allen, Wiewol es ihm thät sehr mißfallen. Und sprach: »Mein Sohn, merk', was ich sag': Jetzt wirst du essen zu Mittag Beim Pfarrer, der der Vetter dein; Der wird dann mit dir in Latein Fein reden und freundlich konversiren, Zu merken, wie du thät'st studiren Und angelegt hast Geld und Zeit, Mir und auch dir zu Nutzbarkeit.« Zum Pfarrer der Student hinging. Der gute Müller, der nahm flink Das rechte Buch zu Händen, das Ad marginem glossiret wâs, Bezeichnet's mit der Richteschnur – Und mit dem Zimmerbeile pur Schnitt er herab die ganze Gloss' Und ließ des Textes Worte bloß, Schnitt ringsum alles weg ganz glatt. Als der Student kam wieder spat, Flattert' die Glosse um und um Zerstreuet in der Mühl' herum. Als der Student die Gloss' ersah, Das behau'ne Buch beschaut' er da, Erschrak und sprach: »O Vater mein, O weh, o weh, was soll das sein, Daß du mir, als ich war zu Gast, Mein bestes Buch verderbet hast?« Der Müller: »Keinen Deut! Betracht'! Ich hab' das Buch erst gut gemacht, Daß ich gehauen hab' darvon Viel Lügen und Opinion; Der Wahrheit fehlt dir nicht ein Stück: Darmit nun warte auf dein Glück.« Der Student sprach: »Die Wohnung mein Wird von der Wahrheit schmal und klein, Wenn ich nicht Ränk' und Listen auch, Nicht Widerred', Aufschüb', Ausflücht' brauch', Darmit die schlechte Sach' zu schmücken, Den Gegner so zu unterdrücken, Und wo ich nichts weiß zu gewinnen, Daß ich doch mög' Verläng'rung sinnen, Darmit ich denn meiner Partei Im Rechten gut behilflich sei. Schau, dieses ist die beste Kunst, Die trägt ins Haus Brot, Geld und Gunst, Was nimmer schlichte Wahrheit thut.« Der Müller drauf in zorn'gem Muth: »Die Kunst, die achten wir Dorfleut' nicht! Denn sitzen wir in unserm Gericht Unter dem Himmel bei der Linden, In kurzer Zeit ein Urtheil wir finden Nach der wahren Gerechtigkeit, Während ihr darzu braucht lange Zeit, Darinnen sucht Gewinn und Nutz, Gebt der Gerechtigkeit wenig Schutz. So seid wahrhaftig ihr Juristen In Städten wenig gute Christen! Drum will ich keinen Pfennig mehr wenden Auf dich, nähr' dich mit deinen Händen Und arbeit', wie ich that vor Jahren; Laß die Juristerei nur fahren, Daß deiner Seele nicht erwachs' Viel Schaden draus, so spricht Hans Sachs. |