Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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XV.

Die Neujahrswende war für Erich von Kriebow in früheren Jahren eine lebhafte Zeit gewesen: Beginn der Hoffeste und der großen Geselligkeit, Visitentournee, die ersten Bälle. Und nun in diesem Jahre der Gegensatz: die Ruhe des eingeschneiten Grabenhäger Gutshofes. Nicht einmal Jagden hatte er jetzt; auch darin war eine Pause. Um die Neujahrszeit saßen die Grundbesitzer daheim an ihren Schreibtischen und rechneten.

Es waren bedeutungsvolle Wochen für den Gutshaushalt. Kassensturz wurde gemacht, Bilanzen aufgestellt, das Fazit des letzten Jahres gezogen. Da gab es viele Enttäuschungen, oft die trübe Erkenntnis, daß man Geld zugesetzt habe, statt welches zu gewinnen, infolgedessen lange Gesichter, Murren gegen die Weltordnung und kräftige Flüche auf die schlechten Zeiten.

Das Jahr war nicht gut gewesen, der Körnerertrag nur mittelmäßig. Dazu sinkende Preise. Und dabei hatten die meisten Grundbesitzer schon im Herbst losschlagen müssen, um nur zu barem Gelde zu kommen. Auch am Schlachtvieh hatte man infolge des niedrigen Fleischpreises nichts verdienen können. Der Wollmarkt war flau gewesen, und selbst die Molkerei hatte keine bedeutenden Überschüsse gebracht. Zum Verkauf von Stroh und Heu war es nicht gekommen, weil man der geringen Ernte wegen alles für den eigenen Bedarf hatte zurückhalten müssen. Von der Zuckerfabrik wären gute Dividenden gezahlt worden, aber der Aufsichtsrat 273 der Gesellschaft hatte Nachschüsse verlangt zur Vergrößerung der Anlage, so daß selbst dieser sonst sichere Gewinn stark verkürzt wurde. Einzig der Pferdeverkauf an die Remontekommission war günstig gegangen; aber dieser eine Posten konnte den übrigen Ausfall nicht ausgleichen.

Auch für Erich von Kriebow brachte der diesjährige Abschluß unliebsame Überraschungen. Mit genauem Rechnen hatte er sich früher nicht allzuviel Not gemacht; seine private Buchführung war immer eine äußerst summarische gewesen. Wenn er Geld brauchte, hatte er an Heilmann geschrieben.

Zu einer völlig klaren Einsicht in den Stand seiner Finanzen war Kriebow auf diese Weise nie gekommen. Er hatte sich selbst immer für einen leidlich wohlhabenden Mann gehalten. Er besaß ja ein großes, schönes Gut, in guter Pflege. Einen gesicherteren Besitz als den Grund und Boden konnte es doch gar nicht geben. Alle anderen Werte konnten zugrunde gehen: Häuser niederbrennen, Papiere entwertet werden, Schiffe untergehen, Gruben sich erschöpfen; aber den Grund und Boden konnte einem niemand rauben. Von seinem Grabenhagen würde ihn keine Macht der Welt herunterbringen. Das Gut war Fideikommiß; wer wollte ihm, dem einzigen Nachkommen der ältesten Linie, den Besitz streitig machen? –

In diesem Bewußtsein war Kriebow zur Ehe geschritten. Er war stolz darauf, daß er nicht nach einer Mitgift zu fragen brauchte. Er hatte es nicht nötig, wie so mancher andere seiner Bekannten, sich die Existenz durch eine Geldheirat zu ermöglichen.

Die erste Ahnung, daß vielleicht nicht alles so günstig sei, wie er sich's vorgestellt, kam ihm, als er 274 seinen Junggesellenhausstand in Berlin auflöste. Da kam es zur Begleichung verschiedener alter Verpflichtungen. Die Summe, die er hierzu brauchte, konnte ihm Heilmann nicht so schnell schaffen wie gewöhnlich. Dem jungen Herrn kam das geradezu lächerlich vor; er sollte wegen Beschaffung von lappigen dreißigtausend Mark Schwierigkeiten haben! –

Das Geld wurde beschafft, und in der Bräutigamsstimmung war der Fall bald vergessen.

Unter den vielen guten Vorsätzen, die den jungen Mann damals erfüllten, war auch der: solid zu werden und praktisch.

Nun er ein Jahr Landwirtschaft studiert hatte, konnte es ihm ja auch kaum fehlschlagen! Er wollte die Gutserträge steigern, verdoppeln womöglich. Sicherlich würde sich noch manche Verbesserung in der Wirtschaft anbringen lassen, die schließlich seinen Einnahmen zugute kommen mußte.

Der Inspektor hatte seine eigenen Ansichten über die Reformen, die der Herr einführte. Er prophezeite den nahen Ruin der Wirtschaft. Aber Kriebow hielt das und die steten Klagen des alten Beamten für Schwarzsehen: man kannte Heilmann ja, er raisonnierte immer.

Im Spätherbst hatte Heilmann, wie alle Jahre, den Abschluß des vergangenen Jahres und den Wirtschaftsplan für die kommende Kulturperiode eingereicht und gegen Weihnachten die verschiedenen Voranschläge, außerdem den wichtigen Geldetat. Das waren umfangreiche Aktenstücke. Dem jungen Gutsherrn wurde es beim bloßen Anblick der endlosen Rubriken und Zahlenreihen schon ungemütlich. Er hatte diese Arbeit von einer Woche zur anderen hinausgeschoben.

275 Aber einmal mußte es doch sein; er gab sich einen Stoß und machte sich an das trockene Geschäft.

Allmählich aber, je mehr er von dem Zusammenhang der Sache zu begreifen anfing, mehrte sich auch sein Interesse. Er sah mit Vergnügen, daß er hier ein wohlerdachtes und wohlbegründetes System vor sich hatte, bei dem ein Posten den anderen kontrollierte, ein Rad in das andere eingriff wie bei einer gut funktionierenden Maschinerie. So stieg ihm aus diesen Büchern ein anschauliches Bild auf von der Gesamtlage der Wirtschaft.

Am interessantesten war für Kriebow der Geldetat. Aus ihm ersah er die Einnahmen und Ausgaben und was vermutlich als Überschuß für seine und seines Hauses Bedürfnisse übrig bleiben werde.

Da kam nun allerdings eine erschreckend geringe Summe heraus. Was? davon sollte er leben! Dreimal so viel hatte er als Leutnant in Berlin gebraucht, und damals war er unverheiratet gewesen. Das war ja gar nicht möglich! Was dachte sich denn Heilmann eigentlich?

Er ließ den Inspektor zu sich entbieten und erklärte ihm, den Anschlag könne er nicht anerkennen; die Einnahmen aus Grabenhagen müßten größer sein.

Heilmann zuckte die Achseln und meinte sarkastisch: es würde ihm selbst nur sehr lieb sein, wenn der gnädige Herr recht hätte, aber leider sei seine Rechnung die richtigere.

Dann gingen sie die einzelnen Posten durch: den Erlös aus dem Ackerbau, der Rindviehhaltung, dem Kleinvieh, dem Pferdeverkauf und den Rüben – es war ja, wenn man es addierte, ein ganz stattlicher Posten, der da schließlich zusammenkam. Aber was 276 stand ihm auch an Ausgaben gegenüber: für Gehalte und Löhne, an Anschaffungs- und Unterhaltungsgeldern, für künstlichen Dünger, Saatgut und Futtermittel. Und dann die Steuern, Abgaben, die Versicherungsbeiträge und schließlich die Zinsen.

Und Heilmann behauptete, daß an den Ausgaben nichts abzulassen sei; für unvorhergesehene Unglücksfälle habe er noch nicht einmal einen Posten eingestellt. Der Überschuß also, der dem Gutsherrn so gering vorkam, wäre nur im günstigsten Fall zu erwarten.

Als der Gutsherr das Resultat noch immer anzweifelte, holte der Beamte noch andere Belege herbei: seine Tagebücher, die Lohnjournale, das Kassenbuch, das Naturalienbuch und was es sonst noch an Registern und Verzeichnissen in einem großen Wirtschaftsbetriebe gibt. Der gnädige Herr möge das einmal durchrechnen, dann werde er sich vielleicht überzeugen, daß er Unmögliches verlange. Wo solle es denn herkommen? Die Ausgaben waren sicher und die Einnahmen unsicher. Als Käufer würde man geschnellt, als Verkäufer gedrückt. Zaubern könne er auch nicht! Wie solle man größere Erträge schaffen bei so ungünstiger Geschäftslage? –

Nach dieser Auseinandersetzung mit seinem Inspektor nahm Kriebow die Bücher noch einmal vor. Er sträubte sich immer noch, seine rosigere Ansicht fahren zu lassen. Aber er wollte der Sache diesmal auf den Grund kommen. Bis tief in die Nächte hinein saß er jetzt an seinem Schreibtisch. Kaum daß er sich noch Zeit nahm zum Essen und Schlafen.

Seine Laune verdüsterte sich mehr und mehr. Die Sache wollte nicht anders werden trotz alles Rechnens und Rechnens.

277 Und nun verglich er sein Privatkonto mit dem der Wirtschaft; da zeigte sich ein krasses Mißverhältnis. Er hatte seine Einnahmen weit überschätzt; seine Ausgaben standen in gar keinem Verhältnis zu seinem Einkommen. Er hatte vom Kapitale gelebt, all die Jahre über. –

Das war nun freilich eine bittere Erkenntnis für den jungen Mann. – Was hatte er jetzt von seinem flotten Leben in Berlin? Hatte er irgend etwas gewonnen für die Summen, die er dort zum Fenster hinausgeworfen? Nichts, rein gar nichts! Kein Mensch dankte es ihm; nicht einmal die Erinnerung daran war erhebend.

Die Welt hielt ihn für wohlhabend, weil er wie ein Wohlhabender gelebt hatte. Man beneidete ihn wohl gar!

Vieler Augen blickten auf ihn, als auf ihren Erhalter. Da waren seine Gutsleute, die vielen Familien, deren Brotherr er war. Konnte er die verkürzen?

Und dann seine Verwandten! – Ein Zweig der Kriebowschen Familie war heruntergekommen, lebte in dürftigsten Verhältnissen. Sie waren gewöhnt, Grabenhagen als ihren letzten Halt zu betrachten. Der jeweilige Grabenhäger galt unter den Lehnsvettern als Oberhaupt der Familie. Auf Grabenhagen war auch der Lehnsstamm eingetragen, dessen Zinsen sie genossen.

Einer von diesen Vettern: Adalbert Moritz, lebte in Berlin. In untergeordneter Stellung mußte er sich das tägliche Brot verdienen. Sein ganzer Stolz in seinem übrigens tristen Dasein war die Tatsache, daß er ein Kriebow war.

Unwillkürlich mußte Erich an diesen Adalbert Moritz denken. Wie brav hielt der sich! Es lag Tapferkeit 278 darin, daß der Mann bei aller Misere das Standesbewußtsein nicht preisgab.

Und wenn er nun sein eigenes Verhalten damit verglich – wie hatte er mit dem Pfunde gewuchert, das er mitbekommen auf den Weg? –

Aber von allem, was an ihm arbeitete, war das schwerste: der Gedanke an Klärchen. Nie war zwischen ihnen noch über Vermögensverhältnisse anders als nebenbei gesprochen worden. Er hatte durch seine ganze Art zu leben und aufzutreten auch in ihr den Glauben erweckt, daß sie sich in sorgenfreier Lage befänden. Es war seine Freude gewesen, daß sie nicht zu knausern brauchten. Die junge Frau sollte sich nichts versagen, alles sollte elegant, bequem und auserlesen sein um sie her.

Und nun vor sie hintreten und bekennen zu müssen: ich habe mich über meine eigene Lage getäuscht, ich bin nicht der reiche Mann, als der ich mich dir dargestellt habe.

Und gerade in diesem Augenblicke fühlte er sich am allerwenigsten aufgelegt zu einem Geständnis. Noch standen sie in den Nachwehen jener Auseinandersetzung am Christabend; noch hatte eine Versöhnung zwischen den Eheleuten nicht stattgefunden.

* * *

Klara sah, daß Erich Sorgen hatte. Bald fand sie auch heraus, was es sei, das ihn bedrückte. Sie sah ihn sitzen und sitzen über Rechnungen und Büchern. Sie konnte es aus seinen verärgerten Mienen entnehmen, jedesmal wenn Heilmann bei ihm gewesen war, daß die Dinge nicht gut standen.

Nun waren Sorgen um irdische Habe Klaras geringster Kummer. Als sie heiratete, war es wirklich 279 das letzte, woran sie gedacht, ob sie einem armen oder einem wohlhabenden Manne die Hand reiche.

Es war ihr lieb gewesen, daß Erich sie als Bräutigam mit Auseinandersetzungen über seine Vermögenslage verschont hatte, ja, sie war ihm dankbar für diesen Beweis von Zartgefühl.

Aber jetzt war das etwas anderes; als sein Weib machte sie Anspruch auf einen Anteil seiner Sorgen. Mit sicherem Gefühl auch für diese Dinge hatte sie schon hie und da vermutet, daß er über seine Verhältnisse lebe, und versucht, soweit sie konnte, wenigstens den Haushalt einfacher zu gestalten. Wieviel sie mit gutem Gewissen verbrauchen dürfe, wußte sie jedoch nicht; eine Aussprache jedoch sollte noch stattfinden zwischen ihr und Erich.

Der Zustand der Entfremdung, wie er jetzt bestand, war unhaltbar, das sagte sie sich selbst. Man war Mann und Frau und doch getrennt. Als habe man sich nichts zu sagen, nichts abzubitten, lebte man nebeneinander her. Bei Tisch saßen sie da steif und korrekt; wenn Erich mal ein paar gleichgültige Worte fallen ließ, so geschah das mehr um Krukes willen, damit der nichts von der Verzürnung der Herrschaften merken und womöglich weiter verbreiten solle. Das wichtige, das zwischen ihnen schwebte, wurde nicht berührt, keines wollte den Anfang machen; aus einem gewissen Eigensinn, der schmerzvolle Freude darin findet, nicht nachzugeben. Im Grunde zitterte beiden das Herz vor Verlangen nacheinander. Erich wartete mit banger Sehnsucht auf ein Zeichen ihrer Nachgiebigkeit, viel zu lange dauerte ihm das Alleinsein, wie ein Bräutigam harrte er auf den Augenblick, wo sie zu ihm kommen werde. Und Klara sah in diesem Zustande eine schlechte Komödie, 280 die ihrer und ihres Gatten nicht würdig war. Sie beschloß dem ein Ende zu machen.

Sie hatten jetzt abends getrennt gesessen, er in seinem Zimmer, sie in dem ihren, und waren jedes für sich zu Bett gegangen. Heute trat Klara in später Abendstunde in sein Zimmer. Er bemerkte sie erst gar nicht, am Kamin sitzend, in Gedanken hinbrütend. Eben noch hatte er mit bitterem Ingrimm Vergleiche angestellt zwischen ihren Abenden früher und jetzt. Würde das jemals wieder gut werden können? –

Verzweiflung überkam ihn; gerade jetzt hätte er Klärchen so nötig gehabt, gerade jetzt! Und damit kam er wieder an dem Punkte an, den seine Gedanken in den letzten Tagen stetig umkreisten: seine Vermögenslage.

Da legte sich ihm eine leichte Hand auf den Scheitel.

Der junge Mann hatte einen Ton echter Freude, als er, aufsehend, Klärchen vor sich sah. Was sie wolle, fragte er nicht; er las es ja ihren Augen ab, daß alles gut sein solle.

Es gab kein Auseinandersetzen, kein Umverzeihungbitten, kein Erklären zwischen ihnen. Wer recht und wer unrecht gehabt, war ja jetzt so gleichgültig!

Alles war ausgeglichen, alles gut in diesem Augenblicke.

Nachdem der erste Sturm der Liebkosungen vorüber war, holte sich die junge Frau einen Stuhl herbei und setzte sich neben ihn. Er verstand, daß sie in Ruhe mit ihm sprechen wolle.

Klara machte ihm die Aussprache leichter, als er zu hoffen gewagt hatte. Nicht als Richterin trat sie auf, sie bot sich ihm an wie ein Freund, als Gehilfin, da sie sah, daß er Sorgen habe.

Welch zarte Güte! Er hatte es nicht verdient. 281 Längst hätte er mit ihr sprechen sollen, ihre Hilfe anrufen. Wie manches wäre dann anders und besser gewesen!

Und wie tapfer sie war und großherzig! Sie erschrak nicht, als er ihr mitteilte, wie seine Lage in Wahrheit sei. Ruhig nahm sie die Nachricht auf als etwas Unabänderliches. Ob sie selbst darunter zu leiden haben werde, war eine Frage, die für sie nicht in Betracht zu kommen schien. Mit Beschämung mußte er sich eingestehen, daß er die Frau in allem unterschätzt habe. In ihrem Urteil ging sie immer sofort auf das Entscheidende los, alles Unwichtige fiel vor ihrem Blick wie von selbst ab.

Während er mit ihr sprach, wurde ihm klarer, was er zu tun habe; er fühlte sich auf einmal gestärkt in seinem Willen, den als richtig erkannten Weg auch zu beschreiten.

Man mußte sich einschränken. In der Außenwirtschaft waren Ersparnisse ausgeschlossen; hier mit Meliorationen zurückhalten, hätte sicherlich mit der Zeit die Gutserträge vermindert. Die bessernde Hand mußte anderwärts angelegt werden; die Bedürfnisse und Gewohnheiten des eigenen Lebens und Hausstandes mußte man zurückschrauben.

Man sprach einmal die häuslichen Angelegenheiten gründlich durch. Erich hatte diese allereinfachsten Dinge bisher mit einer gewissen Nachlässigkeit behandelt, ja, er hatte über Klaras Sparsamkeitstrieb öfters gespöttelt; aber jetzt mußte er doch zugeben, daß es nicht gleichgültig war, ob alles aus dem vollen ging oder ob haushälterisch verfahren werde.

Klara erklärte, daß sie sich mit der Hälfte dessen auszukommen getraue, was er ihr bisher an 282 Wirtschaftsgeld gegeben. Aber davon wollte er nichts wissen. Lieber ein paar Pferde abschaffen, schlechtere Zigarren rauchen und geringeren Wein trinken, als das. – Wozu sich so viele Zeitungen halten? Die Sportblätter wenigstens waren unnütz. Und der Klubbeitrag, den er jährlich nach Berlin zahlte, war auch zum Fenster hinausgeworfenes Geld. An allerhand anderen Anschaffungen, für: Jagdsachen, Reitartikel und Toilette, konnte auch gespart werden, denn das summierte sich. Durch Einschränkung mußten sich im Jahre doch einige Tausend gut machen lassen.

Es rührte Klara, zu sehen, mit welchem Eifer er solche Sparsamkeitsideen verfolgte; auf der Stelle sollten alle diese Reformen durchgeführt werden. Er schnitt sich rücksichtslos ins eigene Fleisch. Auf seine größten Liebhabereien wollte er verzichten. Sie allein wußte, was er damit für ein Opfer brachte. In solcher Entsagung lag wirkliche Kraft, und sie hütete sich wohl, ihn von seinen Entschlüssen abzubringen. –

In dieser Nacht wollte der Stoff zur Unterhaltung zwischen den beiden nicht ausgehen. Man hatte sich inzwischen ins Schlafzimmer zurückgezogen, das Licht war ausgelöscht. Hin und wieder trat Stille ein – nur der Sturmwind hatte dann das Wort, der um die Mauern des alten Hauses fuhr –, aber zum Schlafen kam es nicht. Immer wieder hatte eines dem anderen etwas zu sagen. Es war, als könnten die Ehegatten sich nicht genug tun, das Glück der Stunde auszunutzen, die sie einander näher gebracht hatte als irgendeine andere zuvor.

Über die Kühnheit seines eigenen Gedankens erschreckend, sann Erich, ob er die Stimmung nutzen solle zu einem Geständnis.

283 Einmal mußte es ja doch geschehen! Einmal mußte sie ihn ja doch ganz kennen lernen und sein Leben, wie es war. Konnte es einen besseren Augenblick geben als diesen, ihr auch über die Dunkelheiten seiner Vergangenheit zu sprechen? –

Unruhig warf er sich hin und her; sollte er's wagen? Oder sollte er's nicht lieber noch einmal hinausschieben, wie er's schon so oft getan! War es nicht ein Jammer, die Harmonie dieser Stunde so zu stören. Kaum war man versöhnt, und der Friede sollte von neuem aufs Spiel gesetzt werden.

Und doch wieder trieb es ihn, zu sprechen. Das Geheimnis wollte ihm ja das Herz abdrücken. Wenn man einen Menschen so liebte, war es dann nicht unerhört, ihn zu hintergehen? Denn Verschweigen war hier Hintergehen. –

Und er war das auch seiner Ehre schuldig. Immer diese Angst, daß der Zufall sein Geheimnis an den Tag bringen würde, der Gedanke: was wirst du dann sagen, womit dich herausreden? – Nein, dieses Armesündergefühl war nicht länger zu ertragen!

Es kam wirklich nur darauf an, sich ein Herz zu fassen, ihr's zu gestehen: Alles! –

Aber es war so schwer, einen Anfang zu finden. So mit der Tür ins Haus zu fallen – unmöglich! Und wieder jede Einleitung mußte der Sache erst recht etwas Ungeheuerliches geben. Wenn Klärchen nur gefragt, nur irgend etwas geäußert hätte, das die Anknüpfung erleichterte. Aber davon war bei ihr keine Rede. Er wußte ja, welch eine Scheu, welch tiefe, instinktive Abneigung sie gegen alles Unreine und Zweideutige hegte.

Die Dunkelheit gab ihm schließlich den Mut, zu tun, was er im nüchternen Lichte des Tages vielleicht 284 nie gewagt haben würde. Er drückte sie fest an sich und flüsterte, den Mund dicht an ihrem Ohre: er habe ihr ein Geständnis zu machen.

Sie begriff sofort, daß es etwas Ungewöhnliches sein müsse, das sich in dieser Weise ankündete. Ihr Atem ging schneller, ihr Herz klopfte stärker; sie ahnte, um was es sich handle.

Ihr Erschrecken machte ihn unsicher. Er hielt es nun doch wieder für besser, sie langsam vorzubereiten; darum begann er umständlich von seinem Berliner Leben zu sprechen, und daß er als Junggeselle da manches getan habe, was ihm jetzt leid sei.

Aber sie ließ ihn nicht weit kommen, hielt ihm den Mund zu: »Still, still!« – Sie wollte nichts hören. Um der Liebe willen, sie war nicht imstande, so etwas anzuhören. Nie wieder im Leben solle er davon anfangen!

Eine Art Fieber hatte sie gepackt; er fühlte, wie ihr ganzer Körper in seinen Armen bebte. Kriebow schwieg bestürzt. Wie furchtbar schwer sie's nahm! Was würde sie erst zu dem anderen sagen? –

Seine Berliner Liaison war doch schließlich immer noch das leichtere gewesen. Aber das andere – das andere, das so sehr viel schwerer wog, auch vor seinem Gewissen.

Sollte er nach dieser Erfahrung nun doch noch fortfahren? Konnte man sie denn zwingen zuzuhören? Er hatte doch nun eigentlich das Seine getan! Wenn ja noch in späterer Zeit etwas ans Tageslicht kommen sollte, dann konnte er sich doch darauf berufen: Du hast mich doch damals nicht hören wollen!

Feigheit wäre es gewesen, nun erst recht Feigheit, zu schweigen, wo er sich vorgenommen hatte, zu reden. 285 Wenn es nicht anders ging, mußte er ihr das Geständnis aufdrängen.

Nur den Anfang zu finden, war so schwer. Alle Worte waren roh; das Gefühl sträubte sich, so etwas in gewöhnliche, nüchterne, verstandesmäßige Sätze zu fassen. Sollte er mit Jochen Tuleveit beginnen? Klara interessierte sich für den Alten. Kürzlich erst wieder hatte sie nach ihm gefragt. Oder gar mit dem Knaben? Nein! Das mußte er aufsparen bis zuletzt; denn das würde sie am schwersten treffen, wie es für ihn selbst ja das schwerste war.

Er mußte mit etwas anderem beginnen, mit etwas, das imstande war, sein Tun in ihren Augen zu entschuldigen. Er wollte ihr ein Bild geben, wie alles gekommen, ganz einfach, ganz erklärlich, wie von selbst, ohne sein Verschulden gewissermaßen. Es gab doch so manches, was ihn entlastete.

Mit einem Male war er drin im Beichten. Er sprach hastig, von der Sorge getrieben, sie könne ihn unterbrechen. Aber diesmal ließ sie ihn ausreden.

Mit atemloser Spannung, ohne sich zu regen, steif und starr, wie gebannt, lauschte sie seinen Worten. Ihre Wangen glühten, dabei fühlte Erich, wie ihre Gliedmaßen kalt wurden. Besorgt fragte er, was ihr sei. Mit heiserer, ihm ganz fremder Stimme hieß sie ihn fortfahren.

Als er alles gesagt hatte, schwiegen beide eine lange Weile. Peinvolle Minuten! Ängstlich lauschte er auf ein Zeichen von ihr. Sie hatte sich aus seinen Armen losgemacht. Bedeutete das Feindschaft? Verachtete, verabscheute sie ihn nun? –

Es war wohl doch eine große Unklugheit von ihm gewesen, ihr das zu erzählen! Was mochte jetzt in 286 ihrer Seele vorgehen? Er hatte sich wohl selbst ein für allemal in ihren Augen entwürdigt? Welch ein Tor war er gewesen!

Oder wäre es Eifersucht bei ihr. – Auch das war denkbar. Frauen waren ja unberechenbar in solchen Dingen. Er hatte ihr Zusammenzucken wohl gefühlt, als er sagte: ein Kind sei da. Das wenigstens hätte er verschweigen müssen; alles andere durfte er ihr sagen, nur das nicht!

So erwog er im Fluge die tausend Möglichkeiten ihrer Stimmung, ängstlich nach ihrer Seite hinüberlauschend. Wenn sie doch nur endlich hätte sprechen wollen! Und wenn es Vorwürfe wären und Anklagen, er wollte sie gern hinnehmen; nur nicht dieses Schweigen, das alles bedeuten konnte! –

Da hörte er ein Schluchzen. Sie weinte. – Klara, die sich sonst so gut zu beherrschen verstand, weinte! –

Und das wollte nicht aufhören. Es war eine furchtbare Folter für ihn, diese Töne der Verzweiflung mit anzuhören.

Er tastete in der Dunkelheit nach ihr, gab ihr die zärtlichsten Namen. Sie lag mit dem Gesichte in den Kissen, sein Bemühen, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, war erfolglos.

Dann mit einem plötzlichen Entschlusse setzte sie sich auf, ihre Tränen verschluckend. Sie wollte mit ihm sprechen.

Ihre erste Frage war: was aus dem Mädchen geworden sei.

Erich wußte nicht viel über Gretens Verbleib. Sie habe geheiratet und sei mit Mann und Kindern fortgezogen. Näheres konnte er nicht angeben. Das Kind habe sie hier bei den Großeltern zurückgelassen.

287 Es war, als müsse sie diese Erfahrungen erst in sich verarbeiten. Er wartete mit dem Gefühl des Angeklagten auf ihre weiteren Fragen.

Dieses tiefe Seufzen! Noch nie hatte er Klara so seufzen hören.

Dann mit Stocken und Zaudern, das die Überwindung erkennen ließ, die ihr die Frage kostete, kam es leise heraus: ob es ein Knabe sei oder ein Mädchen? –

Als Erich geantwortet, wieder langes Schweigen.

Sie schien auf einmal ganz in Überlegung versunken. Trotz der Dunkelheit konnte er ihren Schattenriß erkennen gegen den Lichtschein des Fensters. Sie saß, die Hände über die Knie geschlagen, mit gesenktem Haupte, unbeweglich. Was überlegte sie? Was plante sie? –

Plötzlich sagte Klara mit einer Stimme, die schon wieder ganz der ihren glich: er solle ihr von dem Knaben erzählen.

Daß sie gerade davon wissen wollte! – Es kam ihm unschicklich vor, von dem Kind der Schande zu seiner Frau zu sprechen. Der Junge sei gut aufgehoben bei den Großeltern, gab er nur ganz flüchtig zur Antwort.

Ob Erich selbst sich denn gar nicht um die Erziehung des Kindes kümmere? fragte sie. Das habe er allerdings bleiben lassen, meinte er. Er vermeide es, mit dem Jungen zusammenzutreffen. Das sei doch wohl natürlich! –

Ihm lag daran, sobald wie möglich von diesem Thema wegzukommen. Sie brauchte das nicht zu wissen! – Aber Klara merkte, daß er sich ihr entziehen wollte. Nun sie einmal an die Frage heranzutreten sich entschlossen hatte, wollte sie ihr bis auf den Grund 288 schauen. Es gelang ihr auch, so viel von ihm zu erfahren, als sie wissen mußte.

Was sie hörte, schien sie wehmütig zu stimmen. Alles vermöge sie zu verzeihen, sagte sie, aber wie ein Mensch das übers Herz bringen könne, sich so gar nicht um das Schicksal eines Mädchens zu kümmern, welches er unglücklich gemacht, und noch schlimmer, sein eigenes Kind zu verleugnen, dafür fehlten ihr die Begriffe. Das sei das Traurigste, was sie je erlebt habe.

Er war betroffen, daß sie die Partei nahm des Mädchens und des Kindes! – Auf ganz andere Vorwürfe hatte er sich gefaßt gemacht von ihrer Seite.

Er versuchte sein Verhalten zu entschuldigen: »Natürlich, ich hätte ja gern alles auf mich genommen, was in einem solchen Falle das Gesetz vorschreibt und auch noch mehr! Aber das war ja eben so furchtbar schwer! Leuten, wie diesen Tuleveits, konnte man doch gar nicht kommen mit dem Ansinnen einer Abfindung.« – Daß er damals anderen überlassen hatte, die Folgen seiner Verschuldung zu ordnen, und wie diese anderen dabei verfahren waren, verschwieg er seiner Frau. Er schämte sich, das zu gestehen; es war zu unrühmlich. –

»Ich habe ja auch versucht, die Sache gut zu machen, erst kürzlich noch. An mir hat es nicht gelegen, daß aus der Versöhnung nichts geworden ist.« Nun erzählte er ihr die Erfahrung, die er neulich auf dem Schulzengute gemacht. Nur ganz kurz berichtete er von jenem Auftritt zwischen ihm und Jochen Tuleveit. Er sprach ungern davon. Das Blut schoß ihm zu Gesicht, wenn er an die Demütigung dachte, die ihm dort widerfahren war. »Für mich ist die Angelegenheit damit erledigt,« sagte er mit einer Stimme, die vor innerer Erregung zitterte. »Ich bin den Leuten soweit entgegengekommen 289 wie nur irgend möglich; mehr zu tun, verbietet mir die Ehre! Ich habe die Hand zum Ausgleich geboten; wenn das schnöde zurückgewiesen wird, wenn man mir beleidigend entgegentritt, dann muß ich den Rücken wenden und das Geschehene, so gut es geht, ignorieren. Unsereiner ist eben solchen Leuten gegenüber in einer verzweifelten Lage; mit seinesgleichen würde man sich schießen. Was habe ich dem Bauern Tuleveit gegenüber für Mittel an der Hand, ihn in seinen Schranken zu halten?« –

Klara hatte ihm bis dahin zugehört, ohne ihn zu unterbrechen; hier fiel sie ihm ins Wort. Sie meinte: er verdrehe die Sachlage völlig. Dem Alten und seiner Familie sei unrecht geschehen, nicht ihm. Was bedeute seine Beleidigung gegenüber der Kränkung, die er dem Mädchen zugefügt? Daß er die alten Leute aufgesucht, wäre das Geringste gewesen, was er habe tun können. Aber gut gemacht sei damit nichts; eine Sühne könne sie darin nicht erblicken.

Ihre Worte klangen hart. So hatte er sie noch nie sprechen hören in diesem schroffen, herben Tone. Woher kam auf einmal diese Strenge in ihrem Wesen? –

Was er denn tun solle nach ihrer Ansicht? Ob sie vielleicht wünsche, daß er nochmals auf den Schulzenhof gehe, um dem alten Jochen Gelegenheit zu geben, von seinem Hausrechte Gebrauch zu machen? fragte er bitter.

Ihr vorwurfsvoller Ton hatte ihn an einer wunden Stelle getroffen. Alles wollte er sich gefallen lassen, nur nicht, daß seine Frau sich ein Urteil anmaßte in Ehrensachen. Sie mochte noch so klug sein und feinfühlend, aber davon verstand sie nichts. Und man konnte ihr auch nicht klar machen, was in diesem Falle seine Kavaliersehre ihm vorschrieb; sie war eben eine Frau! –

290 Hier stand er vor derselben Erscheinung wie neulich schon, als sie sich um Dürten und Franz gestritten hatten. Man konnte sich nicht verständigen; Ansicht stand schroff gegen Ansicht. Gerade wenn sie über ernste Dinge sprachen, wie heute, dann kamen sie schließlich an einen Punkt, wo sie einander verloren. Dann klaffte mit einem Male ein weiter Abstand; er konnte nicht zu ihr und sie nicht zu ihm. Was war nur das? Sie liebten einander doch! War es denn denkbar, daß Mann und Frau von Natur so grundverschiedene Wesen seien, daß sie sich nicht finden konnten, gerade im Wichtigsten? – Und konnte es etwas Wichtigeres geben als die Ehre? In diesem Worte faßte er das Höchste zusammen, was er auf Erden kannte.

Auch Klara empfand diesen Zwiespalt der Anschauungen, und sie empfand ihn herber als Erich. Wieder hatte es sich ihr gezeigt: das, was für sie das Größte war, war für ihn das Gleichgültigste. Leicht ging er in seinem Gedanken über das hinweg, was ihr sittliches Empfinden in der Tiefe ergriff. Sie erkannte es ganz deutlich aus seinen Worten, daß ihn eigentlich nur die Folgen, die seine Tat gehabt, bekümmerten.

Ja, man war einander fremd! so fremd, daß Feindschaft daraus entstehen mußte, wenn man nicht einen Weg zueinander fand.

Die junge Frau stand mit einem Male vor jenem Abgrund, der seit Adams und Evas Zeiten in jedem Verhältnisse von Mann zu Frau klafft; zum ersten Male stand sie davor mit geöffneten Augen.

Hier half nur eines: sich selbst einsetzen! –

Sie mußte handeln. Wiederum wurde sie vor die Pflicht gestellt, ihre Scheu zu überwinden, hineinzusteigen in die trübe Flut, vor der sie solchen 291 Widerwillen empfand. War es nicht, als ob sie das Leben zur Härte erziehen wolle, daß es sie immer wieder gerade vor solche Aufgaben stellte, die ihrer Natur zuwider waren! –

Ein Opfer wurde von ihr verlangt. Das Unrecht, das er begangen, vor Jahren, lange ehe sie ihn gekannt, und das er ungesühnt hatte wachsen und wachsen lassen. Dieses Unrecht gutzumachen, war die neue Pflicht, die sie vor sich sah.

 


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