Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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IX.

Der Grabenhäger war eingeladen, im Regimentskasino zu speisen. Er war eben dabei, sich dafür anzukleiden, als an die Tür geklopft wurde. Er glaubte, es sei der Kellner oder sonst ein Bediensteter; anstatt dessen trat Isidor Feige ins Zimmer.

Kriebow sagte, so gut er sich unter der Bartbinde überhaupt verständlich machen konnte: er sei jetzt nicht in der Lage, zu empfangen, und wies auf seine mangelhafte Toilette hin. Feige lächelte mit jenem zudringlichen Grinsen, dessen sich Kriebow noch von der Schule her erinnerte und meinte: ihn geniere das keineswegs, er befürchte nicht, blind zu werden. –

Der Grabenhäger fühlte ein Zucken in den Fingern nach jenen Ohren hin, die ihm so wohlbekannt vorkamen; aber so, wie vor fünfzehn Jahren, ging das leider doch nicht mehr. Was er von ihm wolle? fragte er den Bankier; zu kaufen wünsche er nichts, und zu verkaufen habe er nichts.

Feige tat, als merke er die beabsichtigte Malice gar nicht, erklärte vielmehr im harmlosesten Tone: er sei nicht in Geschäften gekommen, er habe ganz privatim dem Herrn Baron eine Mitteilung zu machen, von der 169 er glaube, daß sie interessieren werde. Dann fragte er, ob er sich setzen dürfe.

Kriebow brummte unter seiner Bartbinde etwas, das ebensogut ein »Hol dich der Teufel!« wie ein »Jawohl!« bedeuten konnte. Feige sah es aber für eine Aufforderung an, Platz zu nehmen. Während nun der Grabenhäger in Hemdsärmeln vor dem Spiegel stehend sein Haar mit ärgerlichen Bürstenstrichen behandelte, saß der Bankier da und redete in jenem burschikos plappernden Tone, dessen sich die Handlungsreisenden zu bedienen pflegen. Er paradierte zunächst mit Geschäftsverbindungen, ließ seine vornehme Kundschaft Revue passieren; dabei nannte er die ersten Namen der Gegend.

Dann begann er von seinen eigenen Angelegenheiten zu plaudern. Von seinem Vater erzählte er, auf den sich der Herr Baron gewiß auch noch besinne. Feige ließ durchblicken, daß sein Vater als der reichste Mann der Stadt gestorben sei. Nun sei er alleiniger Inhaber des väterlichen Geschäfts geworden. Da er nun das Bedürfnis nach einem Kreditinstitut als ein schreiendes erkannt für die Gegend, habe er ein Bankgeschäft etabliert, ohne dabei die Branche des Vaters, den Wollhandel, ganz aufzugeben. Seine Bank sei hauptsächlich für die Landbevölkerung gegründet, weil erfahrungsgemäß diese Leute nicht viel Routine in Geldsachen hätten und nur allzuleicht gewissenlosen Händlern in die Hände fielen. Für ihn aber gebe es kein höheres Ideal als das Interesse seiner Kundschaft, insbesondere das des Landmannes.

Er fuhr fort: »Es wird Ihnen bekannt sein, Herr Baron, daß mein verstorbener Vater für Ihren verewigten Herrn Papa, den Herrn Landesdirektor, gearbeitet hat. Gott habe sie beide selig! Leider ist es meinem guten 170 Vater damals nicht geglückt, dem Wunsche des Herrn Landesdirektors gerecht zu werden. Der alte Jochen Tuleveit war nicht zu haben, trotzdem mein Vater damals keine Mühe gespart hat und keine Kosten, dem Herrn Landesdirektor den Schulzenhof zu verschaffen.«

Kriebow fing an, aufmerksamer hinzuhören, seit der Name »Tuleveit« gefallen war.

»Aber es fällt ja kein Baum auf den ersten Hieb, Herr Baron! Wenn jetzt mal wieder ein Versuch gemacht würde; ich glaube, die Chancen sind augenblicklich günstiger.«

Kriebow machte eine abwehrende Bewegung. Alles, was mit dem Schulzengut und der Familie Tuleveit zusammenhing, war ihm peinlich.

Feige fuhr unbeirrt fort: »Herr Tuleveit ist inzwischen auch älter geworden, vielleicht läßt sich jetzt eher mit ihm reden. Wie ich erfahre, ist die Frau dafür eingenommen, und der Herr Baron wissen doch, wer die erste Großmacht ist in der Welt. Die Verhältnisse des Herrn Tuleveit sollen auch nicht mehr so glänzende sein. Ich stehe nämlich in Geschäftsverbindung mit dem ältesten Sohne, daher weiß ich einiges darüber. Die Kinder haben ihm viel Geld gekostet. Am Ende ist der Alte nunmehr mürbe geworden. Unglück hat er genug gehabt in der Familie. Der Herr Baron wissen ja wohl davon?«

Der Grabenhäger machte sich noch eifriger als zuvor mit dem Glätten seines Haares zu schaffen. Es war gut, daß er dem Händler den Rücken zukehrte. Wußte Feige etwas? –

»Die Vorteile, die es für Sie haben würde, Herr Baron, das Tuleveitsche Gut zu erwerben, sind ja klar. Wie wundervoll arrondiert wäre Ihr Besitz, wenn Sie 171 den einen Hof noch hätten! Es ist doch ein Unding, mittendrin in der Rittergutsflur so ein vereinzeltes Stück Bauernland. Und was ist das wirtschaftlich für ein Nachteil! Sie können nicht Ihr Drainagesystem ausbauen, ein paar schöne Schläge sind Ihnen völlig abgeschnitten vom Wirtschaftszentrum, Ihre Geschirre müssen einen Umweg von einer Viertelstunde machen, um dorthin zu gelangen. Das sind jährlich ein paar Hunderte, die Ihnen auf diese Weise verloren gehen. Berechnen Sie das, Herr Baron – und der Landwirt muß alles berechnen –; kapitalisiert gibt das schon einen ganz hübschen Teil der Summe, die Sie etwa beim Kaufe anlegen wollen.« –

Kriebow war inzwischen mit dem Ankleiden fertig geworden. Er ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. Die Worte des Händlers hatten eine schwache Seite bei ihm getroffen.

Wenn der junge Gutsherr von seinem Fenster aus das Tuleveitsche Gehöft durch eine Lücke in den Baumkronen erblickte, dann war's, als berühre ihn eine kalte Hand. Dort sollten darum im nächsten Frühjahr Bäume angepflanzt werden. Aber wenn sich mit einer solchen Maßregel nur hätte die Erinnerung vernichten lassen! – Wenn er an der Tuleveitschen Flurgrenze entlang ritt, wo inmitten seiner Felder der stattliche Bauernhof lag, breit sich ins Auge drängend, man mochte hinsehen wollen oder nicht, dann setzte sich etwas Unsichtbares ihm in den Nacken, ein drückender Alp, ein brennendes Unbehagen überfiel ihn wie von ungefähr und verfolgte ihn hinein, bis in sein eigenes rein erhaltenes Heim.

Und hier bot sich eine Gelegenheit, das, was er im geheimen ersehnte, nun endlich zu erreichen: Befreiung von dieser Nachbarschaft. War das Schulzengut erst 172 in seinen Händen und die Familie ausgezogen, dann brauchte er nicht mehr Klärchens Frage zu fürchten: warum man sich mit diesen Leuten niemals grüße. Waren sie erst fort, dann würde er seine Ruhe haben, und bei denen, die etwa Mitwisser waren dieser heiklen Angelegenheit, würde die Erinnerung verblassen und allmählich ganz verschwinden.

Isidor Feige, dem es nicht entgangen war, daß seine Worte bei Kriebow gefangen hatten, nahm jetzt ein Stück Papier vor und begann Zahlen niederzuschreiben, laut dabei rechnend. Die Größe des Gutes, wie viel man dafür geben könne, die Verzinsung, die man erwarten könne usw.

Kriebow ließ ihn rechnen. Die Höhe des Kaufgeldes erschien ihm unerheblich im Vergleich mit dem anderen, was hier für ihn zu gewinnen war.

»Unter welchen Bedingungen würden Sie die Vermittelung des Kaufes übernehmen, Herr Feige?« fragte er.

»Herr Baron!« sagte der Händler, »wenn Sie die Sache vertrauensvoll in meine Hände legen, dann würde ich die ganze Angelegenheit als eine Gefälligkeit ansehen.«

Der Grabenhäger erklärte: davon könne gar keine Rede sein. Feige solle nur seinen Preis nennen.

Isidor nahm eine beleidigte Miene an; das gehöre nicht zu seinen Usancen. Er habe dem Herrn Baron nur einen persönlichen Gefallen erweisen wollen, weil er doch den Vorzug gehabt habe, mit Herrn von Kriebow auf ein und demselben Gymnasium seine Jugendbildung zu genießen. Er werde sich eine Freude daraus machen, Herrn von Kriebow zu bedienen; aber in einer solchen Sache Bezahlung anzunehmen, das dulde seine 173 Kaufmannsehre nicht. Wenn aber der Herr Baron ihm in Zukunft seine Kundschaft zuwenden wolle, dann werde er sich freuen. Für Wolle zahle er die höchsten Preise. Und wenn Herr von Kriebow diskreten Rat brauche in Geldangelegenheiten, so könne er bei ihm reellster Bedienung gewiß sein.

Kriebow überlegte: sollte er darauf eingehen? Eine Stimme in seinem Inneren warnte ihn. Mit Isidor Feige sich einlassen, der sich ihm eben noch in seiner ganzen schmierigen Aufdringlichkeit offenbart hatte? –

Aber auf der anderen Seite lockte unwiderstehlich der Wunsch, das Schulzengut zu erwerben. Und Feige war der einzige Mensch weit und breit, der den Handel zustande bringen konnte; Malte Pantin hatte ihn ja gestern noch gerühmt als geschickten Agenten, dessen er sich gelegentlich bediene. War es nicht lächerliche Bedenklichkeit, wenn er sich scheute zu tun, was er andere unbedenklich tun sah! –

Bezahlen würde er den Juden natürlich! Daß der jetzt jeden Profit mit Entrüstung zurückwies, war ja nur Getue. Wenn es erst soweit wäre, würde Isidor Feige seine Tantieme schon mit Vergnügen einstreichen.

Und Kriebow willigte ein, daß Feige den Versuch mache, ihm das Schulzengut zu verschaffen.

 


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