Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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XXIII.

Erich von Kriebow fuhr im gestreckten Trabe nach Haus zurück. Er wollte das Eisen schmieden, solange es heiß war. Er hatte gewissermaßen Furcht, daß sein Eifer erkalten, daß ihm seine eigene Gutmütigkeit in den Arm fallen könne. Denn diesmal mußte Ernst gemacht werden.

Wer war denn dieser Heilmann, daß er sich herausnahm, ihn leiten zu wollen? Ein Angestellter, ein Beamter, der übermütig geworden war, weil man ihn zu gut behandelt hatte.

Kriebow wußte es vom Regiment her: der ist ein schlechter Eskadronschef, der seinen Wachtmeister regieren läßt. Und mag der Unteroffizier noch so tüchtig sein und erfahren, Kommiß bleibt Kommiß! Die Erfahrung allein macht es nicht, auch zum Kommandieren gibt es einen Beruf. Das Detail des Kleindienstes mag man dem Subalternen überlassen, aber zum verantwortungsreichen Regieren fehlen Haltung und Selbstbewußtsein, die allein der Stand verleiht.

Eine derartige Schwadron, wo der Wachtmeister kommandierte, weil der Rittmeister bequem und schlapp war, stand Kriebow als warnendes Beispiel vor dem Gedächtnis. Wozu hatte der allmächtige Unteroffizier seine Macht vor allem benutzt? Zu Begünstigung, zu Leuteschinderei und zu Übergriffen. Mit Verachtung hatte Erich von Kriebow als junger Leutnant das mit angesehen.

Sollte es ihm etwa ähnlich ergehen? Da wollte er beizeiten einen Riegel vorschieben.

Kriebow fuhr gleich beim Nebengebäude vor, nahm sich gar nicht erst Zeit, ins Herrenhaus zu gehen. 418 Heilmann war nicht in seinem Zimmer. Kriebow ließ ihn suchen.

»Wo waren Sie?« fuhr er den Beamten in ungewohnt barschem Tone an, als er endlich kam.

»In der Scheune beim Haferdreschen,« erwiderte Heilmann.

Dagegen ließ sich nun freilich nicht viel sagen.

Bei dem Verhör, das der Gutsherr nun anstellte, blieb Heilmann ruhiger, als Kriebow erwartet hatte. Er leugnete nicht, daß er die Frau geschlagen habe, aber das sei im Eifer geschehen. Und dann habe er eben mal ein Exempel statuieren wollen, denn die Frauenzimmer würden immer schwieriger, seien nicht mehr zum Melken zu bringen; und was solle denn dann aus der Holländerei werden? Er habe nur im Interesse der Herrschaft gehandelt. Warum der gnädige Herr auf einmal so erzürnt sei, könne er sich ganz gut denken: in Pröklitz bei Herrn Merten werde er wohl nichts Gutes über ihn gehört haben. Daß Merten diese ganze Sache angerührt habe, um ihm den Hals zu brechen, sehe er nun ja ganz deutlich.

Kriebow war starr über die Unverfrorenheit, mit der Heilmann hier versuchte, den Spieß umzudrehen. Sein Zorn, all der zurückgehaltene Unmut, die Erkenntnis, von dem Beamten in schamloser Weise genasführt worden zu sein, der Ärger über die eigene Langmut entluden sich. Der Beamte stand unter einem Hagel von Vorwürfen. Jeden weiteren Versuch einer Verteidigung schnitt ihm sein Herr mit einem barschen: »Schweigen Sie!« ab.

Heilmann war erbleicht und schwieg mit verbissener Miene. Mit äußerlicher Gelassenheit nahm er die Kündigung seines Herrn auf, und erklärte sich bereit, 419 sofort Kasse und Bücher abzuliefern, Rechnung zu legen und seiner Wege zu gehen. Kriebow erwiderte darauf, sie hätten vierteljährliche Kündigung; zunächst habe er noch zu bleiben bis zur Beendigung der Frühjahrsbestellung.

Mit diesem Bescheid verließ der Grabenhäger den Inspektor.

Am nächsten Morgen fand Kriebow auf dem Frühstückstisch einen Brief; Heilmann meldete sich krank.

Kriebow war geneigt, das für eine Finte anzusehen. Offenbar wollte der Alte seine Unentbehrlichkeit fühlen lassen.

Da sollte er sich nun gerade verrechnet haben. Der Grabenhäger wollte ihm mal zeigen, daß es auch ohne ihn gehe.

Er schrieb also in aller Kürze an Heilmann: er möge sich nur auskurieren, und er solle Wirtschaftsbücher und Journale herüberschicken.

Darauf ließ sich der Gutsherr den Statthalter kommen, und erklärte ihm, daß er sich von jetzt ab den Dienst für die Leute nicht mehr bei dem Inspektor, sondern bei ihm, dem Gutsherrn, zu holen habe. Dann sprach er mit dem alten, erfahrenen Arbeiter das Nächstliegende durch.

Es war eine eigene Sache um das Gefühl, allein verantwortlich zu sein für ein so großes Gut. Da war der Wirtschaftshof mit seinen weitläufigen Gebäuden: die Stallungen, Scheunen, Schuppen, Keller, Tennen, Böden. Da waren die unzähligen Geräte und Maschinen, Werkzeuge, Wagen und Geschirre, die Vorräte an Getreide, Futtermitteln, Saatgut, künstlichem Dünger. Dann das Vieh, die Gespanne, die Herde. Was für Werte steckten in all diesen Dingen! – Und nun gar, 420 wenn man weiter dachte: sein Dorf. Die Katenleute mit ihren Familien, das Gesinde, all diese Menschen mit ihren Pflichten und Ansprüchen. Alles das blickte auf ihn, wartete seiner Befehle, hing von ihm ab.

Nun konnte er die Kenntnisse, welche er auf der Landwirtschaftsakademie gesammelt hatte, endlich verwerten. Jetzt zeigte es sich, wie gut er daran getan hatte, den Kursus durchzumachen.

Denn nun traten in rascher Reihenfolge die verschiedensten Fragen an ihn heran, die eine schnelle und sichere Entscheidung verlangten. Da fragte ein Lieferant an, wieviel künstlichen Dünger Grabenhagen für die diesjährige Frühjahrsbestellung brauche, und machte seine Offerten. Die Zuckerfabrik wollte wissen, ob sich Grabenhagen verpflichte, in Zukunft zweihundert Morgen mehr als bisher mit Rüben zu bebauen. Der Vorarbeiter der fremden Schnitter bat um Vorschuß zur Reise für sich und seine Leute. Die Genossenschaftsmolkerei beschwerte sich über den Zustand, in welchem die letzte Milchsendung angekommen, und verlangte Konventionalstrafe. Dann traten Händler an, welche die Vorräte, die vom Winter her auf den Getreideböden lagerten, aufkaufen wollten. Kriebow hätte nur gar zu gern losgeschlagen, da ihm bar Geld in diesem Augenblicke äußerst willkommen gewesen wäre, aber die Frühjahrsbestellung war doch auch noch zu bedenken. Was konnte man weggeben von den Vorräten, und wieviel mußte man notwendigerweise als Saatgut und für den Bedarf der Wirtschaft bis zur nächsten Ernte zurückhalten? – Zu Heilmann schicken und ihn um Auskunft fragen? – Nein! Der hätte sich doch nur ins Fäustchen gelacht über des gnädigen Herrn Ratlosigkeit. Den Triumph wollte er dem Alten nicht 421 gönnen. So mußte er sich denn dazu bequemen, die Wirtschaftsbücher zu Rate zu ziehen; nach weitläufiger Berechnung gelang es ihm dann auch, die Menge des Getreides festzustellen, die zum Verkauf kommen durfte.

Kriebow merkte erst jetzt, wo er selbst die Zügel wirklich in die Hand genommen hatte, welche Anforderungen an einen modernen Wirtschaftsdirigenten gestellt werden.

Er stand im Mittelpunkte eines großen und verzweigten Mechanismus, in welchem sein Wille der Regulator war.

Aus vielen Kleinigkeiten setzte sich da die tägliche Arbeit zusammen. Wie das Vieh geputzt wurde, welche Temperatur und Luft im Stalle herrschte, wie das Getreide lagerte, ob es zur rechten Zeit einmal durchstochen wurde mit der Schaufel. Von dergleichen hing wieder die Gesundheit des Viehes ab. Eine geringfügige Unsauberkeit in den Gefäßen konnte die Milch verderben machen. – Kurz, da gab es nichts Gleichgültiges und mochte es noch so unbedeutend erscheinen. Unabsehbaren Schaden konnte der winzigste Mißgriff nach sich ziehen.

Jeder mußte da an seiner Stelle den vorgeschriebenen Dienst gewissenhaft erfüllen, damit etwas Ganzes zustande kam. Aber wichtiger noch als das harmonische Zusammenarbeiten und Ineinandergreifen jener untergeordneten Kräfte war, daß eine Hand da war, die dem Fahrzeuge den richtigen Kurs gab. In der Person des Kapitäns vereinigte sich die Verantwortung für alles, was unten im Maschinenraume und oben im Takelwerke vorging.

Wahrlich, die Aufgabe war nicht klein, die der junge Gutsherr da auf sich genommen hatte! 422

 


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