Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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XIV.

Erich von Kriebows Auffassung von der Ehe war, als er heiratete, sehr einfach und für ihn selbst bequem gewesen. Es war von Gott geordnet, daß der Mann der stärkere und das Weib der schwächere Teil sei. Darum hatte der Mann zu regieren und die Frau sich anzuschmiegen und unterzuordnen. Aber der Mann sollte auch großmütig sein, von seiner Überlegenheit nicht ohne Not Gebrauch machen. Mit den Schwächen der zarteren Gefährtin sollte er Nachsicht üben; das verlangte die »Ritterlichkeit«.

Die beste und weiseste Tat seines Lebens war seine Heirat gewesen. Er hatte damit einen Strich gemacht durch ein äußerlich wohl angeregtes, innerlich aber fades und inhaltsleeres Dasein.

Als er sich mit Klara von Lenkstädt verlobte, wußte er noch sehr wenig von der, die er zu seiner Lebensgefährtin machen wollte. Zu sehen, daß sie hübsch sei, war nicht eben schwer; dazu brauchte er nur seine Augen aufzumachen. Daß sie wohlerzogen war, verstand sich von selbst; sie stammte ja aus guter Familie. Auch daß sie klug sei, fand er mit der Zeit heraus. Viele liebenswerte Eigenschaften lernte er an ihr bewundern und schätzen; aber ihr Innerstes war ihm trotzdem ein Buch mit sieben Siegeln, das Allerheiligste ihres Wesens blieb seinem Verstehen unaufgetan.

264 Aber da er ihr Liebe hatte und ihre Zärtlichkeit genoß, grübelte er nicht über die Rätsel ihres Wesens. Wer glücklich ist, macht sich meist keine Gedanken darüber, warum er es ist. Wenn ihm eine Regung an ihr unverständlich war, dann sagte er sich: die Frauen haben nun mal ihre »Mucken«; man mußte gewisse Rücksichten auf ihre Eigenart nehmen, schon allein aus »Höflichkeit«.

Der Eintritt in die Ehe hatte für ihn und für sie sehr verschieden geartete Bedeutung.

Erich brauchte nichts aufzugeben, höchstens einige Junggesellenunarten. – Nur unendlich bereichert war er worden. Klara hingegen hatte ein Opfer gebracht, sie verlor in gewissem Sinne ihre Persönlichkeit; denn eine Umstempelung des Wesens, eine Bindung der Freiheit, eine Schwächung der Kraft bedeutet die Ehe für das selbständige Weib.

Klara tat, wie die meisten Mädchen, als sie sich verlobte, einen Schritt ins Ungewisse. Wer war denn dieser Mann, dem sie sich mit allem, was sie war und hatte, hingeben sollte fürs Leben? – Sie wußte es nicht, wußte nichts von seinem Charakter, seinem Vorleben – konnte nichts darüber wissen. Einfach dem blinden Instinkte ihrer Neigung mußte sie sich überlassen, die sie zu seiner männlichen Persönlichkeit hinzog. Ihr Glück stand auf Glauben und Hoffnung. Wenn sie sich dennoch getäuscht hatte, dann war ihr Opfer umsonst gewesen, dann hatte sie das Höchste, was sie zu vergeben hatte, verschwendet.

Es war auch bei Erich und Klara wie oft in jungen Ehen. Jedes dieser beiden Menschenkinder hatte seine Entwicklung, seine Vergangenheit für sich. Nun wurden ihre Geschicke plötzlich vereinigt für alle Zeiten; 265 da mußte es Überraschungen, Mißverständnisse und Reibungen geben.

Nicht leicht war es Klara gefallen, vom Mädchentum zu scheiden. Aber nachdem diese Katastrophe überwunden war, kam bei ihr nur um so voller die natürliche Liebesbedürftigkeit des Weibes zum Durchbruch, die sich während der keuschen Strenge ihrer Mädchenjahre gesund und kräftig erhalten hatte. Aber die sinnliche Liebe band die beiden doch nur für Zeiten; auch diese Verschmelzung, so innig sie war im Augenblick, blieb doch ein Rausch, der verflog und die Seelen nicht aneinander zu ketten vermochte, den Zwiespalt der Naturen nicht überbrückte.

Erich von Kriebow neigte zu wechselnden Stimmungen. Als Junggeselle hatte er sich gehen lassen können, hatte auf niemanden Rücksicht zu nehmen brauchen. Er war verwöhnt und launisch. Eine Kleinigkeit konnte ihn kränken. Dann sagte er wohl ein Wort, das ihn schon gereute, während es noch seine Lippen verließ. Er hatte auch die Eigentümlichkeit launischer Menschen, anderen seine Fehler zuzuschieben. So warf er Klärchen Empfindlichkeit vor. Oder er fand: sie sei kalt und spröde, fühlte auf einmal Eifersucht, zu der es keinen vernünftigen Grund gab.

Klara ertrug solche Anfälle meist mit Gelassenheit, erkannte sie als das, was sie waren, als vorüberziehende Wolken. Er tat ihr sogar von Herzen leid, denn sie sah, daß er selbst am meisten darunter litt. Nur wenn er allzu ungerecht war, lehnte sie sich auf.

Aber diese Art des Zwistes war bisher zu ertragen gewesen, weil es sich um Kleinigkeiten handelte, weil beide Teile wußten, daß früher oder später ja doch die Versöhnung kommen mußte, die mit ihrer 266 Wonne alles Ausgestandene doppelt wieder gut machte.

Neu war für beide die Erfahrung, daß über ihrem Zorne die Sonne unterging.

Der eigentliche Anlaß ihrer Entzweiung war ja äußerlich wenigstens beglichen. Am nächsten Morgen schon nach dem erregten Christabend hatte Kriebow seinen Kutscher vorgenommen. Er machte nicht viel Federlesens mit Franz, gab ihm auf den Kopf schuld, das Mädchen verführt zu haben, und erklärte ihm, wenn er Dürten nicht heirate, sei er aus dem Dienst entlassen.

Franz wurde durch die unerwartete Schärfe seines Herrn völlig überrumpelt – bisher hatte sich der gnädige Herr um seine Liebesangelegenheiten nicht gekümmert, er hatte darin tun und lassen können was ihm beliebte –, er war so überrascht, daß er gar nicht ans Leugnen dachte; er gab alles zu. Windelweich wie er war, versprach er zu tun, was von ihm verlangt wurde. Kriebow machte sofort alles mit ihm ab: den Termin der Hochzeit, die Wohnungsfrage, das Deputat, das er fortan als Verheirateter haben sollte. Land, Milch, Feuerung, Korn. Das alles wurde reichlich bemessen. Franzens anfangs gedrückte Stimmung heiterte sich mehr und mehr auf; besser konnte er sich's gar nicht wünschen; statt weggejagt zu werden, wurde er in seinem Gehalt erhöht. Die Heirat nahm er mit in den Kauf; einmal mußte es ja doch sein! Wie die meisten seines Standes dachte er über die Ehe äußerst nüchtern.

Kriebow war mit sich selbst und mit dem, was er erreicht hatte, zufrieden. Gern hätte er es Klärchen erzählt, aber der Streit am Abend vorher stand noch zwischen ihm und ihr. Zu ihr gehen, das hätte ja ausgesehen, als fühle er sich im Unrecht. Nein, er wollte 267 nicht den Anfang machen! Gerade in dieser Sache wollte er nicht nachgeben. Er hatte keinen Grund, sich Vorwürfe machen zu lassen, im Gegenteil, er hatte ja die gänzlich verfahrene Angelegenheit, der sie ratlos gegenübergestanden, mit Geschick zu einem glücklichen Ausgang gebracht. Das mochte sie nur eingestehen, bekennen, daß sie im Unrecht gewesen! Sie mußte zu ihm kommen, nicht er zu ihr.

Im übrigen reizte es ihn, einmal auszuprobieren, wie lange sie's aushalten werde, in Unfrieden mit ihm zu leben; wahrscheinlich nicht lange. –

* * *

Klara hatte inzwischen eine eigenartige Erfahrung zu bestehen. Am nächsten Morgen schon nach jenem Erlebnis mit Dürten führte die junge Gutsherrin ihren Entschluß aus, die Mutter des Mädchens in ihrer Kate aufzusuchen. Es galt ja, der Frau klar zu machen, was geschehen war, und sie zu trösten; denn so wie Klara Mutter Kaubeuke kannte, als eine ordentliche Frau, mußte sie über den Fehltritt der Tochter außer sich sein.

Klara ging, so zeitig es ihr möglich war, nach der Wohnung der Tagelöhnerfamilie, damit nicht erst die Kunde von dem peinlichen Ereignisse von anderer Seite, womöglich in entstellter Form, zu ihnen dringe.

Die Gutsherrin traf die Frau allein. Das war ihr lieb; was sie mit ihr zu besprechen hatte, taugte nur für die Ohren einer verheirateten Frau, auf keinen Fall aber für Dürtens jüngere Schwester, ein eben konfirmiertes Mädchen, das bei den Eltern war und zu Hofe ging.

Klara fühlte sich bei diesem Gange nicht frei von 268 Zaghaftigkeit. Es war ihr zu neu und ungewohnt, über solche Dinge sprechen zu müssen. Mit Herzklopfen betrat sie die wohlbekannte Kate.

Sie hielt es für nötig, die Frau schonend vorzubereiten. Das war unangebrachte Mühe; Frau Kaubeuke war, wie sich herausstellte, bereits unterrichtet über alles.

Klara traute ihren Sinnen kaum: diese Mutter schien irgendwelchen tieferen Kummer über das Vorgefallene kaum zu empfinden. Leid schien es ihr höchstens zu sein, daß Dürten nun aus dem Dienste der Herrschaft mußte und daß sie ihr während einiger Wochen zur Last fallen werde.

Gestern, dem unglücklichen Mädchen hatte Klara schnell verziehen, da war ihre Entrüstung aufgegangen in Mitleid; aber hier der sittlichen Gleichgültigkeit gegenüber erhob sich ihr Frauenstolz.

Mutter Kaubeuke entnahm der verächtlich strengen Miene der Herrin, daß man mit ihrem Verhalten nicht zufrieden sei. Sie wurde kleinlaut. Die einfältige Frau war unfähig, sich zu verstellen. Sie begann zu weinen. Ihre Tränen bedeuteten keine tiefere Erregung, nur Furcht, daß die Herrin ihre Hand von ihnen abziehen werde.

Sie fing an, sich zu entschuldigen: die gnädige Frau habe ja ganz recht, böse zu sein, so etwas solle ja nicht vorkommen; aber was solle man denn machen, als Mutter? Verbieten? – Darauf höre das junge Volk ja nicht.

Die Mädel seien eben schlimm dran, einen Mann wolle natürlich jede gern haben, und die Männer täten's nun einmal nicht ohne dem. Und schließlich, wenn sie sich nachher heirateten, dann sei doch das Unrecht nicht 269 weiter groß. Und sie hoffe immer, daß der herrschaftliche Kutscher ihr Dürten nehmen werde. Seit Dürten bei der gnädigen Frau Mädchen geworden, sei sie doch was Besseres, und Franz habe ihr schon eine Uhr versprochen, die er ihr schenken wollte, mit einer Kette zum Tragen. Daraus sähe man doch, daß er ernste Absichten habe. –

Mutter Kaubeuke erzählte das in treuherzigem Tone. Ihre Naivität hatte etwas Rührendes. Für sie bedeutete das, was in Klaras Augen entehrende Schande war, eher ein Glück; nun konnte sie doch hoffen, die Tochter versorgt zu sehen.

Klara mußte an Pastor Grützingers Worte denken, als er ihr damals das Elend und die Verkommenheit der Gutstagelöhner geschildert hatte. Das war wohl das, was er den »geistigen Tod« genannt?

Er hatte recht, tausendmal recht! An diesen Menschen mußte furchtbar gesündigt worden sein. Schlechtigkeiten oder Freude am Laster war es doch nicht, was aus dieser Frau sprach; sie wußte es nicht besser. Wie war es möglich, daß Menschen zu solcher Verrohung und Gleichgültigkeit herabsinken konnten! Waren da nicht die verantwortlich zu machen, die ruhig der Entwicklung solcher Zustände zu ihren Füßen zugesehen hatten? –

Die junge Gutsherrin sagte nicht viel auf Frau Kaubeukes Darlegungen. Sie war zu traurig gestimmt. Die peinlichen Entdeckungen waren einander seit gestern abend zu schnell gefolgt. Auf ihren zartesten Empfindungen war wie mit Füßen getrampelt worden.

Sie ordnete nur an, daß Dürten mit samt ihren Sachen im Laufe des Tages zurückkehren solle zu ihren Leuten. Dann legte sie der Mutter ans Herz, 270 daß sie alles Verletzende fern halten möge von ihrer Tochter.

Die Frau versprach, alles zu tun, was die gnädige Frau befehle; ob sie verstand, was die Herrin meinte? – Mit der Zusage, hin und wieder nachsehen zu kommen, verließ Klara die Kate.

Was sollte man hier tun? Das war die Frage, die sich Klara vorlegte. Die Leute belehren, zum Guten ermahnen? – Mit Worten redete man nur über die Schäden weg, beruhigte sein eigenes Gewissen, weiter nichts!

Aber was konnte man tun?

Als sie am Morgen nach ihrer Ankunft in Grabenhagen aus ihrem Schlafzimmerfenster zum ersten Male auf das Dorf hinabgeblickt hatte, wie anmutig und sauber waren ihr da die kleinen rohrgedeckten Arbeiterwohnungen erschienen. Ein idyllischer Hauch hatte da über allem gelegen; wie hatte ihr Herz denen entgegengeschlagen, die hier unten wohnten: ihre Schutzbefohlenen! Welch eine hochbeglückende Tätigkeit hatte sie darin geahnt, diesen Menschenkindern eine gütige Herrin zu sein!

Viel zu leicht hatte sie sich das Werk vorgestellt. Nur aus der Vogelperspektive hatte sie auf das künftige Arbeitsfeld hinabgeblickt, nicht ahnend, wie vernachlässigt der Boden, wie verunkrautet die Frucht war. Mit starkem Arm und scharfen Werkzeugen mußte da vorgegangen werden; das sah sie nunmehr ein. Was wollte sie, eine Frau, diesem Acker gegenüber voll Steinen, Dornen und Gestrüpp! Mußte man da nicht den Kampf von vornherein aufgeben, als aussichtslos? – Was würde sie denn erleben? Doch nur Enttäuschung, Widerwärtigkeiten, ja Demütigungen! Beschmutzte man sich denn nicht, wenn man sich einließ mit dem 271 Unsauberen? Wozu das Häßliche und Gemeine aufsuchen? Dazu war man zu vornehm! Warum nicht ganz einfach die Dinge nehmen wie sie waren? So wie Erich tat, so wie Mutter Kaubeuke tat.

Erich hatte ja mit den Behauptungen, die er gestern abend aufgestellt, im Grunde recht behalten; was sie eben an dieser Mutter erlebt, bestätigte nur seine Auffassung. Die gewöhnlichen Leute empfanden ja wirklich, wie es schien, gar nicht das tief Entwürdigende ihrer Lage. Wozu ihnen die Augen öffnen; wozu denen helfen, die keine Hilfe wollten? Was hatte sie eigentlich mit alledem zu tun, sie, eine Dame! – Am besten, man zog sich auf sich selbst zurück; überließ die Niedrigen ihrer Niedrigkeit.

Diese Anwandlung währte jedoch nur kurze Zeit bei Klara; sie war entsprungen der tiefen Entmutigung, die sie ergriffen hatte. Dann aber lehnte sich die Rüstigkeit ihrer Natur dagegen auf; Blasiertheit, das war ein fremder Tropfen in ihrem Blute.

Sich beruhigen mit billigen Ausflüchten, dem Kampfe aus dem Wege gehen! – Was wäre das anderes gewesen, als sich vor der Gewohnheit beugen, als dem laxen Grundsatze des »Leben und Lebenlassens« huldigen! Nein! Das wäre ein Preisgeben gewesen, ein Verleugnen ihrer ganzen Natur.

Eine bittere Erfahrung, die bitterste vielleicht ihrer kurzen Ehe, bildete der Streit, den sie am Abend vorher mit Erich gehabt hatte. Nicht das war das Betrübende, daß es zu scharfen Worten gekommen, nicht das war so schlimm, daß sie sich noch nicht wieder versöhnt hatten und daß er heute früh ohne Kuß und Morgenandacht auf und davon gegangen war – das würde ja alles mit der Zeit wieder ins 272 Gleiche kommen. – Nein, das Bittere für sie war die Entdeckung: daß sie und ihr Gatte im Sittlichen auf grundverschiedenem Boden standen.

 


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