Hans Sachs
Hans Sachs' ausgewählte poetische Werke
Hans Sachs

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41. Kampfgespräch zwischen Frau Wollust und Frau Ehre.

(25. September 1549.)

                    Als ich in meiner Jugend lag
Am Montag früh einst, noch vor Tag,
Allda es mir im Traume schien,
Wie eine mächt'ge Königin
Einträt' in meine Kemenate.Kemenate (caminata): heizbares Gemach.
Die Fraue Kron' und Scepter hatte
Und war gar prächtig von Gestalt,
Wie man die Göttin Venus malt.
Als meiner Bettstatt sie kam nah,
Daß es Voluptas war, ich sah,
Die man sonst auch nennt Frau Wollust.
Sie legt' die Hand auf meine Brust.
Frau Wollust.
Dann sprach sie: »Auf, Geselle mein,
Zu der Herzallerliebsten dein!
Schon lange hat sie dein geharrt:
Erfreu' sie nun nach Liebesart,
Es ist heut' grad' gelegne Nacht.«
Mich däucht', daß ich nun ganz erwacht'.
Ich rüstete mich froh darzu
Und legte Hosen an und Schuh',
Darzu mein Feiertaggewand.
Frau Wollust nahm mich bei der Hand
Und führt' mich aus der Kemenat'.
Mich däuchte, daß heraus ich trat
Und klar und deutlich hört' dabei
Eine Stimm' aus meiner Bücherei.
Die sprach dies mit betrübtem Sinn:
Frau Ehre.
»O Jüngling, bleib'! Wo willst du hin?
Willst du verlassen mich elende?«
Wie ich mich nach der Stimme wende,
Bedünkt es mich, als wär's Frau Ehr',
Die mich mit vielgetreuer Lehr'
Zuvor in der Blüte meiner Jugend
Gezogen auf zu Sitt' und Tugend.
Der Jüngling.
Ich sprach: »Frau Ehr', kommt auch mit mir!«
Frau Ehre.
Sie sprach: »Nein, ich komm' nicht mit dir,
Weil führt Frau Wollust deine Hand.
Bei dieser hab' ich nicht Bestand.
Willst mein du sein, so bleib' bei mir!«
Frau Wollust.
»Komm Jüngling! Was willst du bei ihr?
(Sprach Frau Wollust) bei ihrem Prangen
Liegst wie im Kerker du gefangen!
Bei ihr hast du nicht Freud' und Wonn'.«
Frau Ehre.
Frau Ehre sprach: »Bleib', lieber Sohn,
Laß dich Wollust nicht überwinden,
Sonst thut sie fangen dich und binden,
Daß ihrer schwer du wirst entledigt.«
Frau Wollust.
»Gesell', acht' nicht auf ihre Predigt
(Sprach Frau Wollust); ich geb' dir viel
An Freud' und inniglichem Spiel.
Was wäre sonst das Menschenleben?
Willst du Frau Ehre dich ergeben,
So hast du nur ein ewig Trauern.«
Frau Ehre.
»Jüngling, das Ding laß dich nicht dauern
(Frau Ehre sprach) und bleib' bei mir:
Fried', Freud' und Ruh' verleih' ich dir,
Ich will der Tugend Schmuck dir geben,
Im Innern dauerndes Wohlleben,
Darzu ein frei und gut Gewissen.
Wirst du von Wollust hingerissen,
Verführt sie dich, daß du mußt wandern
Von einem Laster zu dem andern,
Darinnen endlich du erblindest.«
Frau Wollust.
»O komm! Bei mir den Schatz du findest
(Sprach Frau Wollust), den auf der Erd'
Wol alle Kreatur begehrt.
Was willst die Blüte deiner Jugend
Mit Sitt' du martern und mit Tugend?
Sag' an, was hättest du darvon?«
Frau Ehre.
»O Jüngling, fleuch der Wollust Lohn.
Denn wenn man in der Wollust lebt,
In hohen Freuden drinnen schwebt,
Meint, daß man Wollust hab' besessen,
So hat sie einen selbst gefressen,
Wie man das oft kriegt zu Gesicht.
Seneca nicht vergebens spricht:
›Wollust umfänget uns von Nöthen,
Daß sie uns würgen kann und tödten.‹
Schau, also ist der Wollust Ende.«
Frau Wollust.
Die Wollust sprach: »Dich mir zuwende,
Weil alle Welt mich auserwählt;
Nach Ehr' der kleinste Theil nur stellt,
Sie ist nur eine Mutter der Alten.«
Frau Ehre.
Frau Ehre sprach: »Zu mir thu' halten!
Dann hast vor Gott und Welt du Ehr'.
Reizt dich Frau Wollust noch so sehr,
Rühmt ihre Lust so angenehm,
So muß sie doch in alledem
Vor Gott und vor der Welt sich schmiegen.
Drum thut sie nur bei Nacht ausfliegen,
Gleich wie die schädliche Fledermaus;
Und wer sie sieht, speit vor ihr aus.
Ich aber darf mich lassen schauen
Bei Biederleuten, Männern, Frauen.
Darum, mein Jüngling, bleib' bei mir.«
Frau Wollust.
»Jüngling, was willst du thun bei ihr?
Nichts ist bei ihr zu aller Zeit,
Als Langweil' und Schwermüthigkeit.
Verheißt viel Lohn und Freude dir,
Doch sind dies eitle Worte schier:
Gar nichts gibt sie dir in der That.«
Frau Ehre.
Frau Ehre sprach: »Folg' meinem Rath.
Bei langer Weil' lies und studire,
Daß dein Verstand sich schmück' und ziere;
Ueb' dich in Tugend allezeit:
Das treibet fort Schwermüthigkeit,
Und du wirst allen Menschen werth.«
Frau Wollust.
»Genieß' erst einmal auf der Erd',
O Jüngling, deiner jungen Tag';
Laß jene sprechen, was sie mag!
Im Alter wirb' nach Tugend dann.«
Frau Ehre.
Frau Ehr' sprach: »Folg' mir, junger Mann!
Die Wollust führet dich zur Schand'.
Dann steht's nicht mehr in deiner Hand,
Daß du erreichest mich, Frau Ehre.«
Frau Wollust.
Frau Wollust sprach: »Folg' meiner Lehre,
Du kannst mit mir fein still umgehn
Und niemand kriegt es sonst zu sehn.
Drum, Jüngling mein, dich zu mir kehre.«
Frau Ehre.
Zur Antwort sprach darauf Frau Ehre:
»Jüngling, glaub' nicht der Schmeichelei,
Daß solches lang' zu bergen sei;
Es kommt dir darvon Schand' und Spott
Und Feindschaft gegen Welt und Gott
Von wegen kurzer Wollust hier,
Die stets mit Unlust endet dir.
Darum auch Cicero dies spricht:
›Die Wollust soll'n wir ansehn nicht,
Wenn anfangs sie thut herrlich prangen,
Vielmehr, wenn sie ist ganz vergangen,
Dann soll'n wir schaun den eklen Rest.‹
Archita nennt sie eine Pest,
Vernichtend alles Menschengeschlecht.
Drum, Jüngling mein, versteh' mich recht:
Wenn gleich nicht Höll' noch Himmel wär',
Die Wollust auch nicht Sünde schwer,
Hintangesetzt dies allzusammen,
So sollt'st du deinen guten Namen
Doch nicht beschmutzen durch Wollust.
Den Schandfleck du sonst tragen mußt
Bei allen ehrenwerthen Leuten,
Die's dir als Schand' und Laster deuten.
Darum Frau Wollust du verachte
Und mir, Frau Ehr', allein nachtrachte,
Schon um den guten Namen dein.«
Frau Wollust.
Frau Wollust sprach: »O Jüngling fein,
Folg' mir, ich schaff' dir Freud' und Lust,
Daß du dich allzeit freuen mußt;
Folgst du jedoch Frau Ehr' auf Erden,
So mußt du ein Einsiedel werden,
Von aller Welt ganz abgeschieden.«
Frau Ehre.
Frau Ehre sprach: »Laß ihn zufrieden!
Wenn er nur kommt zu seinen Tagen,
Soll ihm nichts werden abgeschlagen.
Dann will ich ein Gemahl ihm geben,
Mit dem er soll in Freuden leben,
Daß Gott und Welt es soll gefallen:
Die soll er lieben dann vor allen.
Alsdann mag er mit Gott und Ehren
Freud' haben und die Welt auch mehren,
Mit ihr die Lebenszeit vertreiben.
Da will ich allzeit bei ihm bleiben,
Das Haus ihm zieren mit aller Tugend
Bis zum Alter von seiner Jugend,
Daraus ihm folgt Wohlfahrt und Glück,
Daß er wird mächtig, reich und flügg',
Bewahret auch ehrlichen Namen
Für alle, die von ihm entstammen.
Schau, alles dies hat er von mir;
Sobald er aber folget dir,
So wird ihn Unglück viel bedrücken,
Das, Wollust, du trägst auf dem Rücken,
Schand', Armuth, Schaden, Angst, Krankheit,
Trübsal und Widerwärtigkeit,
Wie man die Diener dein verderben
Darin denn sieht und elend sterben;
Beim Tod währt üble Nachred' noch:
Das sind genug Beinbrüche doch!
Darum, o Jüngling (sprach sie mild),
Nun folge, wem du bist gewillt.
Wir sind jetzt alle zwei zu Ende.«
Der Jüngling beschließt.
Indem däucht' mich, wie meine Hände
Frau Wollust in die ihren preßt',
Jedoch sie drückte sie so fest,
Daß ich mich heftig von ihr riß
Und hart an den Bettpfosten stieß
Den Ellenbogen, daß es krachte.
Darvon gar plötzlich ich erwachte
Und voll Verwunderung da lag,
Sann nach dem Traum, bis es ward Tag,
Und dacht' bei mir: Nun will Frau Ehre
Ich folgen nach und ihrer Lehre,
Zu ihr mich halten, so lang' ich lebe,
Auf daß ich in der Tugend schwebe,
Die ja den Menschen auf der Erd'
Geachtet macht und ehrenwerth.
Der Wollust Schanden will ich fliehen,
Die in Unglück den Menschen ziehen,
Ihm bringen viel des Ungemachs,
So redet von Nürnberg Hans Sachs.

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