Hans Sachs
Hans Sachs' ausgewählte poetische Werke
Hans Sachs

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48. Der Jungbrunn.

(5. November 1557.)

                        Als ich in meinem Alter war
Gleich im zweiundsechzigsten Jahr,
Da mich in mannichfachen Stücken
Das schwere Alter hart thät drücken,
Da dacht' mit Seufzen ich und Klage
An meiner Jugend gute Tage,
Die ich so unnütz hätt' verzehrt;
Das meine Schmerzen gleich mir mehrt'.
Ich warf im Bett mich hin und her
Und dacht', daß Arzenei doch wär'
Für's Alter oder eine Salben,
Wie werth wär' diese allenthalben.
In dem Nachdenken ich gar tief
Verwickelt war und halb entschlief.
Mir träumt', wie ich käm' wohl besonnen
Zu einem großen runden Bronnen
Von Marmelstein, polieret klar,
Darin das Wasser rinnend war,
So warm wie kalt wol aus zwölf Röhren,
Gleich einem Wildbad; thut Wunder hören:
Das Wasser hatt' so große Kraft,
Welch Mensch mit Alter war behaft't,
Ob er schon achtzigjährig wâs,
Wann eine Stund' er im Brunnen saß,
So thäten sich verjüngen wieder
Sein Herz, Gemüth und alle Glieder.
Um den Brunnen war ein groß Gedränge.
Denn darzu kam eine große Menge
Von allerlei Nation und Geschlecht,
Mönche, Pfaffen, Ritter und Knecht',
Handwerker, Bürger, Bauern zumal,
Die kamen zum Brunnen ohne Zahl
Und wollten sich verjüngen lassen.
Voll zog es zu auf Steig und Straßen,
Aus allen Landen auf Karr'n und Wagen,
Von nah und fern, auf Schlitten und Tragen,
Auf Schubkarr'n kam ein ganzer Zug,
Auf Misttragen einige man trug,
Viel andre trug man auf dem Rücken,
Etliche gingen herzu auf Krücken.
Zusammen kam ein Hauf der Alten,
Wunderlich, sunderlich, ungestalten,
Zahnlückig, runzelig und kahl,
Zitternd und krätzig überall,
Mit trüben Augen, schwachen Ohren,
Vergeßlich, tappig, halbe Thoren,
Gebognen Rückens, matt und krumm.
Da war in Summa Summarum
Ein Husten, Räuspern und ein Krächzen,
Ein Seufzen, Stöhnen und ein Aechzen,
Als ob man im Spitale wär'.
Zwölf Mann hatt' man gestellet her,
Die allen Alten, die da wollten,
In den Jungbrunnen helfen sollten.
Die thäten alle sich verjüngen.
Nach einer Stund' mit freien Sprüngen
Sprangen sie aus dem Brunnen rund,
Schön, wohlgefarb, frisch, jung, gesund,
Mit leichtem Sinn, grad' von Gestalt,
Als wären sie erst zwanzig alt.
Wenn eine Rott' verjüngt sich fein,
Stieg darnach eine andre ein. –
Da dacht' ich mir im Schlaf fürwahr:
Alt bist du zweiundsechzig Jahr,
Dein Ohr wird schwach, schwach dein Gesicht;
Was säumst du dich, daß du auch nicht
Wol bald in dem Jungbrunnen sitzest,
Die alte Haut auch von dir schwitzest?
Ab zog ich alles mein Gewand
(So schien's im Schlafe mir zuhand,)
Stieg in den Jungbrunn, mich zu baden,
Zu kommen von des Alters Schaden.
Bei dem Einsteigen ich erwachte,
Meines Verjüngens ich selber lachte
Und dacht': Nun muß ich bei meinen Tagen
Die alte Haut mein Lebtag tragen,
Weil au der Erd' kein Kraut gewachsen,
Heut' zu verjüngen mich, Hans Sachsen.

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