Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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XXXIII.

Die Ragatziner Klavens waren zum Gegenbesuch in Grabenhagen gewesen. Kriebows Hoffnung, daß man in Frau von Klaven endlich eine Dame kennen kernen werde, die für Klara ein passender Umgang sein möchte, hatte sich erfüllt.

Frau von Klaven stammte aus gräflicher Familie. Ihr Vater war Berufssoldat. Von sechs Schwestern war sie die älteste. Da Vermögen auf beiden Seiten nicht vorhanden war, hatten sie lange aufeinander warten müssen. Seit drei Jahren war man nun verheiratet; ein zweijähriges Kind und ein Baby waren im Haus.

545 Obgleich die Frauen im Alter nicht übereinstimmten, hatten sie sich schnell aneinander angeschlossen. Es half da jene vornehme Selbstverständlichkeit mit, die der Frau aus guter Familie den Umgang mit ihresgleichen so erleichtert.

Frau von Klaven war bisher so gut wie gar nicht mit der Nachbarschaft in Verkehr getreten, weil man nicht auf dem Fuße zu leben vermochte, der in den Häusern ringsum üblich. Und sich über die Achsel ansehen zu lassen, dazu war man zu stolz.

Der Ragatziner ging wenigstens auf Jagden und sah als Mitglied der Kreisverwaltung und Landschaft die Nachbarn hie und da, aber seine Gattin lebte in völliger Zurückgezogenheit. Der einzige Freund, der viel im Hause verkehrte, war Merten, als nächster Nachbar. So lieb und wert aber auch Klavens den bewährten Freund hielten, ganz konnte der alte Junggeselle ihnen den Umgang mit anderen doch nicht ersetzen. Vor allem Frau von Klaven empfand das begreifliche Bedürfnis, sich mit einer Frau aus ihrer Gesellschaftssphäre auszusprechen.

Die beiden Familien hatten also verabredet, daß sie einander sehen wollten, so oft es ihnen die Zeit erlaube, ohne sich gegenseitig durch Dinereinladungen und steife Nachmittagsbesuche zur Last zu fallen.

Eines Tages im August schrieb Frau von Klaven an Klara, daß am Sonntag in Ragatzin das Erntefest begangen werde, und ob sie nicht daran teilnehmen wollten.

Kriebow freute sich über diese Einladung, vor allem um Klaras willen. Er selbst hatte ja in seiner Jugend manche »Austköst« mitgemacht, aber für Klara 546 war es etwas Fremdes; in ihrer Heimat gab's dergleichen nicht.

In Grabenhagen war während der letzten Jahre, unter Heilmanns Regiment, die Feier weggefallen. Das »Streichelbier« hatte man abgelöst durch bares Geld. Wenn die Leute überhaupt tanzten, dann geschah es im Krug, aber ohne Erntekrone und Altenspruch. Der Grabenhäger hatte beschlossen, in Zukunft den Leuten wieder ihr Fest in althergebrachter Weise auf dem Gutshofe zu geben.

Man fuhr also nach Ragatzin. Das Haus lag an der kurzen Seite eines langen Gutshofes. Es war mäßig groß, einstöckig, einer Pächter- oder Inspektorwohnung ähnlicher als einem Herrenhause. Ein paar schlanke Lindenbäume standen davor, die das Dach hoch überragten. Der geräumige Hausflur war mit Ziegelsteinen gepflastert und heute zum Erntefest mit Girlanden, Kränzen und Zweigen ausgeschmückt.

Bald nachdem Kriebows angekommen waren, nahm das Fest seinen Anfang. Von der Scheune her kam der Zug heran: Die Gutsleute unter Vortritt einiger Musikanten. Von zwei Mädchen wurde die Krone auf Stangen getragen; sie war aus Taxus geflochten, Ähren von allen Getreidearten dazwischen und mit Rauschgold und bunten Bändern verziert.

Vor der Haustür erwarteten Herr und Herrin mit ihren Gästen die Leute. Jetzt schwenkte der Zug ein, machte halt und Front. Im Halbkreis stellten sich die Arbeiter um die Herrschaft auf. Dann traten die Kranzjungfrauen vor mit ihrer Krone. Die eine von ihnen, ein etwa achtzehnjähriges schmuckes Mädchen, sagte folgenden Spruch: 547

»Guten Tag, ihr Herrschaft insgemein,
Hier bringe ich mein Kornkränzelein.
Die Garben sind gebunden,
Die Krone ist gewunden.
Der Kranz, der ist vom Neuen,
Der liebe Gott wird uns alle recht sehr erfreuen.
Hier bringen wir dem Herrn den Ährenkranz,
Damit haben wir verdient eine Brategans.
Wir wünschen der Herrschaft soviel Glück und Segen
Als Tröpflein Wasser von dem Himmel regnen,
Wir wünschen Ihnen einen vergoldeten Tisch,
Auf allen vier Ecken einen gebratenen Fisch
Und in der Mitte eine Flasche mit Wein.
Das soll der Herrschaft ihre Gesundheit sein.
Der Herr hat gelebt in Frieden und Recht,
Über ihn hat nicht zu klagen weder Mädchen noch Knecht.
Ich wünsche dem Herrn von Nelken einen Gang,
Von Rosen eine Bank,
Von Demant eine Tür,
Von Rosmarin einen Riegel dafür.
Ich wünsche unserer Frau ein schwarzseidenes Kleid,
Was sie kann anziehen in Freud und Leid.
Wir haben geharkt über Berg und Tal
Vom frühen Morgen bis zu letzten Strahl;
Wir haben gebunden allerhand Korn
Ohn' Radel und Drespel, Disteln und Dorn.
Übers Jahr gibt der Herrgott noch besseres Korn.
Wir haben gequält uns bei Tag und bei Nacht,
Wir haben unsere Aust mit Gesundheit vollbracht.
Dafür danken wir Gott auch allezeit,
Daß wir haben unsere Aust nun beiseit'.
Läßt uns Gott noch länger leben,
Wollen wir uns künftig wieder erheben.
Wie haben eingefahren, daß der Sand gestäubt,
Die Herrschaft hat aufgetragen, daß der Tisch sich beugt.
Hui! wie soll es heut abend gehn,
Was unten ist, soll oben stehn!«Aus verschiedenen alten Sprüchen zusammengestellt.

548 Als sie geendet, überreichte die Sprecherin mit einer artigen Verbeugung dem Gutsherrn die Krone, der sie wiederum an seine Frau gab.

Klaven ergriff das Wort zu einer kurzen Ansprache, in der er den Leuten dankte für ihre fleißige Arbeit, durch die ihm die Ernte gut und unversehrt eingebracht sei. Zum Zeichen des Dankes bitte er sie heute zu Gaste; sie möchten in das Herrenhaus treten.

Das geschah. Die Musikanten nahmen Aufstellung. In der Mitte der Haushalle, an der Decke, wurde die Krone befestigt. Der Herr eröffnete den Tanz mit der Vormagd, die Herrin tanzte mit dem Vorschnitter.

Auch Kriebow mischte sich bald unter die Tanzenden, während Klara, in der Tür eines Nebenraumes sitzend, dem Feste nur aus der Entfernung zusah. Sie und die Kinder hatten sich schnell zueinander gefunden; die kleine Zweijährige schmiegte sich an die neue Tante an, und Frau von Klavens Baby lag auf ihrem Schoße.

Walzer, Polka und andere Rundtänze wechselten mit Charaktertänzen, zu denen ein Lied gesungen und in die Hände geklatscht wurde. Dann führten einige junge Leute eine drollige Pantomime auf; einer war der Schäfer, ein anderer der Hund, und wieder andere stellten die Schafe dar. Die übrigen Festgenossen halfen den Schafen, die der Hund in eine Ecke treiben sollte. Dabei gab es viel Lärm, Gelächter und harmlose Ausgelassenheit, die mit innigstem Behagen von alt und jung genossen wurde. Die Sache endete drastisch mit der Schafschur.

Nachdem man sich so eine geraume Weile hindurch belustigt hatte, ließ der Gutsherr eine Pause eintreten. Jetzt könnten sie in die Leutestube gehen zum Essen, und ein Faß Bier sei auch nicht fern. Später sollte 549 ihnen gewährt sein, den Tanz auf der Scheunentenne fortzusetzen. Nun leerte sich die Halle schnell, denn die Leute wußten, daß ihrer Schweinebraten mit Backpflaumen und Klößen wartete.

Die Damen erklärten nun, die Kinder zu Bett bringen zu wollen, und Klaven forderte Kriebow auf, die Stunde zu benutzen, um einen Gang ins Freie zu unternehmen.

Die beiden schritten durch die nächsten Schläge, einem Feldwege folgend, dem Flusse zu.

Ragatzin lag an einem schiffbaren Wasserlaufe. Plötzlich tauchte aus dem Grün der Uferwiesen ein großes graubraunes Segel auf, das aussah, als zöge es auf dem Lande dahin. Der Fluß hatte eine kaum bemerkbare Wasserkante und zog träge, in vielen Krümmungen, fast ohne Fall, im flachen Gelände dahin.

»Wollen Sie mal die Stammburg der Klavens sehen?« fragte der Ragatziner.

Kriebow sah ihn ungläubig an; wo sollte hier weit und breit etwas einer Ritterburg Ähnliches sein?

»Warten Sie mal! In einer Viertelstunde sollen Sie auf einem Turme stehen, von dem aus man sechs große Güter liegen sieht.«

Indem sie dem Flusse den Rücken wandten, schritten sie über Stoppelfelder und Stürzen einem Waldstück zu, das, ein dunkles Viereck, mitten in der Flur lag. Kein Weg führte, wie's schien, dorthin, ringsum dehnten sich sumpfige Wiesen, aus denen sich der Wald wie eine Festung erhob. Unter den Bäumen war es um diese Tageszeit schon dämmerig; ein letzter Sonnenstrahl warf noch hier und da seine flimmernden Goldlichter durch das Gewirr von Tanne, Kiefer und Buche. Üppig wucherte Gestrüpp und Unterholz vom Boden zu den 550 schlanken Stämmen der Hundertjährigen empor. Plötzlich aus dem Dickicht auf eine Lichtung tretend, stand man vor einem altersgrauen Mauerwerk.

Aus einem Schutthaufen ragte ein klobiger Turm, kreisrund, von Feldsteinen erbaut. Ringsum Mauerreste, da und dort ein Fensterbogen oder eine Türeinfassung aus Stein erhalten, die feuergeschwärzte Brandmauer, ein Kellerhals. Auf diesen Trümmern einer ehemaligen Wohnstätte wucherte eine üppige Vegetation von Brombeerranken, Farren, Gräsern und Stauden, und schon hatten einige Birken Fuß gefaßt und trieben ihre weißen Stämmchen am dunklen Gestein empor.

Klaven ließ seinen Gast eine Zeitlang den überraschenden Anblick genießen, dann zog er einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete damit die Tür zum Turm.

»Sie können sich getrost der Stiege anvertrauen, die habe ich erst eingebaut,« sagte Klaven und stieg vor Kriebow die Holztreppe empor. Eine Zeitlang befand man sich wie in einer Esse; aber oben auf der Plattform herrschte volles Licht. Eben verschwand die Sonne dunkelrot und vergoldete noch einmal Turmzinnen und Wipfel.

»Dort haben Sie Ihr Grabenhagen, draußen über den Pröklitzer Tannen.« Kriebow folgte Klavens ausgestrecktem Arme. Dort in der Ferne das Blaue! Das waren die Bäume seines Parkes.

»Und dort mehr links ist Langendamm; das ahnt man auch gerade nur,« fuhr Klaven erklärend fort. »Aber hier Pröklitz, mit seinem mächtigen Kasten, den Udo Warden sich da hingesetzt hat, sieht man ja von überall her.«

»Richtig! Und dort ist Groß-Podar,« fiel Kriebow ein, der sich zu orientieren begann. »Weht da nicht so was wie eine Flagge gegen den Horizont?«

551 »Jawohl! Als Zeichen, daß der Herr Kommerzienrat zu Hause sind.«

»Ernsthof müßte man doch auch von hier sehen können.«

»Weit drüben jenseits des Flusses. Und hier unten mein Ragatzin; da haben Sie die sechs Güter beisammen. Die paar Meter, die man hier über dem Grunde steht, geben solche Aussicht. Man kann sich ganz gut denken, daß der Platz früher uneinnehmbar gewesen ist. Die Städter haben die Klavenburg einige Male belagert und sind immer unverrichteter Sache abgezogen. Erst die Schweden haben sie eingeschossen, und das Dorf, das hier ringsum stand, wo jetzt Wald ist, eingeäschert. Mein Urgroßvater hat da unten die neue Hofanlage gemacht.«

»Ja, Ihre Vorfahren sind mächtige Leute gewesen, mein lieber Klaven,« sagte Kriebow. »Im letzten Winter habe ich ein wenig in diesen Sachen gestöbert. Die Klavens und die Kriebows haben hier mal die ganze Gegend besessen. Daneben sind allenfalls noch die Pantins gewesen. Später erst sind die Ruhbecks und die Wardens aufgekommen. Wenn man denkt, wie schnell sich so etwas ändert! Die Ruhbecks sind raus, die Wardens sind raus, Pantins pfeifen auf dem letzten Loche, und unsereiner muß die Ohren steifhalten, um nicht den Weg der anderen zu gehen!« –

Klaven erwiderte nichts darauf. Man betrachtete die Aussicht noch eine Zeitlang, dann begab man sich auf den Rückweg, denn der Abend begann hereinzubrechen.

»Ja, es geht reißend, wenn in eine Familie einmal der Zusammenbruch kommt!« sagte Klaven, nachdem man schon eine Weile gegangen war. »Mein Vater 552 war kein Verschwender, bewahre. Aber der Gedanke, Ersparnisse zu machen, ist ihm auch nie gekommen. Er gehörte noch zu der Generation, die verwöhnt war durch schöne Gutserträge. Und als dann die schlechteren Zeiten kamen für den Landwirt, wurde eben im alten Stile weitergelebt. So wäre es meinem Vater ganz undenkbar erschienen, einen Sohn bei der Infanterie eintreten zu lassen. – Haben Sie meinen Bruder Bernhard nicht gekannt?«

Kriebow entsann sich dieses Bernhard von Klaven ganz gut. Als er noch das Gymnasium der Kreisstadt besucht hatte, war dort Leutnant Klaven der Löwe der Garnison gewesen. Erich von Kriebow, in dem sich der angehende Sportsmann zu regen begann, hatte ihn als schneidigen Reiter bewundert und seine Erfolge auf der Rennbahn mit Herzklopfen verfolgt. Später war dieser Klaven plötzlich von der Bildfläche verschwunden; wie Kriebow vermutete, hatte ihm etwas wenig Rühmliches den Hals gebrochen.

»Ja, ich entsinne mich Ihres Bruders aus meiner Pennälerzeit. Es war doch der Klaven, der auf ›Kundri‹ die Armee gewann?«

»Derselbe!«

»Was ist eigentlich aus ihm geworden?«

»Wir wissen nicht einmal, ob er noch lebt; seit Jahren schreibt er nicht mehr. Zuletzt war er Bereiter in einem Tattersall drüben. Mein Bruder hatte nach einem Rennen, bei dem er Erster geworden war, im Siegesturkel leichtsinnig gejeut und eine bedeutende Summe an Leute verloren, die ihn nicht wieder herauslassen wollten. Anstatt sich nun meinem Vater, oder mir, oder einem Freunde anzuvertrauen, wendet er sich an einen Mann, den Sie auch kennen werden: Feige!«

553 »Feige!« rief Kriebow. »Ob ich den kenne! – Damals muß ja übrigens noch der Alte gelebt haben.«

»Feige junior war der Zutreiber. Der alte Wucherer gab das Geld. Die Feiges also deckten die Schuld. Wohlweislich hatten sie sich schriftlich und mündlich von meinem Bruder das Ehrenwort verpfänden lassen, daß er bis zu dem und dem zahlen werde. Dann, als mein Bruder nicht zahlen konnte, wurde prolongiert und dabei wurden unsinnige Zinsen angeschrieben. Feiges kannten meinen Vater, wußten ganz genau, daß er in seiner blinden Liebe unfähig sei, den Jungen fallen zu lassen. Darauf bauend fingen die Juden nun das bekannte Kesseltreiben an: Meines Bruders Wechsel wurden weitergegeben, Leute rückten ihm auf die Bude, die er nie gesehen, welche ihn mit angeblich zedierten Forderungen ängstigten; dann mußte er Pferde annehmen, Wein, Zigarren, zu horrenden Preisen. Damit wuchs die Schuld ins Riesenhafte. Mein Bruder verlor den Kopf, und eines Tages ließ er sich verleiten, schrieb den Namen seines Vaters als Bürgen auf einen Wechsel. Die Feiges machten Schluß, präsentierten meinem Vater die ganze Forderung. Mein Vater deckte die Schuld und war damit ein ruinierter Mann. Und das Opfer war außerdem ganz umsonst gewesen; mein Bruder konnte trotzdem nicht gehalten werden. Die Geschichte mit der Unterschrift war ruchbar geworden, er mußte fort. Unsere Familie war nach diesem Aderlaß nicht mehr imstande, Ragatzin zu halten; es wäre unter den Hammer gekommen; da hat uns der Nachbar da drüben geholfen.« Er wies mit der Hand in die Richtung, wo Pröklitz lag.

»Merten!« rief Kriebow.

»Jawohl, Merten!«

»Das ist großartig von dem Manne!«

554 »Mein Vater hatte ihm mal früher, als Merten noch simpler Gutsbeamter hier in der Nähe war, eine Freundlichkeit erwiesen, und das hat er uns vergolten. Außerdem besaß er Zutrauen zu mir. Er borgte mir zu billigem Zinsfuß und hat es mir auf diese Weise ermöglicht, das Gut zu übernehmen. Mein Vater starb bald darauf, ein gebrochener Mann. Meine Schwestern haben sehen müssen, wo sie blieben; ich konnte ihnen nicht helfen. Eine ist Erzieherin, zweie sind Gesellschafterinnen, eine ist glücklich in einem Stifte untergekommen, nur eine hat geheiratet, aber unter ihrem Stande. So ist die ganze Familie zerstreut. Ich war nicht in der Lage, den Mädchen ein Heim zu bieten; zu schwer hatte ich selbst zu kämpfen, um mich über Wasser zu halten. Nun, jetzt habe ich, Gott sei Dank, eigene Familie. Für mich ist ja die Wendung der Dinge, wie alles schließlich gekommen, zum Segen ausgeschlagen. Sie werden es mir vielleicht schwer glauben, Kriebow, aber auch ich hatte als junger Kerl Anlage zum Leichtfuß. Erst das Unglück meiner Familie hat mich zur Besinnung gebracht. Die Hauptschäden unseres Standes: Leichtsinn und Blasiertheit, habe ich von Grund der Seele verabscheuen gelernt, und ich denke, ich bin dagegen für alle Zeit gefeit. Ich habe müssen der Not ins Auge blicken; da klappt man entweder zusammen, oder man wird hart. Und wissen Sie, Kriebow, den Dünkel legt man auch ab, wenn es einem ergeht wie mir, daß der einzige Mensch, der einem schließlich beispringt, ein ehemaliger Inspektor ist. Dann fängt man unwillkürlich an, Vergleiche anzustellen, und die fallen nicht immer günstig aus für die Standesgenossen. Und trotzdem kann niemand seine Abkunft höher halten, und niemand kann seinen Stand heißer 555 lieben als ich; aber es geschieht mit blutendem Herzen.«

»Ich habe Ihnen das, glaube ich, schon einmal gesagt, Klaven; ich meine: Sie sollten darüber etwas veröffentlichen. Sie würden damit großen Nutzen stiften, denn die wenigsten von uns bekommen so etwas zu hören, und den meisten wäre es sehr gesund! Ich unterschreibe das, was Sie gesagt haben, wörtlich. Mir ist es ja ähnlich ergangen wie Ihnen! Ich bin auch erst durch Erfahrung klug geworden.«

»Nein! Ich werde nicht darüber schreiben. Es ist vielleicht nützlicher, man betätigt seine Ansichten, indem man sie im Leben befolgt, als daß man sie veröffentlicht. Außerdem, der Überzeugung bin ich, würde kein Mensch darauf achten, ob es eine Broschüre mehr oder weniger gibt. Und ich sage mir auch, wem heutzutage, bei dem, was um uns her vorgeht, die Augen nicht aufgehen, dem ist nicht zu helfen, und um den ist es auch nicht schade. Alle Klassen und Stände arbeiten, um emporzukommen; es ist ein Ringen, wie es vielleicht noch nie dagewesen ist. Es handelt sich tatsächlich um unser Erbe, ob wir das behalten sollen, oder ob es uns unwiderbringlich entrissen werden wird. Trotz all der unerhörten Verblendung und geradezu verbrecherischen Gleichgültigkeit, in der viele Standesgenossen dahin leben, kann ich die Hoffnung nicht aufgeben, daß wir Junker noch eine große Zukunft haben. Ja, ich glaube daran, wie an das Evangelium. Das Land ist ohne uns nun mal nicht zu denken! Zu tief sind wir in den Boden eingewurzelt, den wir seit Jahrhunderten kultiviert haben, als daß man uns so einfach herausreißen und beiseite werfen könnte. Wer, frage ich, soll denn an unsere Stelle treten? – Hat man 556 etwa Reserven zur Hand, die nach uns das Land verteidigen und verwalten könnten? – Etwa die Katzenbergs und Konsorten? Die Welt wird sich wundern, was für Kräfte trotz aller Vergeudung, die getrieben worden ist, noch in uns schlummern. Die faulen Elemente mögen zugrunde gehen! Vielleicht ist der schwere Druck, der jetzt auf uns gelegt ist, ein Segen; das reinigt. Ich wenigstens werde den Pantins, wenn sie kopheister gehen, keine Träne nachweinen. Wer etwas auf sich hält, muß sich zusammenraffen! Mit neuem Geiste müssen wir uns erfüllen! Vieles ist gut zu machen. Eines aber tut vor allem anderen not: wir müssen arbeiten!«

Beide Männer schwiegen. Es war inzwischen dunkel geworden. Man näherte sich dem Gutshofe.

Vor dem Pferdestalle stand ein Wagen, ausgeschirrt. Klaven sagte: »Das ist das Pröklitzer Fortkommen. Wäre auch die erste Austköst gewesen, wo der alte Merten uns im Stiche gelassen hätte!«

Man hörte von der Leutestube her Musik, Stimmen und das Schurren der Tanzenden. Im Wohnzimmer aber trafen sie beim Schein der Familienlampe Merten in eifriger Unterhaltung mit den beiden Damen.

* * *

Die Ernte war in diesem Jahre reichlich ausgefallen. Erich von Kriebow fühlte sich geneigt, das seiner Tätigkeit zuzuschreiben; das Auge des Herrn! Darin lag doch eben etwas ganz Besonderes! – Aber schließlich mußte er vor sich selbst zugeben, daß er Glück gehabt habe. Von oben war der Segen gekommen, Regen und Sonnenschein in der 557 Wachstumsperiode günstig verteilt, gerade wie bestellt für Boden und Lage von Grabenhagen.

Inspektor Heilmann war nun auch fort, nachdem er sich überzeugt hatte, daß es keine Aussicht für ihn gebe, die frühere Stellung wieder zu erobern. Nun wo ihm von seinem ehemaligen Herrn eine zureichende Pension ausgesetzt war, hatte er sich zu seiner Schwester in die Stadt zurückgezogen. Niemand in Grabenhagen trauerte über sein Verschwinden. Kriebow sah mehr und mehr ein, wieviel ihm der Beamte geschadet, der zwischen ihm und den Gutsleuten gestanden hatte. Die Leute aber atmeten auf und faßten bald Zutrauen zu dem neuen Regiment. Wenn sich der junge Gutsherr auch gelegentlich vergriff und offenkundige Fehler machte, so sagten sich die Älteren und Erfahrenen unter den Gutstagelöhnern: »Uns Herr von Kriebow is man jung, un hei kann dat jo nich allens weeten, öwerst hei wadd dor bald 'nog hinner kamen!« Die Hauptsache war, sie sahen, daß er den guten Willen hatte, gerecht zu sein, und daß er selbst mit ganzem Herzen bei der Sache war. Das flößte auch den Leuten Liebe zur Sache ein und gab der ganzen Wirtschaft Schwung und Zug, die früher, Heilmanns Antreiben und Chikanieren zum Trotze, nicht zu erreichen gewesen waren.

Eines Vormittags beaufsichtigte Kriebow weit draußen an der Grenze von Groß-Podar das Pflügen seiner Knechte auf dem sogenannten »Buernkamp«. Das war jenes abgelegene Feldstück, welches durch das Schulzengut von der übrigen Grabenhäger Rittergutsflur abgetrennt wurde. Ursprünglich war hier wohl Bauernland gewesen, das später zum Rittergute eingezogen worden war. Jetzt bildete der Buernkamp einen Schlag, dessen Bewirtschaftung nicht ganz leicht war, 558 denn der einzige Zugangsweg führte an der ganzen Länge des Schulzengutes hin und schließlich durch eine bei nasser Witterung überhaupt nicht passierbare Wiese. Außerdem war es immer schwer, die Leute hier draußen bei der Arbeit zu überwachen, wenn man nicht durch den Tuleveitschen Hof reiten wollte.

Heute traf es sich nun, daß auf dem anliegenden Felde des Schulzengutes ebenfalls gepflügt wurde. Die beiden Tuleveits, Karl und Otto, gingen hinter dem Pfluge her, mit ihren Knechten um die Wette arbeitend.

Kriebow ritt zu ihnen hinüber, um sie zu begrüßen und sich nach dem Ausfall der Ernte bei ihnen zu erkundigen. Der Körnerertrag war auch auf dem Schulzengute zufriedenstellend. Dann sprach man über die Herbstbestellung, und bald war ein lebhaftes Gespräch zwischen dem Gutsherrn und den beiden Bauernsöhnen über die beiderseitige Grenze weg im Gange.

Der Vorarbeiter auf dem Kriebowschen rief aus, daß Mittagspause sei. Darauf kehrten die Gespanne heim, den weiten Weg an dem Schulzengut hin nehmend, um zeitigstens in einer dreiviertel Stunde zum Gutshofe zu gelangen, der doch querfeldein in zehn Minuten zu erreichen gewesen wäre.

»Ich will euch nun aber nicht länger aufhalten,« sagte Kriebow zu den Brüdern, das Gespräch abbrechend. »Ihr wollt jedenfalls auch Mittag machen.«

Karl, der ältere, machte seinem Bruder ein Zeichen; darauf trat Otto vor: »Herr von Kriebow! Wir hatten immer schon mal mit Ihnen sprechen wollen. Mein Bruder meinte: ich sollte zu Ihnen gehen, weil Sie mich von früher her besser kennen. Und ich dachte wieder: er könnte es tun, weil er doch am Ende der Besitzer ist. So ist immer nichts daraus geworden. Aber da 559 Sie nun heute hier sind, würden Sie uns da gütigst Gehör schenken?«

Der Gutsherr war selbstverständlich gern dazu bereit. Karl Tuleveit schlug vor, sich in den nahen Schulzenhof zu begeben. Kriebow ritt voraus, die Brüder folgten mit ihren Gespannen. Im Hofe angekommen, wurde ihm sein Pferd abgenommen. Man betrat das Haus.

Erich von Kriebow war es zumute, als müsse ihnen hier Mutter Tuleveit entgegentreten, mit ihrem freundlichen Lächeln. Aber das waren ja vergangene Zeiten, die nimmer wiederkehren konnten! Eine andere Wirtin war jetzt im Hause, zu der man keine Beziehungen hatte.

Aus einer Tür drängten sich blonde Kinder in verschiedenen Altersstufen; sie betrachteten den fremden Herrn mit neugierigen Blicken.

»So stark ist die Familie schon!« sagte Kriebow zu Karl Tuleveit und dann sich zu Otto wendend: »Wie die Zeit vergeht! Mir ist es, als wäre es gestern gewesen, daß wir hier herumsprangen.«

Das war das einzige Wort, welches über die Vergangenheit fiel. Alle drei Männer fühlten den Wunsch, was begraben war, in seiner Ruhe zu lassen.

Als der Gutsherr in der guten Stube unterm Spiegel auf dem Sofa saß, räusperte sich Karl Tuleveit und begann weitläufig seine ganze Leidensgeschichte zu erzählen: wie er durch die schlechten Jahre, durch mannigfaches Unglück, aber auch durch eigene Fehler in die Hände Isidor Feiges geraten sei. Er war eben jung gewesen und unerfahren und habe es nicht besser verstanden.

»Und sehen Sie, Herr von Kriebow!« fuhr er fort, 560 »nun hatte ich mich doch mit meinem Vater ausgesöhnt. Als er starb, zahlte ich Mutter und Geschwister aus; aber hier mein Bruder hat erklärt, daß er einstweilen sein Erbteil stehen läßt auf dem Gute, unverzinslich sogar. Und nun ist er auch noch selbst da, um mir zu helfen.«

»Das ist sehr nett von Ihnen, Otto!« sagte Kriebow zu seinem alten Spielgefährten. »Sehr anständig gehandelt an Ihrem Bruder!«

Der große, starke Bursche errötete wie ein Knabe über das Lob und erwiderte: »Ja, sehen Sie, Herr von Kriebow, ich will doch eben auch nicht, daß das Schulzengut aus der Familie kommen soll; man hängt doch zu sehr daran. Und mein Bruder ist doch nun mal der Ältere und hat auch schon Nachwuchs. Da habe ich mir gesagt: dir nutzen die paar tausend Taler auch nicht viel! Mein Bruder hat's am Ende nötiger, so denke ich.«

»Ja, ich hätte mir gar nicht getrauen können, den Hof zu übernehmen, wenn mir Otto nicht so entgegengekommen wäre!« sagte Karl.

»Seht ihr's! So war's das Vernünftigste,« meinte Kriebow. »Und nun wird die Sache ja wohl gehen!«

»Das ist eben die Geschichte!« sagte Karl und kratzte sich hinter dem Ohr. »Darüber wollten wir gerade mit Ihnen sprechen, Herr von Kriebow. Es geht eben doch nicht so, wie wir uns das erst berechnet hatten.«

Er berichtete nun, wie die Auszahlung von Schwester und Mutter all sein Bargeld aufgezehrt habe. Und nun die alten Schulden, die er hoch zu verzinsen hatte. Das Geld zum Michaelistermin getraue er sich allenfalls noch zu beschaffen, aber was dann später werden 561 solle, wisse er nicht. Feige warte nur auf den Augenblick, wo er mit den Zinsen im Rückstande bleiben werde, um ihn herauszusetzen aus seinem Gute.

Er schwieg seufzend, mit sorgenvoller Miene. Otto bestätigte das, was der Bruder gesagt hatte, durch Kopfnicken.

»Nun sprich du mal los,« sagte Karl zu Otto, »denn du bist doch am Ende, der sich's ausgedacht hat!«

»Das heißt, ausgedacht haben wir's uns eigentlich alle beide; ich bin nur etwas zeitiger darauf gekommen,« sagte Otto, sich verteidigend. »Herr von Kriebow! Weil Sie doch neulich so freundlich gegen uns waren und uns sogar in die Stadt mitgenommen haben auf Ihrem eigenen Wagen, da sagten wir uns: ob wir uns nicht an Sie wenden sollten. – Eine Bettelei ist es nicht, Herr von Kriebow!« schaltete er sofort selbst ein, als er die etwas bedenkliche Miene des Gutsherrn bemerkte. »Nein, geschenkt wollen wir nichts! Beide Parteien sollen ihren Vorteil haben, wie es gerecht ist. Es ist ein Handel, den wir vorschlagen. Um das Schulzengut hat sich ja das Rittergut schon viel bemüht. Der Vater hat's nicht hergeben wollen, und wir wollen ja auch nicht. Aber wir haben uns gesagt: Das Rittergut braucht einen Zufahrtsweg zum Buernkamp; warum sollen wir Herrn von Kriebow nicht gewähren lassen, wenn er über unser Grundstück fahren will. Es könnte ja auch ein Stück abgetrennt werden vom Schulzengute – nur ein schmaler Streifen, versteht sich – am Pfarracker hin, damit der Weg herauskommt. Das ist unser Vorschlag.«

»Und was würde die Gegenleistung sein von meiner Seite?« fragte Kriebow.

»Herr Feige hat für die Forderungen, die er gegen 562 meinen Bruder hat, Kautionshypothek eintragen lassen auf das Schulzengut. Es handelt sich jetzt nur noch um zehntausend Mark, das übrige ist abgetragen,« sagte Otto.

»Mein Bruder hat das nämlich von Seinem bezahlt!« fiel Karl ein.

»Laß doch!« rief Otto, wieder errötend, mit vorwurfsvoller Miene. »Diese Summe muß noch an Herrn Feige ausgezahlt werden, wenn eine Abtrennung vom Grundstück vorgenommen werden soll. Als Gläubiger kann er das ja verhindern.«

»Ich verstehe!« rief Kriebow, »Sie wollen, daß ich die Hypothek erwerben soll, damit niemand etwas in unseren Handel hineinzureden hat.«

»So waren unsere Gedanken.«

»Ja, liebe Leute!« erwiderte der Gutsherr, »das kommt mir etwas unerwartet. Ich muß mir das erst mal beschlafen, euren Vorschlag. Er hat vieles für sich! Eine kürzere Zufahrt zum Buernkamp würde ja von großem Vorteil sein für meine Wirtschaft. Aber, aber! Ich sitze auch nicht so in der Wolle, wie ihr vielleicht denken mögt. – Von der Hand weisen will ich den Vorschlag auf keinen Fall. Ich werde mit einem Freund darüber sprechen. Kennt ihr Herrn von Klaven auf Ragatzin?«

Ja, den kenne er, erklärte Otto. Als er noch beim Kammerherrn von Witzing in Dienst gewesen sei, habe er auch mit dem Ragatziner hin und wieder zu tun gehabt; das sei ein prächtiger Herr und ein Landwirt, wie er im Buche stehe.

»Darauf kommt's hier an!« sagte Kriebow. »Ich würde Herrn von Klaven bitten, daß er sich mal das Schulzengut ansieht. Würdet ihr euch dem unterwerfen?«

Karl sah seinen Bruder fragend an. Der meinte: 563 »Das ist nur berechtigt! Herr von Kriebow will doch wissen, auf was er sein Geld darleiht.«

Und Karl fügte noch hinzu: »Wir brauchen uns nicht zu scheuen. Das Schulzengut wird vor jedem Sachverständigen bestehen.«

Noch am selben Nachmittage ritt Kriebow nach Ragatzin hinüber. Klaven war gern bereit, Kriebows Bitte zu erfüllen und das Schulzengut abzuschätzen.

Einige Tage darauf erschien der Ragatziner in Grabenhagen, begab sich mit Kriebow auf den Schulzenhof und besah Felder und Gebäude. Nach beendeter Besichtigung wurden im Hause Besitzverzeichnis und Karten vorgenommen.

Kriebow sah schon: Er hatte sich in Klaven den richtigen Berater gewählt; der ging mit der peinlichsten Gewissenhaftigkeit zu Werke. Der Grabenhäger war neugierig, wie Klavens Endurteil ausfallen werde; während der Besichtigung hatte er weder Lob noch Tadel geäußert.

Als sie sich von den Brüdern getrennt hatten und nach dem Herrenhause zurückgingen, sagte Klaven: »Das sind ja ein paar großartige Leute!«

»Nicht wahr! – Das freut mich, daß Sie das auch finden, Klaven!«

»Tüchtig durch und durch und dabei intelligent und mit der Zeit fortgeschritten.«

»Und was sagen Sie eigentlich zu dem Schulzengut?« fragte Kriebow gespannt.

»Alte gute Bauernkultur! Jedes Fleckchen ausgenutzt und durchgearbeitet, so wie wir's gar nicht können. Da haben seit Generationen Wirte drauf gesessen, die ihre Sache verstehen; das sieht man auf Schritt und Tritt.«

564 »Ich soll also meine Zehntausend flott machen?«

»Das können Sie mit gutem Gewissen. Das Gut ist sehr wertvoll. Die Leute sind nur gegenwärtig in einer schwierigen Lage, und wenn ihnen unter die Arme gegriffen wird, rappeln sie sich unbedingt auf. Das ist anders als bei unsereinem; wenn ein Großer stürzt, dann gibt es einen tiefen Fall, aber solch ein Kleiner kommt leichter wieder auf die Beine zu stehen. Auf die Art ist Verlaß, das ist zähes, langsam wachsendes Holz. Ein tüchtiger Besitzer macht ein Gut erst wertvoll. Wenn man freilich den Maßstab eines Kreditinstituts anlegt, das auf unbedingte objektive Sicherheit zu sehen hat, dann – das bin ich verpflichtet, Ihnen zu sagen – erscheint die Stelle, an welche Ihre Hypothek zu stehen kommt, exponiert; von Mündelsicherheit ist keine Rede. Aber schließlich sprechen hier noch andere Momente mit, welche das Geschäft für Sie äußerst annehmbar erscheinen lassen. Sie bekommen Ihre Durchfahrt nach dem hinteren Schlage, eine Melioration für Ihre Besitzung, die sich reichlich bezahlt machen wird. Sodann ein mehr ideeller Vorteil: Sie erhalten sich einen tüchtigen Nachbar, mit dem sich leben läßt. Auch würde ich Ihnen raten, sich mit Tuleveits über die Drainage zu einigen. Wenn Sie Ihre hinteren Schläge entwässern wollen, müssen Sie die Stränge unbedingt durch das Schulzengut legen, weil der Fall dorthin geht; das lehrt der Augenschein. Die beiden Brüder sehen mir aufgeweckt genug aus, um den Vorteil zu verstehen, den es für sie haben würde, sich da anzuschließen. Und so gibt es wahrscheinlich noch anderes, wo Ihre beiderseitigen Interessen Hand in Hand gehen.«

»Hm, es ist eigentümlich!« fiel hier Kriebow ein. »Mein Vater, mein Großvater und andere meiner 565 Vorfahren haben sich alle nur erdenkliche Mühe gegeben, den Nachbar da wegzubringen, und ich soll ihm auf die Beine helfen, wo er am Zusammenbrechen ist.«

»Glauben Sie mir, Kriebow, Sie sind in diesem Falle der klügere! Wer allzu gierigen Appetit entwickelt, schlingt Happen herunter, die der Magen nicht verdauen kann. Land haben unsere Vorfahren genug zusammengeschlagen; davon haben sie uns eher zu viel als zu wenig hinterlassen. Wenn sie nur in mancher anderen Beziehung besser vorgesorgt und Haus gehalten hätten! Wenn wir zum Beispiel von der Sorte, wie diese beiden Tuleveits, noch ein paar tausend mehr in der Gegend hätten, so stünde es besser um das Land, und wer weiß, ob es nicht auch für uns selbst ein Segen wäre! – Nein, die Art Nachbarn wollen wir doch schonen! – Und dann noch eines: Gesetzt den Fall, Sie wollten den beiden nicht beispringen, wollten den Dingen ihren Lauf lassen, vielleicht mit dem Hintergedanken: wenn Tuleveits abgewirtschaftet haben, den Hof billig zu erwerben – Sie sollten einmal sehen, wie Sie sich da verrechnet hätten! Der Jude käme Ihnen zuvor, und Sie zögen mit langer Nase ab. Verlassen Sie sich darauf, so würde es sein! Der Anfang ist gemacht, einen Fuß hat Isidor Feige schon drin. Die Schlinge ist geschickt gelegt, daran erkenne ich den Gauner wieder. Und denken Sie mal, was würde das für eine Nachbarschaft werden für Sie!«

»Sie glauben, Feige will das Schulzengut für sich erwerben? Das ist mir doch unwahrscheinlich! Er hat sein Bankgeschäft und wird sich hüten, sich aufs Land zu setzen.«

»Wird er auch nicht tun! Feige rechnet so: Das Schulzengut ist wertvoll, nicht bloß durch Bodenqualität 566 und Gebäude; es hat auch Spekulationswert, durch seine Nachbarschaft.«

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, Groß-Podar ist nicht weit, und der Kommerzienrat ist ein zahlungsfähiger Mann. Herr von Katzenberg hat ja bereits im eigenen Dorfe, wie ich höre, mit Erfolg angefangen, kleinere Besitzer auszukaufen; warum sollte ihm nicht auch der Schulzenhof gefallen? Wie ich meinen Feige kenne, steckt irgend solch ein Plan im Hintergrunde, sonst würde er es nicht so scharf haben auf das Grundstück.«

»Den Teufel auch!« rief Kriebow, »an diese Möglichkeit habe ich noch gar nicht gedacht!«

»Ja, mein Lieber, Sie wären ein Tor, wenn Sie hier nicht dazwischensprängen. So haben Sie die Gelegenheit, ein gutes Werk zu tun und gleichzeitig ein Geschäft zu machen. Diese Gelegenheiten, vereinigt, sind äußerst selten; denn die guten Werke sind für gewöhnlich nicht einträglich, und die guten Geschäfte schädigen meistens den Nebenmenschen. Hier aber wird höchstens dem Feige ein Strich durch die Rechnung gemacht, und das ist das besondere Gaudium, was ich bei der ganzen Sache noch als Zugabe habe.«

 


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