Hans Sachs
Hans Sachs' ausgewählte poetische Werke
Hans Sachs

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Vorbemerkungen

Hans Sachs wurde am 5. November 1494 zu Nürnberg geboren; sein Vater war der Schneider Jörg Sachs. Seine Eltern, einfache Bürgersleute, wie es scheint, von bescheidenen Vermögensverhältnissen, erzogen den Knaben »in Zucht und Ehren« und schickten ihn mit dem siebenten Jahre (Ostern 1501) auf eine der vier lateinischen Schulen Nürnbergs, welche damals in hoher Blüte standen. Daselbst erlernte der Knabe neben dem sogenannten Quadrivium, d. h. Grammatik, Rhetorik, Dialektik und Musik, noch eine Menge anderer Disciplinen, wie das Gedicht Nr. 68 beweist, welches, eben so wie Nr. 67, nicht wegen seines poetischen Werthes, sondern wegen der darin enthaltenen biographischen Notizen in unsere Auswahl aufgenommen ist. Wenn der Dichter selbst später einmal versichert, daß er ein ungelehrter Mann sei, der weder Griechisch noch Lateinisch könne, so ist dies nicht wörtlich zu verstehen. Denn das ist sicher, daß er, der wie ein Gelehrter unterrichtet wurde, auch die beiden alten Sprachen erlernte, wenn auch seine Kenntnisse darin nicht gerade bedeutend gewesen sein mögen; er hat ja auch verschiedene ältere lateinische Lieder umgedichtet und den Henno des Reuchlin und den Hekastus des Macropedius sehr getreu aus dem Lateinischen in das Deutsche übersetzt. Es ist ein ehrendes Zeugniß für den strebsamen Sinn seines Vaters, daß er den Sohn auf einer gelehrten Schule unterrichten ließ, trotzdem er ihn zum Handwerker bestimmt hatte. Nachdem Hans Sachs die Schule durchgemacht, ging er zu einem Nürnberger Schuhmacher in die Lehre (1509). Besonders bedeutungsvoll für seine Entwicklung aber ist es, daß er während der zweijährigen Lehrzeit die Kunst des edelen Meistergesanges von dem Leineweber Lienhard Nunnenbeck erlernte.

Im Jahre 1511 begab sich Hans Sachs auf die Wanderschaft,Tittmann gibt in den im Vereine mit Goedeke herausgegebenen »Dichtungen von H. S. (Lpzg. 1870–71, 3 Bände)« B. II., S. IX als Jahr, wo Hans Sachs die Schule 1511, wo er Nürnberg verließ 1513 an, beides in directem Widerspruch mit Gedicht Nr. 67 und den Angaben in Band I., S. XXIII. desselben Werkes. Ob er da noch ein Recht hat, stolz auf den »Dilettantismus« herabzuschauen, wie er S. XIII thut, das zu beurtheilen, will ich ihm selbst überlassen. welche ihn durch einen großen Theil von Deutschland führte. Regensburg, Passau, Salzburg, München, Landshut, Würzburg, Frankfurt, Köln, Aachen und viele andere Orte, groß und klein, berührte er auf seiner Wanderschaft. In Wels scheint er einige Zeit Waidmann am Hofe Kaiser Maximilians gewesen zu sein. Hier gedieh auch sein Entschluß, »sich der deutschen Poeterei sein Lebenlang zu ergeben« zur Reife, und nicht unwahrscheinlich ist es, daß die Nähe des ritterlichen Kaisers, der selbst die ersten dichterischen Intentionen zum Theuerdank (erschien 1517) gegeben hatte, nicht wenig zu diesem Entschlusse beitrug. Schon vorher hatte er, wohin er kam, die Meisterschulen besucht, jetzt geschah dies mit noch viel größerem Eifer. Sein erstes Meisterlied dichtete er zu München 1514, aber schon vom September 1513 ist ein Liebeslied (Nr. 1) von ihm vorhanden; in München half er auch »die Schule verwalten« und in Frankfurt am Main hielt er zum ersten Male selbst eine solche.

Nachdem er so fünf Jahre Deutschland durchstreift, Land und Leute kennen gelernt und sich eine tüchtige Menschenkenntniß und Weltklugheit erworben hatte, ging er 1516 nach Nürnberg zurück, machte sein Meisterstück und ließ sich daselbst als Meister nieder. Am 1. September 1519 verlobte er sich mit Kunigunde Kreuzerin ans Wendelstein bei Nürnberg und »hielt am 9. Tage Hochzeit« mit ihr.Anders kann man wol kaum die Aeußerung in Ged. Nr. 67 auffassen und darf daher den Hochzeitstag nicht wie Tittmann (II., S. XVI) auf den 1. September setzen. Die Ehe, in der er 7 Kinder, 2 Söhne und 5 Töchter, zeugte, war eine sehr glückliche. Aus den ersten Jahren seiner Ehe haben wir nur eine sehr geringe Anzahl von Gedichten: das neue Hauswesen und sein Handwerk mochten seine ganze Thätigkeit zu sehr in Anspruch nehmen; noch mehr aber war es die von Wittenberg ausgehende neue Lehre, welche alle seine Sinne beschäftigte. Hans Sachs war ein innig frommer Mann, aber er war auch eine durchaus verständige Natur; er hätte es eben so wenig vermocht, leichtsinnig oder um anderer Interessen willen den alten Glauben aufzugeben, wie er es vermocht hätte, ohne sorgfältige Prüfung des neuen Glaubens ohne weiteres im alten zu verharren. Darum gab er sich mit staunenswerthem Eifer dem Studium der Schriften Luthers und seiner Freunde hin (er besaß 1521 deren nicht weniger als vierzig!) und arbeitete die Bibelübersetzung des Reformators gewissenhaft prüfend durch. Mit scharfem Blicke erkannte er bald, wie berechtigt Luthers Angriffe gegen das Papstthum waren, wie die neue Lehre nicht Menschensatzung war, sondern sich einzig und allein auf das Wort Gottes stützte – und ohne Zögern wandte er sich der Reformation zu, indem er 1523 in der Wittenbergischen Nachtigall Luthers Lehre mit aller Entschiedenheit verfocht und den weiteren Kreisen des Volkes verständlich zu machen suchte. Zur weiteren Aufklärung ließ er bald noch sieben Gespräche in Prosa erscheinen, in denen er besonders die evangelische Freiheit vertheidigte. Anfangs herrschte große Aufregung in der Stadt, als sich Hans Sachs, der schon damals von seinen Mitbürgern hochgeachtet war, der neuen Lehre so entschieden zuwandte. Bei ruhiger Betrachtung aber erkannten seine Mitbürger bald die Richtigkeit seiner Ausführungen und wandten sich der neuen Lehre mit Eifer zu, so daß Nürnberg in der Folgezeit eine der festesten Stützen der Reformation wurde. Hans Sachs wirkte noch längere Zeit für die Ausbreitung und Popularisirung des neuen Glaubens, indem er eine große Anzahl von Kirchenliedern, Bearbeitungen von Psalmen, Dichtungen aus dem neuen und alten Testament u. s. w. verfaßte, ohne sich jedoch jemals auf die unerquicklichen Zänkereien der Theologen einzulassen, welche bald ausbrachen und der Kirche mehr Schaden brachten als ihre äußeren Feinde. Durch sein energisches Auftreten für die Lehre Luthers hatte unser Dichter großes Ansehn in seiner Vaterstadt gewonnen, so daß es ihm nun gelang, eine neue Singschule zu stiften, was er schon vorher einmal vergebens versucht hatte, nachdem die alte zerfallen war.

Nachdem sich die Wogen der Aufregung in seiner Vaterstadt gelegt hatten, welche durch die Glaubenskämpfe hervorgerufen waren und auch den Dichter mit sich fortgerissen hatten, zog er sich aus der Oeffentlichkeit in sein stilles Heim zurück, um sich seiner Familie, dem Handwerk und friedlichem Dichten zu widmen. In seiner Mußezeit studirte er daneben mit großem Eifer nicht nur die ältere deutsche Literatur, sondern auch die Schriften der Griechen und Römer, sowie neuere fremdländische Dichtungen, soweit sie ihm durch Uebersetzungen zugänglich waren, besonders Boccaccio, sowie endlich Chroniken und andere Geschichtswerke, Reisebeschreibungen und die Werke der sogenannten Volksliteratur. Und alle Werke, die er las, gaben seiner reichen Phantasie Stoff zu den mannichfaltigsten Dichtungen. Seit 1535 zog er sich mehrere Jahre, mindestens bis 1538, noch mehr zurück und bewohnte ein Haus vor einem Thore der Stadt. Wann er wieder in die Stadt zog, wissen wir nicht, nur ist überliefert, daß er zuletzt in einem Hause am Mehlgäßlein, später »zum güldenen Bären« genannt, wohnte. Von Einigen wird angenommen, daß er 1544 Nürnberg verließ, um an dem Zuge Karls V. nach Frankreich theilzunehmen, weil er in einem Gedichte über den Zug des Kaisers sagt: »wir lagen vor der Stadt Scholon.« Allein die ununterbrochen fortlaufende Reihe der von ihm verfaßten und eigenhändig in die Bücher eingetragenen Gedichte beweist, daß er Nürnberg nicht verlassen hat. Als hochgeachteter Mann von einigem Wohlstande lebte er zu Nürnberg in einem glücklichen Familienkreise, seine Mußestunden mit poetischem Schaffen ausfüllend und mit Befriedigung auf die politischen und socialen Verhältnisse seiner Vaterstadt herabschauend, welche mit ihrem lebhaften Handel, dem strebsamen Treiben ihrer Einwohner und als Sammelplatz von Gelehrten und Künstlern ihm mannichfachen Stoff und Anregung zu poetischer Gestaltung bot.

Alle Dichtungen aus den fünfziger Jahren athmen Ruhe und Zufriedenheit und lassen erkennen, in was für beglückenden häuslichen Verhältnissen der Dichter lebte. Bald aber traten schwere Prüfungen an ihn heran. Erst starben ihm seine sieben Kinder dahin, dann erkrankte ihm am 25. März 1560Diese Angaben macht der Dichter selbst in einem Gedichte vom 19. Juli 1560, während er im Gedicht Nr. 67 (vom 1. Jan. 1567) als Todestag den 16. März angibt, wie auch Tittmann ohne jede weitere Bemerkung thut. Daß ein Mann von 72 Jahren sieben Jahre nach dem Tode seiner Frau sich in ihrem Todestage irren kann, läßt sich begreifen, wol aber wäre es zu verwundern, wenn jemand nach vier Monaten den Todestag seiner Frau falsch angäbe. Für den 27. (oder 28.) März spricht auch noch die größere Ausführlichkeit des Berichts im ersten Gedichte. seine getreue Hausfrau und verschied in der dritten Nacht darnach, den fünfundsechzigjährigen Mann im vereinsamten Hause zurücklassend. Wie groß auch sein Schmerz in der ersten Zeit war, so fand er doch vermöge seiner glücklichen Naturanlage bald wieder Trost und Ruhe im Gemüthe. Am 2. September des folgenden Jahres vermählte er sich mit der siebzehnjährigen Barbara Harscherin, deren Schönheit er das hübsche Gedicht Nr. 62 gewidmet hat. Die Menge heiterer Dichtungen, welche aus dieser Zeit stammt, gibt den Beweis dafür, daß auch diese Ehe eine überaus glückliche war. Dazwischen ertönen auch wieder ernste Gedichte und geistliche Lieder, verfaßt in der Zeit, wo des Dichters Vaterstadt von einer verheerenden Seuche, welche in kurzer Zeit 9256 Menschen dahinraffte, heimgesucht war (1562). Schon früher hatte er zuweilen den Plan gefaßt, das Dichten aufzugeben, auch jetzt nahm er sich vor, davon abzulassen, und setzte dennoch seine dichterische Thätigkeit fort. weil es ihm innigstes Herzensbedürfniß geworden war, alles, was ihn bewegte, in Verse umzugießen. Er starb, nach einer nicht ganz zuverlässigen Nachricht in seinen letzten Jahren noch schwachsinnig geworden, in der Nacht vom 19. zum 20. Januar 1576 und wurde am 25. Januar begraben.

Die Stellung, die Hans Sachs in der Geschichte unserer Literatur einnimmt, ist von der weittragendsten Bedeutung. »Denn was, um mit Wackernagel zu sprechen, sein Jahrhundert bewegt und dessen Literatur nach zwei Seiten hin gespalten hat, der Kampf zwischen Schule und Leben, zwischen Gelehrtem und Volksmäßigem, zwischen äußerer fremdartiger Angewöhnung und angeborener freier Eigenart, und all die Mannichfaltigkeit von alter und neuer Dichtweise, worin der Kampf sich kund gibt, es steht hier in eine Persönlichkeit zusammengeschlossen da, so jedoch, daß die Eigenart, das Volksmäßige, das Lebendige noch ungebrochen den Sieg davonträgt und, obschon ein Stellvertreter der gesammten Literatur, Hans Sachs zu allervorderst ein Dichter des Volkes bleibt.« Er ist der Vorbote einer neuen Zeit in der Dichtkunst, indem er, besonders gegen das Ende seines Lebens hin, diejenige Gattung mit Vorliebe pflegte, welche in der Folgezeit die Hauptform alles dichterischen Schaffens wurde, das Drama.

Hans Sachs ist der bedeutendste und fruchtbarste Dichter aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Als er am 1. Januar 1567 seine Werke zählte, fand er 16 Bücher Meistergesänge mit 4275 Nummern in 275 Meistertönen, von denen er 13 selbst erfunden hatte. Außerdem waren 17 Spruchbücher vorhanden und ein 18. angefangen. Darin fand er fröhlicher Komödien, trauriger Tragödien und lustiger Spiele 208, von denen die meisten in Nürnberg selbst und andern Städten nah und weit gespielt waren; ferner an geistlichen und weltlichen Gesprächen, Sprüchen, Allegorien, Fabeln und Schwänken ungefähr 1700. Daneben waren noch vorhanden sieben Dialoge in Prosa, eine Menge Psalmen und geistliche Lieder, Gassenhauer, Lieder von Kriegsgeschrei, Liebeslieder, an Zahl 73, in verschiedenen Tönen, von denen er 16 selbst erfunden – kurz die Summe der von ihm verfaßten Dichtungen beträgt 6048 Stück, »eher mehr denn minder«. Nach 1567 sind noch wenige Gedichte hinzugekommen, so daß wir, wenn wir noch mehrere in Einzeldrucken erschienene Sachen hinzurechnen, etwa eine Gesammtsumme von 6100 Stück gewinnen, deren Verszahl sich mindestens auf eine halbe Million beläuft. Von den »gebunden und spruchweis zugerichteten« Gedichten – den Spruchgedichten und Dramen – hat Hans Sachs bei seinen Lebzeiten eine Auswahl in drei Foliobänden erscheinen lassen, denen nach seinem Tode noch zwei weitere folgten, während die Meisterlieder zum größten Theil ungedruckt geblieben sind, »damit die Singschule zu zieren und zu erhalten«. Der erste Band erschien 1558, der zweite 1560, der dritte 1561, die beiden letzten 1578 und 1579. Die Gesammtzahl der darin enthaltenen Gedichte beträgt 1430.

Bei der großen Menge der von Hans Sachs geschaffenen Dichtungen ist es kein Wunder, daß eine ziemliche Anzahl von minderwerthigen Dichtungen und leeren Reimereien mit unterläuft, daß er die Sprache, welche sehr stark mit Nürnberger Mundart gemischt ist, und den Versbau mit einer gewissen Nachlässigkeit behandelt. Wenn wir aber, was er geschaffen, in seiner Gesammtheit auf uns einwirken lassen, wenn wir seine Schöpfungen mit den Hervorbringungen seiner Zeitgenossen vergleichen – und jeder Dichter will aus seiner Zeit heraus beurtheilt sein! – so müssen wir bekennen, daß er, was dichterische Begabung und poetische Auffassung angeht, sie alle weit überragt. Seine Darstellung ist so frisch und naturwüchsig, so glücklich und anschaulich, seine Sprache so natürlich und herzlich, sein Humor so liebenswürdig und originell, daß wir über allem diesem seine kleinen Schwächen gern vergessen, einige Ungeschicktheiten gern in den Kauf nehmen, die Weitschweifigkeit und den Wortschwall in vielen seiner ernsthafteren Dichtungen verzeihen und leicht über die Rauhheiten der Form hinweglesen. Und selbst aus den schlechtesten Reimereien leuchten doch immer noch seine guten Eigenschaften hervor. Ein kindliches, sinniges Gemüth, eine große Ruhe und Leidenschaftlosigkeit, die ihn befähigen über die brennendsten Fragen unparteiisch zu sprechen, innige Frömmigkeit und wahre Religiosität, die in zahlreichen geistlichen Dichtungen zum Ausdruck kommt, eine tüchtige Moral, von der er nicht das geringste Theil dem Studium der Alten verdankt, eine hausbackene Verständigkeit, die gerade ihm, dem Volksdichter, so vortrefflich zu Gesichte steht – das sind die Eigenschaften, die ihn uns als Mensch und Dichter so schätzenswerth erscheinen lassen. Mit einer gewissen Lust trägt er seine Belesenheit, seine Gelehrsamkeit zur Schau, aber er drängt sich damit nicht auf; mit Vorliebe gibt er seinen Dichtungen eine lehrhafte Wendung, aber er langweilt damit nicht; mit Wohlbehagen faßt er das Leben von seiner heiteren Seite auf, aber er vergißt darüber den Ernst des Lebens nicht. Alle seine Dichtungen tragen den Stempel reinster Objectivität. In kirchlicher Beziehung steht Hans Sachs mit unerschütterlicher Treue auf Seiten der Reformation und hat durch seine religiösen Dichtungen nicht wenig zur Ausbreitung derselben beigetragen. Trotzdem aber hält er doch in den bösen Zeiten des schmalkaldischen Krieges fest zum Kaiser. Dies zeugt nicht weniger von seinem politischen Scharfblick, als die eifrige Bekämpfung der Türken und Franzosen, in denen er die Feinde des deutschen Kaiserthums erblickt. Was aber am meisten für seine Einsicht in politischen Dingen spricht, ist die beständige Ermahnung der Fürsten und des Volkes zur Einigkeit und zum Gemeinsinn. In der Zwietracht und der Verfolgung von Sonderinteressen erkennt er die größte Gefahr für das deutsche Vaterland.

Von allen Dichtungen des Nürnberger Poeten stehen am tiefsten seine Meistergesänge. Der Meistergesang ist ein Product des gebildeten, sittlich strebenden Bürgerthums von vorwiegend religiösem Charakter, das leider bald zu todtem Formalismus erstarrte. Der Inbegriff der Regeln über Inhalt, Metrik und Sprache der Dichtungen hieß Tabulatur. Das Bar, das in Strophen zerfallende Meisterlied, wurde unter musikalischer Begleitung (Ton oder Weise) vorgetragen, gesungen, während die Spruchgedichte gesprochen, gesagt wurden. Die einzelnen Strophen (Gesätze) zerfallen in drei Theile: den Stollen, den Gegenstollen (Strophe und Antistrophe), die mit einander correspondiren, und den Abgesang mit eigener Melodie. Zweiunddreißig genau formulirte Regeln waren bei der Abfassung eines Gedichts zu beobachten, woraus sich naturgemäß bald ergab, daß der Meistergesang einen handwerksmäßigen Charakter annahm, wozu übrigens auch noch andere, hier nicht zu erörternde Momente mitwirkten.Weitere Auseinandersetzungen würden den schon ohnehin beschränkten Raum zu sehr in Anspruch nehmen. Wer weitere Belehrung sucht, findet sie in jeder besseren Literaturgeschichte. Vergl. übrigens auch meine Uebersetzung Walthers v. d. Vogelweide (Univ.-Bibl. 819–20) S. 157. Es ist klar, daß sich unter diesen Voraussetzungen in den Meistergesängen die Eigenart unseres Dichters am wenigsten scharf ausprägen konnte, da die Tabulatur einer freieren Entwickelung fortwährend hemmend in den Weg trat. Hans Sachs hat selbst keine Meistergesänge in die Auswahl seiner Werke aufgenommen, schon deshalb nicht, weil er zu unzähligen Malen dieselben Stoffe noch einmal in Form von Spruchgedichten oder Dramen behandelt hat (z. B. Nr. 22 und 51). Es entspricht aber nicht den thatsächlichen Verhältnissen, wenn man behauptet, Hans Sachs habe den Meistergesängen deshalb keinen Platz in seinen Werken eingeräumt, weil er sie dessen nicht für würdig erachtet hätte; auch ist das Urtheil, welches sich geringschätzend über die Thätigkeit unseres Dichters als Meistersänger ausspricht, keineswegs zutreffend und beruht nicht zum geringsten Theil auf Unkenntniß dieser Gedichte, wie die dankenswerthe Auswahl von Goedeke und Tittmann beweist, nach der ich eine Reihe von Meistergesängen einem größeren Publikum zugänglich gemacht habe. Auch aus diesen Dichtungen läßt sich trotz ihrer gekünstelten Form erkennen, wie hoch Hans Sachs beanlagt war, während ihm allerdings die gründliche Ausbildung mangelte. – Schon etwas höher stehen des Dichters didaktische und allegorische Dichtungen, weil in ihnen seine Individualität zu freierer Entfaltung gelangt; aber sie leiden nur allzu oft an Breite und Weitschweifigkeit. Während die Fabeln und Parabeln die eben genannten Dichtungen überragen, werden sie selbst wieder überragt von den Dramen und Schwänken.

Da ich der vorliegenden Blumenlese später eine Auswahl von Hans Sachs' dramatischen Werken in der Universal-Bilbliothek folgen lassen will, so darf ich mir die Besprechung dieser Dichtungen bis auf diesen Zeitpunkt versparen, während den Schwänken noch einige Worte gewidmet sein sollen. Ich habe von den Schwänken und schwankartigen Gedichten eine verhältnißmäßig große Anzahl aufgenommen, einestheils wegen ihrer Vortrefflichkeit, anderntheils um unserer an guten humoristischen Dichtungen so armen Zeit ein Beispiel zur Nachahmung zu geben. Wenn man diese Schwänke mit ähnlichen Producten zeitgenössischer Schriftsteller vergleicht, welch einen Abstand findet man da! Bei ihnen Rohheit und Wohlgefallen an Sudeleien, bei Hans Sachs Wohlanständigkeit und Fernhalten von jeder Unsittlichkeit, bei ihnen Caricatur und Fratze, bei Hans Sachs sorgfältigste Zeichnung und Natürlichkeit, bei ihnen gewaltsamer Kitzel zur Anreizung der Lachmuskeln, bei Hans Sachs feiner Humor, der selbst gegen jeden Kitzel Abgestumpften ein Lächeln abzwingt! Diese Schwänke erscheinen uns nicht frei von Derbheiten, aber dies ist nicht die Schuld unseres Dichters, es ist die Schuld unserer überfeinerten Generation: die früheren Geschlechter nannten jedes Ding bei seinem Namen, ihnen war Grundsatz »naturalia non sunt turpia«, bei ihnen ist

»Nichts verlindert und nichts verwitzelt,
Nichts verzierlicht und nichts verkritzelt;«

uns ist die Naivität verloren gegangen, wir müssen alles umschreiben und verstecken. Aber mag der Dichter noch so derb sein, die Grenzen des Anstandes überschreitet er nie und weiß sich darauf nicht wenig zu gute zu thun. Seine Schwänke schrieb er nicht blos um zu belustigen, er wollte auch belehren und bessern.

Wie alles ächt Deutsche, alles wahrhaft Volksthümliche in jenen traurigen Zeiten der Nachäfferei des Fremdländischen und der sklavischen Gelehrtenpoesie zu Grunde ging, so versank auch Hans Sachs in das Dunkel der Vergessenheit und man wußte weiter nichts von ihm zu berichten als jenen ärmlichen Vers:

Hans Sachs war ein Schuh-
Macher und Poet dazu.

Als wir im vorigen Jahrhundert wieder zu uns selbst kamen, als uns wieder eine eigene Poesie zu erblühen begann, da gelangte auch Hans Sachs wieder zur Anerkennung. Besonders ist dies Goethe zu danken, der in dem herrlichen Gedichte Hans Sachsens poetische Sendung, unseres Dichters Eigenart in Sprache und Versbau vortrefflich nachahmend, Hans Sachs ein unvergängliches Denkmal setzte. Aber noch bleibt viel zu thun übrig, um dem Nürnberger Poeten unsern vollen Dank abzutragen. Ein kleiner Beitrag dazu soll diese Auswahl sein.

Nicht ohne Zagen übergebe ich meine Arbeit dem Drucke, da ich mir wohl bewußt bin, daß die Erneuerung nur ein ganz schwaches Abbild des trefflichen Meisters gibt, da ich fürchten muß, daß die ungelenke Form manchen Leser zurückschrecken wird. In bewußter Absicht habe ich es unterlassen, die Verse zu modeln und zu glätten, weil auf diese Weise noch mehr von der ursprünglichen Schönheit des Originals verloren gegangen wäre. Ich habe mich bemüht, die Auswahl so zu treffen, daß sie ein Gesammtbild von Hans Sachs' dichterischer Thätigkeit (mit Ausnahme der Dramen) bietet. Möge mir dies gelungen sein!

Köthen, im August 1879.

K. Pannier.


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