Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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VIII.

Der Kreistag war auf einen Freitag angesetzt. Kriebow fuhr bereits am Tage zuvor nach der Stadt; denn Graf Wieten hatte ihm von Berlin aus geschrieben: er werde am Donnerstag in der Kreisstadt eintreffen und habe den Wunsch, Erich und einige andere Herren vertraulich zu sprechen. Der Grabenhäger betrachtete diesen Wink seines alten Gönners als Befehl.

Graf Wieten besaß nicht weniger als sechs große Güter im Kreise; trotzdem er nur selten auf seinen Besitzungen weilte, konnte er als der einflußreichste Mann der Gegend gelten.

Kriebow war gespannt, wie sich Graf Wieten zu der wichtigen Frage der Landratswahl, die jetzt alle Gemüter beschäftigte und die am Freitag entschieden werden sollte, stellen werde. In seinem Schreiben ließ er nichts davon durchblicken, Diplomat, wie er nun einmal war. Kriebow konnte sich eigentlich kaum denken, daß John Katzenberg sein Kandidat sein könne. Aber für wen würde er sein gewichtiges Wort in die Wagschale werfen? Für Merten oder für Klaven? die ja nächst Katzenberg am meisten genannt wurden. –

Er selbst war sich völlig unschlüssig, wem er seine Stimme geben solle. Er war in die Kreisversammlung aufgenommen worden durch Protektion des alten Wieten, aber von den Geschäften verstand er gar nichts, wie er sich selbst offen eingestand. Er nahm sich also vor, sich in dieser Frage ganz nach dem zu richten, was Graf Wieten vorschlagen würde. Wenn ein Mann die Verhältnisse übersah, so war es der Graf; seinem Rate konnte man blindlings Folge leisten.

Der Grabenhäger fuhr im frühen Nachmittag zur 144 Stadt. Die Wahl des Hotels war ihm leicht gemacht; es gab dort ein einziges für ihn mögliches: »Der Elefant«. Die übrigen Gasthöfe waren Fuhrmannskneipen. Trotzdem er nicht um Quartier geschrieben hatte, war das »Kriebowsche Zimmer« im Elefanten für ihn reserviert worden, das vor ihm schon sein Vater und sein Großvater innegehabt hatten, wenn sie zur Stadt kamen in Geschäfts- oder politischen Angelegenheiten.

So ein Kreistag war eine wichtige Sache für das Städtchen. Es entstand dann in den sonst öden Gassen und Gäßchen des Ortes ein Leben und Treiben, das an frühere bessere Zeiten erinnerte.

Obgleich im Hinterlande gelegen, weit von der Wasserkante, nur durch eine schmale Ader mit der See verbunden, hatte der Ort doch Anschluß gehabt an den Bund der seegewaltigen Hansen. Von Reichtum, Unternehmungslust und Geschmack jener Zeit sprach noch die altertümliche Kirche mit ihrem weithin sichtbaren, mächtigen Dache, legten noch Zeugnis ab die alten Gildehäuser, redete noch hie und da ein verzierter Giebel oder eine gewölbte Einfahrt. Sonst waren alle Zeichen ehemaligen Bürgerstolzes ausgewischt, verschüttet in Jahrhunderten schwerer Drangsal, durch Kriegsbrand, Teuerung und Fremdherrschaft.

Dann waren noch einmal bessere Tage für den Ort gekommen, als sich Handel und Wandel in gesegneten Friedenszeiten, im zweiten Dritteil des Jahrhunderts zu heben begann. Da strömte vom platten Lande reicher Zufuhr herein. Der Landwirt, der hier sein Vieh und sein Getreide mit Vorteil losschlug, ließ manchen harten Taler sitzen bei Kaufmann und Handwerker. Neubefruchtet richteten sich Handel und Gewerbe auf. Aber es war nur eine kurze Blüte, kaum 145 eine Generation durfte sich ihres Segens erfreuen. Draußen in der großen Welt waren inzwischen mächtige Umwälzungen vor sich gegangen: neue Märkte emporgekommen, neue Länder aufgeschlossen, neue Verbindungswege entstanden. An dem abgelegenen Winkel vorbei sauste der Weltverkehr nach entfernten Zentren. Und nach kurzer Periode einer flüchtigen Wichtigkeit sank das Nestchen wieder in öde Unbedeutendheit zurück. Jetzt führte der Ort eigentlich nur noch ein Scheinleben; ohne die Garnison und das Gymnasium wäre er vollends tot gewesen. –

Erich von Kriebow hatte als Sekundaner und Primaner hier einige Jahre zugebracht. Beim Herrn Stadtpfarrer war er in Pension gegeben worden. Glückliche Zeiten waren das gewesen; die Heimat war Feiertags und an freien Nachmittagen leicht zu Fuß oder auf dem Pony zu erreichen. Als Sohn seines Vaters hatte er eine gewisse Rolle gespielt in Stadt und Schule. Dazu das Dragonerregiment, wo er schon damals gute Bekannte gehabt hatte; kurz, der Junker war auch hier ziemlich verwöhnt worden.

Der Grabenhäger kannte eigentlich jeden Pflasterstein in dem Neste. Er konnte feststellen, daß sich nichts hier geändert habe während der letzten zehn Jahre. Dieselben Firmenschilder, ja es schien fast, als sei von den Waren, die schon damals hinter den bescheidenen Fensterscheiben gelegen, nichts weggekommen. Auch in dem Pflaster, das mit seinen heimtückischen Kanten, Spitzen und unvermuteten Löchern Pferde- und Menschenfüßen noch ebenso gefährlich war wie damals, äußerte sich der konservative Sinn des Städtchens. Hie und da fehlte eines der alten Gesichter; aber da waren andere da, die den verschwundenen so 146 ähnlich sahen, daß man auch hier eine Lücke kaum wahrnahm. –

Auf dem Marktplatze hatte das Gras etwas zugenommen, so wollte es Kriebow bedünken, als er jetzt vom »Elefanten« hinüberschritt nach dem Pastorat, um seinem alten Lehrer und Pensionsvater, Stadtpfarrer Mälhorn, einen Besuch abzustatten. An der Ecke dort, dem Rathause gegenüber, hatte sich was verändert: der Bäckerladen war weg, den er nur zu gut in Erinnerung behalten, seiner Näschereien wegen, die der Herr Gymnasiast gelegentlich auch nicht verschmäht hatte. Jetzt war dort ein Kontor entstanden. Hinter der breiten Glasscheibe, auch eine neue Errungenschaft – früher hatte hier nur das kleine Fensterchen des Zuckerbäckers mit seinen verstaubten Auslagen bestanden –, war jetzt in Perlmutter auf schwarzem Untergrunde zu lesen: »Wechselstube und Agentur«. Der neueste Berliner Kurszettel hing da aus. In einer japanischen Lackschale lagen verschiedene Münzsorten durcheinander, Banknoten waren reichlich daneben ausgestreut.

Den Grabenhäger machte der ungewohnte Anblick unwillkürlich stutzen, er blieb stehen, las die Firma: »Isidor Feige.«

Er konnte sich noch recht gut des alten Handelsmannes Abraham Feige entsinnen, der in einer Nebengasse sein Lager von Wolle und Fellen gehabt hatte. Mit seinem schmutzstarrenden Kaftan, den langen graugelben Locken, den tiefliegenden Eulenaugen und der Habichtsnase hatte er dem Knaben einen unauslöschlichen Eindruck gemacht. Abraham war also wohl gestorben, und dies hier war Feige junior. Seiner entsann sich Kriebow erst recht vom Gymnasium her; das war dieser schmächtige Jüngling gewesen, mit dem ewig 147 lächelnden gilblichen Gesichte, den die Mitschüler seiner abstehenden Ohren und krummen Beine wegen unausgesetzt gehänselt und malträtiert hatten.

Was aus den Leuten werden konnte! Also, der kleine Isidor war jetzt Besitzer all dieser Goldstücke und Banknoten, die hier wie nichts Gutes herumlagen! –

Die meisten Ladeninhaber waren, da sie den Grabenhäger Herrn über den Marktplatz schreiten sahen, in ihre Türen getreten; es war doch zu interessant zu wissen, wo er hingehen würde. Als er jetzt bei Isidor Feiges »Wechselstube und Agentur« Halt machte, trat hier ein Mann mit spitzem, schwarzem Bart aus der halbgeöffneten Kontortür. Isidor Feige war trotz seines kurzgehaltenen Haares und seiner modernen Kleidung die verjüngte Ausgabe des alten Abraham. Kriebow erkannte sofort das Lächeln wieder, und die Ohren – wie oft hatte er die in seinen Fäusten gehabt! – Feige begrüßte ihn mit einem tiefen Diener. »Habe die Ehre, Herr Baron von Kriebow!« Der Grabenhäger schnitt jedoch die Unterhaltung mit dem ehemaligen Schulkameraden von vornherein ab, indem er nachlässig grüßend weiterschritt.

Auch bei Pastors hatte sich wenig verändert. Derselbe bimmelnde Klang der rührenden alten Klingel, als Kriebow an dem abgegriffenen Glockenzuge riß. Derselbe fade Küchengeruch im Korridor. Pastor Mälhorn war ein wenig weißer geworden, aber die Frau Pastorin schien sich verjüngt zu haben; Kriebow kannte sie nur zahnlos, und jetzt hatte sie eine ganz stattliche Reihe von Beißerchen im Munde. –

Der Gast wurde von dem alten Paare mit hoher Freude aufgenommen. Er mußte Kaffee trinken. Mit Rührung sah Erich, der sich um die alten Leute gar 148 nicht mehr gekümmert hatte, seit er ihrer Obhut entwachsen war, daß sie seinen Lebenslauf aufs genaueste verfolgt hatten. Er mußte erzählen; dann wurde von früheren Zeiten gesprochen, was aus dem und aus jenem Mitschüler geworden sei.

Nach einem Stündchen verabschiedete sich Kriebow, um sich nach dem »Elefanten« zurückzubegeben. Er vermutete, daß Graf Wieten inzwischen dort eingetroffen sei, und den wollte er auf keinen Fall warten lassen.

Als er wieder vor Isidor Feiges Wechselstube angelangt war, trat dort der Langendammer heraus, geleitet vom Inhaber. Feige verabschiedete sich mit Bücklingen und Handschlag von Herrn von Pantin, dabei nach dem herankommenden Grabenhäger schielend, ob der auch sähe, daß ihm der Herr Major die Hand gab.

»Was haben Sie mit dem Juden zu tun, Herr Major?« fragte Kriebow, als sie außer Hörweite waren, den Langendammer.

»Geschäfte! – Kann Ihnen den Mann empfehlen, ist außerordentlich kulant,« erwiderte Malte. »Isidor ist der einzige, bei dem man jederzeit bar Geld findet. Drehen Sie hier sämtlichen anderen Leuten die Taschen um, nicht dreitausend Taler fallen heraus. Aber Feige wirtschaftet aus dem vollen; der Alte hat höllisches Geld zusammengeschachert. Der Sohn arbeitet nun in größerem Stile. Der Kerl macht alles! Güterkäufe, Hypothekengeschäfte, oder wenn Sie mal Auskunft brauchen in einer heiklen Sache, besorgt Ihnen Feige auch. Kann Ihnen den Mann wirklich empfehlen.«

Der Grabenhäger meinte: er sei einmal als junger Leutnant von einem Juden hereingelegt worden; seitdem hüte er sich vor solchen Geschäftsverbindungen.

»Ich bin ja natürlich auch Antisemit!« rief Malte, 149 »als anständiger Mensch kann man gar nicht anders! – Aber das muß man sagen: geschickt ist die Rasse nun doch einmal; es geht einfach nicht ohne sie! Alle Welt macht Geschäfte mit Isidor Feige; er hat mit den meisten Gütern zu tun, hier ringsum.«

Man trat in den Gasthof. Es gab im »Elefanten« ein sogenanntes »Ritterzimmer«. Hier pflegte sich bei besonderen Gelegenheiten der Adel der Nachbarschaft zu versammeln. Keinem bürgerlichen Grundbesitzer wäre es eingefallen, sich da hinein zu begeben. Für nichtadelige Honoratioren vom Lande gab es wieder ein anderes Zimmer, das, ohne ausdrücklich reserviert zu sein, durch Herkommen für sie bestimmt war. So wurde es seit Menschengedenken geübt.

Der Wirt berichtete den Herren, als sie in das Ritterzimmer traten, Graf Wieten sei angekommen, aber gleich nach seiner Ankunft wieder ausgefahren; der Graf lasse sagen: er werde in anderthalb Stunden wieder da sein.

»Das sieht Wieten ähnlich!« rief Malte mit hochrotem Kopfe. »Bestellt uns großartigst herein und ist dann nicht da. So machen's diese Grandseigneurs. Ich werd's ihm aber diesmal stecken! Denkt wahrscheinlich, weil er Graf ist und im Herrenhause sitzt! – Infames Offizielltun! Aber das gewöhnen sich die Leute in Berlin an. So im Ministerstile! Wenn der Herr Graf zu kommen geruhen, dann soll womöglich gleich am Bahnhofe eine Deputation stehen in Fräcken zum Empfang. Werden ihm was pusten! Ich fahre nach Langendamm zurück!«

Aber es blieb bei der Drohung. Herr von Pantin wartete mit den anderen, die inzwischen gekommen waren, die Rückkehr des Grafen ab, allerdings 150 nicht ohne die Gelegenheit wahrzunehmen, tüchtig zu schimpfen.

Der Langendammer hatte schon zu verschiedenen Malen versucht, eine politische Rolle im Kreise zu spielen; aber Wieten, der hier Wind und Wetter machte, hatte ihn nicht aufkommen lassen. Daher Maltes Ingrimm gegen den Grafen. Im übrigen waren sie gute Freunde von der Ritterakademie her und nannten einander »du«.

Endlich erschien der Graf. Er schnitt Malte, der seinem Zorn ihm ins Gesicht Luft machen wollte, das Wort ab, indem er dem Altersgenossen auf die Schulter klopfte: »Beruhige dich nur, mein Alter! Ich weiß schon, du hast tüchtig auf mich raisonniert.« Dann bat er die Herren um Entschuldigung, daß er habe warten lassen, aber er habe noch Wichtiges zu erledigen gehabt. Der Graf hielt eine Art von Cercle ab, hatte für jeden eine passende Bemerkung; seine Begrüßung mit Kriebow war besonders kordial.

Wieten war ein stattlicher Mann mit weißem Vollbart, hoher Stirn und klugen Augen. Er hätte schön genannt werden können, wäre nicht sein Embonpoint gewesen und die allzu lebhafte Gesichtsfarbe, welche verrieten, daß der alte Herr den Freuden der Tafel nicht abhold war.

»Wißt ihr denn, wo ich eben gewesen bin?« rief der Graf mit schelmischem Lächeln. Niemand konnte es erraten. »Na, ich will's nur sagen: in Pröklitz!«

»Bei Merten?«

»Ja, bei Merten!«

»Da haben wir's!« rief Major von Pantin, schon wieder wie ein Puter aufgebracht, »Herr Merten wird natürlich vor allen anderen um seine hohe Meinung 151 befragt. So'n Kerl, so'n Parvenu! Und der spielt nun ne Rolle im Kreisausschuß. In der Landwirtschaftskammer ist er ja glücklich auch. Fehlt bloß noch, daß wir ihn zum Landrat machen.«

»Merten hat Chancen,« erklärte der Ernsthöfer Tichow. »Städter und Bauern sind auf seiner Seite. Sein Einfluß ist nicht zu unterschätzen.«

»Natürlich, weil der Mensch Pächter gewesen ist; und jetzt sitzt er auf einem der schönsten Güter.«

»Na, und Merten versteht auch seinen Kram – alles, was recht ist! Pröklitz hat er in die Höhe gebracht.«

»Unsinn! versteht en Dreck!« schrie Malte dazwischen – nichts konnte ihn mehr erbosen, als wenn einem anderen nachgesagt wurde, er sei ein tüchtiger Landwirt. – »Aus 'ner ganz anderen Ecke pfeift der Wind. Das verfluchte Liebäugeln mit den volksfreundlichen Tendenzen ist das wiedermal! Weil Merten so ne Geschichten wie Arbeiterwohlfahrt betreibt, deshalb ist er der große Mann. Und von oben her wird ja so einer womöglich noch unterstützt. ›Innere Kolonisation‹ nennen sie das. So'n Blödsinn! – Der Unfug liegt geradezu in der Luft heutzutage. Wie ist's denn drüben im Welziner Kreise? Da haben sie jetzt auch einen neuen Landrat – einen bürgerlichen natürlich –, was macht der Mensch! Unterstützt die Kleinen gegen die Ritterschaft. Neulich haben sie dort ein Rittergut parzelliert in lauter Stellen. Ich traue nicht, daß wir mit der Zeit nicht auch noch so was kriegen. Und Merten – der Mensch verteilt jetzt schon Land an seine Arbeiter als Prämie, und Katen baut er ihnen wie Paläste. Ich sage so viel, wenn der Landrat wird, wandre ich aus!«

»Pantin hat recht!« rief der Purgaster Merrwitz. 152 »Gegen Merten müssen wir uns zusammentun, der ist gefährlich!«

»Merten um keinen Preis!« stimmten verschiedene andere zu.

»Meine Herren, Sie regen sich ganz unnütz auf!« sagte Graf Wieten, der ihnen lächelnd zugehört hatte. »Ich bin bei Merten gewesen; die Sache ist längst erledigt.«

»Wieso erledigt?«

Der Graf rieb sich vergnügt die Hände. »Ich konnte mir's schon nicht recht denken, daß es Merten ernst sein könne mit seiner Kandidatur. Der Mann hat ja gar keine Zeit, auch noch Landrat zu sein.«

»Na – und . . . .«

»Ich fuhr also nach Pröklitz, traf den Löwen in seiner Höhle, war nicht länger als zehn Minuten da; und die Sache ist abgemacht. Merten verzichtet.«

»Donnerwetter, großartig! – Famos gemacht, Herr Graf!« ging es durcheinander.

»Merten hofft, daß wir seinen Freund Herrn von Klaven zum Landrat machen würden,« sagte der Graf. »Wie ist denn die Stimmung für den im Kreise? Ich kenne ihn fast gar nicht. Studiert hat er ja und ist sogar Beamter gewesen. Angesessen im Kreise ist er auch. Die Bedingungen wären bei ihm also eigentlich sämtlich vorhanden. Dazu hat der Name guten Klang.– Wie wird über Herrn von Klaven gedacht?«

Der Ernsthöfer Tichow ergriff das Wort: »Klaven, der Ragatziner Klaven, das ist 'ne sonderbare Sache. Er gehört zu uns, und er gehört auch wieder nicht zu uns. Kein Mensch kennt ihn so recht. Man sieht ihn nicht – neulich bezweifelte mal jemand allen Ernstes, daß er überhaupt einen Frack besitze.«

153 Verschiedene lachten. »Ein Landrat, der keinen Frack hat – ne, das geht nich!«

»Macht mir den Ragatziner nicht schlecht!« fiel Kammerherr von Witzing ein. »Das ist en hochachtbarer Kerl! Wenn einer sich so durchschinden muß wie der und dabei anständig bleibt! Ein Gut verschuldet übernehmen aus dem Bankerott und dann die Geschwister auszahlen, das mache mal einer nach! Hut ab vor dem Manne!«

»Ich habe auch gar nichts gegen Klaven,« erwiderte der Purgaster Merrwitz. »Nur gerade zum Landrat paßt er mir nicht. Er hat so Mucken! Zum Beispiel raisonniert er auf den Johanniter, das wäre ne erkaufte Dekoration! Habe ich selbst von ihm gehört.«

»Da mögen ihm die Trauben zu sauer sein, wegen der Einzahlung!« rief jemand.

»'s ist doch aber kein gutes Zeichen für die Gesinnung, wenn man so was aussprechen kann,« fuhr Merrwitz fort. »Außerdem ist Klaven ein Herz und eine Seele mit dem Pröklitzer Merten; damit ist er für mich ein für allemal unmöglich. Meine Stimme bekommt er nicht!«

»Bravo!« rief Major von Pantin. »Nun bleibt uns nur noch eine Möglichkeit: der Regierungsassessor! Herr von Katzenberg, das ist gerade der Mann, den wir brauchen in der jetzigen Lage; der hat Charakter und Schneid. Hättet ihn neulich mal sprechen hören sollen nach der letzten Hetzjagd – Tichow, Sie waren ja auch dabei . . . . .«

»Entsinne mich dunkel,« erwiderte der Ernsthöfer, »wir waren, glaube ich, meistens etwas entnüchtert.«

»Keine Spur!« rief Malte ärgerlich. »Das war viel später. Wir unterhielten uns über Politik, ganz 154 seriös. Da hat uns der Regierungsassessor mal sein Programm entwickelt. Tadellos, sage ich euch! Der wird nicht an unsere Rechte tippen lassen; da gibt's nichts mit Arbeiterverhätschelung, wie sie jetzt Mode wird, und mit Hebung des Kleingrundbesitzes, diesen Unsinn, den sich die liberalen Professoren auf den Universitäten ausgeheckt haben, da lacht er nur darüber. Und die ganze soziale Gesetzgebung! ›Das kommt mir vor wie ein Wagen mit jungen Pferden,‹ hat er zu uns gesagt, ›wo der Kutscher nicht fahren kann; lassen Sie die Karre mal erst ruhig im Sumpfe festefahren, nachher kriegen wir wieder die Zügel in die Hand.‹ Der ist nicht auf den Kopf gefallen, der versteht, was uns nottut, trotz seiner Jugend! ›Zunächst muß dem Großgrundbesitz geholfen werden,‹ hat er gesagt, ›denn der leidet in unserer Zeit am meisten, und er ist die wichtigste Säule des Staates.‹ Was, Tichow, hat er das nicht gesagt? – Nein, Katzenberg ist ein hervorragend anständiger Mann, Korpsstudent gewesen, Reserveoffizier in einem guten Regimente, überall dabei: im Hetzklub, beim Wildschutzverein, bei allen anständigen Sachen, wird zu repräsentieren verstehen. Also, was wollen wir mehr? Einen geeigneteren Landrat für unsern Kreis können wir einfach nicht auftreiben!«

Verschiedene stimmten dem Langendammer zu. Der eine lobte die Tüchtigkeit, die der Assessor im Amte an den Tag gelegt, ein anderer wußte seine Manieren zu rühmen und sein bescheidenes Auftreten.

Dem widersprach allerdings der Grabenhäger. »Bescheidenheit« sei das letzte, was er Herrn von Katzenberg nachsagen könne.

»Haben Sie etwas Gravierendes gegen ihn anzuführen, Kriebow?« fragte Malte.

155 Erich zuckte die Achseln.

»Hurra! Katzenberg ist Favorit!« rief Malte siegesgewiß. »Da hat sich allerdings Herr Merten Pröklitz gründlich geschnitten mit seinem Verzicht. Das freut mich bei der ganzen Geschichte am meisten!«

»Na, sieh mal, Malte,« meinte der Graf in jovialem Tone, »und erst warst du drauf und dran, mich zu fordern! – Die Situation scheint mir nunmehr klar: die maßgebenden Leute im Kreise wünschen den Regierungsassessor zum Nachfolger im Landratsamt. Und ich kann Ihnen mitteilen, daß man oben keinerlei Bedenken tragen wird, falls Katzenberg vorgeschlagen werden sollte, ihn zu bestätigen.«

»Halt, noch eins ist zu bedenken!« meinte der Ernsthöfer Tichow. »Wir müssen sicher gehen! Halbblut bleibt doch nun mal Halbblut! Jetzt natürlich, wo Katzenberg sich noch bewirbt, tut er wie ein Ohrwürmchen, spielt sich auf den Agrarier, verspricht das Blaue vom Himmel herunter. Aber wer steht uns denn dafür, daß er Wort halten wird, wenn er im Amte ist? Gerade in jetziger Zeit, wo der Wind einmal so weht und einmal so, da muß man seiner Leute sicher sein. Gewisse Garantien müßte man sich doch von ihm geben lassen, meine ich.«

»Beruhigen Sie sich, Tichow!« erwiderte ihm Graf Wieten schmunzelnd, »ist längst besorgt!«

»Wieso – was?« – riefen mehrere durcheinander.

»Werde doch die Katze nicht im Sacke kaufen!« meinte der Graf selbstbewußt lächelnd. »Der kleine Katzenberg hat mich neulich in Berlin aufgesucht. Na, was er wollte, wußte ich ja! – Da habe ich ihn mir gekauft, ihm zunächst mal auf den Zahn gefühlt, dem Kerlchen. Ist en ganz geschickter, anstelliger Mensch, 156 brauchbar, sehr brauchbar! Ich habe natürlich ganz offen mit ihm gesprochen, und er hat mich verstanden, denn auf den Kopf gefallen ist er nicht. Er weiß ganz genau, was geschieht, wenn er sich's etwa beikommen ließe, nicht artig zu sein. Er hat gebundene Marschroute, meine Herren!«

»Ja, unser Graf versteht's!« rief Tichow. »Kommt von Berlin, ist kaum zwei Stunden da, und die ganze Chose ist im Gange.«

* * *

Am nächsten Morgen fuhr in der gewölbten Durchfahrt des »Elefanten« ein Wagen nach dem anderen vor: Bauern, Pächter, Inspektoren, Gemeindevorsteher. Das Land kam herein. Wer nicht in der Kreisversammlung saß, der war vielleicht an der Zuckerfabrik interessiert oder an der Molkereigenossenschaft, die beide am Nachmittage ihre Generalversammlungen abhielten. Oder er kam wohl schließlich auch aus bloßer Neugier zur Stadt, um zu erfahren, was heute entschieden werden würde.

Im Ritterzimmer war reges Leben. Vom Großgrundbesitz fehlte kaum einer. Wer an der gestrigen Vorberatung nicht teilgenommen hatte, wurde jetzt in das Beschlossene eingeweiht. Die Zigarren glimmten bereits, vereinzelt tauchte auch schon eine Flasche auf. Man stärkte sich für den Tag, der noch manches Aufregende bringen würde; denn für den Abend hatten die Dragoner die Mitglieder des Hetzklubs ins Kasino eingeladen, zum Schlußdiner für diese Saison.

Die bevorstehende Landratswahl bildete das Hauptthema. »Ist denn Klaven überhaupt gekommen?« fragte jemand.

»Ich sah ihn eben draußen mit ein paar Pächtern 157 konferieren,« war die Antwort. »Er scheint die Hoffnung also doch noch nicht aufgegeben zu haben.«

Der Ragatziner Klaven war einer der wenigen Nachbarn, die Erich von Kriebow nicht kannte. Dabei war er entfernt verwandt mit der Familie: Erichs Großmutter väterlicherseits war eine Klaven gewesen. Früher hatte auch zwischen Ragatzin und Grabenhagen ein freundnachbarschaftlicher Verkehr stattgefunden; aber das änderte sich, als der alte Kammerherr von Klaven Bankerott machte. Damals war die zahlreiche Familie in alle Winde zerstreut worden. Der jetzige Ragatziner war in der Verwaltungskarriere gewesen und hatte, als die Katastrophe über seine Familie hereinbrach, den Staatsdienst quittiert. Verlobt mit einem Mädchen aus vornehmer aber armer Familie, konnte er erst nach zehnjähriger Wartezeit heiraten. So lange hatte er gebraucht, um die zerrütteten Verhältnisse des Familiengutes wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen.

Die Stimmung für den Ragatziner war bei seinen Standesgenossen keine günstige. Vorzuwerfen wußte man ihm zwar nichts; ja man mußte sogar anerkennen, daß er als Gutsherr und Landwirt Tüchtiges leiste; trotzdem war er nicht beliebt. Er schloß sich ab, ging seine eigenen Wege. Klaven hatte in den Augen der meisten einen Fehler, der schwer verziehen wird: er konnte nicht klassifiziert werden, man wußte nicht, was man aus ihm machen sollte; kurzum, er war den Leuten unheimlich.

In diesem Augenblicke trat ein bärtiger Herr ins Zimmer, den Kriebow nicht kannte. An der frostigen Stimmung, die sich plötzlich über die Unterhaltung legte, merkte er, daß der breitschulterige, robuste Mann, den man für einen Pächter oder Inspektor hätte halten 158 können, kein anderer sei als Herr von Klaven. Mit dieser bärenhaften Erscheinung stimmte auch die Beschreibung überein, die Kriebow bereits von ihm gehört hatte.

Klaven begrüßte die Gesellschaft und ließ sich dann auf dem ersten besten Stuhle nieder. Der Grabenhäger, der in seiner Nähe saß, erhob sich und nannte seinen Namen, dabei erwähnend, daß sie als Vettern zweiten Grades ja eigentlich verwandt seien. Klaven schüttelte ihm kräftig die Hand. Bald war ein Gespräch über Familie und Familienbeziehungen im Gange.

Der Grabenhäger fand, daß der Mann gar nicht so übel sei. Man hatte ihm ein ganz falsches Bild gegeben von dem Ragatziner. Klavens Art zu sprechen war ruhig, bestimmt und selbstbewußt. Wenn er auch kein Elegant war in seiner Erscheinung, so hatte doch sein Wesen etwas Vornehmes. Wie stach dagegen Malte Pantin ab, der bereits einigen Flaschen den Hals gebrochen hatte und sich jetzt mit dem Purgaster Merrwitz herumzankte. Kaum, daß man sein eigenes Wort noch verstehen konnte über dem Schreien dieser beiden Krakeeler.

Inzwischen war auch Graf Wieten eingetreten. Kriebow erhob sich mit verschiedenen anderen, ihn zu begrüßen.

Der alte Herr übersah die Versammlung. »Ach, da haben wir ja auch den Ragatziner!« sagte er, Klaven erblickend. »Ein Wort zu Ihnen, mein lieber Klaven. Bleiben Sie nur, Kriebow! – Das können alle hören. Ich hasse die Heimlichkeiten unter Kavalieren.«

Der Grabenhäger war gespannt, was nun erfolgen werde. Klaven war aufgestanden und vor den Grafen hingetreten, den er fragend anblickte.

159 »Man sagt mir, Herr von Klaven, daß Sie den Wunsch hätten, von der Kreisversammlung für den Landratsposten vorgeschlagen zu werden. Ist das an dem?«

»Allerdings, Herr Graf! Und ich glaube, das ist mein gutes Recht!« erwiderte Klaven, den Kopf zurückwerfend wie einer, der sich auf einen Angriff vorbereitet.

»Gewiß, gewiß!« sagte der Graf, seine verbindliche Miene nicht aufgebend, und legte ihm die Hand auf den Arm. »Gewiß ist das Ihr gutes Recht! Aber ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen – in Ihrem eigenen Interesse tue ich das –, Sie haben wenig Chancen. Ich sage es Ihnen ganz offen heraus: Sämtliche Herren, die Sie hier sehen, haben einen anderen Kandidaten.«

»Das weiß ich, Herr Graf!«

»Und daß Sie bei den Vertretern der Stadt- und Landgemeinden einen nennenswerten Anhang finden werden, bezweifle ich.«

»Ich sehe voraus, daß ich nur eine ganz schwache Minorität auf mich vereinigen werde.«

»Dann würde ich Ihnen doch raten, Herr von Klaven, davon abzusehen, daß Ihr Name überhaupt genannt wird. Jetzt ist Ihnen noch ein ehrenvoller Rückzug möglich. Andernfalls ist es doch eine Art von Blamage für Sie; das gebe ich Ihnen zu bedenken. Es würde auch nach außen hin einen besseren Eindruck machen, wenn bei einer solchen Gelegenheit unter den Vertretern des Großgrundbesitzes volle Einigkeit herrschte. Also seien Sie vernünftig, verzichten Sie! Wir meinen es gut mit Ihnen.«

Klaven schüttelte den Kopf. »Der Eindruck, den eine etwaige Uneinigkeit innerhalb des Großgrundbesitzes machen kann, scheint mir viel weniger bedenklich, als der 160 schlechte Eindruck, den die einmütige Aufstellung Ihres Kandidaten, und gerade dieses Kandidaten, machen muß.«

»Nanu!« riefen mehrere.

»Malte, er schimpft auf Ihren Protegé,« flüsterte der Ernsthöfer Tichow dem Langendammer zu.

»Wie – was!« schrie Malte los. »Wer sagt etwas gegen Katzenberg? – Was will der Kerl überhaupt?«

»Ruhig, Malte!« beschwichtigte Graf Wieten. »Laßt mal erst den Klaven ausreden.«

»Ich will kein Hehl daraus machen, daß ich mich habe aufstellen lassen, um des Prinzips willen,« sagte Klaven und sah sich herausfordernd um nach seinen Standesgenossen, die ihn in geschlossenem Kreise umstanden. »Ich halte es für meine Pflicht, mich aufzulehnen gegen das, was ich für einen verhängnisvollen Fehler ansehe. Bisher haben wir stets darauf gehalten – und so haben es unsere Väter getan –, daß nur Leute aus unserer Mitte Landrat sein dürfen. Leute, die, wenn möglich, dem alten befestigten Grundbesitz entstammten, auf alle Fälle Männer, die mit unserem Kreise innig verwachsen, die mit unseren Bedürfnissen vertraut waren. Und auch auf den Charakter des Kandidaten ist bisher immer, Gott sei Dank, Gewicht gelegt worden. Jetzt kommt da solch ein junger Mensch her, der mit dem Kreise absolut nichts zu tun hat . . . .«

»Bitte, der Vater hat sich angekauft im Kreise!« rief jemand.

»Nun, der Anlaß dazu ist allerdings ziemlich durchsichtig!« meinte Klaven höhnisch. »Eine Million konnte der Herr Kommerzienrat von Katzenberg leicht entbehren, als es darauf ankam, dem Söhnchen eine Position damit zu erkaufen. Soviel ist der Landratstitel dem Herrn eben wert gewesen.«

161 Eine starke Erregung entstand. »Der Neid spricht aus ihm, weiter nichts! weil er nicht Landrat wird,« sagte der Purgaster Merrwitz zu Malte; der fluchte und wurde nur mit Mühe zurückgehalten, Klaven zu stellen.

Der Ragatziner blickte mit verächtlicher Miene um sich. »Ich weiß ja ganz gut, daß ich absolut nichts erreiche! Assessor von Katzenberg wird Landrat werden auf Ihren Vorschlag. Leider kann ich's nicht ändern! Es ist ja nur ein Zeichen der Zeit. Das mobile Kapital beherrscht alles; jetzt hält es nun auch seinen Einzug bei uns. Sie ahnen ja gar nicht, was Sie tun! Sie schlagen damit den Traditionen unseres Standes einfach ins Gesicht. Es ist eine Inkonsequenz, wie sie schlimmer nicht gedacht werden kann. Heute nehmen Sie einen Emporkömmling in unsere Mitte auf, geben ihm das wichtigste Amt, das wir zu vergeben haben. Aber rächen wird sich das früher oder später ganz sicher.«

Einige lachten, nannten Klaven verrückt. Andere wurden ärgerlich und murrten. Auf einzelne hatten seine Worte aber doch einen gewissen Eindruck gemacht.

Den Grabenhäger hatte es warm und kalt überlaufen bei Klavens Worten; wie es einem geht, wenn man unerwartet Zeuge einer mutigen Tat wird. Das Herz schien der auf dem rechten Flecke zu haben, das mußte man sagen, wenn er auch sonst vielleicht ein Hinterwäldler war. –

Was würde Wieten tun?

Der Graf ließ erst den Sturm sich legen, dann meinte er ironisch lächelnd: »Mein lieber Herr von Klaven, Sie sind ein Heißsporn, und das sind immer schlechte Politiker. Was Sie da gesagt haben, enthält einiges Wahre; vor fünfzig Jahren wäre es sogar ganz richtig 162 gewesen. Aber Sie vergessen, daß wir am Ende des neunzehnten Jahrhunderts leben. Seien wir etwas Realpolitiker. Daß Katzenbergs Vater viel Geld hat, läßt sich ja nicht leugnen; aber das ist vielleicht kein so großes Malheur, wie Sie es dargestellt haben. Katzenberg ist mit einem Worte der Mann der Situation, und Sie täten gut, sich damit abzufinden. – Übrigens ist es jetzt die höchste Zeit, daß wir aufs Landratsamt gehen.«

»Ja, zum Teufel! Es ist schon nach elf Uhr!« rief jemand.

»Ehe wir nicht da sind, wird doch nicht angefangen,« meinte der Ernsthöfer.

»Ja, aber vorher sollten doch noch die Gemeindeochsen bearbeitet werden.«

»Beruhigt euch! Das hat der kleine Katzenberg selber längst aufs beste besorgt.«

Man lachte, griff zu Hut und Mantel und eilte aufs Landratsamt.

Im Sitzungszimmer war bereits die größere Zahl der Kreistagsabgeordneten versammelt. Man stand in Gruppen beisammen; eine Viertelstunde wurde noch in scheinbar ungezwungener Unterhaltung verbracht. Kenner wußten, daß diese Frist benutzt wurde zu unauffälliger Arbeit: Die Parteien suchten für ihren Mann in aller Eile noch Stimmung zu machen.

Kriebow, der zum ersten Male in diesem Kreise war, bat den Ernsthöfer Tichow, ihn mit den Leuten bekannt zu machen.

Da waren die Vertreter der ländlichen Gemeinden: kräftige Gestalten mit einfachen Gesichtern und derben Arbeitsfäusten. Der Sonntagsstaat, den sie zu dieser Gelegenheit angelegt hatten, vermehrte noch die Steifheit ihres Behabens. Bei aller Biederkeit der Mienen 163 lag eine gewisse zurückhaltende Vorsicht in ihrem Wesen ausgeprägt. Sie sahen sich ihre Leute an; allen Respekt vor dem Junker, aber wenn der Edelmann höflich war, dann wollte er etwas von dem kleinen Manne, und da hieß es auf der Hut sein.

Vor einem Alten mit bedächtiger Bauernmiene stand der Langendammer und redete eifrig in ihn hinein. Der hörte mit vorgestrecktem Kopfe aufmerksam zu und sagte, als Malte schließlich in ihn drang, seinem Schützling die Stimme zu versprechen: »Dat 's so'n Sak! Ick will noch en Beten täuwen, ick warr mi de Sak man irst anseihn, Herr Majur!« – Malte fuhr ihn ärgerlich an, zum Überlegen sei jetzt keine Zeit; er müsse nunmehr wissen, was er wolle. Aber der Alte blieb dabei: »Ick warr mi de Sak man irst anseihn, Herr Majur!«

Dort stand einer wie eine Festung, umfangreich und unbeweglich: der alte Amtsrat Staberow von Domäne Kalsin, mit rotem Kopf und weißgelber Haarmähne. Die Hände auf dem Rücken, schimpfte er mit dröhnendem Organe über die niedrigen Getreidepreise, die auch in diesem Jahre wieder den Landwirt um sein sauer Erworbenes brächten. Neben ihm sah man einen jüngeren Mann mit scharfgeschnittener Physiognomie, dessen unruhig theatralische Gestikulationen stark gegen die eherne Ruhe des alten Staberow abstachen. Als der Grabenhäger herantrat, um sich durch Herrn von Tichow mit dem Amtsrat bekannt machen zu lassen, fuhr Isidor Feige dazwischen: »Ah, Herr Baron! Freue mich, Sie hier zu sehen! Darf ich die Herren bekannt machen: Herr von Kriebow auf Grabenhagen, Herr Amtsrat Staberow von Domäne Kalsin, der hervorragendste Landwirt des Kreises.«

164 »Muß der auch hier sein?« sagte der Grabenhäger im Weitergehen.

»Ich bitte Sie, wo wäre die Rasse heutzutage nicht! Mann bei der Stadt, unser Feige! Der hat hier manchen in der Tasche, von dem man's nicht denkt.«

»Zeigen Sie mir doch mal den Pröklitzer Merten!« sagte Kriebow zu seinem Führer. »Der Mann interessiert mich; man hört so viel von ihm.«

»Sehen Sie den großen Dicken dort, mit dem grauen Bart; Wieten redet ihn eben an.«

»Das ist der Pröklitzer?« –

Der Assessor rührte die Glocke und bat die Anwesenden, sich auf ihre Plätze zu verfügen. »Kommen Sie, Kriebow! Wir setzen uns möglichst zusammen,« sagte der Ernsthöfer.

Auf der Tagesordnung standen einige Punkte von geringer Bedeutung, die bald erledigt waren. Man war ungeduldig, möglichst schnell zu dem eigentlichen Zwecke der Tagung zu gelangen.

Als es soweit war, bat Assessor von Katzenberg die Versammlung, ihn vom Vorsitz zu entbinden, er sei bei dem nächsten Punkte persönlich interessiert und halte es daher nicht für schicklich, weiter als Vorsitzender zu fungieren; er ersuche den ältesten Kreisdeputierten, Herrn Kammerherrn von Witzing, statt seiner die Leitung zu übernehmen.

»Sehen Sie mal an!« flüsterte der Ernsthöfer seinem Nachbar zu. »Wie bescheiden der Kleine tut! Jetzt bin ich nur gespannt, wer ihn eigentlich vorschlagen wird.«

Ein kleiner, kahlköpfiger Mann erhob sich und bat ums Wort. »Der Gemeindevorsteher von Groß-Podar!« erläuterte Tichow.

Der Redner sprach wie einer, der eine Lektion 165 auswendig gelernt hat, gelegentlich aus dem Zusammenhange fallend und Sinnfehler machend. Er schlug vor: es möge auf Wahl verzichtet werden, da die Anwesenden den bisherigen Landratamtsverweser, den Herrn Regierungsassessor von Katzenberg, ja alle kennten. Der Herr Assessor sei ein ausgezeichneter Mann und meine es gut mit dem Kreise und vor allem mit den Bauern und dem kleinen Manne. Er sei leutselig und herablassend, ebenso wie sein Vater, der Herr Kommerzienrat, den sie jetzt in seinem Dorfe die Ehre hätten als Gutsherrn zu haben. Einen besseren Mann könne sich der Kreis nicht wünschen; in der kurzen Zeit seiner Amtsverwesung habe er sich die Herzen aller Kreiseingesessenen in Stadt und Land gewonnen. Er beantrage daher: einmütig den Herrn Regierungsassessor zur Ernennung vorzuschlagen. –

»Von Katzenberg selbst eingefuchst!« tuschelte der Ernsthöfer dem Grabenhäger ins Ohr.

»Ich fange wirklich an, Klaven recht zu geben,« erwiderte der Grabenhäger.

»Sie werden doch nicht etwa abtrünnig werden, Kriebow?«

Inzwischen hatte der Bürgermeister das Wort ergriffen; auch er sprach für den Regierungsassessor. Er schlug Akklamation vor, da ja, wie's scheine, erfreuliche Einmütigkeit der Wünsche herrsche.

»Akklamation ist beantragt!« – rief der Vorsitzende. »Hat jemand dagegen etwas einzuwenden?«

»Ich bin dagegen!« ertönte eine sonore Stimme, und der Pröklitzer Merten erhob sich. »Ich beantrage, Herrn von Klaven auf Ragatzin vorzuschlagen.« Dann fuhr er fort: es widerstrebe ihm, Herrn von Klaven ähnliche Lobsprüche anzuhängen, wie es die Vorredner 166 bei ihrem Kandidaten getan hätten. Er wolle nur eines sagen: der Ragatziner sei ein Kind des Kreises. Die Klavens seien eine der ältesten Familien der Gegend. Er wisse kein besseres Lob für seinen Freund, Herrn von Klaven, als daß er ein Edelmann sei vom Scheitel bis zur Sohle. Er halte es einfach für einen Akt der Gerechtigkeit, dem Ragatziner das Landratsamt zu übertragen.

Dem Grabenhäger schlug das Herz höher bei Mertens kurzer Rede. Er sah sich nach seinen Standesgenossen um; empfanden sie denn nicht auch, daß die Auffassung dieses Mannes hier die vornehmere sei? War es denn nicht eine Schmach, daß ein Bürgerlicher aufstehen mußte, ihnen das zu sagen? –

Aber die saßen da mit feindlichen Mienen: eisiges Schweigen hatte Mertens Worte begleitet. »Nun erst recht wird's Klaven nicht!« sagte der Purgaster Merrwitz so laut, daß es die Nachbarn verstehen konnten, »einen Landrat von Herrn Mertens Gnaden mögen wir nicht.«

Nie in seinem Leben hatte der Grabenhäger lebhafter bedauert, daß ihm die Gabe versagt war, öffentlich zu sprechen. Er hätte in diesem Augenblicke aufspringen mögen und seinen Leuten eine donnernde Rede halten. Aber er kannte sich darin nur zu gut: je stärker man so etwas fühlte, desto fester schnürte es einem die Kehle zu; das in wohlgesetzte Worte zu fassen, war unmöglich! Aus seiner Rede wäre doch weiter nichts geworden als unklares, hilfloses Gestammel.

Der Vorsitzende fragte, ob noch weiter das Wort erbeten werde. Da sich niemand meldete, ließ er abstimmen. Für Klaven erhob sich Merten und einige wenige Abgeordnete der ländlichen Gemeinden. Ihnen gesellte sich der Grabenhäger zu.

167 »Setzen, Kriebow!« riefen ihm die Nachbarn zu. »Mißverständnis! Wer für Klaven ist, soll aufstehen.«

Der Grabenhäger blieb stehen. »Ich bin für Klaven!« sagte er.

»Kriebow verrückt geworden!« – hörte man Maltes knatterndes Organ durch alles durch.

»Also abgelehnt gegen eins, zwei, drei, vier – fünf Stimmen,« zählte der Vorsitzende aus.

Man wartete kaum den Schluß der Sitzung ab; noch während das Protokoll beendet wurde, lief alles zu Katzenberg, um ihn zu beglückwünschen.

Der Grabenhäger hatte einen schweren Stand gegen seine Freunde. Sie warfen ihm »Fahnenflucht« vor.

»Kriebow, Sie möchten mal zum Grafen kommen!« richtete ihm der Ernsthöfer aus. »Passen Sie auf, jetzt kriegen Sie Ihren Schuß!«

»Was machen Sie denn für Geschichten?« rief ihm Graf Wieten entgegen, den Kriebow zum ersten Male in seinen Leben ungnädig sah. »Order parieren, mein Lieber! – Abgemachte Sachen gelten!«

»Ja, ich weiß nicht, Herr Graf, es ging mir einfach gegen den Strich . . . .«

»Ach was! – Wenn jeder seinem Kopfe folgen will, dann kommen wir zur Anarchie. Glücklich hatten wir hier die kleinen Leute so weit, daß sie nicht mucksten, und da kommen Sie und geben solch ein Beispiel. Schämen Sie sich was, Kriebow! Das hätte ich vom Sohne Ihres Vaters nicht erwartet.«

In noch gröberer Tonart gab ihm Malte seine Unzufriedenheit zu erkennen: ob ihn der Teufel reite? Mit Merten Pröklitz zu stimmen! – Dazu hätten sie ihn nicht in die Kreisversammlung gewählt, daß er solche Eseleien losschieße. –

168 Kriebow vermochte solche Vorwürfe nicht allzu tragisch zu nehmen. Das Bewußtsein, recht gehandelt zu haben, half ihm über alle Unlust hinweg. Gern hätte er noch Klaven die Hand gedrückt und ihm sein Beileid ausgesprochen über das, was ihm heute widerfahren war. Aber als er im »Elefanten« nach dem Ragatziner fragte, erfuhr er, daß der soeben mit dem Pröklitzer von dannen gefahren sei.

 


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