Hans Sachs
Hans Sachs' ausgewählte poetische Werke
Hans Sachs

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37. Die Wolfsklage über die bösen Menschen.

(9. August 1543.)

                          Hört ein wunderlich Abenteuer.
Als ich im Wolfsmonat ging heuer
Einzig allein weit über Feld
Nach einem Ort, zu kassiren Geld,
Da schneit's, daß ich schier wurde blind;
Auch war die Straße von dem Wind
Mit Schnee verwehet also sehr,
Daß ich keine Bahn konnt' finden mehr.
Ging also, wie's gut dünkte mich.
Doch bald des Weges fehlte ich
Und hin zu einem Wolfsfeld kam:
Laut heulend ich allda vernahm
Eine Stimm', die rief o weh, o weh!
Furcht, Schrecken, Angst bracht' mir Herzweh;
Doch weil die Stimm' wie menschlich wâs,
Faßt' ich ein Herz und ging die Straß'
Hinzu: da saß in einem Hag
Ein Wolf, der führte schwere Klag'.
Traurig er auf gen Himmel sah
Und deutlich sprach er also da:
»Jupiter, höchster Gott der Welt,
Was hast du mich in die Welt gestellt,
Mich armes, meistgeplagtes Thier,
Dem jedermann nachstellet hier?
Fürsten, Adel, Bürger, Bauern,
Alles thut auf mein Unglück lauern
Und mir nach meinem Leben stellt;
Auf mich man Hund' und Jäger hält;
Wo mich ein Mensch erblicket nur,
Da macht im Lande er Aufruhr
Und schreit: ›Ein Wolf, ein Wolf, wohlauf!‹
Dann kommt zusamm ein großer Hauf',
Dann thut man mir mit Garn nachstellen,
Der Waidleut' ihre Hörner gellen,
Davon ergreift mich Schauder schwer;
Dann kommen bellend die Hund' daher,
Mich in das Garn hinein zu jagen;
Dann sie mich schießen, stechen, schlagen.
Auch machen mir die Bauernbuben
Im Wald viel heimliche Wolfsgruben,
Darein sie mich zu springen zwingen,
Um mich ums Leben mein zu bringen;
Dergleich die Waidleut' auf mich tichtennachstellen, nachgehn; das Wort hat sich noch erhalten in der Redensart »tichten (so müßte es eigentlich geschrieben werden) und trachten.«
Und scharfe Selbstgeschoss' mir richten,
Auch sehr viel Fallstrick' her und hin,
Daß ich schier nirgends sicher bin,
Als ob ich sei der ärgste Schalk,
Ein Mörder, Dieb und Lasterbalg,
Und doch hab' ich getrieben nur,
Was eingepflanzt mir von Natur.
Den Bauern ich zu einer Strafe
Wegtrag' Schwein', Enten, Gäns' und Schafe,
Ich thu's fürwahr nicht zum Geschleck;
Gäb' mir ein Bauer genug Kuttelfleck',
Kein Roß wollt' ich ihm fällen mehr;
Doch so ich mich vom Stegreif nähr',
Dieweil ich nicht kann essen Gras,
Mein Vater auch kein Heu nie aß.
Ich kann nicht dreschen, hacken, reuten,
Man läßt mich auch nicht bei den Leuten,
Daß ich ein Handwerk lernen möchte,
So daß mir Arbeit Nahrung brächte,
Daß ich nicht also müßig ging';
Darzu nehm' ich nur eßbare Ding',
Auf daß ich nicht gar Hungers sterb',
Hoff' stets, meine Schuld sei nicht so herb.
Maß' mir nicht an Gewalt und Macht,
Treib' auch nicht Hochfahrt, Gepräng' und Pracht.
Ich treib' auch keine Tyrannei,
Mach' nicht Aufstand und Schinderei,
Nicht Frohndienst. Zoll und auch nicht Zehnten,
Ich nehm' nicht Weinzoll, Zins und Renten,
Thät keinem auch an dem Getreide
Mit Wild und Jagd etwas zu Leide;
Nicht Krieg, Brand, Mord man von mir hörte,
Keine Stadt belagert' ich und zerstörte;
So hab' ich auch geführt kein Heer,
Kein Schiff versenket auf dem Meer,
So fälscht' ich auch nicht Brief und Siegel,
Stieß für die Wahrheit keinen Riegel,
Half auch nicht Fromme unterdrücken,
Deckt' keinem Bösewicht den Rücken,
Hab' nie Prozesse lang gezogen,
Gekrümmt das Recht, verschränkt, gebogen,
Ward mit Höllenküchleind. h. so viel wie Geschenke der Hölle, hingegeben zum Zwecke der Bestechung. nie bestochen,
Hab' auch kein Urtheil falsch gesprochen;
Hab' falsch gezeugt nie mit der Zungen,
Von seinem Gut auch keinen verdrungen,
Hab' auch getrieben nie Finanz
Und weiß auch nichts von Alefanz.Das Wort kommt vom ital. all avanze und bedeutet so viel wie Eigennutz in Geldgeschäften, Uebervortheilung.
So hab' ich Wucher auch nie getrieben,
Noch vom Hundert genommen sieben,
Hab' nie fürkauft Getreid', Wein, Korn,
Bin sonst auch kein Fürkäufer word'n,
Münzfälschen wußt' ich zu vermeiden,
Thät auch nie eine Münz' beschneiden
Und wusch darvon nicht, gier'gen Sinns,
Trieb Wechsel nie mit grober Münz',
Verfälschte Kaufmannswaaren nicht,
Hatt' nie kurz Maß und leicht Gewicht,
Hab' nie zu viel gerechnet, geschrieben,
Hab' keinen höher auf Borg getrieben,
Hab' nie übervortheilt und betrogen,
Hab' keinen verrathen noch verlogen,
Thät keinem die Ehr' diebisch abschneiden,
Thät auch nie einen hassen und neiden,
Hab' auch keinen Menschen nie veracht't,
Auch keinen verspottet noch verlacht,
Auch mit Stichworten keinen verletzt,
Auch niemals hin und wieder geschwätzt,
Zu Zank die Leut' nie angefacht,
Niemand bestohlen noch verjagt;
Auch thät ich schmeicheln nie noch heucheln.
Half keinem tödten oder meucheln,
Hab' auch nie einen lahm gehauen,
Geschwächet nie Jungfraun noch Frauen,
Half auch zu Kuppelei nicht viel.
So trieb ich auch kein falsches Spiel,
Nie hab' ich einen Fluch gethan,
Voll Weins sah mich noch nie ein Mann;
Schwur auch nie Meineid vor Gericht,
Ich ward auch ein Mordbrenner nicht,
Beging nie Kirchenräuberei
Und trieb auch niemals Zauberei;
Ein Wetter hab' ich nie gemacht,Es ist ein alter Aberglaube, daß man durch Zauberei Wetter, z. B. Hagelschlag »machen« könne.
Ritt auf dem Bocke nie bei Nacht,
Noch glaubt' an WundensegenFormeln zur Heilung von Wunden; es ist z. B. noch ein Zauberspruch über den verrenkten Fuß eines Pferdes aus der deutschen Heidenzeit erhalten. ich
Und kümmert' nie um Liebestrank mich;
Kein Wasser goß ich in den Wein,
Das Brot buk ich auch nie zu klein,
Dienstboten hab' ich nie verhetzt
Und Kunden keinem abgeschwätzt,
Kein Gesetz der Herrschaft je zerspalten,
Hab' niemals Lohn auch vorenthalten,
Hab' niemals auch Hochwild geschossen,
Heimlichen Fischens nie genossen,
Bin auch gewesen nie aufrührerisch,
Mit meinem Leben niemand verführerisch;
Beging auch niemals Simonei,
Macht' keine Rott', Sekt', Ketzerei;
Nie falsche Lehre von mir kam,
Errichtet' auch keinen Ablaßkram,
Nahm nicht Annaten noch PalliumAnnaten: gewisse an den Papst zu zahlende Abgaben; Pallium: Gelder für Verleihung des Pallium, einer weißen Binde mit schwarzen Kreuzen, welche von den Erzbischöfen, jedoch nur mit Erlaubniß des Papstes, getragen wird.
Verkauft' nie Propstei noch Bisthum,
Hatt' auch nie eine Pfründ' oder drei.
Ich trieb auch keine Gleißnerei
Und war auch kein Stationierer,Vergl. oben Nr. 32.
Kein Käsjäger und Terminierer;
Meine Tag' ich auch nicht päpstlich war,
Dergleichen lutherisch nimmerdar,
Noch bin ich auch in Acht und Bann.
Wiewol ich nichts von dem gethan,
Sie mich doch ungehört verdammen,
Als thät vom Schändlichen ich stammen
Und hätt' verwirket wol den Tod.
Darum, o Jupiter, du Gott,
Gebeut den Menschen, Männern und Frauen,
In ihres Herzens Spiegel zu schauen,
So wird das menschliche Geschlecht
Sich finden so bös' und ungerecht
In allem, was aufzählte ich,
So unverschämt und öffentlich,
So ehrlos, lästerlich und schändlich,
Daß es nicht geht so weiter endlich,
Weil doch die ganze Menschenzunft
Mit Sinn begabt ist und Vernunft,
Daß sie kann unterscheiden frei,
Was ehrlich und was schändlich sei.
Nun hat der Mensch auch, was noch mehr,
Christi heilige Himmelslehr',
Auch Verheißung von Gott darneben,
Ein ewiges himmlisches Leben.
All' solche Ding', die mangeln mir.
Ich bin ein unvernünftig Thier;
Wo ich aber ein bess'res wüßt',
Das wählte ich in schneller Frist,
Was doch der Mensch mit nichten thut.
Er strebt nach Macht, Ehr', Wollust, Gut,
Als wär' er thöricht, toll und blind;
Weil er ins Laster rennt geschwind,
Darum er viel strafbarer wär'.
Derhalb, o höchster Jupiter,
Bitt' ich, mir ein Geleit zu geben,
Damit ich möge sicher leben
Unter den Menschen immerdar,
Die schlimmer leben als ich fürwahr.
Derhalb straf' sie und laß mich frei,
So lieb Gerechtigkeit dir sei!«
Indem schwang sich Herr Jupiter
Auf einem Aar von oben her
Und sprach: »O Wolf, es wird auf Erden
Eine große Aend'rung plötzlich werden;
Dann soll dein werden auch gedacht,
Damit du kommst aus Bann und Acht.«
Froh fuhr der Wolf ins Holz mit Eile;
Herr Jupiter, gleich einem Pfeile,
Fuhr wieder auf zu seinem Thron. –
Ich ging im tiefen Schnee darvon,
Gedacht': Ach Gott, der großen Schande!
Ein jedes Thier in seinem Stande,
Fisch', Vögel, alle Kreatur,
Die je von Gott erschaffen nur,
Die lebt nach der Natur allein,
Die ihr Gott hat gepflanzet ein,
Und in keinem Stück sie übertritt;
Allein der Mensch thut solches nit:
Er bleibt nicht unterthänig Gott,
Ist widerspenstig seinem Gebot,
Nach Gut, Gewalt, Ehr', Wollust strebet,
Dardurch in allen Lastern lebet
Wider Vernunft und Christenlehre,
Wider Tugend, Sitt' und Ehre.
Darvon wird an dem jüngsten Tage
Alle Kreatur mit großer Klage
Wider den Menschen Zeugniß geben
Und wider sein sündhaftes Leben,
Die er mißbraucht hat all' zusammen,
Sich selbst zum ewigen Verdammen;
Auch ist wahrhaftig zu vermuthen,
Daß Gott uns werd' mit seiner Ruthen
Heimsuchen scharf und fürchterlich,
Mit Theu'rung, Pestilenz und Krieg
Und andrer fürchterlicher Plage.
Gott woll', daß dardurch vor dem Tage
Buß' und Bess'rung bei uns aufwachs',
Daß wir fromm werden, wünscht Hans Sachs.

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