Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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XXXV.

Kari blieb, nachdem sie sich zu Klara geflüchtet hatte, noch weiter in Grabenhagen. Langendamm konnte in der erregten Zeit, die nun für die Pantins folgte, nicht als passender Aufenthalt für ein junges Mädchen angesehen werden. Ulrich hatte John von Katzenberg gefordert und seinen Freund Erich von Kriebow gebeten, ihn zu sekundieren. Die Forderung ging auf Kugelwechsel bis zur Kampfunfähigkeit.

Eines Nachmittags, nachdem er seit früh weggewesen, kehrte Kriebow mit besonders ernstem Gesicht nach Haus zurück; er brachte traurige Nachrichten. Ulrich war in dem Duell, das vormittags zwischen ihm und John Katzenberg stattgefunden hatte, verwundet worden; »nicht lebensgefährlich«, wie er für Kari hinzufügte, aber doch schwer.

Das junge Mädchen verlangte, sofort nach Langendamm zurückzukehren, um ihren Bruder zu pflegen. Kriebow versuchte, ihr das auszureden, für Ulrich sei gut gesorgt.

»Ist Mira bei ihm?« fragte Kari.

»Nein, Ihre Schwägerin ist verreist,« mußte Kriebow antworten. – Dann sei ihr Platz wieder in Langendamm, erklärte Kari. Und da auch Klara das Verlangen des jungen Mädchens, bei den Ihren zu sein, berechtigt fand, brachte der Grabenhäger sie noch am selben Abend auf seinem Wagen nach Haus zurück.

Kriebows Stimmung war in der nächsten Zeit äußerst gedrückt. Er fühlte sich in der eigenen Haut 584 nicht recht behaglich. Er konnte die Erinnerung an dieses Duell nicht loswerden. Schrecklich, einen Menschen plötzlich wie ein angeschossenes Tier in seinem Blute liegen zu sehen! – Und alles, was dem Zweikampf vorausgegangen, war so widerwärtig: Katzenbergs zynische Haltung, die Sitzungen des Ehrenrats, in denen allerhand Intimitäten aus Ulrichs und Miras Ehe zur Sprache kamen, bei denen der betrogene Ehemann die traurigste Rolle spielte. Und am empörendsten von allem: Miras Verhalten.

Sie war am Tage nach dem Ball von Groß-Podar abgereist, zu ihrer Freundin, der Gräfin mit dem weißen Haar und dem jugendlichen Gatten. Diese Frau, von einem Manne durch den Tod, von einem anderen durch Gerichtsspruch geschieden und nun zum dritten Male verheiratet, sollte mit ihrer reichen Erfahrung Miras Beraterin sein bei dem zu erwartenden Ehescheidungsprozeß.

Und was würde noch alles folgen an Unerquicklichem! Vielleicht ein gerichtliches Nachspiel des Duells, das durch Ulrichs Verwundung ruchbar geworden war; womöglich Festung für die Beteiligten. –

Für Erich von Kriebow waren diese Erlebnisse doppelt schwer zu tragen, weil er sich daran gewöhnt hatte, alles was ihn beschäftigte, das Erfreuliche wie das Unangenehme, mit seiner Frau durchzusprechen und dadurch sein Herz zu erleichtern. Das war hier ganz unmöglich. Er wußte, daß Klärchen den Zweikampf verabscheue. Was konnte es fruchten, darüber mit ihr zu rechten. Er wußte ja: das, was er Standesehre nannte, war für sie etwas Widernatürliches, Barbarisches. Jede Auseinandersetzung hierüber konnte doch nur von neuem bekräftigen, daß man sich niemals einigen werde.

585 Es waren graue Herbsttage; unfreundlich das Wetter, unfreundlich aber auch die Stimmung im Hause.

Klara sah ihrer Entbindung für den Dezember entgegen. Während sie erst frisch und guten Mutes gewesen war, litt sie jetzt häufig an beängstigenden Ahnungen, die sich bis zur Mutlosigkeit steigerten. Dann waren Tränen nichts seltenes. Erich erkannte seine kleine, tapfere Frau nicht wieder. Verwirrt stand er vor ihrem wetterwendischen Wesen. Er besaß keine Erfahrung, wußte nicht, daß das werdende Leben sich launisch wie der Frühling, mit Schauern und Sonnenblicken, einführt.

Und dazu kam neuerdings wieder die Sorge um ihren Vater. Im Laufe des Sommers war in dem Befinden des Kranken eine merkliche Besserung eingetreten; er hatte an ruhigen Sommertagen viel im Freien gesessen und das Wachstum seiner Früchte und Blumen genießen können; aber nun, wo die schöne Jahreszeit vorüber und rauhere Witterung einsetzte, war es damit aus. Mit den fallenden Blättern sank auch bei ihm die Lebenskraft.

Frau von Lenkstädt hatte erst in Aussicht gestellt, nach Grabenhagen zu kommen, um ihrer Tochter in der nächsten Zeit zur Seite zu stehen; aber das mußte nun unterbleiben. Der Brief, durch den Klara den veränderten Entschluß der Mutter erfuhr, war zwar schonend gehalten, aber die junge Frau argwöhnte, daß ihr Bedenkliches vorenthalten werden solle, und war nun erst recht in Angst.

Nur höchst ungern ließ Kriebow seine Frau in dieser Zeit allein. Er wußte, wenn sie für sich war, hing sie nur allzuleicht düsteren Gedanken nach. Er schränkte das Ausfahren daher auf das Allernotwendigste ein, nahm Jagdeinladungen gar nicht mehr an. Über 586 die Abende half er ihr mit Plaudern oder auch mit Vorlesen hinweg. Freilich am Tage konnte er ihr nicht viel Zeit widmen; die Herbstbestellung war in vollem Gange.

Gern hätte er Klara anderweite Zerstreuung und Aufheiterung verschafft während der Stunden, wo seine Anwesenheit auf den Feldern und in der Wirtschaft nötig war. Kari war durch die Pflege ihres Bruders ganz an Langendamm gefesselt. Frau von Klaven kam wohl ab und an von Ragatzin nach Grabenhagen herüber; aber länger als einige Stunden zu bleiben erlaubten ihr die eigenen Geschäfte nicht.

Gelegentlich hatte Klara auch Besuch vom Pastor. Er hielt die Verbindung aufrecht zwischen der Gutsherrin und dem Dorfe. Durch ihn erfuhr sie, wenn irgendwo in einer Familie Not herrschte; dann wurde beraten, wie Abhilfe zu schaffen sei. Dabei wurden wohl auch Zustände und Vorgänge erörtert, die anzuhören Klara früher kaum imstande gewesen wäre. Aber Pastor Grützinger hatte auch gelernt; er blieb sich dessen bewußt, wen er vor sich habe, gab sich Mühe, Frau von Kriebows Gefühle nicht durch Schroffheit zu verletzen. Klara wußte ihm Dank für diesen Beweis von Zartgefühl; sie erkannte daran, daß er an sich arbeite. Aus seinem Eifer hatte sie ihm ja niemals einen Vorwurf gemacht, denn sie wußte: der entsprang nur regem Pflichtbewußtsein.

Mit der größten Genugtuung aber erfüllte es sie, zu sehen, welch gutes Einvernehmen sich neuerdings zwischen dem Pastor und Erich entwickeln zu wollen schien. Beide Männer hatten nun den einzig ersprießlichen Standpunkt gefunden, der zwischen ihnen möglich war: gegenseitige Achtung und daraus hervorgehend gegenseitiges Geltenlassen.

587 Ein Glück für Klara war es, daß sie die Pastorin in ihrer Nähe hatte. Die kam jetzt fast jeden Tag herübergehuscht nach dem Herrenhause. Kriebow, der früher diese Freundschaft nicht sonderlich begünstigt hatte, weil sie ihm nicht standesgemäß erschienen, war jetzt nur zu froh, wenn er dem rosigen Gesicht der lebenslustigen kleinen Dame in seinem Hause begegnete. Eine bessere Gefährtin für seine Frau gab es ja gar nicht.

Die Pastorin hatte auf diese Weise Gelegenheit, manche Wohltat von seiten der Gutsherrin zu vergelten. Während Klara sich früher um die Garderobe der Pastorjungens Verdienste erworben hatte, wurden jetzt die Erfahrungen der Frau Pastorin wertvoll für die angehende Mutter. Galt es doch nunmehr allerhand Wichtiges vorzubereiten, daß es dem kleinen Erdenbürger bei seinem Erscheinen an nichts gebreche. Da waren die ersten Bekleidungsstücke, Windeln und Bettzeug zu versorgen. Die Nadeln gingen fleißig. Und was konnte man da nicht alles hineinarbeiten an Hoffnung in diese rührend winzigen Habseligkeiten eines solchen Würmchens! –

Klara hatte, wie jede Mutter, bereits ein Bild fertig von ihrem Kinde; wie ein inneres Gesicht begleitete sie das auf allen Wegen. Für sie allein war ja dieses junge Wesen längst da und lebte, während es der ganzen übrigen Welt noch ein unerkanntes Geheimnis war.

Erich sprach manchmal davon, ob es Knabe sein werde oder Mädchen; aber Klara liebte das nicht. Sie wußte ja: er wünschte sich einen Knaben. Was bedeute ihr das? Es war ihr süßes Kind! – Daß er sich einen Stammhalter ersehnte, einen Träger seines Namens und Erben seines Besitzes, war ja natürlich; sie verargte es 588 ihm nicht; aber sie überließ es dem Manne, im voraus solch nüchterne Erwägungen anzustellen.

In dieser Zeit kam ein Brief an aus Berlin mit dem Kriebowschen Siegel. Erich erkannte in den kleinen korrekten Zügen die Hand seines Vetters Adalbert Moritz.

Der Grabenhäger hatte im stillen schon geglaubt, dem Vetter die Freundschaft für alle Zeiten verleidet zu haben, seit er ihm neulich seinen Wunsch abgeschlagen. Kam er nun doch wieder mit der langweiligen Familiengeschichte! –

Aber auf das Ansinnen, mit dem der Vetter diesmal auftrat, war er doch nicht gefaßt gewesen.

Adalbert Moritz bot sich ihm als Administrator an für Grabenhagen, da er erfahren, daß Erich seinen bisherigen Inspektor entlassen habe. Er schlug dem »lieben Vetter« vor, da er doch nun mal von früher her an Berlin und der großen Geselligkeit hänge, nach der Stadt zurückzukehren, um dort seine gesellschaftlichen Verbindungen zu pflegen. Auch die »gnädige Cousine« werde gewiß mit diesem Wechsel einverstanden sein. Was ihn selbst anbelange, so werde er sich den Beschwerden des Landlebens gern unterziehen, wenn er dem lieben Vetter und der Familie damit einen Dienst erweisen könne. Dazu komme, daß es für ihn als Lehnsvetter ja von höchstem Interesse sei, daß Grabenhagen floriere. Er sei bereit, im Sinne des gemeinsamen Stammgutes alles zu tun. Und er glaube von sich sagen zu dürfen, daß er für den Posten passe. Denn obgleich ja nicht Landwirt von Fach, so eigne ihm doch das Übergewicht der Erziehung und der Beruf zum Kommandieren, der jedem Edelmann angeboren sei. Er hoffe diesmal nicht wieder eine Fehlbitte getan zu haben. Das Familieninteresse erheische dringend ein gegenseitiges Unterstützen 589 und Fördern der gemeinsamen Angelegenheiten. Der jeweilige Besitzer von Grabenhagen sei ja der Statthalter gewissermaßen für die anderen Kriebows, als die Anwärter des Stammgutes. Das sei der Sinn des Familienfideikommisses. Und da ihr Geschlecht nur noch auf wenigen Augen stünde, müßten diese Interessen um so strikter gewahrt werden.

Wenn es Erich recht sei, werde er daher nächstens einmal nach Grabenhagen kommen, um diesen Vorschlag mit dem lieben Vetter zu ventilieren. Bei dieser Gelegenheit werde er dann auch endlich das Vergnügen haben, die verehrte Cousine kennen zu lernen. –

Bei Erich von Kriebow überwog die Belustigung über diesen Brief doch noch den Ärger. Das war für Adalbert Moritz charakteristisch! Rührend, diese naive Anmaßung! Der Brave ahnte offenbar noch gar nichts von Klaras glücklichen Aussichten. Ob das Familieninteresse, mit dem er sich so breit machte, auch so weit reichte, daß er sich über diese Aussichten freuen würde? – Sein Gesicht dürfte wohl etwas lang werden bei der unerwarteten Nachricht. Mit seiner verrückten Idee aber, daß ihn die Verwaltung von Grabenhagen auch nur das geringste angehe, wollte ihm Kriebow gründlich heimleuchten.

Mit einem wahren Triumphgefühl ergriff er die Feder zur Antwort an den Lehnsvetter.

 


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