Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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XXIX.

Der Grabenhäger erhielt eines Tages aus Langendamm von Major von Pantin einen Brief unter: »streng vertraulich«. Man wurde in dem Schreiben aufgefordert, an einem bestimmten Tage vormittags nach Langendamm zu kommen, Major von Pantin wünsche mit einigen Nachbarn über gewisse für sie alle wichtige Fragen zu konferieren; das Ganze sei als eine »vertrauliche Vorberatung« gedacht.

Kriebow wußte nicht recht, was er daraus machen sollte; das klang ja ganz geheimnisvoll! Zur vorgeschriebenen Zeit fuhr er jedoch nach Langendamm.

Kurz vor dem Gutshofe holte er einen offenen Korbwagen ein, in welchem der Ernsthöfer Tichow saß. Kriebow rief ihn an. Tichow ließ halten.

»Fahren Sie auch nach Langendamm?«

»Jawohl!«

493 »Wissen Sie, was wir dort sollen?«

Der Ernsthöfer gab durch ein Zeichen zu verstehen, daß er des Kutschers wegen nicht antworten könne, dann stieg er ab. Der Grabenhäger folgte seinem Beispiel. Man trat ein paar Schritte von den Wagen weg.

»Was hat denn Malte eigentlich vor?« fragte Kriebow.

»Die soziale Frage will er lösen.«

»Nanu! Wie soll denn das gemacht werden?«

»Furchtbar einfach denkt er sich's! Wir Grundbesitzer der Gegend sollen uns zusammentun. Die Löhne müssen erniedrigt, das Deputat verringert werden. Das ist eines. Und dann will er schärfere Maßregeln haben gegen den Kontraktbruch. Es sind ihm neulich, glaube ich, ein paar Kerls weggelaufen. In Langendamm soll es überhaupt toll zugehen neuerdings. Ich habe es nur vom Landrat, der sagte mir: Maltes Tagelöhner hätten revoltiert, und er habe die Revolte mit Hilfe der Gendarmerie niedergeworfen. Aber Sie wissen ja, was auf John Katzenbergs Reden zu geben ist; davon ist die Hälfte mindestens geflunkert.«

»Ja, was haben wir denn damit zu tun, in aller Welt?«

»Die Spitze der ganzen Sache wird wohl gegen Merten Pröklitz gerichtet sein; der ist ja von jeher Maltes ganze Wut gewesen, mit seinen Wohlfahrtsbestrebungen. Viel durchsetzen wird Pantin übrigens kaum. Bei den Pächtern und Amtsräten, kurz, bei allen Bürgerlichen hat Merten starken Anhang. Und ohne die ist doch nun mal nichts zu machen. In der Frage der Arbeiterlöhnung kriegt er die Gegend nimmermehr unter einen Hut. Das ist ja ganz schön gedacht, so ein Ring der Gutsbesitzer gewissermaßen, aber wenn 494 der irgendwo ein Loch hat, ist's auch nutzlos. Na, wir werden ja sehen!«

Man begab sich wieder auf die Wagen. Bald hielt man vor dem einstöckigen Langendammer Herrenhause. An der Türschwelle stand in bekannter Livree der alte Hanning, der die Ankommenden bat, sich in das Zimmer des Herrn Majors zu begeben.

Maltes Zimmer, das dem Grabenhäger so wohlbekannte – wie manche Quinze hatte man hier gespielt – hatte heute einen ganz offiziellen Anstrich. In der Mitte war ein langer Tisch aufgestellt, daran Stühle, vor jedem Platz lag Papier und Bleistift.

Der Raum war bereits voller Menschen: Grundbesitzer, Pächter, die ersten Landwirte der Gegend. Von den angeseheneren Leuten fehlten nur Merten und Graf Wieten.

Neben dem Hausherrn sah man einen stehen, dessen Anwesenheit viel bemerkt wurde: Kommerzienrat von Katzenberg. Major von Pantin stellte rechts und links den »neuen Nachbar« vor.

Kriebow wollte Herrn von Katzenberg mit einer Verbeugung abmachen, der Kommerzienrat aber ließ das nicht zu. Er bekam des Grabenhägers Hand zu fassen und versicherte ihm, wie sehr er sich freue, ihn so gesund und guter Dinge wiederzusehen. Nächster Tage werde er auch in Grabenhagen mit seinen Damen Aufwartung machen, denn sie hätten nunmehr in Groß-Podar Einzug gehalten.

Kriebow machte sich möglichst bald von ihm los und sah sich nach seinen Bekannten um. Er traf auf Klaven.

»Sie auch hier, Herr von Klaven!«

»Ja, es ist eigentlich Zeitverschwendung,« erwiderte der Ragatziner, »zumal ich heute Rapsernte habe.«

495 Major von Pantin war inzwischen an das schmale Ende des Tisches getreten und bat die Herren, Platz zu nehmen.

Zunächst dankte er den Nachbarn für ihr zahlreiches Erscheinen. Der Zweck ihres Zusammenkommens sei eine Kalamität, unter welcher der ganze Stand der Landwirte, und jeder einzelne von ihnen, schwer zu leiden habe: nämlich die Not mit den Leuten!

Dann berichtete er seine letzten Erfahrungen, wie die Arbeiter versucht hätten, sich gegen ihn aufzulehnen. Das sei doch ein warnendes Beispiel! Beizeiten müsse Front gemacht werden gegen die unverschämten Forderungen dieser Klasse. Geschehen müsse etwas, sonst werde eines Tages den Grundbesitzern das Fell noch gänzlich über die Ohren gezogen. Schon jetzt fehle ja nicht viel daran, daß die Tagelöhner besser lebten als die Herren – Herr von Pantin belegte das mit einigen Beispielen aus der Praxis –; ein Wunder sei es dann nicht, wenn die Kerls der Hafer steche. Ihr Übermut sei ja künstlich großgezogen worden. Wenn eines jeden Ochsenknechts oder Schweinefütterers Stimme bei der Wahl ebensoviel zu bedeuten habe wie die seines Herrn, müßten denn dann die Leute nicht den Größenwahn bekommen? Und nun gebe es auch noch zum Überfluß Menschen, die in ihren Büchern und Zeitungen schrieben: Dem Landarbeiter gehe es schlecht. Die sollten nur gefälligst mal herauskommen aus ihren Studierstuben und selbst mal wirtschaften, da würden sie schon merken, daß es gerade umgekehrt sei. Solchen Herren könne man aber eher noch verzeihen, was sie für Unsinn ausheckten; das seien unpraktische Gelehrte! Aber wenn die Grundbesitzer selbst anfingen, ihre Kerls auf unzufriedene Gedanken zu bringen, sie verwöhnten, 496 ihnen Paläste von Katen bauten, sie mit Land dotierten und was solche Tollheiten mehr wären, dann höre alles auf. Was sei die erste Folge davon? Die Arbeiter in der ganzen Gegend wollten es natürlich auch so haben, den Nachbarn würden, mit einem Worte, die Preise verdorben. –

Wen er meine, brauche er ja gar nicht erst zu sagen. Sie wüßten alle, was in Pröklitz vorgehe. Es könne ja schließlich jeder experimentieren, soviel er wolle, wenn es sich um künstlichen Dünger oder um Maschinen handle; aber sobald er andere damit schädige, werde er gemeingefährlich, und dann müsse eingegriffen werden. Das sei hier der Fall.

Man müsse sich dagegen zusammentun. Gemeinsames Vorgehen! – Der einzelne könne natürlich nichts ausrichten. Allgemein müsse das geschehen. Er denke sich das etwa so, daß sie sich einigten über einen bestimmten Lohnsatz, wer darüber hinaus zahle, müsse Konventionalstrafe geben. Den Tagelöhnern müßten die Arbeitskontrakte verschärft werden, nicht wie es jetzt sei, dürften sie fordern. Und wenn alle Herren das täten, und wenn dann noch der Kontraktbruch unbarmherzig geahndet würde, dann müßte es mit dem Teufel zugehen, wenn sie nicht der Gesellschaft die Preise diktieren könnten.

Er zweifle keinen Augenblick daran, daß sie sich heute darüber einigen würden. Der Großgrundbesitz sei durch die Besitzer in Person oder durch die Pächter beinahe vollzählig vertreten; auch von den Domänen sehe er erfreulicherweise Herren hier. Der Herr Landrat habe natürlich nicht kommen können, aber im Geiste sei auch er auf ihrer Seite, wie ja schon die Anwesenheit seines Vaters, des Herrn Kommerzienrats von Katzenberg, zur Genüge beweise. Und Graf Wieten 497 habe geschrieben: er würde gekommen sein, wenn ihn nicht eine wichtige Sitzung in Berlin hielte. Die Herren sähen also, daß alle gutgesinnten, anständigen und einflußreichen Leute auf ihrer Seite stünden. Es gelte also eigentlich nur noch, sich darüber schlüssig zu werden, wie man die Sache ins Werk setzen wolle. –

Major von Pantin hatte seine Rede zum größten Teile aus einem Manuskript vorgelesen. Den Klemmer auf die krumme Nase gequetscht, mit langausgedrehtem Schnurrbart stand er da, eine Hand in der Hosentasche, mit der anderen das Papier von sich abhaltend. So las er mit erhobener Stimme, als habe er es mit einer Volksversammlung und nicht mit den zwei Dutzend Nachbarn zu tun, die seiner Einladung gefolgt waren.

Offenbar war Malte nicht wenig stolz auf seine Leistung. Während der Vorlesung ließ er nach jedem besonders gepfefferten Satze eine Pause eintreten und blickte über seinen Klemmer hinweg auf die Hörer, um den Eindruck seiner Worte zu genießen. Man war eher verdutzt als erbaut durch seinen Vortrag; nur der Kommerzienrat hatte ihm mehrfach Beifall zugenickt.

Als der Redner geendet und nun aufforderte, man möge sich zu dem Gehörten äußern, antwortete ihm allgemeines Schweigen. Dann sagte der Kommerzienrat, er wolle sich ein paar Worte zu dieser Frage erlauben.

»Herr von Katzenberg auf Groß-Podar hat das Wort!« rief Malte so laut, als müsse er das Getöse eines Parlaments übertönen; dann setzte er sich.

Katzenberg senior sprach fließend, mit leicht arrogantem Lächeln um den breiten Mund; seine gelblichen, stark beringten Finger spielten an der goldenen Kette, die ihm über die weiße Weste hing.

Er meinte: die Anwesenden würden ihm vielleicht 498 nicht das Recht zugestehen, über diese Fragen mitzusprechen als Nichtfachmann; aber wenn auch nicht Landwirt von Profession, so sei er doch Grundbesitzer, ja er dürfe vielleicht sagen: Großgrundbesitzer. Ein jetzt häufig geschmähter Titel, den führen zu dürfen er sich jedoch zur hohen Ehre rechne.

»Bravo!« rief Malte dazwischen und sah sich herausfordernd um.

»Als Großgrundbesitzer also erlaube ich mir hier mitzureden,« fuhr der Kommerzienrat fort mit einer Verbeugung nach dem Hausherrn hin. »Wie Sie wissen, habe ich verpachtet; aber das ist kein Grund, warum ich für diese Fragen nicht ein tiefgehendes Interesse hegen sollte. Denn die geschilderten Gefahren bedrohen uns alle gemeinsam, nicht bloß das Gewerbe des Landwirtes. Mit der Unbotmäßigkeit und der Begehrlichkeit der niederen Klassen hat der Großindustrielle, jeder Unternehmer überhaupt, ebenso zu kämpfen wie der Besitzer eines Rittergutes oder wie ein Pächter. Unter dieser Kalamität leiden wir, die wir den oberen Zehntausend angehören, alle, in Stadt wie Land. Die Interessen aller besser Situierten sind überhaupt solidarisch. Im Angesicht des Ansturms, der uns von dort droht, sollten alle Gegensätze des Berufes zwischen den Besitzenden aufhören; das ist meine Ansicht!«

»Hört, hört!« rief Malte. »Ganz meine Meinung!«

Wieder eine Verbeugung des Redners nach Herrn von Pantin hin; dann fuhr er fort: »Woher, meine Herren, stammt der Notstand in der Landwirtschaft, warum rentiert dieses Gewerbe neuerdings so wenig? Ich bin zu einem ganz ähnlichen Resultat gekommen, wie mein geehrter Vorredner, Herr von Pantin: Der landwirtschaftliche Unternehmer arbeitet deshalb zu teuer, 499 weil er von seinem Verdienste zu viel abzugeben hat, mit einem Worte, weil die Löhne, die er zu zahlen hat, zu hoch sind. Bei jedem Geschäfte, in jedem anderen Gewerbe, ist es doch so, daß der Unternehmer auch den Löwenanteil bezieht vom Gewinn. Dieser Grundsatz steht fest; wenn er jemals umgestoßen werden sollte – was Gott verhüte –, dann wäre es aus mit der Blüte von Handel und Industrie. Ich frage Sie nun: Warum soll das, was überall anders gilt, nicht auch bei uns in der Landwirtschaft Geltung haben?

Wird Ihnen, frage ich Sie, meine Herren, die Sie alle Landwirte sind, gebührender Lohn für den Fleiß, die Intelligenz, die Kenntnisse, die Sie täglich und stündlich in das Geschäft stecken? Wird uns unser Risiko entsprechend entschädigt? – Ich glaube, Sie werden mir alle mit »nein« antworten. Und woran liegt das? Es liegt einzig und allein daran, daß wir zu viele Mitesser haben. Bedenken Sie doch nur mal den Schwarm von Leuten, die man durchzuschleppen hat. Es sind ja nicht bloß die Männer, nein, die ganze Familie liegt Ihnen auf dem Beutel, Jahr ein, Jahr aus. Um nichts braucht sich solch ein Tagelöhner zu kümmern; Wohnung, Nahrung, Heizung trägt der Herr. Was bleibt denn dann noch übrig? Ich frage Sie, wo in aller Welt hat denn das ein anderer Stand? – Und was leisten die Leute dafür? Sie arbeiten, nun ja! Aber ist ihre Arbeit etwa so furchtbar aufreibend oder ungesund? Den ganzen Tag in frischer Luft; das konserviert doch! Und für das Alter haben Sie dann die Rente, von der der Herr natürlich auch wieder den größten Teil eingezahlt hat. – Und dazu sind diese Art Leute häufig auch noch faul, stehlen und machen der Herrschaft sonst Schaden. Da 500 ist es natürlich kein Wunder, wenn die Brotherren nicht prosperieren.«

»Sehr wahr!« rief Malte. Und diesmal stimmten auch einige andere Hörer beifällig zu.

»Meine Herren, ich bin der letzte, der mittelalterliche Zustände wieder heraufbeschwören möchte; aber das muß man den patriarchalischen Zeiten nachsagen: Damals herrschte Zucht und Ordnung, da waren Herren Herren und Knechte Knechte. Und heutzutage möchte jeder Lausejunge den Herrn spielen!«

Wieder Beifall.

»Meine Herren, vor allem wollen wir praktisch sein. Erst kommt der Unternehmergewinn, dann alles andere. Wer mehr ausgibt als er hat, den nennen wir unsolid; aber auch wer seine Arbeiter über Gebühr lohnt, so daß ihm selbst kein Profit bleibt, ist zum mindesten ein schlechter Geschäftsmann. Und wenn es hier in der Gegend, wie ich höre, einen Herrn gibt, der dies in der Absicht tut, den Nachbarn die Preise zu verderben, so muß ich ein solches Vorgehen als frivol bezeichnen.«

»Das ist endlich einmal der richtige Name für Mertens Tun!« sagte Malte.

»Noch ein kurzes Wort, meine Herren!« fuhr der Kommerzienrat fort. »Wenn Sie mich fragen: »Was sollen wir in unserer Bedrängnis tun? Dann antworte ich Ihnen: Vor allem nicht sentimental! Das hier sind Lebensfragen; da darf man sich den Luxus, gefühlvoll zu sein, nicht leisten. Hier handelt es sich darum: Wer soll oben bleiben! Blicken Sie auf die Industriellen! Die setzen den strikenden Arbeitern einfach den Daumen aufs Auge. Wohin würde man auch mit Nachgeben kommen! – Das, meine Herren, 501 sind die Gesichtspunkte, die allein Ihnen zum Siege verhelfen können.«

Hiermit setzte sich der Kommerzienrat. Seine Worte waren nicht ohne Eindruck geblieben. Major von Pantin schüttelte ihm die Hand und rief in die Versammlung: Nun wüßten sie doch endlich einen Kandidaten für die nächste Reichstagswahl. Die Pächter nickten einander zu, und Amtsrat Staberow von Domäne Kalsin meinte: Da sei viel Wahres daran, an dem, was der Herr geäußert habe.

Erich von Kriebow blickte unwillkürlich nach dem Ragatziner hinüber, was der wohl für ein Gesicht mache.

Klaven hatte während der Rede des Herrn von Katzenberg mit gesenktem Haupte dagesessen und weder ein Zeichen des Beifalls noch des Mißfallens zu erkennen gegeben. Nur seine zusammengezogenen Brauen ließen vermuten, daß er unzufrieden sei.

Klaven meldete sich zum Wort. Er konnte, was Redefluß und Glätte anbelangte, nicht mit dem Vorredner verglichen werden. Er suchte nach Worten und begleitete seine Rede mit ungelenken und wenig sinnentsprechenden Handbewegungen.

Klaven meinte: Herr von Katzenberg habe vorhin das patriarchalische Zeitalter erwähnt. Er habe nichts Ungünstigeres für seine eigenen Behauptungen anführen können als gerade das; denn das Eigentümliche der patriarchalischen Zustände sei das Verhältnis der Treue gewesen, das zwischen Herr und Knecht bestanden habe. Aber aus dem, was der Herr Kommerzienrat gesagt habe, starre einem nichts anderes entgegen als der durch den Kapitalismus großgezogene Geist der Ausbeutung, eiskalt wehe einem daraus der Egoismus des modernen Unternehmertums entgegen.

502 »Oho!« rief Malte, »oho!« Etwas Besseres wußte er bei dem Erstaunen, das ihm Klavens unerwartetes Auftreten verursachte, nicht zu sagen.

»Herr von Katzenberg hat gemeint,« fuhr Klaven fort, »wir Landwirte könnten manches von den Industriellen lernen. Kann sein, in der Technik gewiß! Aber ich fürchte, der Herr hat mit seinem Rate: wir sollten praktischer werden, ganz etwas anderes gemeint. Gern will ich dem recht geben, der mir sagt: Wir verstünden in der Landwirtschaft den Menschen noch nicht genügend auszunutzen. Hierzulande verstehen wir das wenigstens, Gott sei Dank, noch nicht, und hoffentlich werden wir es auch niemals erlernen. Wir haben noch Güter, wo nicht bloß der kahle Geldkontrakt Herrschaft und Tagelöhner zusammenhält, sondern wo auf der einen Seite treue Ergebenheit, auf der anderen ebenso treue Fürsorge zu finden ist. Mag sein, daß dieses Verhältnis sich in neuerer Zeit gelockert hat, daß die Arbeiter begehrlicher geworden sind, ja, daß sie an manchen Stellen mit unverschämten Forderungen auftreten. Herr von Pantin hat uns von Unbotmäßigkeit, Auflehnung und Strikegelüsten seiner Leute erzählt. Meine Herren, ich wirtschafte seit zehn Jahren unter schwierigen Verhältnissen; ich habe meinen Leuten nicht immer das geben können, was ich ihnen hätte geben mögen, aus dem einfachen Grunde, weil ich es selbst nicht hatte. Aber am Ziehtage werden Sie die Ragatziner Leute nicht auf der Landstraße getroffen haben. Und ich habe Leute in meinem Dorfe, von denen nachweisbar schon die Urgroßeltern im Dienste meiner Familie gewesen sind. Da sehen Sie, daß es noch einen anderen Kitt gibt in solchen Verhältnissen als nur das Geld. – Ich leugne nicht, daß es Schwierigkeiten gibt mit 503 den Leuten. Ich gehe weiter: Es ist ein Notstand, vielleicht der größte, den wir haben. Die Frage ist nur: Wer trägt die Schuld daran, daß es so geworden ist? Major von Pantin sagt: die moderne Gesetzgebung. Ich sage: jeder Herr hat die Leute, die er verdient! Pflichten haben wir gegen unsere Leute, nicht bloß Rechte. Wenn Sie sehen wollen, wie man sich einen tüchtigen Tagelöhnerstand schafft, dann gehen Sie nach Pröklitz zu Merten, auf dessen Bestrebungen vorhin das Wort ›frivol‹ angewendet wurde. Aber ich brauche meinen Freund Merten nicht zu verteidigen; solche Angriffe fallen auf den zurück, der sie schleudert. Frivol ist in meinen Augen der Rat, den Leuten ›den Daumen aufs Auge zu setzen‹. Wenn wir anfangen wollten, solche Prinzipien bei uns einzuführen, dann wäre es mit Recht aus mit uns und unserer Autorität. Die Landwirtschaft ist ein lebender Organismus, nicht eine tote Maschine. Wir können nicht, wie es vielleicht andere mit Erfolg tun, den Menschen herabdrücken zu einer Ziffer. Um ein rechter Gutsherr zu sein, muß man freilich noch etwas mehr können, als sich aufs Rechnen allein verstehen. Der Unternehmergewinn mag dem als die Hauptsache erscheinen, der gewöhnt ist, jede Sache daraufhin zu taxieren, welcher Profit dabei herausspringt. Ich habe von meinem Berufe eine höhere Auffassung. Wie Sie alle wissen, bin ich kein Krösus; aber wenn es dahin käme, daß ich vor die Wahl gestellt würde, mein Ragatzin zu verlieren oder meinen Leuten den Verdienst zu schmälern, dann soll man mir eher das Bitterste antun, was mir widerfahren könnte, dann mag man mir den Grund und Boden nehmen, den ich ererbt habe.

So! Das ist das, was ich zu bemerken habe. Und jetzt« – dabei sah er nach der Uhr – »gestatten 504 Sie mir, mich zu entfernen, Herr von Pantin. Ich möchte heute noch meinen Raps hereinbringen.«

»Unsinn!« sagte Malte. »Erst müssen Sie doch meine Vorschläge anhören. Sie werfen mir ja alles über den Haufen, Klaven! Der Herr Kommerzienrat steht auch noch auf der Liste.«

Klaven zuckte die Achseln. »Was ich zu sagen hatte, habe ich gesagt!«

»Daß Sie mir hier Opposition machen sollten, dazu habe ich Sie nicht eingeladen, Klaven,« rief ihm Malte in ärgerlichem Tone nach.

»Herr von Klaven scheint die Erwiderung des Gegners nicht vertragen zu können,« sagte der Kommerzienrat mit spöttischem Lächeln.

»Darauf sollte es mir nicht ankommen, Herr von Katzenberg,« erwiderte Klaven, noch einmal umdrehend. »Aber als Landwirt liebe ich es nicht, leeres Stroh zu dreschen.«

»Kann jeder sagen! Sie wollen nichts lernen, Herr von Klaven!«

»Es gibt Fragen, Herr von Katzenberg, wo man nichts lernen kann, weil bei ihnen einfach das Gewissen entscheidet.«

Der Kommerzienrat schwieg, zum ersten Male auf den Mund geschlagen. Der giftige Blick, den er Klaven zuschoß, erinnerte Kriebow auf einmal lebhaft an den Sohn.

Der Grabenhäger begleitete Klaven hinaus. »Sie haben's dem alten Katzenberg gut gegeben.«

»Einmal mußte das heraus! Wenn ein Mann wie Malte auf abenteuerliche Ideen kommt, so ist das schlimm, aber man kann's doch erklären: Das Messer sitzt ihm eben an der Kehle, er greift schließlich nach jedem Strohhalme. Aber wenn solch ein Bursche, wie 505 dieser alte Kommerzienrat, der in der Wolle sitzt, uns Unterweisungen geben will, wie man seinen Leuten den Brotkorb höher hängen kann, da muß einmal dazwischen gefahren werden.«

Kriebow half ihm beim Anschirren seines Einspänners. Der Ragatziner hatte keinen Kutscher mitgenommen, um, wie er sagte, alle Leute in der Arbeit zu behalten.

»Wenn Sie noch hier bleiben, Kriebow,« meinte Klaven, als er auf dem Bocke saß und die Zügel in der Hand hatte, »dann sorgen Sie nur dafür, daß niemand auf den Unsinn hereinfällt, den Malte vorhat; es wäre wirklich schade, wenn sich jemand dazu einfangen ließe.«

Damit fuhr er auf seinem korbgeflochtenen Wägelchen ab.

Kriebow ging wieder ins Haus. Er fand, daß Klavens Sorge grundlos gewesen war. Malte hatte seine Vorschläge über Verschärfung der Arbeitskontrakte vorgetragen, aber mit Ausnahme Katzenbergs stimmte ihm niemand bei. Sie standen noch alle unter dem Eindrucke von Klavens Worten. Und auch der Kommerzienrat fand keinen Beifall, als er noch einmal sprach.

Major von Pantin, der zu begreifen anfing, daß er ins Leere geschossen habe. rannte mit rotem Kopfe umher und drang in die einzelnen, sie sollten Vernunft annehmen.

»Ja, ja, Herr Majur, dat 's allens ganz recht!« meinte der dicke Pächter Puhlmann, der nur mit Mühe das Hochdeutsche sprach, »aber Herr von Klaven hat auch recht, wi möten unsere Dagelähners nich in Stiche lassen.«

Und Amtsrat Staberow erklärte: »Ja, und was Merten einmal zu mir gesagt hat, ist auch nicht so 506 uneben: ›Wer seine Leute schlecht bezahlt, das ist gerade, als ob einer dem Vieh das Futter wegstiehlt‹, sagte Merten zu mir, und der hat's doch zu was gebracht. Ne, da kommt nichts bei raus, da lügt man sich nur in den Beutel.«

Daß nun auch noch gar der Pröklitzer gegen ihn ins Feld geführt wurde, schlug bei Malte dem Faß den Boden aus. Er warf wütend sein Manuskript auf den Tisch und erklärte: Die Herren könnten ihm gestohlen werden, er habe ihnen mehr Verstand zugetraut.

Man nahm ihm diese Äußerungen seines Unmuts nicht allzu übel; Malte hatte nun mal das Vorrecht, grob zu sein.

Einer nach dem anderen der Nachbarn kam zu ihm, schüttelte ihm die Hand und bat, nun fort zu dürfen, da er zu Haus zu tun habe.

Und zu alledem stand draußen Sekt kalt, und ein Frühstück war angerichtet für die Nachbarn. Malte hatte geglaubt, er würde heute einen großen Triumph erleben, der gebührend begossen werden sollte.

Nun war das Frühstück mitsamt dem ganzen schönen Plane ins Wasser gefallen.

 


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