Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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XXII.

Am nächsten Morgen erhielt Kriebow mit der Frühpost einen Brief aus Grabenhagen. Heilmann hätte sich auch das Schreiben ersparen können, dachte er bei sich, während er den Umschlag erbrach; heute abend war er ja in Grabenhagen. –

Inspektor Heilmann schrieb:

»Hochzuverehrender, gnädiger Herr! Es hat sich, seit ich dem gnädigen Herrn das letzte Mal zu berichten die Ehre hatte, nichts ereignet hier in Grabenhagen. Kühe und Ochsen sind gesund, auch im Schweinestall und bei den Schafen ist alles in Ordnung; dasselbe kann ich glücklicherweise vom Pferdestall berichten. Wie es den Anschein hat, werden wir mit dem Viehstand diesmal gut durch den Winter kommen, und das ist ja immer die Hauptsache. Die Arbeiten gehen ihren Gang fort. Ich lasse mit dem Flegel dreschen, um die Leute zu beschäftigen. Im Walde habe ich einen Schlag machen lassen, das Holz wird jetzt im Schauer für den herrschaftlichen Bedarf aufbereitet. Auf diese Weise 396 muß man sich helfen, die Leute auszunutzen. In dieser Jahreszeit liegen sie uns sonst nur auf dem Beutel.

Ich habe dem gnädigen Herrn auch noch eine erfreuliche Mitteilung zu machen: Durch die äußerste Sparsamkeit ist es mir gelungen, von Getreide, Stroh und Heu und auch von Kartoffeln ein Teil gut zu machen, was zum Verbrauch in der Wirtschaft berechnet war. Ich hoffe, wenn die Frühjahrsbestellung vorüber sein wird, noch für einige tausend Mark Wintervorräte verkaufen zu können.

Vorläufig sieht es allerdings nicht nach Frühjahr aus; wir haben noch Schnee, und unter vier Wochen wird wohl nicht an Feldarbeit zu denken sein. Wenn der gnädige Herr also sonst wollen, können der Herr von Kriebow unbesorgt in Berlin verweilen. Es geht hier alles seinen geordneten Gang weiter. –

Eine Sache zu melden, will ich nicht unterlassen: Der Nachlaß des verstorbenen Jochen Tuleveit ist nunmehr geregelt. Der Älteste, Karl, übernimmt, wie man hört, das Schulzengut, und soll die anderen auszahlen. Das wäre ja ganz schön, wenn nur nicht Herr Bankier Isidor Feige da auch ein Wort mitzureden hätte. Karl Tuleveit soll nämlich, wie man erfährt, bei Feige tief in der Kreide stehen. Ich hatte neulich, als ich am Markttage in der Stadt war, Gelegenheit, mit Herrn Bankier Feige persönlich zu sprechen. Nach dem, was mir der Herr da – ganz im Vertrauen natürlich – hat zu erkennen gegeben, hege ich keinen Zweifel, daß er sich wegen seiner Forderungen an das Schulzengut halten wird. Herr Bankier Feige läßt auch Herrn von Kriebow sagen, daß er nach wie vor zu Diensten steht in dieser Angelegenheit. Wenn ich mir eine persönliche Ansicht erlauben darf, so meine ich, daß es ratsam 397 wäre, es mit Herrn Feige nicht zu verderben. Er hält den Karl Tuleveit in der Hand, er kann es mit dem Schulzengut zum Verkauf treiben oder zur Subhastation, wie er will. Seine und des gnädigen Herrn Interessen gehen beide Hand in Hand.

Der Moment, den Tuleveitschen Hof billig für das Rittergut zu erwerben, ist außerordentlich günstig. Weil sich Herr Feige einerseits nicht mit einem so großen Besitz, wie das Schulzengut ist, beschweren mag, und da er anderseits uns gefällig sein will, hat er schon erklärt, daß er uns den Vortritt lassen wird beim Erwerb. Das ist von Herrn Feige jedenfalls sehr schön gehandelt und eine sehr große Gefälligkeit gegen uns. Ich kann überhaupt nur sagen, daß ich Herrn Isidor Feige stets als einen äußerst reellen Geschäftsmann kennengelernt habe, den man sich warmhalten möchte.

Hiervon habe ich mir erlaubt, dem gnädigen Herrn gebührend Meldung zu machen, weil ich annahm, daß es interessieren würde. Ich bin jederzeit auf das Interesse der Herrschaft bedacht und werde berichten, sowie sich etwas Neues in dieser Beziehung ereignen sollte.

Inzwischen aber verbleibe ich Euer Hochwohlgeboren ganz untertänigster Diener

Heilmann.«

Dieser Brief bestärkte den Grabenhäger in der Absicht, schleunigst nach Haus zurückzukehren. Sein Inspektor erteilte ihm zwar den Rat, ruhig in Berlin zu bleiben, aber gerade das reizte Kriebow, das Gegenteil zu tun.

Heilmann wollte in diesem Briefe allzu klug sein; dabei sah er die Dinge eben doch nur so an, wie er sie verstand, vom Beamtenstandpunkte.

Eigentlich hatte Kriebow an diesem Morgen noch nach Grabenhagen telegraphieren wollen, man solle ihn 398 an der Station abholen, aber dann überlegte er sich, daß es eine ganz gute Probe sein möchte, einmal ganz überraschend auf seinem Hofe anzukommen. Schon um Heilmanns Gesicht zu sehen, wenn er unerwartet bei ihm eintreten würde. Es konnte auf keinen Fall schaden, wenn der Herr Inspektor das Gefühl bekam, überwacht und keinen Augenblick vor dem Herrn sicher zu sein.

Das Wetter war günstig zur Ausführung des Planes. Ein klarer Februartag, einige Grad Kälte. Das war gut für die heimischen Wege, die bei lauer Witterung unergründlich gewesen wären.

Kriebow benutzte bis zu der Station, wo er gewöhnlich ausstieg, den Schnellzug; dort fand er Anschluß an die Schmalspurbahn. In Groß-Podar stieg er aus.

In dieser Jahreszeit waren die Stationen der Kleinbahn wie ausgestorben; weder vom Passagier, noch vom Güterverkehr war da viel zu merken. Zu seinem Staunen hatte Kriebow in Groß-Podar den ungewohnten Anblick großer dort aufgestapelter Kisten, Verschläge und Ballen. Da sah man Ziegelhaufen, Holz, behauene Steine und Eisenteile. Arbeiter waren beschäftigt mit Abladen.

Der Bahnbeamte, den er deshalb befragte, erklärte ihm: das sei Material, das Kommerzienrat von Katzenberg zu seinen Neubauten anfahren lasse. Noch nie zuvor habe die Bahn so viel zu tun gehabt; das gehe den ganzen Winter schon so.

Kriebow ließ sein Gepäck auf der kleinen Station, lehnte den Schlitten ab, den ihm der dienstbeflissene Beamte verschaffen wollte, und schritt auf hartgefrorenem Wege ins Land hinaus.

Die Gegend lag im Winterschweigen. Äcker, Bäume, Gewässer, menschliche Wohnungen, alles schien unter 399 der weißen Decke zu schlummern. Kein Mensch weit und breit, im Schnee zahlreiche Wildfährten, hie und da ein Volk Rebhühner, dicht zusammengedrängt, ohne jede Scheu vor dem Vorüberschreitenden. Welch erquickende Ruhe, doppelt heimlich nach dem brausenden Lärm der Großstadt! Welch herrliche Luft, klar bis an den fernen bläulichen Rand der verschneiten Ebene, wie leicht zu atmen und wie herzstärkend!

Schon sah er das Dach seines Hauses von weitem, durch die entlaubten Zweige der Parkbäume; aus der Esse stieg der Rauch auf. Er beschleunigte seine Schritte. Wie wohl das tat, wieder daheim zu sein! Er verspürte Appetit. Während er zu Heilmann gehen und dann einen Gang durch die Ställe machen wollte, konnte Frau Kruke ihm ein verspätetes Mittagbrot zurechtmachen. Kruke mußte schnell die Wohnzimmer heizen, dann wollte er essen, sich in sein Zimmer setzen, die Beine ins Kamin stecken und an Klärchen denken.

Jetzt begegnete ihm ein Wagen, der erste, den er traf. Kam das von seinem Hofe? Sein Blick maß zunächst die Gäule; die erkannte man immer am ersten. – Nein, solche gedrungene Formen hatte er nicht in seinem Stalle. Es war ein Kastenwagen, hoch bepackt mit allerhand Hausrat. Fast machte es den Eindruck, als zögen hier Leute um. Der Kutscher war ihm fremd, aber den Mann, der am Hinterrade schritt, meinte er zu kennen. Dieser brandrote Bart, die verschossene Artilleriemütze – das war doch Uhlen, einer von seinen Tagelöhnern! – Und auch das Frauengesicht und die Kinderköpfe, welche jetzt zwischen Betten, Laden und sonstigen Möbelstücken auftauchten, kamen ihm so bekannt vor. Was wollte die Familie hier auf der Landstraße? –

400 Kriebow hielt den Wagen an und fragte, was die Leute vorhätten.

Der rotbärtige Mann zögerte eine Weile mit der Antwort, dann sagte er weiter nichts als: »Trecken!«

»Trecken!« rief Kriebow betroffen. »Jetzt, wo gar kein Ziehtermin ist! Ihr seid wohl nicht ganz klug!«

Uhlen blickte mürrisch zur Seite.

»Wo will Er denn hin, Uhlen?«

»Nach Pröklitz, tau Herr Merten!«

»Zu Merten, zum Pröklitzer. Da ist Ihm also wohl bei uns gekündigt worden, Uhlen? Hat Er denn was Unrechtes getan?« –

Der Mann lachte bitter. Seine Frau sei kränklich und habe drei Kinder zu versorgen, wenn das ein Unrecht wäre! – sagte er. Daß die Frau zu schwach sei, um früh vor fünf Uhr die Kühe zu melken, das sehe ihr jeder an, nur Herr Inspektor Heilmann habe es nicht sehen wollen.

Ohne Grund sei er sicher nicht weggeschickt worden, das könne er nicht glauben, meinte Kriebow.

Seine Schulden seien bezahlt, er sei frei, erklärte Uhlen mit trotziger Miene. Hier habe ihm niemand mehr etwas zu gebieten. Sein Herr sei jetzt der Pröklitzer, dem gehörten auch Wagen und Pferde. Damit gab er dem Kutscher ein Zeichen, anzufahren. Vor den Augen des Gutsherrn fuhr der Wagen mit Leuten und Sachen davon. –

Der Grabenhäger ging schnurstracks auf die Inspektorwohnung zu. Was hatte das zu bedeuten? Seine frische Stimmung war verdorben; kaum hatte man den Fuß auf eigenen Grund und Boden gesetzt, da gab es schon Verdruß.

Er traf Heilmann in seinem Zimmer.

401 Der Gutsherr gab keine Erklärung seines unvermuteten Erscheinens, sondern forderte den Inspektor in barschem Tone auf, zu erklären, warum Grabenhäger Leute mit fremdem Geschirr auf der Landstraße umherzögen.

»Der gnädige Herr haben wohl Uhlen getroffen?« fragte Heilmann der Aufregung seines jungen Herrn gegenüber in gelassenstem Tone.

»Allerdings!« rief der Grabenhäger. »Und ich muß mich sehr wundern, daß meine Leute entlassen werden, ohne daß ich davon erfahre.«

»Uhlen ist nicht weggeschickt worden; er hat selbst fortgewollt.«

»Warum hat Uhlen gekündigt?«

»Es gefiel ihm nicht zu gehorchen; das ist ja jetzt so Mode! Wir werden das wohl noch öfter erleben. Die Leute sind einem ja aufsässig gemacht vom Nachbar in Pröklitz. Gegen solche Niedertracht ist man wehrlos.«

»Hat Merten Pröklitz uns den Uhlen ausgemietet?«

»Viel anders wird's ja wohl nicht sein! Beweisen kann man's nicht; denn so was wird natürlich heimlich gemacht. Aber Herr Merten hat das ja überhaupt so in der Gewohnheit, den Gütern ringsum die Arbeiter wegzulocken durch seine hohen Löhne.«

»Und Sie haben sich das gefallen lassen!«

»Uhlen war nun einmal ein Unzufriedener. Er hätte uns am Ende noch die anderen verdorben. Da dachte ich: man läßt ihn besser ungehindert ziehen.«

»Und das soll man so ruhig einstecken von diesem Herrn Merten!« rief der Grabenhäger.

Heilmann zuckte mit den Achseln. »Was wollen wir machen! Herr Merten ist ja erst so übermütig gemacht worden. Von Berlin sind die Leute gereist 402 gekommen, um sich seine Arbeiterwohnungen anzusehen, und in allen Zeitungen hat's gestanden: er sorgt wie ein Vater für seine Leute. In allen Kommissionen und Kreisangelegenheiten muß Merten Pröklitz dabei sein. Da ist ihm natürlich der Kamm geschwollen. Er denkt, er kann sich alles herausnehmen.«

Erich von Kriebow war sowieso nicht gut auf Merten zu sprechen. Pröklitz war ein Familiengut der Wardens gewesen. Durch seine Großmutter mütterlicherseits hatte er Wardensches Blut in den Adern. Und nun war die Besitzung, nachdem sie schnell hintereinander die Besitzer gewechselt hatte, schließlich an Merten gekommen. Erichs Vater hatte es stets schmerzlich empfunden, daß dieser alte, vornehme Sitz in die Hände eines Emporkömmlings geraten sei, und Erich hatte diese Ansicht von dem alten Herrn übernommen.

Das Ungünstige, was er hier über Merten hörte, fiel also auf vorbereiteten Boden. Er fühlte sich herausgefordert. Dem Herrn mußte mal gezeigt werden, daß man sich nicht alles stillschweigend gefallen ließ.

Kriebow erklärte, daß er Merten persönlich aufsuchen werde, um Rechenschaft von ihm über das Vorgefallene zu fordern.

Der Plan schien dem Inspektor nicht zuzusagen. Er warnte davor. Merten sei bekannt für seinen Mangel an Schliff und Manieren; die Sache sei schließlich gar nicht wert, daß sich der gnädige Herr deshalb Ungelegenheiten mache.

Aber nach Kriebows Ansicht handelte es sich hier nicht bloß um den einzelnen Fall, die Sache sei vielmehr »Prinzipienfrage«. Man war sich das als Altangesessener schuldig, Übergriffe solcher Herren nicht zu dulden. Er werde darauf dringen, daß Uhlen zu ihm 403 zurückkehre, oder wenn Merten etwa nicht gutwillig zu haben sei, werde er die Hilfe der Behörde anrufen.

Heilmann riet davon erst recht ab. Nach seiner Erfahrung käme dabei nichts weiter heraus als Ärgernis und Kosten. Der Eifer, den sein junger Herr in dieser Angelegenheit entwickelte, schien ihm garnicht recht zu sein.

* * *

An einem der nächsten Vormittage fuhr Kriebow nach Pröklitz. Merten war, wenn man nach der Entfernung von Hausschwelle zu Hausschwelle rechnete, einer seiner nächsten Nachbarn; der Grabenhäger hatte trotzdem seinen Weg noch niemals dorthin gefunden.

Man hatte Kriebow schon geraten: »Sehen Sie sich doch mal die Wohlfahrtseinrichtungen in Pröklitz an!« oder man hatte ihm gesagt: In Fragen der Landwirtschaft sei Merten Pröklitz die erste Autorität der Gegend, an ihn möge er sich wenden, wenn er eines Ratschlages bedürftig sei. Der Grabenhäger aber hatte davon nichts wissen wollen, er sträubte sich gegen den Gedanken, mit diesem Nachbar intim zu werden oder gar, ihm etwas zu verdanken. –

Das Pröklitzer Herrenhaus war weithin sichtbar. Ein mächtiger Bau im modernisierten Tudorstile, in den sechziger Jahren des Jahrhunderts errichtet. Der Erbauer war von dem Ehrgeize beseelt gewesen, den schönsten Herrensitz der Gegend zu haben. Seine Absicht hatte Freiherr Warden wohl durchgesetzt, aber als er fertig war mit der ganzen Anlage, zu der auch Ställe und Nebenhäuser aller Art gehörten, war er auf dem Grunde seines Geldbeutels angelangt.

Nach ihm wurden auf diesem Gute noch zwei andere Besitzer mit ihren Mitteln fertig. Die luxuriöse 404 Anlage des Schlosses zwang die Herren zu übertriebenen Ausgaben. Die Landwirtschaft trat in den Hintergrund, man gewöhnte sich daran, auf seinem Gute wie in einer städtischen Villa zu wohnen, nur der Repräsentation zu leben. Das Renommee aber von Pröklitz sank, es kam in den Ruf, ein Luxusgut zu sein, das seine Besitzer ruiniere. Als es schließlich zum dritten Male unter den Hammer kam, fiel es an Merten.

Welch ein Geschäft Merten gemacht, ging daraus hervor, daß er, der sich die Anzahlungssumme hatte von Freunden zusammenborgen müssen, nach einem Jahrzehnt bereits nicht nur diese Summe zurückgezahlt und Hypotheken abgestoßen, sondern auch bedeutende Meliorationen hatte vornehmen können.

Merten hatte mit Kennerblick herausgefunden, daß der Fehler des Gutes in dem Mißverhältnis lag, zwischen den großartigen Baulichkeiten und den vernachlässigten Feldern. Nicht das Gut hatte die Herren ruiniert, sondern die Besitzer waren allerhand kostspieligen Liebhabereien nachgegangen und hatten sich damit selbst arm gemacht.

Aber die Prachtbauten waren nun einmal da. Merten beschloß, den Prunk nach Möglichkeit nutzbar zu machen. Das Herrenhaus in allen seinen Räumen zu bewohnen, war für einen Junggesellen ausgeschlossen. Nur ein paar kleine Zimmer nahm er für sich selbst. Im Erdgeschoß brachte er die Holländerei unter. Ein mächtiger Saal mit Oberlicht, parkettiert, der zu Festbanketten bestimmt war von seinem Erbauer, wurde jetzt als Schüttboden benutzt. In den Nebengebäuden, die dem Herrenhause ursprünglich an Eleganz nicht viel nachgegeben hatten, richtete er Tagelöhnerwohnungen ein. Der weitläufig angelegte Park blieb zwar in 405 seinem Umfange erhalten, aber seine nach englischem Muster angelegten Rasenplätze wurden jetzt als dreischürige Wiesen behandelt.

Der Begründer aller dieser Herrlichkeiten würde sich wohl im Grabe umgedreht haben, hätte er gesehen, was man aus dem Sitze der Wardens gemacht hatte. Es war, als habe jemand kostbare Gobelins zur Herstellung von Getreidesäcken verwendet.

Kriebow kannte die Veränderungen, die Merten mit Pröklitz vorgenommen hatte, nur vom Hörensagen. Er hatte sich vorgenommen, sich möglichst wenig umzusehen bei seinem Besuche, um sich nicht über die Barbareien, die man an den Werken seines Onkels ausgeübt, zu ärgern.

Er sah mit wenig Freude der Unterhaltung mit seinem Nachbar entgegen. Aber er war ja in seinem guten Rechte! Sich die Leute ausmieten zu lassen, das durfte man sich nicht gefallen lassen! Einem Standesgenossen, der ihm dergleichen angetan hätte, würde er einfach seinen Kartellträger zugeschickt haben. Mit Merten war das etwas anderes. Es war kaum anzunehmen, daß ein Mann, der ehemals simpler Wirtschafter gewesen, Satisfaktion geben würde. So einem imponierte man noch am ersten, wenn man ihm auf die Bude rückte und ihm den Standpunkt klar machte.

Allen Vorsätzen zum Trotz sah sich der Grabenhäger doch mit neugierigen Blicken um, sobald er in Pröklitz vorgefahren war. Eine breite Steinrampe, an den Ecken steinerne Wölfe, das Wappentier der Wardens. Dann ein Säulenportikus über der Vorfahrt. In der gewölbten Haushalle sah das Auge mit Befremden auf dem Mosaik des Fußbodens Fässer und Wannen stehen, durch eine offenstehende Tür blickte man in einen Raum, 406 der mit seinen Kübeln, Äschen und Kannen einer Milchkammer verzweifelt ähnlich sah.

Mit kurzen Ärmeln, aus denen rotblau angelaufene Arme guckten, kam die Meierin auf den Grabenhäger zu und wies ihn, als er nach Herrn Merten fragte, nach dem breiten, mit eichener Boiserie verzierten Treppenhause.

Großgedacht diese Anlage! Kriebow sah das im Geiste alles ausgeschmückt mit eingelegten Schränken, Rüstungen und Jagdtrophäen; anstattdessen kahle Wände.

Im ersten Stockwerk der geräumige Vorsaal zeigte in einem als Fresko gemalten Fries den Stammbaum der Wardens. Nicht ganz dazu passend erschienen die Kisten und Kasten, die hier aufgestapelt standen wie in einer Rumpelkammer. Der Geruch verriet die Nähe des Schüttbodens mit seinen Vorräten von Korn, Kleie und Sämereien.

Wohl durch die Schritte aufmerksam gemacht, öffnete der Hausherr die Tür seines Zimmers und blickte hinaus. Eine gedrungene Gestalt, etwas zur Wohlbeleibtheit neigend, mit ehemals rotem, jetzt stark angegrautem Vollbart, so stand er da und besah sich mit freundlichen Augen den Ankömmling.

Sobald er den Grabenhäger erkannt hatte, kam er auf ihn zu mit ausgestreckter Hand, freudig lachend; er begrüßte den »Herrn Nachbar«, der ihn endlich einmal aufsuchte.

Kriebow nahm eine möglichst reservierte Miene an – daß der Mann sich einbildete, er komme, ihm einen freundnachbarschaftlichen Besuch zu machen, war fatal – aber in die dargebotene Hand nicht einzuschlagen, machte ihm seine Erziehung unmöglich.

Merten nötigte den Gast ins Zimmer. Kriebow 407 fand es unerträglich warm. Auf dem Fußboden hockte ein Paar kleine Kinder, mit beschmierten Fingern und Wangen; sie schienen Honigbrot gegessen zu haben.

»Entschuldigen Sie nur, Herr von Kriebow, die Gören! Aber ich dachte wirklich nicht, daß ich heute noch solchen Besuch bekommen würde,« rief Merten und hob die Kinder auf; dann wischte er ihnen den Mund mit dem eigenen Taschentuche ab.

Kriebow, welcher wußte, daß Merten Junggeselle sei, machte sich hierbei seine eigenen Gedanken. So also sahen die »musterhaften Zustände«, die angeblich hier herrschen sollten, wenn man den Mann überraschte, in Wahrheit aus. –

»Kinner, ji hefft nu all n' ganz deel kregen!« sagte Merten zu den Kleinen, die lüstern nach Brot und Honigtopf auf dem Tische schielten. »Nu möt 't ji öwerst gan. Ick heff nu Besäuk.« –

»Das sind nämlich die Kinder von meinem Schauerarbeiter.« Damit erhob er sich aus der gebückten Stellung, in der er zu den Kindern gesprochen hatte. »Der Mann ist seit ein paar Wochen Witwer, und da kommen sie zu mir. Wo sollen die armen Dinger auch bleiben!«

»Na, Kinnings, nu gat man! Ick kann jug upstunns nich bruken.« Damit redete er wieder auf die kleine Gesellschaft ein und versuchte seinem gutmütigen Gesicht einen strengen Ausdruck zu geben. Die schienen ihn aber nicht ernst zu nehmen; sie lächelten ihm zu, gingen aber nicht.

»Was soll man da machen!« rief Merten und blickte ratlos drein. »Sie gehen nicht! Ich kann sie doch nicht rausjagen!«

Dann schien ihm plötzlich ein Auskunftsmittel 408 einzufallen. Er nahm den Honigtopf vom Tisch und den Brotlaib. Dem Mädchen, als dem älteren Kinde, gab er den Topf in beide Hände zu tragen: »Fieken, mien Höning, du büst 'ne lütte, verstännige Diern – drag dat ruter, öwerst sachting, dat di de Pott nich entwei geiht.« – Das Brot aber gab er dem kleinen Jungen: »Guschen, mien Säning, dor, holl wiss! Nu gat to Vadding und seggt em: he sall jug dor wat van geben.«

Auf diese Weise gelang es ihm, die Kinder los zu werden.

»Ein sonderbarer Kauz!« dachte Kriebow bei sich; er hatte das unbefriedigende Gefühl, daß der Mann ganz anders war, als er ihn sich vorgestellt hatte. Mit seinem vorigen Argwohn jedenfalls hatte er ihm Unrecht getan.

Merten schob seinem Gaste einen Stuhl hin, dann lief er im Zimmer umher, auf der Suche nach irgend etwas. Der Grabenhäger rückte ungeduldig auf seinem Platze, er brannte darauf, los zu werden, was zu sagen er sich vorgenommen hatte. Endlich schien Merten das Gesuchte entdeckt zu haben. Er schwang sich auf einen Stuhl und suchte auf einem Regale unter den Schachteln, die dort standen, eine nach der anderen öffnend; aber keine schien ihm recht zu sein. Kriebow, der endlich merkte, was jener im Schilde führe, sagte, er rauche nicht. Er glaubte, sich kein Gewissen aus der Notlüge machen zu brauchen; der Gedanke, von dem Manne irgend etwas anzunehmen, und wäre es nur eine Zigarre gewesen, war ihm peinlich. »Das ist schade, das ist sehr schade!« rief Merten, von seinem Stuhle herabsteigend. »Ich habe nämlich gerade eine extrafeine Sorte hier, die Ihnen gewiß schmecken würde, Herr von Kriebow, wenn Sie Raucher wären.«

409 »Herr Merten!« fing jetzt Kriebow an, aufstehend, die Hände in den Taschen, ziemlich hastig und erregt sprechend: »Herr Merten, ich bin zu Ihnen gekommen, um mir von Ihnen Rechenschaft zu holen, was das für eine Geschichte ist mit dem Arbeiter Uhlen. Ich war auf einige Wochen verreist, und wie ich nach Haus zurückkehre, muß ich erfahren, daß man mir in der Zwischenzeit eine meiner Arbeiterfamilien abspenstig gemacht hat. Die Familie ist zu Ihnen gezogen. Ich muß erklären, daß ich das ein äußerst eigentümliches Verfahren finde von Ihrer Seite – um nicht stärkere Ausdrücke zu gebrauchen!« –

»Also deshalb sind Sie heute hierher gekommen?« sagte Merten.

»Ja, deshalb bin ich gekommen, Herr Merten!«

Merten wurde rot, da er erkannte, daß er sich die ganze Zeit über im Irrtum über die Absichten seines Nachbars befunden. Nach einer Pause fragte er: »Sie glauben also, daß ich Ihnen die Leute ausgemietet habe, Herr von Kriebow?« –

»Allerdings!«

Merten schüttelte den Kopf; er schien mehr betrübt als beleidigt zu sein. »Heilmann hat Sie wohl auf den Verdacht gebracht, Herr von Kriebow?«

Der Grabenhäger erklärte in zurückweisendem Tone, daß er sich seine Ansichten nicht von den Beamten zu holen pflege. Er gebrauche seine eigenen Augen. Die Sache liege ganz klar; Merten habe die Leute ja zum Überfluß auch noch mit Sack und Pack durch sein Geschirr abholen lassen.

Merten ließ sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen; er blickte lächelnd auf den stürmischen Junker, der ihn mit den Augen anblitzte, als wolle er ihn 410 durchbohren. Er fragte: »Haben Sie wirklich garnicht mit Ihrem Inspektor gesprochen, Herr von Kriebow? Ich wundere mich, daß Ihnen Heilmann verschwiegen hat, daß er selbst es gewesen ist, der Uhlen auf die Straße gesetzt mit Weib und Kind.«

»Das ist nicht wahr!« rief der Grabenhäger. »Heilmann hat mir gesagt, der Mann verlasse meinen Dienst, weil er bei Ihnen besser gelohnt werde. Das nenne ich eben den Nachbarn die Leute abspenstig machen. Es ist mir auch von anderer Seite mitgeteilt worden, daß dies nicht der erste Fall ist. Sie sind dafür bekannt in der ganzen Gegend, daß Sie den Nachbarn die Preise verderben.«

»Was meinen Sie? Wovon sprechen Sie, Herr von Kriebow?« fragte Merten scharf. Er richtete sich empor, sein sonst so freundliches Auge leuchtete drohend auf.

»Sie können doch nicht leugnen, daß Ihnen die Leute von allen Seiten zulaufen. Während alle anderen Güter der Nachbarschaft Wanderarbeiter beschäftigen, halten Sie keine; das wird wohl seinen Grund haben.«

»Mir daraus einen Fehler zu machen, scheint mir für die Herren, die solche Vorwürfe erheben, sehr wenig rühmlich. Daß mir die Arbeiter zulaufen, freut mich von Herzen, weil es mir zeigt, daß ich sie gerecht behandle. Denn lassen Sie sich das gesagt sein, Herr von Kriebow – Sie sind jung und können das noch nicht aus Erfahrung wissen –, durch Geld allein fesselt man niemals Leute an sich.«

Kriebow fragte darauf, ob Merten etwa damit andeuten wolle, daß die Leute in Grabenhagen nicht gut behandelt würden. –

Merten gab auf diese Frage keine direkte Antwort; 411 er schlug vielmehr vor, den Tagelöhner Uhlen rufen zu lassen und anzuhören, was der zu sagen habe. Sollte er, Merten, in dieser Sache irgend etwas versehen haben, sei er zu jedem Ersatz bereit. Wenn aber Uhlen etwa den Wunsch hege, nach Grabenhagen zurückzukehren, dann stelle er den Wagen zur Verfügung, der die Familie hergebracht habe. –

Er rief zum Fenster hinaus draußen im Hofe jemandem zu, der neue Tagelöhner solle mal raufkommen.

Vom Fenster zurückgekehrt, ging er im Zimmer auf und ab, die starken Hände auf den Rücken zusammengelegt. Die abgetragene braune Joppe ließ seine breite Figur noch gedrungener erscheinen. Er sah nicht vornehm aus, aber kernig und gesund, wie einer, der das Zugreifen gelernt hat.

»Wissen Sie, Herr von Kriebow,« begann er, »es tut mir leid, es tut mir aufrichtig leid, daß Sie ein solches Mißtrauen gegen mich hegen. Aber ich kenne ja die Quelle, aus der es stammt. Ich will Heilmann nicht verklagen; er ist Ihr Beamter. Wir sind Jugendbekannte und nennen uns ›du‹ . . .«

»Ja, das hat mir Heilmann gesagt.«

»Es ist nicht schön von ihm – aber, ich enthalte mich jeden Urteils. Er bläst ja nur in das allgemeine Horn! Sehr gut weiß ich, daß man mit scheelen Blicken nach Pröklitz sieht. Ich frage einen Menschen, ist denn das ein Verbrechen, seine Leute gut halten? Wem fällt es denn ein, einem Landwirt daraus ein Verbrechen zu machen, wenn seine Herde oder sein Stall in guter Pflege sind! Und ist der Mensch nicht mehr als das liebe Vieh? Herr von Kriebow, ich habe von der Pieke auf gedient, ich habe die Nöte des gesamten Standes an meinem Leibe erfahren, buchstäblich! Denn 412 einst war ich Arbeitnehmer, jetzt bin ich Arbeitgeber. Ich kann also wohl ein Wort mitreden. Und ich sage Ihnen: Das ist ein schlechter Landwirt, der nicht mit der einen Hand ebensoviel gibt, wie er mit der anderen nimmt. Es ist das ja der oberste Grundsatz in der Wirtschaftslehre! Wie man die Felder und Wiesen in gutem Dung erhält, wie man kultiviert und melioriert, darüber sind tausende gelehrter Bücher und Abhandlungen geschrieben worden, darüber werden, Jahr aus, Jahr ein, unsere jungen Leute auf Universitäten und Akademien belehrt. Darin haben wir es sehr weit gebracht! Aber bei allem unseren Wissen und Können, finde ich, hat man das eine vernachlässigt, und zwar gerade das Wichtigste; ich meine unseren ländlichen Tagelöhnerstand. Und das ist sehr schlimm, für die Grundbesitzer noch schlimmer als für die Arbeiter selbst. Wenn man zu wenig füttert, geben die Kühe magere Milch, und wer mit dem Dünger geizt, darf sich nicht wundern, wenn ihm der Acker spärlich zuträgt.«

Jetzt hörte man schwerfällige Tritte auf dem Vorsaale. Jemand strich sich die Füße ab vor der Tür und klopfte dann an.

Uhlen trat ein. An der Tür blieb er stehen. Sein Blick schweifte mißtrauisch nach dem Grabenhäger Herrn hinüber.

»Uhlen, ik heff em ropen laten,« sagte Merten. »Herr von Kriebow wull mit em spreken. Vertellen Se uns mal: wur is dat kamen, dat he von Grabenhagen hierher treckt is.« –

»Ik gah nich nah Grabenhagen torügg!« erklärte der Mann nach einigem Zaudern patzig.

»Dor is he äwerall nich na fragdt, Uhlen! He sall uns seggen, worüm dat he hett trecken wullt. Worüm 413 is he denn nich in Grabenhagen bleben? He hett doch allens hatt, wat em taukümmt.«

»Ja, ik heff ok ümmer mien Arbeed dan, Herr Merten!«

»He möt äwer doch 'ne Ursak hatt heben, Uhlen! Ahn Ursak treckt doch 'n Mann nich mit Fru un Kinner.«

»Ja, 'ne Ursak heff ik wol hatt, Herr Merten!«

»Nu, denn vertell he uns mak, Uhlen, wat de Ursak west is.«

»Mien Fru hett doch een Kind hatt vergangen jor, een lüttes Mäten is west.«

»De Lütt is storben?« –

»Ja, se is storben. De Fru is dunn gar to misig worden, se is upstuns noch nich god to weg.«

»Das ist richtig! Die Frau macht einen elenden Eindruck.« Damit wandte sich Merten an den Grabenhäger.

»Ik hadd ok Inspettor Heilmann beden, mien Fru mücht unnerdes nich tom melken gan, wenn't jichtens mäglich wier. Wi hebben siew Kinner, Herr Merten. Dat grote Mäten geit to Hof. Ik meen man, denn künn de Moder wol bi ehr Lütten blieben. Jedern Morn klock' vier to de Käuh gan, dat 's en beten vel, dor keem se tau sihr dorbi torügg. Ik heff den Inspettor dat ok vörstellt.«

»He wadd dorbi woll 'n beten upsternatsch west sien, Uhlen!«

»Wo werr ik, Herr Merten! Ik heff man seggt, wat wohr is: mien Fru wier gar to swak, und dat melken wier to vel för er. Dor wadd he mi anroren, wat ik mi unnerstünn! 't wieren all Lägen; de Fru wier nich swak, se wier man to ful. Un wenn se nich melken wull, denn würr he sülwst kamen un se holen. – Nu 414 frag ik: is 'ne Moder för ehr Kinner up de Ird, oder för dat Veih? – Wi hebben dree Kinner up 'n Gottsacker, Herr Merten, und dat hier wullen wi upbörnen, wenn't jichtens mäglich wier. 't is so 'ne lütt nüdlich Dings west. Ik heff de Fru dat dorüm verbaden, se ded doch ümmernoch stillen dortomalen. Ik heff seggt: du geist mi nich, lat em man kamen! – Unner de Tied nu, dat ik nich tuhus bün, wadd Heilmann kamen un mien Fru anranzen: se süll melken kamen. Un as se nicht wull, dor hett de Enspettor er slan.«

»Uhlen, is dat ok wohr?«

»Se hett mi de Stremen sülwst wiest. Un dat 's ok nich dat ierste Mal. Enspettor Heilmann deit 'n ganz Deel slan, de Mannslüd un ok de Frugenslüd deit he slan.«

»Un wat hett he darnach dan, Uhlen?«

»Ik bün to Enspektor Heilmann gan un heff künnigt.« –

»Un wat hett Heilmann seggt?«

»De hett man so griewlacht, und denn hett he seggt: ik künn jeder Stund gan, äwer ierst mößt ik betalen, wat ik schüllig wier. Wur ik äwer nich betalen künn oder wull, dunn würd he uns' Kauh to Pand nemen. Dat allens heff ik ja ok Herrn Merten schrewen.«

»Das ist an dem!« schalt Merten für Kriebow ein.

»Ja, dat 's all ne Red worden mang de Lüd,« fiel hier Uhlen ein. »Wenn in Grabenhagen Dagelöhners trecken, dunn krigt de Herrschaft Veih ümsönst to köpen.« –

»Und weil der Mann sonach dienstfrei war, und da er mir nach seinem Briefe einen guten Eindruck machte, habe ich seine Schuld bezahlt und die Familie zu mir genommen.« Damit wandte sich Merten dem 415 Grabenhäger zu, der mit steigendem Unbehagen der Entwicklung des Gespräches gefolgt war. »Sind Sie nun noch der Ansicht, daß die Familie Ihnen widerrechtlich weggelockt worden ist?«

»Herr Merten, daß ich dergleichen nicht billige, werden Sie mir wohl glauben! – Warum in aller Welt!« Damit wandte er sich an den Tagelöhner: »seid Ihr denn nicht zu mir gekommen, Uhlen? Warum habt Ihr Euch denn nicht bei Eurem Herrn beschwert?«

Uhlen sah sich seinen früheren Dienstherrn spöttisch lächelnd von der Seite an, dann erwiderte er: »Herr von Kriebow, wenn Sie dat fragen don, worüm ik nich to Se kamen bün – ja, dat künn ik doch äwerall nich! Wi Tagelöhners hebben uns seggt: wat de Enspektor deit, dat deit he mit den Herrn sien Willen. De Herr von Kriebow möt doch weeten, wat sien Herr Enspektor deit, un Enspektor Heilmann möt all weeten, wat sien Herr will. He deed ja ok ümmer seggen: dat ji jug nich ünderstat tom Herrn tau gahn! Se würden uns eenfach rutsmieten.«

Merten sah Kriebow fragend an, da Uhlen gesprochen hatte. »Wünschten Sie noch eine weitere Auskunft von dem Manne, Herr von Kriebow?«

»Nein, ich danke.«

»Denn kann he gan, Uhlen!«

»Ja, denn kann ik woll wedder gan – adjüs ok, Herr Merten! Äwer nach Grabenhagen ga ik nich wedder trügg!« – Damit ging er mit schwerem Tritte hinaus.

»Es ist abscheulich! So wird man hintergangen!« rief der Grabenhäger, mit großen Schritten erregt im Zimmer auf und ab gehend. »Wie stehe ich da! Die 416 Leute denken, es geschieht auf meinen Befehl, wenn der Inspektor kranke Frauen prügelt und den Tagelöhnern die Kuh abpfändet! Das ist das Schreckliche dabei!«

»Nun, nun, beruhigen Sie sich nur, Herr von Kriebow!« versuchte Merten zu trösten. »Das sind Dinge, die der Anfänger durchmachen muß. In der Behandlung der Leute lernt man nie aus.«

»Ich werde Heilmann den Laufpaß geben! Der Mensch ist reif!«

»Keine Übereilung, Herr von Kriebow! Sie sind jetzt erregt. Einen Beamten wie Heilmann, der Ihrer Familie nun wohl an dreißig oder mehr Jahre dient, Knall und Fall entlassen, das ist keine kleine Sache.«

»Der Mensch hat mich um mein Renommee gebracht! Ich bin in dieser ganzen Sache von Anfang bis zu Ende hintergangen. Wie stehe ich denn Ihnen gegenüber da, Herr Merten! Sie sind mit Recht gekränkt. Schon darum muß Heilmann fort; das bin ich Ihnen schuldig!«

»Was mich betrifft, Herr von Kriebow, so kann ich Ihnen versichern, daß ich nicht beleidigt bin. Für Heilmann möchte ich aber ein Wort einlegen; es gibt Entschuldigungen für ihn. Ihr seliger Herr Vater hat ihm die Zügel lang gelassen. Da ist Heilmann sehr eigenmächtig geworden. Es gibt sehr wenig Menschen, die das vertragen können, keinen Herrn über sich zu haben, glauben Sie mir das!«

»Das soll er eben merken, daß er einen Herrn über sich hat!« rief der Grabenhäger.

Mit diesem Entschlusse fuhr er von Pröklitz ab. 417

 


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