Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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XVI.

Malte Pantin hatte zum Kesseltreiben eingeladen. In Langendamm wurde regelmäßig einmal im Jahre getrieben. Der Langendammer selbst tat nichts für das Revier; Wild hegen, war ihm eine zu kostspielige Sache. Dabei war Langendamm eines von den Revieren, die sich der schlechten Pflege zum Trotze immer wieder von selbst besetzen. An der Gutsgrenze, längs des gräflich Wietenschen Besitzes, zog sich ein schmaler Streifen Waldland hin, sumpfig, mit Stockausschlägen, Nadelholzdickichten und feuchten Wiesen, die herrliche Äsung für das Wild abgaben. Hierhin ging der alte Hanning, Maltes Faktotum, wenn für die Küche ein Braten gebraucht wurde. Es wurde ihm nachgesagt, daß er die gesetzliche Schonzeit nicht immer innehalte. Auch die Nimrode der nahen Garnison kamen gelegentlich einmal heraus, und Malte gestattete ihnen, seine Böcke abzuschießen, gab den Schützen auch die Gehörne, wenn sie nur das Wildbret richtig an seine Küche ablieferten.

In früheren Jahren hatte es hier auch mancherlei Jagdkonflikte gegeben. Der Langendammer war berüchtigt dafür, daß er von jeder Kreatur, die weit und 292 breit geschossen wurde, behauptete, sie stamme eigentlich von seinem Reviere. Ein Nachbar von Langendamm – er war inzwischen verstorben – hatte beim Pirschen die Grenzen nicht immer streng innegehalten. Major von Pantin war ihm längst aufsässig, aber niemals hatte er ihn bisher abfassen können. Eines Abends hörte Malte einen Schuß fallen, wie er glaubte, auf seinem Grund und Boden. Er ging dem Schalle nach und überraschte den Herrn Nachbar beim Abnicken eines starken Rehbockes. In einiger Entfernung hielt der einspännige Pirschwagen. Malte sagte kein Wort, legte die Büchse an und schoß das Pferd mit einem wohlgezielten Schuß in den Kopf nieder.

Der Nachbar pflegte sich dieses Vorganges nie sonderlich zu rühmen; die Grenzen von Langendamm aber hat er nicht wieder überschritten.

Heute war zum Feldtreiben eingeladen. Ein großer Tag für Langendamm! Allerhand Delikatessen waren aus Berlin eingetroffen: Weine, Sekt, Liköre und Importen. Kari sollte, als einzige Dame, die Honneurs des Hauses machen. –

An den Vorbereitungen, die für dieses Fest getroffen wurden, konnte man jedenfalls nichts merken von den schlechten Zeiten, über die Malte Stein und Bein zu klagen pflegte.

Die Finanzen der Familie Pantin waren für viele ein Rätsel. Es war bekannt, daß Major von Pantin, als er vom Militär abging, um sein Gut zu übernehmen, nichts besessen hatte als Schulden, und jetzt standen seine beiden Söhne bei der Kavallerie; dazu hatte Wanda einen vermögenslosen Mann geheiratet, und Miras und Ulrichs Hausstand in Berlin verschlang große Summen. Wo kam das alles her?

293 Malte war ja ein eifriger Landwirt, das mußte man sagen. Früh um fünf Uhr bereits fand man ihn zu Pferde, sein ausgedehntes Areal bereitend. Er hielt sich keinen Inspektor; das Anstellen der Leute, die Beaufsichtigung der Feldarbeit, die Löhnung, alles besorgte er selbst. Es gab keine Arbeit, die er nicht auszuführen verstanden hätte. Wenn ihm ein Knecht nicht richtig fuhr, dann konnte er's erleben, vom Herrn Major aus dem Sattel geworfen zu werden, der's ihm dann vormachte, wie's sein sollte.

Major von Pantin baute keine Handelsgewächse, um, wie er sagte, an Arbeitskräften und Betriebsmitteln zu sparen. Künstlichen Dünger bekamen seine Felder überhaupt nicht zu sehen. Die Rindviehhaltung war eine geringe; Malte behauptete, Milch und Butter hätten einen zu niedrigen Preis im Verhältnis zu Futter und Abwartung; da mäste er lieber Vieh, um möglichst schnell Futter in Geld umzusetzen. Die Schafhaltung dagegen war bedeutend. Pferde zog er mit gutem Erfolg. Er nutzte das Land mehr durch Brache, Ackerweide, Koppeln und Grasbau aus als durch reinen Körnerbau.

Als der Rübenbau mehr und mehr in der Gegend Aufnahme fand, war der Langendammer einer der wenigen Grundbesitzer, die sich davon ausschlossen. Den »modernen Zuckerschwindel« wolle er nicht mitmachen, sagte er. Malte war immer groß im Prophezeien gewesen; damals orakelte er: die Landwirte, welche Rüben bauten, würden in wenigen Jahren alle »koppheister« schießen. Als die Zuckerfabrik, welche die anderen Grundbesitzer gemeinsam gegründet hatten, mehr und mehr prosperierte und immer höhere Dividenden abwarf, räsonierte er zwar erst recht – einräumen, daß er sich 294 geirrt habe, gab es bei ihm nicht –; aber im stillen fing er an, mit dem Gedanken zu liebäugeln, ob es nicht doch angezeigt sei, den Rübenbau bei sich einzuführen. Der Haken war nur, daß dazu so viele Hände nötig waren, und Maltes Prinzip war ja gewesen: mit möglichst wenig Arbeitskräften auskommen.

Eigenartig wie seine ganze Wirtschaftsweise war auch sein Verhältnis zu den Arbeitern. Malte pflegte sich damit zu brüsten, daß Langendamm das einzige Gut sei weit und breit, auf dem noch das gute, alte patriarchalische Verhältnis bestehe zwischen Herrschaft und Tagelöhnern. In Wahrheit bestand das »Patriarchalische« darin, daß er das Schimpfen und Fluchen, welches übereifrigen Gutsbeamten eigentümlich ist, in eigener Person besorgte. Zur Ergänzung ließ er auch die Reitpeitsche arbeiten. Die »gute alte Zeit«, der Malte mit soviel Wärme das Wort redete, herrschte allerdings insofern in seinem Dorfe, als dort seit Menschengedenken nichts für die Gebäude getan worden war. Die Dächer der Katen drohten vor Altersschwäche einzustürzen. Malte war für schneidige und militärische Disziplin eingenommen; die Kehrseite seiner Strenge war, daß er den Leuten außer dem Dienst die Zügel schießen ließ. In moralischer Beziehung mochten seinetwegen Fünfe gerade sein. Dazu waren die Langendammer Tagelöhner die schlechtgelohntesten der Gegend. Kein Wunder, daß Major von Pantin steten Leutewechsel hatte. Was den Dienst bei ihm aushielt, mußte schon hartgesotten sein.

Äußerlich hatte die Wirtschaft einen flotten Anstrich. Durch sein persönliches Antreiben, Aufpassen und Eingreifen gelang es Herrn von Pantin, fertig zu bringen, was andere minder tätige und genaue Herren 295 kaum mit einem Stamme gutgelohnter Arbeiter erreichten.

Seine Wirtschaftsweise hatte einen Vorzug – der wog in den Augen vieler Leute alle ihre Mängel auf –: er wirtschaftete billig. Die Kunst, mit so geringen Löhnen auszukommen, wie der Langendammer, fand Bewunderer. Malte galt als ein praktischer Landwirt. Außerdem gehörte er zu denen, die sich selbst und ihr Tun mit solcher Beharrlichkeit und so laut loben, daß man ihm, betäubt gewissermaßen von dem Schall seiner Worte, schließlich was er behauptete, glaubte.

Dem Langendammer Hause fehlte die Hausfrau. Frau von Pantin war eine energische Dame gewesen. Sie hatte in Haus, Hof und Familie auf Zucht und Ordnung gehalten. Ihr Verdienst war es, daß der tolle Malte einigermaßen solid geworden. Ihn ganz zahm zu machen, war zwar auch ihr nicht gelungen, aber sie hatte doch wenigstens erreicht, daß er als Familienvater das Hazardspiel unterließ und auch im Trinken sich einiges Maß auferlegte. So großsprecherisch und breitspurig Malte auch aufzutreten pflegte, seiner Hausfrau gegenüber war er ganz klein. Sie hatte auch in die Geldverhältnisse ihres Mannes mit der Zeit einige Ordnung gebracht.

Die Frau starb viel zu früh für Mann und Kinder. Ulrich war eben erst Offizier geworden, Wanda hatte sich vor kurzem mit Herrn von Rentell verheiratet, der jüngste Sohn befand sich auf der Kadettenanstalt, und Kari war ein unerzogenes Ding im Backfischalter, das der mütterlichen Fürsorge noch gar sehr bedurft hätte.

Es hätte nahe gelegen, Kari in eine Pension zu schicken oder ihr eine Erzieherin zu halten; aber davon wollte Major von Pantin nichts wissen. Bildung hielt 296 er für etwas sehr Überflüssiges. Der Gedanke, für die Erziehung seiner Kinder mehr, als unbedingt nötig war, auszugeben, wäre ihm als unverantwortliche Verschwendung erschienen.

So wuchs denn Kari auf in Langendamm unter dem Auge ihres Vaters, der alles andere war als ein passender Erzieher für junge Mädchen. Unterrichtet wurde das Fräulein vom Dorfschullehrer, ein Mann von der alten Schule, der selbst nicht allzuviel wußte. Eine Kirche war nicht in Langendamm, Dorf und Gut waren nach dem nahen Ernsthof eingepfarrt. Von dem dortigen Pfarrer wurde Kari eingesegnet.

Ihr Urteil über Welt und Leben bildete sich das junge Mädchen aus Sportblättern und agrarischen Zeitungen, die ihr Vater hielt. Von der Gesellschaft erfuhr sie gelegentlich mal was, wenn ihr Bruder Ulrich, der inzwischen geheiratet hatte, mit seiner Frau von Berlin nach Langendamm auf Urlaub kam. Mira war Karis Ideal. An die schöne, elegante Schwägerin klammerte sich das junge Mädchen mit einer sich selbst verlierenden Hingebung, deren eben nur ein solch unerfahrenes Ding fähig ist. Mira gab mehr und mehr den Ton an in Langendamm.

Karis Leben wäre ziemlich inhaltslos und öde gewesen, hätte sie nicht das Dorf gehabt. Das Dorf mit seinen Hausfrauen, die ihre Klatschbasen, mit seinen Kindern, die ihre Spielgefährten waren. Sie verstand es wundervoll, mit den Leuten auszukommen, die ihr alle ihre Sorgen und Nöte anvertrauten. Durch ihre Gutmütigkeit machte sie manches gut, was der rücksichtslose Vater den Leuten gegenüber verdarb.

Auf diese Weise gewann sie Erfahrung und Einblick in das wirkliche Leben, wie sie jungen Mädchen 297 ihres Standes selten zuteil werden. Und wenn auch Kari in Ställen, Gesindestuben und Katen manches zu sehen und zu hören bekam, das nicht für Auge und Ohr einer jungen Dame geeignet erscheint, so tat das dem innersten Kern ihres Wesens: ihrem weiblichen Takt und ihrer Keuschheit, doch keinen Schaden. Es war kein Nährboden da, auf dem diese Keime hätten wuchern können, ihre Natur war gesund genug, auch diese derbe Kost zu vertragen und das Unzuträgliche auszuscheiden. –

So war aus Kari ein eigentümliches Zwitterding geworden: ein großes, kraftstrotzendes Mädel, natürlich und unbefangen wie eine Feldblume, etwas ungeschlacht zwar und noch ohne Haltung und Schliff, aber doch nicht aller weiblichen Reize bar, denen nur die Pflege fehlte, um sich zur Anmut zu entwickeln.

Der Vater bestärkte sie in ihrem burschikosen Wesen, behandelte sie wie einen Jungen, nahm sie mit auf die Jagd, ließ sie Pferde zureiten und einfahren. Weder ihm noch Kari selbst war es bisher zum Bewußtsein gekommen, daß sie eine Jungfrau sei, an der Schwelle weiblicher Reife.

Mira öffnete dem Schwiegervater in ihrer unverfrorenen Weise darüber eines Tages die Augen. So wie Kari jetzt sei, ein verkleideter Junge, wäre sie einfach unmöglich. Vor allem müsse sie lange Kleider bekommen, um ihre Waden zu verdecken, und für ihre Taille habe auch etwas zu geschehen. Gehen und stehen müsse sie lernen, essen, sitzen und ihre roten Hände und großen Füße unterbringen, überhaupt sich als Dame benehmen. Dazu sei das beste Mittel Tanzstunde. Französisch und ein wenig Klavierspiel würden auch nicht vom Übel sein.

298 Malte wollte sich anfangs sträuben dagegen, denn das bedeutete: Ausgaben; aber Mira wußte ihm klar zu machen, daß er, wenn Kari in der jetzigen Verwilderung bleibe, die Aussicht aufgeben müsse, sie jemals standesgemäß zu verheiraten. Das zog. –

Kari wurde also zur höheren Ausbildung in die Kreisstadt geschickt. Sie wohnte bei ihrer Schwester Wanda. Mit einigen anderen jungen Mädchen, Offizierstöchtern und Edelfräuleins vom Lande, machte sie einen Tanzstundenkursus durch; in einem englisch-französischen Kränzchen wurde ihr Gelegenheit geboten, sich Sprachkenntnisse anzueignen, und auch dafür wurde gesorgt, daß die angehende junge Dame später einmal auf die Frage: »Sind Sie musikalisch? mit »ja!« antworten könne.

Einen Winter brachte Kari mit solchen Studien zu, dann kehrte sie zu ihrem Vater nach Langendamm zurück. Sie war gesetzter geworden in ihrem Wesen, in ihrer Erscheinung damenhafter, aber im Grunde war Kari dasselbe harmlose, gutmütige, einfache Ding geblieben, das sie gewesen vor dieser Zustutzung.

Natürlich sollten die Künste, die man ihr beigebracht hatte, nun auch nutzbar gemacht werden. Das junge Mädchen wurde ausgeführt.

Da gab es die üblichen Diners in der Nachbarschaft, gelegentlich veranstaltete die Garnison einen Tanz, ein Rennen, ein Picknick. Mit den Dragonern, bei den ihr jüngerer Bruder soeben als Fähnrich eingetreten war, kam das junge Mädchen bald auf guten Fuß. Sie begann, sich dem geselligen Leben in völlig unblasierter Genußfähigkeit hinzugeben.

Ein Ereignis von Bedeutung wurde für Kari ihr Bekanntwerden mit dem Regierungsassessor John von 299 Katzenberg. Er huldigte ihr vom ersten Augenblick an, zeigte ihr in nicht mißzuverstehender Weise sein Interesse. Kein Wunder, daß sich das achtzehnjährige Ding dem Rausche hingab, den das Bewußtsein, geliebt zu werden, in jeder Frauennatur hervorruft. Und alle Welt schien ihr bestätigen zu wollen, daß das, was sie erlebte, nicht Traum sei. Mira protegierte das Verhältnis, spielte gewissermaßen die Dame d'honneur der beiden. Von ihren Brüdern wurde Kari damit geneckt, daß Herr von Katzenberg in sie verschossen sei, und ihr Vater sprach ziemlich unverblümt darüber, daß er den Regierungsassessor, wenn er anhalten würde – was jeden Tag geschehen könne –, ihre Hand nicht verweigern werde.

Und nun auf einmal war darin ein völlig unerwarteter und für Kari unerklärlicher Umschwung eingetreten.

Von dem Augenblick ab nämlich, da John von Katzenberg den Landrat sicher hatte, kam er nicht mehr nach Langendamm, wo er doch eine Zeitlang beinahe täglicher Gast gewesen war. Major von Pantin machte ihm gelegentlich Vorstellungen, daß er sein Haus vernachlässige. Der junge Mann antwortete darauf, ohne die geringste Befangenheit zu zeigen, mit einem verbindlichen Lächeln: er habe, nun er Landrat sei, einen so verantwortungsvollen Posten und so viel Arbeit, daß er an Besuche auf dem Lande zunächst gar nicht denken könne. Malte ahnte, daß das eine Finte sei; aber was sollte er machen solcher Aalglätte gegenüber? So weit zu gehen, daß man ihn beim Worte hätte nehmen können, hatte sich der vorsichtige Freier wohl gehütet.

Für Kari war das eine herbe Erfahrung. Schwerer noch als sein Fernbleiben von Langendamm ertrug sie 300 Katzenbergs Benehmen, wenn man sich in Gesellschaft am dritten Orte traf. Sein Verhalten war auf einmal steif und förmlich geworden. Und wenn er mit ihr sprach, geschah es in einem spöttischen Tone, daß sie das Gefühl hatte, er mache sich über sie lustig. Sie wußte dem nichts entgegenzusetzen als ihre Verwirrung; oft brachte er sie durch sein Wesen dem Weinen nahe.

Sie konnte sich nicht in diesen Wechsel finden. Der Gedanke, daß er mit ihr gespielt habe, kam ihr nicht. Arglist, die ihr selbst so völlig fremd war, setzte sie auch nicht bei anderen voraus. Sie war völlig ratlos. Wem sollte sie sich anvertrauen? Eine Mutter hatte sie nicht; Wanda, der sie mal ihr Herz ausschüttete, meinte, sie solle sich nur um Gottes willen nichts merken lassen, sonst gäbe es einen großen Skandal, und die Brüder müßten sich womöglich mit Herrn von Katzenberg schießen. Im übrigen behauptete Wanda, daß an der ganzen Geschichte niemand anders schuld sei als Mira.

Vollends gemißhandelt und in ihrem Schamgefühl verwirrt aber fühlte sich das junge Mädchen, als ihr Vater sie eines Tages zur Rede stellte und sie fragte, wie weit sie nun eigentlich mit ihrem Katzenberg sei. Sie wußte nichts zu sagen. Da wurde Malte wütend, nannte sie eine »dumme Gans« und warf ihr vor, sie habe es nicht verstanden, den jungen Mann festzuhalten, ihre Dummheit habe ihn abgeschreckt, anzubeißen.

Maltes Laune besserte sich wesentlich, als Landrat von Katzenberg die Einladung zur Jagd nach Langendamm mit einer höflichen Zusage beantwortete. Nun konnte noch alles gut werden. Jetzt kam es nur darauf an, daß man es richtig anfing; der junge Mann mußte 301 dazu gebracht werden, endlich Farbe zu bekennen. Das wollte er schon besorgen.

Er verschrieb umgehend eine neue Toilette für Kari aus Berlin, glänzender als sie je bisher eine gehabt hatte. Dann nahm er das Mädchen selbst ins Gebet: daß sie ihm Ehre einlege bei der Gelegenheit! Liebenswürdig und zuvorkommend habe sie zu sein; ganz besonders aber wünsche er, daß sie den Landrat auszeichne. Und daß sie ihm nicht etwa solch ein törichtes Gesicht mache wie jetzt! Überhaupt, sie solle sich zusammennehmen und die Ohren steif halten, das bitte er sich aus! –

Nachdem Kari diese Instruktion empfangen hatte, sah sie natürlich dem Jagdtage erst recht mit bangen Gefühlen entgegen.

* * *

Erich von Kriebow war nicht zum ersten Male in Langendamm auf Treibjagd. Er wußte ungefähr, was er dort zu erwarten hatte. Wild war ja immer leidlich dagewesen, aber die Treiben hätten besser geleitet sein können. Der alte Hanning sollte eigentlich die Treiber führen, aber der Jagdherr fuhr ihm immerwährend dazwischen mit Befehlen und Gegenbefehlen. Die Folge war, daß die Leute nicht wußten, nach wem sie sich zu richten hatten.

Nach dem Treiben bemängelte dann Malte das Schießen seiner Gäste, sagte jedem, wie er es eigentlich hätte machen sollen. Und beim Diner pflegte sich der Jagdgeber so an den eigenen Weinen und noch mehr vielleicht an seinen eigenen Reden zu erhitzen, daß er für den Rest des Abends nicht mehr zurechnungsfähig war. Diese Feste endeten dann mit einem ausgiebigen 302 L'hombre, aus dem sich in den Morgenstunden gewöhnlich ein Hazard entwickelte.

Früher war Kriebow gern nach Langendamm zur Jagd gefahren, die tolle Wirtschaft dort hatte ihn belustigt; in seiner gegenwärtigen Stimmung aber, die noch ganz unter dem Eindrucke der unangenehmen Erfahrungen stand, die er beim Neujahrsabschluß gemacht hatte, war er nicht sonderlich erbaut in der Aussicht auf ein solches Vergnügen. Aus alter Freundschaft zum Pantinschen Hause aber ging er doch hin.

Ulrich war eigens zu dieser Jagd von Berlin herübergekommen. Der jüngste Pantin, inzwischen zum Leutnant befördert, war mit einer Anzahl Kameraden von der Garnison eingetroffen. Der Schwiegersohn, Major von Rentell, fehlte auch nicht. Katzenberg, der neugebackene Landrat, kam mit einem funkelnagelneuen Schlitten, wehenden Roßhaarschweifen, prächtiger Schlittendecke, er selbst, wie sein Kutscher, ganz in kostbaren Pelz gehüllt.

Kriebow, der mit Ulrich in der Haushalle stand und das Vorfahren der Gäste beobachtete, ärgerte sich über die Protzigkeit dieses Gefährts. Außerdem verdroß es ihn, zu sehen, wie der junge Katzenberg vom Jagdgeber mit besonderer Aufmerksamkeit empfangen wurde; also dieser Kultus sollte weitergehen! –

Die Nachbarn erschienen, bis auf einige, die mit dem Krakeeler Malte gerade verzankt waren. Einer der letzten Schlitten, die vorfuhren, war ein niedriger Strohschlitten, ein Paar derbe Gäule mit Ackergeschirren davor. »Wen habt ihr denn da?« fragte Kriebow den neben ihm stehenden Ulrich. Er glaubte den Mann im Schlitten mit seinem Schafwollpelz noch nie gesehen zu haben. War denn das ein Herr? – Ulrich 303 entschuldigte es gewissermaßen, daß sie den geladen hätten, aber es sei ihr nächster Nachbar, der Ragatziner.

Jetzt erkannte ihn Kriebow wieder. Natürlich, das war ja Klaven! Die winterliche Vermummung hatte ihn nur so fremd erscheinen lassen. Er erwiderte, daß er Herrn von Klaven gar nicht so übel fände. Ulrich zuckte die Achseln und meinte: »Man fühlt sich immer bewogen, ihm fünfzig Pfennig in die Hand zu drücken, damit er mal zum Friseur gehen kann.« – Kriebow mußte lachen; es war nicht zu leugnen: Klaven trug eine Bartmähne zur Schau, an die wohl seit Wochen keine Schere mehr gekommen sein mochte.

Im Grunde freute es Kriebow, den Ragatziner wiederzusehen. Der Mann hatte etwas Sympathisches für ihn, seit er ihn neulich bei der Landratswahl als Gegner von Katzenberg kennengelernt. Und dann hatte Erich noch einen anderen Grund, dem Nachbar wohlzuwollen: es lag so etwas wie eine Beruhigung für ihn darin, daß es Leute gab, die sich in einer noch schwierigeren Lage befanden als er. Es tat wohl, zu denken, daß der Ragatziner auch Vermögenssorgen habe. Klaven war ihm dadurch näher gerückt, er war geneigt, über die Rauheit seiner Erscheinung hinwegzusehen und ihm selbst die ärgsten Toilettensünden zu verzeihen. –

Malte rief zum Aufbruch. Nachdem man sich mit einigen Kognaks gestärkt und die Zigarren angesteckt hatte, ging's hinaus. Der erste Kessel wurde gleich hinter dem Dorfe angelegt.

»Kriebow, nächster Schütze!« rief Malte mit seinem knatternden Organe. Erich dankte und schritt, Gewehr über dem Rücken, hinter dem zuletzt abgeschickten Treiber her, in den Fußtapfen der Vorgänger, die im tiefen Schnee bereits eine festgetretene Bahn gebildet hatten.

304 Als das erste Signal ertönte, machte Kriebow mechanisch die Wendung in den Kessel. Seine Nachbarn waren: rechts John Katzenberg, links Klaven.

Der Schnee hatte eine Kruste und trug die Hasen. Die Kälte hatte sie rege gemacht, sie kamen frühzeitig an.

Kriebow hatte schlechten Anlauf und konnte zusehen, wie die anderen schossen. Katzenberg schien ein ausgezeichnetes Gewehr zu führen; er machte einige außergewöhnlich weite Schüsse. Außerdem hatte er seinen Kutscher hinter sich, der ihm ein Reservegewehr nachtrug. Der Landrat schien ein eifriger Schütze; einmal lief er weit in den Kessel hinein und schoß auf Hasen, die möglicherweise hätten zu den Nachbarn laufen können, dann wieder blieb er in der Linie zurück, bildete einen »Sack«. Der Erfolg war, daß die Hasen rudelweise in die Lücke hineinliefen, so daß Katzenberg aus dem Schießen gar nicht herauskam.

Kriebows Stimmung gegen den Landrat wurde dadurch nicht gebessert; er beschloß, nach dem Treiben dem Herrn das »unfeine Manöver« zu stecken.

Der Ragatziner auf Erichs anderer Seite schoß viele Hasen an. ›Sein Gewehr streut‹, dachte Kriebow bei sich, der einigen von diesen krank Geschossenen den Garaus machte. ›Armer Kerl! Er kann sich kein besseres anschaffen.‹

Nach dem Treiben wurde Strecke gemacht. Malte notierte, was die einzelnen Schützen erlegt hatten. John Katzenberg konnte die meisten Hasen anmelden. Kriebow sagte mit absichtlich erhobener Stimme, daß es in dieser Gegend nicht Sitte sei, den Nachbarn vorzuschießen. Katzenberg prüfte mit einem blitzschnellen Blicke Kriebows Züge, ihn gewissermaßen daraufhin abschätzend, ob er der Mann sei, seine Bemerkung zu vertreten. Dann 305 lächelte er verbindlich, verbeugte sich und dankte für »gütige Belehrung«.

Während der zweite Kessel angelegt wurde, hockte man an einer zugigen Feldecke auf Jagdstöcken beisammen, die Beine weit von sich gestreckt, die Hände in den Jagdmüffen, mit blauroten Wangen und bereiften Bärten, und lauschte den neuesten Skandalgeschichten aus der Residenz, die Ulrich zum besten gab. Hin und wieder wurde der Erzähler von einem wiehernden Gelächter unterbrochen.

Kriebow, der ja noch nicht allzulange von Berlin weg war, fand, daß er noch ziemlich genau im Bilde sei über die Verhältnisse und Menschen, von denen da die Rede war. Es waren die alten Geschichten: Courmachereien, Liaisons, Hofintriguen, Klubaffären, Bankerotte, Geldheiraten, Duelle, vermuteter und offenkundiger Ehebruch. – Ulrich erzählte in affektiert gleichgültigem Tone, nachlässig, als seien das die alltäglichsten Dinge der Welt. Dabei konnte man ihm das Behagen anmerken, daß er mit dem abgestandenen Klatsch der hauptstädtischen Saison bei diesen Provinzialen noch so viel Glück machte.

Jeder tat natürlich, als kenne er die Persönlichkeiten, von denen hier gesprochen wurde, ganz genau. John Katzenberg besonders leistete Großes in solchem Vorgeben von Intimität. Wenn er gefragt wurde: »Kennen Sie den Grafen Soundso?« Dann antwortete er: »Meinen Sie Botho, oder meinen Sie Udo?« Es war ihm ein Kleines, zu erzählen: »Neulich fuhr Fürst X. an mir vorbei Unter den Linden; als er mich sah, ließ er halten . . . . . .« Wirkliche Kenner der Gesellschaft lächelten über solche Prahlerei; aber es gab doch Leute, denen er damit imponierte.

306 Im nächsten Kessel hatte Kriebow andere Nachbarn; er konnte von weitem beobachten, daß Katzenberg, der diesmal zwischen Malte und Ulrich untergebracht war, sich genau so schußgierig benahm wie vorher. Ihn ging es nichts an; aber daß die Pantins sich das so gefallen ließen! –

Das Jagdfrühstück fand wie alljährlich vor einem auf freien Felde gelegenen Schuppen statt. Tische und Stühle waren aufgestellt, ein Feuer brannte, an welchem Speise und Getränke gewärmt wurden. Bei der Kälte tat der steife Grog, den der alte Hanning braute, gut. Dort verweilte man eine ganze Weile. Niemand hatte es besonders eilig mit dem Aufbruch. In der Nähe des brennenden Holzstoßes, geschützt durch den Schuppen vor dem Winde, in guter Gesellschaft, gewürzt durch saftige Weidmannsgeschichten, lebte es sich angenehm.

Nach dem Frühstück ließ der Jagdherr ein paar Waldtreiben machen. Dadurch wurde die Jagd bunter. Fasan kam vor, Kaninchen und Rehwild; auch ein Fuchs wurde zur Strecke gebracht.

Die Schlitten waren nach einem bestimmten Platz im Walde bestellt worden; nun ging es mit lustigem Geläut nach Langendamm zurück.

Kriebow hatte mit Herrn von Klaven gemeinsam ein Zimmer angewiesen bekommen zum Umziehen. Während des Ankleidens zum Diner kam das Gespräch unwillkürlich auf die Landwirtschaft; Kriebow hatte den Ragatziner als einen tüchtigen Landwirt rühmen hören. Klaven habe – so hatte der Gewährsmann berichtet – Ragatzin in einem durch Raubbau und Mißwirtschaft völlig verwahrlosten Zustande übernommen, und jetzt, nach etwa zehnjährigem Besitz, stehe es in hoher Kultur.

307 Erich fragte Klaven, wie er das und jenes bei sich eingerichtet habe. Die Antworten des Ragatziners und ihre Begründung erschienen ihm einleuchtend. Der Mann verstand seinen Kram, das sah man aus jedem Worte; und dabei renommierte er doch nicht mit seinem Können, wie es z. B. Malte tat.

Ein Wort gab das andere; Kriebow erzählte von Grabenhagen. Er machte seinem Herzen Luft: was nutzte es alles, wenn man ein schönes, großes Gut besaß, und die Einnahmen daraus waren gering.

»Sie haben einen Inspektor?« fragte Klaven.

Kriebow bejahte.

»Dann liegt es ja überhaupt gar nicht in Ihrer Hand, aus Ihrem Gute zu machen, was Sie wollen.«

Kriebow meinte: glücklicherweise habe er einen tüchtigen und erfahrenen Mann, auf den er sich ganz und gar verlassen könne.

»Es ist und bleibt aber doch ein Fremder, der zwischen Ihnen und Ihrem Gute steht,« sagte Klaven. »Seine Tätigkeit gibt schließlich doch den Ausschlag und nicht die Ihre. Ein Verhältnis, das ich nie und nimmer ertragen würde! Mein Ragatzin und ich, wir gehören untrennbar zusammen, und da dürfte mir kein Fremder dazwischen kommen.«

Der Grabenhäger war einigermaßen befremdet über diese Auffassung. Nach einiger Zeit meinte er: »Was sagen Sie denn dann zu den Leuten, die ihr Gut verpachten?«

»Wie man das übers Herz bringen kann, verstehe ich einfach nicht. Das kommt mir so vor, als ob jemand seine Braut meistbietend verauktionierte.«

Kriebow lachte über die paradoxe Behauptung.

»Dieses Mietlingswesen nimmt ja leider mehr und 308 mehr überhand. Die Leute empfinden es schon gar nicht mehr als unnatürlich, wenn sie Fremden überlassen, was doch ihr Amt ist! Denn der Grundbesitz ist ein Amt und nicht ein Geschäft, darin liegt's! In früheren Zeiten war man sich auch dessen bewußt; da war man stolz auf sein Amt und hätte es um keinen Preis von einem anderen verwalten lassen. Was hat denn uns, dem niederen Adel, Bedeutung verliehen? Was war denn unsere beste Kraft, besser noch als das Schwert? Unser Anspruch auf ein Lehen, unser Recht, ein Stück heimatlichen Grund und Bodens zu beherrschen. Es gibt gar keinen höheren und edleren Beruf, und darum waren eben die, die ihn ausübten, die Edlen.«

»Das war aber im Mittelalter, Herr von Klaven; die Zustände können wir doch jetzt nicht wieder einführen.«

»Das Gute und Berechtigte davon hätten wir uns recht gut in unsere Tage hinüberretten können. Ich will nicht die Feudalzeit neu beleben; die ist ein für allemal begraben. Aber wenn wir uns die beste Seite des Lehnsverhältnisses bewahrt hätten: Treue und Pflichtbewußtsein, wie anders würden wir dastehen in der neuen Zeit. Vor allem aber sollten wir das Werk fortführen, an dem unsere Ahnen stark und mächtig geworden sind, wir sollten den Grund und Boden kultivieren, den uns die Väter hinterlassen haben. Mit dem Grundbesitz steht und fällt unser Stand; ohne ihn hat er keinen Sinn. Sind wir erst mal runter von der Scholle, dann sinken wir zurück in die graue Masse, aus der sich unsere Vorfahren erhoben haben.«

Klaven stand da vor dem Grabenhäger in seiner ganzen Bärenhaftigkeit seiner Erscheinung und begleitete seine Worte mit kräftigen, charakteristischen 309 Handbewegungen. Er schien ganz erfüllt von seinem Thema.

»Was haben wir anstatt dessen getan!« fuhr er fort. »Vor unserem Todfeinde haben wir die Waffen gestreckt, vor dem Kapitalismus. Um was dreht sich denn heutzutage das Interesse der Standesgenossen? Um Geld und wieder um Geld! Das ist das Gift, das unser Blut zersetzt. Beim Tanze um das goldene Kalb geht der Standescharakter verloren, Würde und Ehre werden dreingegeben. Und auch der Grund und Boden ist zu einem Spekulationsartikel geworden. Daß große und vornehme Pflichten im Erdreich vergraben liegen, die man heben soll, wer denkt da jetzt noch dran! So ein Gut wird vererbt und erstanden, gekauft und verkauft, gleich Aktien. Wenn's nur Zinsen abwirft! Man läßt den Grundbesitz arbeiten, wie ein Kapital; selbst will man keinen Finger dabei rühren. Die Pflichtvergessenheit kann ich eben den Leuten nicht verzeihen, daß sie ein ihnen von Gott gegebenes Amt so vernachlässigen.«

Kriebow hatte mit wachsendem Staunen zugehört. Ein merkwürdiger Bursche, dieser Klaven! Er besah sich den Mann etwas näher, wie er da stand, bemüht, sich den Hemdkragen anzuknöpfen, untersetzt, breitschulterig, mit rundem Schädel und blauen, lebhaften Augen, das ganze Gesicht in eine gelbbraune Mähne gehüllt. Der Mensch war wirklich weit von allem Schick entfernt. Kriebow konstatierte mit Schaudern, daß er hohe Stiefeln zu den Fracksachen trug. Die Einrichtung von festen Kragen und Manschetten schien er auch noch nicht zu kennen.

Trotzdem machte der Mann auch diesmal wieder starken Eindruck auf Kriebow. Hinter seinen Worten stand ein ganzer Kerl! –

310 »Sie beschäftigen sich wohl viel mit dieser Art Fragen – ich meine, wovon wir eben gesprochen haben – lesen oder schreiben am Ende darüber?

»Gott bewahre mich! Zum Schreiben hätte ich keinen Augenblick Zeit. Lesen eher noch. Aber wissen Sie, Herr von Kriebow, solche Dinge lernt man nicht aus Büchern; das muß man am eigenen Leibe erfahren. Und meine Schule habe ich durchgemacht, das kann ich wohl sagen!« –

Der Grabenhäger hätte gern noch manches von seinem sonderbaren Nachbar in Erfahrung gebracht, es war aber inzwischen Zeit geworden, zu Tisch zu gehen. Schon war der alte Hanning einmal mahnen gekommen.

Im Salon empfing Kari als einzige Dame. Ihre Schwester, Frau von Rentell, war abgehalten, da zu sein. Wanda erwartete wieder einmal, wie Malte jedem mitteilte, der es hören wollte.

Kari sah gut aus. Sie trug ein dunkles Kleid, mit Brustausschnitt, das die schöne Farbe ihrer Haut und den zarten Ansatz der Büste erblicken ließ. Sie war befangen; Kriebow fühlte deutlich das Zittern ihrer Hand, als er sie begrüßte. Er fand das erklärlich; keine Kleinigkeit für das junge Ding, unter so vielen Nimroden das zarte Geschlecht repräsentieren zu müssen. –

»Zum Schüsseltreiben, meine Herren!« rief Malte. »Jeder suche sich eine Dame aus!« Damit nahm er einen jungen Leutnant unter den Arm. »Und du, Kari, suchst dir einen Herrn! Wer dir am besten gefällt – wie wird's, Kari!«

Verschiedene lachten über die Verwirrung des jungen Mädchens. Kari stand da, wie mit Blut übergossen, wußte nicht, was sie tun solle.

311 Landrat von Katzenberg benutzte die Gelegenheit, vor sie hin zu treten und ihr mit siegesbewußter Miene seine Verbeugung zu machen. Das Mädchen aber eilte, den Landrat stehenlassend, auf ihren jüngeren Bruder zu, dem sie den Arm gab.

»Bravo!« konnte sich Kriebow nicht enthalten, zu rufen. Wie er diesem arroganten Schlingel, dem Katzenberg, das gönnte! –

Die Tischordnung war ziemlich willkürlich. Malte präsidierte an dem einen Ende der langen Tafel, an dem anderen saß die Tochter des Hauses. Der Landrat hatte es so einzurichten verstanden, daß er doch neben Kari zu sitzen kam.

Die Unterhaltung war laut und ungeniert. Durch das lebhafte Durcheinandersprechen von einigen zwanzig Herren hörte man aber doch immer das Organ des Hausherrn, das alle übertönte. Er erzählte Anekdoten, und nicht von der feinsten Sorte. Dann wieder rief er seiner Tochter über den Tisch weg zu: ihre Nachbarn hätten nichts zu trinken, und sie solle gefälligst für Unterhaltung sorgen da unten.

Erich von Kriebow bedauerte das arme Ding von Grund der Seele. Es war ihr anzusehen, wie sie abwechselnd blaß und rot wurde, daß sie unter der Taktlosigkeit des Vaters schwer litt. Und nun noch diesen Katzenberg zum Nachbar zu haben! – Er hätte den Schlingel ohrfeigen mögen, wie er so dasaß: Monokel im Auge, das junge Mädchen dreist fixierend.

»Neues Kleid! . . . Sehr schick! . . . Aus Berlin? . . . Hat natürlich Frau Mira ausgesucht; sieht man sofort! Nun bekommt man doch mal Ihren Hals zu sehen. . . . . . Das Rotwerden steht Ihnen so gut, gnädiges Fräulein. Das überläuft Sie so vom 312 Genick unter das Haar. . . . Sehen Sie, jetzt wieder! – –«

Kari war dem Weinen nahe.

Beim Braten erhob sich der Wirt und ernannte Herrn von Katzenberg zum Jagdkönig. Er feierte ihn sodann in seinem Toast als einen Mann, der als Schütze sowohl wie als Landrat stets das Richtige träfe. Und sie hätten auch das Beste getroffen, als sie ihn sich erwählt. Kurz, der Kreis könne sich zu solchem Manne gratulieren. Und nun fehle ihm nur noch eines zur Vollkommenheit, daß er dem Kreise möglichst bald eine junge Frau Landrätin vorstelle. Darauf leere er sein Glas.

John Katzenberg erhob sich sofort zur Erwiderung. Er lehnte zunächst das allzu reich gespendete Lob ab. Den guten Willen habe er, das dürfe er von sich sagen. Und da man »unter sich« sei, wolle er nur soviel bemerken: der Kreis, das seien in allererster Linie die Leute, die er hier um sich sehe, der grundbesitzende Adel, dem seine Familie ja auch angehöre. Sich seines Standes würdig zu erweisen, das sei von jeher sein brennendes Verlangen gewesen.

»Bravo!« schrie Malte dazwischen.

Was nun den väterlichen Wink anbelange, den ihm der liebenswürdige Wirt gegeben, fuhr Katzenberg fort, so werde er sich auch hierin bestreben, die Wünsche des Kreises zu erfüllen, mit der Zeit. Von da einen Übergang zu den Damen zu finden, sei nicht schwer. Er bitte die Herren, mit ihm anzustoßen auf die reizende Tochter des Hauses, die sich heute als eine erfahrene Hausfrau bewährt habe.

Kari tat ihm schon wieder den Gefallen, zu erröten; mit niedergeschlagenen Augen stand sie da und stieß mit 313 den Herren an, die sich nach diesem Toast lärmend um sie drängten. Malte war vor Entzücken außer sich. »Ein Mordskerl, der Katzenberg!« hörte man ihn rufen. »Der muß in den Landtag! Den schicken wir das nächstemal in den Landtag.«

Kriebows Blick war zufälligerweise während Katzenbergs Rede auf Klaven gefallen, der ihm schräg gegenüber saß. Er hatte in den Zügen des Ragatziners einen Ausdruck starken Mißmuts gelesen. Kriebow machte ihm ein Zeichen des Einverständnisses und trank ihm zu.

Die Unterhaltung wurde immer lärmender, die Hitze in dem ziemlich niedrigen Raume war längst unerträglich geworden, der Sekt floß reichlich. Auch draußen mußte es munter zugehen; Erich merkte, daß sein Kutscher Franz, der mit zum Bedienen herangezogen war, in einemfort lächelte. Er kannte seinen Franz; das war ein sicheres Zeichen, daß er zu viel des Guten getan habe. Kriebow überlegte im stillen, daß er wohl also selbst zu fahren haben werde heute nacht, wenn er nicht umgeworfen sein wollte.

Nachdem die süße Speise herumgereicht worden war, rief Malte über den Tisch hinüber: Die Damen könnten sich nun zurückziehen. Kari ließ sich das nicht zweimal sagen; an den Herren, die aufgesprungen waren, vorbei, eilte sie zur Tür und verschwand. »Na, nun kann man doch endlich ein freies Wort sprechen!« sagte der Hausherr.

Die Tischordnung wurde jetzt nicht mehr innegehalten, es bildeten sich Gruppen. Malte verschenkte alten Portwein.

Kriebow stand in der Tür zwischen dem Zimmer des Hausherrn und dem Eßzimmer und betrachtete sich 314 die Gesellschaft. Ulrich trat zu ihm. Nachdem er erst ein paar nebensächliche Bemerkungen gemacht, denen anzumerken war, daß sie nur die Einleitung sein sollten zu Wichtigerem, sagte er plötzlich, näher zu Kriebow herantretend: »Ein paar Worte nur, Erich! Ich sprach neulich mit dir über unsere Vermögensverhältnisse; ich wollte dich heute nur bitten, was ich dir da mitgeteilt habe, als ganz diskret zu behandeln.«

»Das versteht sich doch ganz von selbst, bester Ulrich!« sagte der Grabenhäger, »außerdem hast du mir das schon damals gleich ans Herz gelegt.«

»Ja, ich meinte auch nur so – und dann wollte ich dir da noch einiges erklären. Inzwischen hat sich nämlich manches geändert. Mein Vater hat bessere Geschäfte gemacht in der letzten Zeit. Wir sind aus der Klemme heraus. Ich hielt es für meine Pflicht, dir das mitzuteilen, zur Berichtigung, verstehst du!«

»Das ist ja sehr angenehm für dich!« meinte Erich. »Dein alter Herr hat wohl die Remonten gut verkauft?«

»Ja! Er hat die Remonten gut verkauft,« erwiderte Ulrich in einer hastigen Weise, die Kriebow stutzen machte. »Es ist überhaupt besser gegangen in der letzten Zeit, in allem. – Er hat sich zu helfen gewußt.«

»Nun, da gratuliere ich,« sagte der Grabenhäger. »Ich wünschte, ich könnte dasselbe von meinen Finanzen behaupten. Ich werde mir mal das Rezept von deinem Vater verschreiben lassen, wie man das macht.«

Im Grunde war Kriebow ungläubig. Es schien zu unwahrscheinlich, daß die schwere Kalamität, in der sich Pantins nach Ulrichs eigenem Geständnis noch eben befunden hatten, durch einen günstigen Pferdeverkauf 315 gehoben sein sollte. Also war es doch wohl wahr, was die Leute lauter und lauter behaupteten: Malte hatte dem Kommerzienrat Groß-Podar billig verschafft und war für seine Bemühungen bei dem Handel entschädigt worden. Der Grabenhäger war diesem Gerücht bisher, wo er ihm begegnet, energisch entgegengetreten, aus Freundschaft zum Langendammer Hause; er hatte so etwas nicht von Malte glauben wollen.

Aber die Indizien dafür mehrten sich. Maltes übereifriges Eintreten für John Katzenbergs Landratskandidatur war schon verdächtig gewesen, dazu die auffällige Protektion, welche die sonst so exklusive Mira dieser Familie angedeihen ließ, und nun Ulrichs eigentümliches und widerspruchsvolles Verhalten. – Wozu mußte er denn ihm das erzählen? Kriebow hatte ihn doch gar nicht gefragt nach seiner und seines Vaters Vermögenslage. Offenbar fürchtete Ulrich, daß die Welt bereits etwas argwöhne und wollte sich darum in den Augen des Freundes reinwaschen; doch war er zu wenig abgebrüht, um mit dreister Stirn zu lügen. Seine Befangenheit verriet ihn.

Der alte Portwein war ausgetrunken; der Hausherr forderte auf, nun zum Kaffee in den Salon zu gehen.

Während er als Letzter durch die Tür schritt, packte Malte seinen Sohn Ulrich am Arm und lallte ihm weinselig ins Ohr: »Du, John Katzenberg will die Kari doch! Hast du aufgepaßt, wie verliebt er das Mädel in einemfort anguckt?«

»Wo ist denn Kari?« fragte Ulrich, sich im Zimmer umsehend. »Sollte die nicht Mokka einschenken hier?«

»Natürlich soll sie Mokka einschenken! – Wo steckt denn das dumme Mädel?«

316 Kaffeezeug und Liköre standen auf dem Tische, aber Kari, die hier hatte kredenzen sollen, fehlte.

Das junge Mädchen war von Tisch weg nach ihrem Zimmer geeilt. Hier ließ sie den lange genug tapfer bekämpften Tränen freien Lauf.

Dann riß sie sich das neue Kleid herunter; es konnte ihr gar nicht schnell genug damit gehen. Sie haßte dieses Kleid jetzt, über das sie sich erst doch gefreut hatte.

Zu furchtbar war es, sich so etwas gefallen lassen zu müssen! – Wie er sie angeblickt hatte! – Zum ersten Male hatte sie bemerkt, wie garstig seine Augen waren. Bis dahin hatte sie gar nicht gewußt, daß es solche Blicke gebe. Es war ihr zumute gewesen, als entblöße er sie mit seinem Anstarren.

Die Scham, bis dahin schlummernd, war auf einmal mit elementarer Kraft zum wachen Bewußtsein durchgebrochen in dem jungen Mädchen und damit die Erkenntnis, daß sie in Gefahr sei und daß sie sich verteidigen müsse.

Sie hätte es nicht auszudrücken vermocht; aber sie hatte das instinktive Gefühl, daß es sich hier um etwas Großes und Wichtiges für sie handle.

Niemand weit und breit, der sie hätte beraten können, der ihr hätte helfen wollen! Ihr eigener Vater war in diesem Kampfe ihr Gegner. Sie fühlte, daß sie tausendmal im Rechte sei. Ihre gute Mutter, wäre sie nur am Leben, hätte gewiß nicht zugelassen, daß ihr Kind so behandelt werde.

In die Herrengesellschaft wollte sie nicht wieder zurück heut abend, um keinen Preis!

Kari legte ein einfaches bis an den Hals schließendes Hauskleid an, dann wischte sie sich die Spuren ihrer Tränen aus dem Gesicht und begab sich nach den 317 Wirtschaftsräumen. In Küche und Vorratskammer gab es ja heut genug nachzusehen und anzuordnen. Sie band sich eine Küchenschürze vor und begann mit der Köchin die Speiserester wegzuräumen. Diese nüchterne Beschäftigung tat ihr gerade wohl.

Während sie noch darüber war, kam ihr jüngerer Bruder in die Küche gesprungen. »Kari, wo bist du denn? Der Vater sucht dich.«

Sie trat mit ihm hinaus auf den Gang, damit die Leute nichts hören sollten.

»Der Alte ist fuchswild!« erklärte der Leutnant, der sich Mühe gab, stramm zu stehen, denn er fühlte selbst, daß er nicht mehr ganz nüchtern sei. »Ich wollte dir's nur sagen, Kari! Damit er dir nichts tut. Du sollst nämlich Mokka einschenken, mein Kind. Er fluchte und sagte: ich solle dich heranschleifen. Weißt du, ich glaube nämlich, er ist auch etwas tipsy.«

»Lieber Dietrich!« sagte sie und legte ihrem Lieblingsbruder die Hand beschwichtigend auf den Arm. »Laß mich hier! Ich will nicht wieder zurück zu euch.«

»Sei doch kein Frosch, Kari! Es ist doch so nett heute. Komm mit, Kind!«

»Nein, nein, ich kann nicht! Ich will dir's ein andermal sagen: weshalb! – Ich gehe jetzt auf mein Zimmer.«

»Da wird aber der Alte toll vor Wut. – Du, Kari, ich werde ihm sagen, du bist krank geworden. Gute Idee – was?« . . . . . .

Und dabei blieb es; Kari kam nicht wieder zum Vorschein an diesem Abend. Malte war wütend, als ihm sein Jüngster die Nachricht brachte, sie sei nicht wohl und habe sich zurückgezogen. Er sprach davon, sie mit der Reitpeitsche heranholen zu wollen, ließ es aber bleiben.

318 Erich von Kriebow hatte beschlossen, sich heute nicht zum Jeu fangen zu lassen. Das ganze Treiben hier war ihm widerlich geworden. In einer Ecke saß schon eine Partie zusammen.

»Mein Schlitten soll vorfahren!« sagte Kriebow zum alten Hanning.

»Meiner auch!« rief Klaven dem Diener nach.

Malte schimpfte: das wären ihm traurige Nachbarn: Spielverderber, Muttersöhnchen, Pantoffelhelden. Hätten Angst vor den Frauen. Die Damen würden wohl mal eine Nacht allein schlafen können . . . .

Er hätte noch mehr gesagt; Ulrich und Major von Rentell beschwichtigten den Angetrunkenen und baten die beiden Herren für ihn um Entschuldigung.

Kriebow und der Ragatziner gingen noch einmal auf ihr Zimmer, sich umkleiden. Die Nacht war kalt, man konnte die Jagdsachen vertragen für die Rückfahrt.

»Hierher komme ich nicht wieder, soviel weiß ich!« sagte Klaven, seinen Koffer abschließend.

»Ich war früher gern in Langendamm,« meinte Kriebow. »Aber seitdem hat sich viel verändert. Schade!« –

»Das Herz könnte einem vor die Füße fallen, wenn man solche Entwürdigung sieht. Wenn das adelige Holz so kernfaul wird, dann ist es kein Wunder, wenn Schmarotzer wie die Katzenbergs groß werden. Pfui Teufel!«

Erich sah sich Klaven von der Seite an; wußte denn der etwa auch schon, was sich hier abspielte?

»Leben Sie wohl, Herr von Kriebow! Und gut nach Haus!«

Damit reichte man sich die Hand zum Abschied.

»Gut nach Haus!« 319

 


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