Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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VII.

Kriebows gaben ihr erstes Diner. Die Speisenfolge hatte Erich seiner Frau überlassen; sein Amt war es, für den Wein zu sorgen. Auch die Tischordnung hatte er sich vorbehalten und das Einladen der Gäste; Klara kannte die Leute doch noch zu wenig, um ihm darin raten zu können.

Zwölf Personen, das war eine nette Zahl; so paßte es auch am besten mit Porzellan und Silber. Die meisten hatten zugesagt. Leid tat es Kriebow, daß Graf Wieten abschrieb; er hätte gern den anerkannt vornehmsten Mann der Gegend bei sich zu Tisch gesehen; aber der Graf schrieb, er habe eine wichtige Sitzung im Herrenhause, die ihn nach Berlin rufe.

134 Als sich der junge Hausherr die Mischung seiner Gäste im Geiste überschlug, erschien sie ihm gut. Am stärksten waren Pantins von Langendamm vertreten. Major von Pantin, als ältester der Geladenen, sollte Klärchen zu Tisch führen. Mira Pantin war seine Dame. Die Rentells und die Tichows konnten sich übers Kreuz führen. Für Kari hatte er den unvermeidlichen Regierungsassessor.

Das Diner ging von statten. Der Hausherr war anfangs etwas nervös, um so ruhiger zeigte sich Klara; und es klappte schließlich auch alles vorzüglich.

Beim Braten klopfte Major von Pantin ans Glas. Er sprach erst von den alten guten Zeiten und von den heimgegangenen Eltern des jetzigen Grabenhägers. Dann legte er seinem jungen Freunde, her nun den Familienbesitz angetreten hatte, ans Herz, die »Tradition« aufrecht zu erhalten, zu der außer christlich konservativer Gesinnung und Ritterlichkeit auch die Freundschaft mit den Nachbarn gehöre. Als Beweis dafür nehme er dieses Fest. Damit fand er den Übergang zur jungen Frau, die, aus einer anderen Gegend stammend, sich so schnell in die hiesigen Verhältnisse eingelebt habe.

Kriebow war ernstlich erschrocken, als er den Langendammer zu einer Rede aufstehen sah; denn Malte war berüchtigt für seine Toaste. Aber heute schien er mal einen glücklichen Tag zu haben. Mira sagte zu Kriebow: sie könne sich nicht entsinnen, je eine so »taktvolle Rede« von ihrem Schwiegervater gehört zu haben.

Nach Tisch unternahmen die Herren den üblichen Spaziergang ins Freie.

Kriebow kannte Major von Pantins Angewohnheiten; nach einem guten Diner pflegte er mehr oder weniger animiert zu sein, durch Wein und Reden; dann 135 wollte er raisonnieren und schwadronieren. Da war es besser, man trennte ihn von den Damen.

Einzig der Regierungsassessor blieb im Salon zurück. Man sah ihn mit Kari und Mira in eifriger Unterhaltung begriffen.

Der Ernsthöfer Tichow meinte beim Hinausgehen: »Sehen Sie mal den verfluchten Kerl, den Katzenberg! Jetzt wirbt er bei den Damen um den Landrat!« – Der Regierungsassessor fungierte nämlich, seit Herr von Ruhbeck sich zurückgezogen hatte, als Landratsamtsverweser, und es war kein Geheimnis mehr, daß er starke Absichten auf den vakanten Posten habe.

Sowie die Herren unter sich waren, kam das Gespräch sofort auf das Thema, welches die Gemüter in der Gegend augenblicklich am meisten beschäftigte: der Verkauf von Groß-Podar.

Herr von Tichow, der spottlustige Neigungen hatte und der vor allem gern mit seinem Nachbar Malte häkelte, ließ fallen, er habe von fern gehört: die Katzenbergs seien nicht ganz »rasseecht«. –

Major von Pantin nahm den Handschuh sofort auf. Das sei eine infame Verleumdung, schrie er. Die Katzenbergs seien junger Adel, aber durch und durch »honorig und von christlicher Herkunft«; dafür bürge er!

»Na, hören Sie, die Sache ist verdächtig!« meinte Tichow. »Der Name und dazu Kommerzienrat, und das viele Geld . . . .«

»Ach Unsinn!« rief Malte ärgerlich. »Ich schwärme sonst auch nicht für die Geldmagnaten; das kann mir niemand vorwerfen! Aber der Mann ist kein gewöhnlicher Industrieller. Ich habe ihn kennen gelernt beim Verkauf von Groß-Podar. Tadelloser Gentleman! 136 wirklich Kavaliers-Allüren! – Wir können bloß froh sein, ihn zum Nachbar zu bekommen.«

»Ruhbeck war mir lieber!« warf Kriebow dazwischen.

»Ruhbeck kann lachen, der ist schön raus!« fuhr Malte fort. »Nun ist er die Sorge mit dem Gute los, zieht nach Berlin mit seinen acht Mädels. Vielleicht wird er gar eine oder die andere los. In Groß-Podar wäre ihm schließlich die Puste noch ausgegangen. Auf die Weise hat er doch wenigstens einen anständigen Abgang. Der Kommerzienrat verstand die Situation sofort, bezahlte alles bar, ohne zu mucksen. Ein klotziges Geld muß er haben. Und ein kluger Mann ist er, ein mordskluger Mann!«

»Aber, was will er bei uns? das soll mir bloß einer mal sagen!« meinte Kriebow. »Mit Grund und Boden ist doch heute kein Geschäft mehr zu machen.«

»Pantin hat ganz recht!« erklärte Tichow. »Der alte Katzenberg ist klug, unangenehm klug sogar! Der weiß ganz gut, daß Grundbesitz Ansehen verschafft.«

»Großartiger Kerl, ein ganz großartiger Kerl!« rief Malte ordentlich begeistert. »In Groß-Podar wird er eine Masse Veränderungen vornehmen: umbauen, dazukaufen – elektrisches Licht – alles in großem Stile. Was der Mann anfängt, hat Art!« –

»Ganz ähnlich wie der Herr Sohn wahrscheinlich! Kann mir's schon denken!« meinte Kriebow.

»Und später!« rief Malte und rieb sich dabei vergnügt die Hände, »und später will er dem Jungen das Gut übergeben, wenn der einen Hausstand begründet haben wird.«

Der Ernsthöfer stieß Kriebow heimlich an. »Na ja!« sagte er, »und wenn der Kleine erst Landrat geworden ist, dann kann es ihm ja gar nicht fehlen, ein 137 junges Mädchen aus guter Familie heimzuführen – nicht wahr?«

»Ja, natürlich!« erwiderte Malte, der die Spitze gar nicht merkte. »Warum sollte er nicht? Ein Mädel, das eine solche Partie ausschlüge, müßte einfach verrückt sein!«

* * *

»Wir müssen uns doch en bissel anfreunden, Frau von Kriebow!« mit diesen Worten ließ sich Mira Pantin neben Klara nieder.

Dann fing sie gleich an, von Erich zu erzählen, wie beliebt er gewesen sei in der Berliner Gesellschaft, was für Eroberungen er gemacht habe. Es war klar, sie wollte das Gaudium haben, Klara eifersüchtig zu sehen. »Er war ein berüchtigter mangeur de cœur, den einen Tag hier, den andern da, der reine Schmetterling!«

Aber Klara tat ihr nicht den Gefallen, auch nur das geringste Zeichen von Erregung blicken zu lassen. Sie meinte mit gelassener Miene, daß sie das von Erich selbst wisse.

»Alles? Wirklich, sollte er Ihnen alles erzählt haben?« rief Mira.

Klara antwortete darauf nur mit einem unbeschreiblich erhabenen Blicke, so daß Mira zauderte, dieses Thema weiter zu verfolgen.

»Wo ist denn Ihr Herr Gemahl jetzt, Frau von Pantin?« mischte sich Frau von Tichow in das Gespräch.

»Ach Gott, mein Mann! – Im Westen irgendwo, auf Kavallerieübungsreise. – Wanda, hast du dir vielleicht gemerkt, wo Ulrich ist?«

Frau von Rentell nannte den Ort, wo sich ihr Bruder augenblicklich befand. »Das ist ein merkwürdiges 138 Paar!« fügte sie hinzu, »die wissen nie etwas voneinander. Ulrich kann wer weiß was passieren, Mira hat keine Ahnung davon. Wie er damals in Hannover gestürzt war, das erfuhr sie erst durch den Bericht in der Zeitung.«

»Ja, Gott sei Dank! Das Schreiben schenken wir uns; darüber sind wir erhaben. Was kommt denn dabei heraus? Dieses süßliche Wesen wie bei Brautleuten – widerlich! Wanda bekommt auch noch immer solche Liebesbriefe.«

»Ja, eine Karte täglich muß mir Otto mindestens schreiben, wenn er fort ist.«

»Und der Stil! ›Mein herziger Schatz und mein süßes Liebchen! Du fehlst mir so!‹ – usw. Und dazu sehen Sie sich mal die Frau an!« Damit wies sie höhnisch auf Wanda, die mit ihrer auseinandergegangenen Figur allerdings nicht den Eindruck einer Braut machte. Wanda errötete und wußte nichts Besseres zu tun, als zu den Worten ihrer Schwägerin gezwungen zu lachen.

John Katzenberg, der von seiner Ecke her, wo er bei Kari saß, längst die Ohren gespitzt hatte nach der Unterhaltung der verheirateten Frauen hinüber, stand plötzlich neben Mira. Sie wandte sich nach ihm um: »Was wollen Sie, John?«

»Zuhören nur.«

»Gehen Sie auf Ihren Posten! Sie haben Kari den Hof zu machen. Dazu sind Sie eingeladen, das wissen Sie!«

Er beugte sich zu ihr hinab und sagte halblaut: »Auf die Dauer bekommt das seine Längen. Ich wollte mich mal verpusten. Wie wär's, wenn wir eine rauchen gingen?« –

139 Klara, die Kari allein sitzen sah, war aufgestanden und hatte sich zu ihr begeben. Gespannt war sie, ob der gute Eindruck, den ihr die treuherzigen Augen und das frische Gesicht des jungen Dinges gemacht, die Probe aushalten würden.

Auch Mira stand auf. »Ach, Frau von Kriebow, Sie nehmen mir's wohl nicht übel, wenn ich jetzt eine Zigarette anstecke. Ohne dem kann ich nicht leben. Aber Ihre neuen Vorhänge wollen wir Ihnen um Himmels willen nicht verräuchern. Haben Sie keine Angst! – Wo ist denn das Herrenzimmer?«

Sie ging, von dem Assessor begleitet, nach Erichs Zimmer.

»Unglaublich ist sie!« sagte Wanda hinter ihr drein zu Frau von Tichow. Jetzt, wo die Schwägerin außer Hörweite war, fand sie den Mut, ihrem Ärger Luft zu machen. »So etwas mag in Berlin Mode sein, aber bei uns ist es doch bis jetzt noch nicht dagewesen, Gott sei Dank!«

Es fiel Klara nicht allzu schwer, zu erforschen, wes Geistes Kind Kari sei. Das junge Mädchen hatte eben die ersten Schritte in die Geselligkeit getan; neulich bei einer kleinen Tanzerei, die in der Kreisstadt stattgefunden, war sie unter dem Schutze ihrer Schwester Wanda herausgekommen. Der Himmel hing ihr voller Geigen. Sie kannte nichts weiter von der Welt als Langendamm und die nächste Nachbarschaft. Ein Ball, der den Winter im Kasino stattfinden sollte, bedeutete für sie ein Weltereignis. Ihren Kopf, der durch Kenntnisse nicht überanstrengt war, erfüllten gegenwärtig ganz und gar Gedanken an Jagdreiten, Besuche, Diners und Tanzengagements. Klara mußte unwillkürlich lächeln. Wie nett und liebenswürdig war diese Harmlosigkeit 140 doch, dieser Rausch, die ungewohnte Wonne: etwas zu bedeuten, eine Dame zu sein, endlich sich aus der Halbheit des Backfischtums befreit zu sehen. Aber einen Ton hörte Klara mit feinem Ohre aus dem Kunterbunt von Karis Erzählungen heraus, der ihr wehtat; es war doch so: John Katzenberg hatte Eindruck auf dieses arglose Gemüt gemacht. »Der Regierungsassessor«, das war der Refrain von allem, was sie zu sagen wußte. –

Nach einiger Zeit kehrten die Herren von ihrem Gang ins Freie zurück. Kriebow führte sie zu den Damen und begab sich selbst nach seinem Zimmer, um seine Zigarrentasche von neuem zu füllen.

Zu seinem Befremden fand er dort Mira und den Regierungsassessor. Mira saß auf der Kante der Schreibtischplatte, rauchend. Sie gab sich keine Mühe, zu verbergen, daß sie in den Schriften, die dort lagen, geblättert hatte.

»Entschuldigen Sie nur, Kriebow!« rief sie dem Hausherrn zu, »ich habe hier en bißchen Ihre Lektüre kontrolliert. Fürchterlich langweiliges Zeug! Alles über Landwirtschaft.«

Kriebow holte Zigarren herbei, bot Katzenberg an und steckte selbst eine in Brand. »Es ist zwar eine ungewöhnliche Ehre für meinen Schreibtisch, gnädige Frau,« sagte er, »aber ich habe bequemere Möbel.« Damit schob er einen Faulenzerstuhl heran.

»Wissen Sie, wovon wir eben sprachen, Kriebow?« fragte Mira.

»Tut mir leid! so weit geht meine Divinationsgabe denn doch nicht.«

»Na, von was anderem kann man denn jetzt sprechen, als: wer nun eigentlich Landrat wird bei euch?«

141 Sie blickte Kriebow forschend an. Dem war es peinlich, daß sie ihn das in Katzenbergs Gegenwart fragte. Fast wie eine abgekartete Sache schien es, als wolle sie auf den Strauch schlagen. »Ich weiß nichts darüber, gnädige Frau. Ende der Woche ist Kreistag, das werden wir ja hören, wer vorgeschlagen wird!«

»Ja, aber wem werden Sie denn Ihre Stimme geben, Kriebow?«

Der Grabenhäger nahm eine zurückhaltende Miene an. Er könne darüber nichts sagen, erklärte er.

»Mensch! Um Gottes willen nur nicht so feierlich!« rief Mira. »Sie wissen doch ganz genau, was ich meine.«

»Nein, das weiß ich in der Tat nicht, gnädige Frau.«

»Nun, dann hören Sie's!« rief Mira ärgerlich. »Ich will, daß dieser Herr hier«, dabei wies sie auf Katzenberg, »Landrat im Kreise wird. Ist das nun deutlich genug?«

Kriebow blickte unwillkürlich auf den Assessor, welche Miene der wohl dazu machen würde. John Katzenberg zuckte mit keiner Wimper, saß lächelnd da und nickte Mira zu.

»Trocken ist der Bursche zum mindesten!« dachte Kriebow bei sich.

»Herr von Katzenberg ist mein Kandidat, ich mache überall für ihn Propaganda,« fuhr Mira in demselben Tone naivster Unverfrorenheit fort. »Ein Landrat muß Schick haben und abermals Schick, das ist die Hauptsache. Und hier die Gegend kann wirklich mal eine Auffrischung vertragen nach dieser Richtung hin. Nicht wahr, John, dafür werden Sie Sorge tragen?« –

Der Gefragte neigte den Kopf zustimmend und hob zwei Finger empor zum Schwur.

»Wissen Sie denn, daß Katzenberg neulich ein 142 Junggesellendiner gegeben hat? Sie sehen doch, er gibt sich Mühe, tut was für den Kreis. Und Süßholz raspeln kann er auch, wie ich bemerkt habe . . . .«

»Mit Ihnen, gnädige Frau, habe ich doch noch nie geraspelt,« fiel der Assessor mit affektiert gedehnter Sprache ein.

»Würde ich Ihnen auch gesteckt haben! Aber mit Kari um so mehr. Das gute, dumme Tier! Ich will nichts sagen, um Sie nicht noch eingebildeter zu machen, als Sie schon sind.«

Kriebow war von Natur kein Spielverderber; aber der Ton, den die beiden hier anschlugen, verletzte ihn. Auch war es eine Rücksichtslosigkeit von ihr, sich gerade sein Haus zum Flirten auszusuchen.

»Wollen wir uns nicht nach dem vorderen Zimmer begeben?« fragte Kriebow, sich erhebend.

»Wozu? Ich liege hier sehr bequem,« gab Mira spöttisch lächelnd zurück. »Außerdem sind dort die verheirateten Frauen; deren Gesellschaft habe ich bereits vorhin zur Genüge genossen.

Darauf etwas zu sagen, war für den Wirt allerdings schwer. Kriebow verabschiedete sich mit einer steifen Verbeugung.

»Dieser Kriebow ist recht langweilig geworden!« sagte Mira ihm nachblickend und klopfte die Asche von ihrer Zigarette ab.

»Das macht die Ehe!« sagte Katzenberg.

»Ja, das macht die Ehe!« wiederholte Mira. 143

 


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