Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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V.

Es war Klara gelungen, in geräuschloser Tätigkeit dem Grabenhäger Hause eine neue Physiognomie zu geben. Dabei war eigentlich nicht viel von seinem Platze gerückt worden. Die Dienstboten waren williger und zufriedener, es ging geordneter zu und anmutiger. 107 Etwas von dem Wesen der neuen Herrin schien sich unvermerkt Dingen und Menschen mitgeteilt zu haben.

Kriebow fand, die Wirtschaft gehe wie am Schnürchen. Er habe ja gar nicht geahnt, meinte er, was für ein praktisches Frauchen er besitze. Wie schnell sie sich eingerichtet hatte! Hier oben sei doch eine ganz andere Art Haushalten Mode als in ihrer Heimat. Wo sie das her habe? er begreife es nicht!

Die junge Frau lächelte nur; zu erklären vermochte sie ihm das nicht. Als Mann konnte er das natürlich schwer begreifen. Einem Haushalte vorstehen, das ließ sich freilich nicht erlernen, wie eine Wissenschaft oder ein Handwerk. Dazu mußte man Beruf haben in sich; besaß man den aber, dann konnte man ihn ausüben, überall.

Trotzdem es jetzt anfing im Hause behaglich zu werden, mußte man viel auswärts sein. Mit den Antrittsbesuchen in der Nachbarschaft war man fertig; die Gegenbesuche waren auch bereits erfolgt. Nun kamen die Einladungen ins Haus geregnet. Man war so ziemlich durch mit diesen Anfeierungen, von denen eine der anderen sehr ähnlich war: dieselben Menschen, dieselben Gerichte, dieselben Toaste und auch Gespräche.

Nun galt es, die genossene Gastfreundschaft erwidern. Da war mancherlei zu erwägen und zu beraten, vor allem, wen man zusammen einladen solle; denn jeder paßte nicht zu jedem. Da waren zum Beispiel die Hagentiner Selows, die vertrugen sich nicht mit den Ernsthöfer Tichows, weil sich die Männer wegen der Jagd verfeindet hatten. Sodann war die wichtige Frage des Menus. Die ersten Diners, die man gäbe, erklärte Kriebow seiner Frau, seien von größter Wichtigkeit, denn nach ihnen werde ein neuer Hausstand eingeschätzt. Er wünsche, daß das alte gute 108 Renommee der Grabenhäger Gastfreundschaft auf keinen Fall Schaden leide.

Während man noch mitten in solchen Erwägungen stand, kam ein Brief aus Berlin, der den Grabenhäger in einige Aufregung versetzte. Ein Graf Ingelsbrunn meldete seinen Besuch in Grabenhagen an. Ludwig Graf von Ingelsbrunn war ein Neffe des alten Grafen Wieten. Er würde nach seines Onkels Tode voraussichtlich einmal die großen Wietenschen Besitzungen erben.

Graf Ingelsbrunn war um einige Jahre älter als Erich von Kriebow. Er hatte als Diplomat ein gut Stück Welt gesehen. Jetzt war er übrigens in Berlin beim Auswärtigen Amt beschäftigt. Sein Onkel Wieten hatte das veranlaßt, weil er den Neffen wiedermal etwas unter Kontrolle nehmen wollte; der hatte ihm im Auslande zu viel Geld verbraucht.

Des Grabenhägers nähere Bekanntschaft mit Graf Ingelsbrunn stammte von Wien her, wo beide – Ingelsbrunn als Botschaftssekretär, Kriebow als Militärattaché – der deutschen Botschaft angehört hatten. Dann hatte man sich wieder in Berlin getroffen. Der Graf war einer der elegantesten jungen Lebemänner, die Kriebow kannte. Feinschmecker der Kunst und des Lebens.

In seiner Abkunft war der Graf ein wenig international. In Paris hatte er seine Erziehung genossen. Dem Reichsdienst hatte er sich gewidmet auf Wunsch des Grafen Wieten, von dem seine Existenz abhing, und weil er später einmal durch die Wietenschen Besitzungen dem preußischen Herrenhause angehören sollte. Das Deutsch sprach er mit leicht österreichischer Färbung, seine Mutter war Ungarin; und Japan sei eigentlich 109 das einzige Land, in dem man leben könne, pflegte er zu behaupten.

Erich von Kriebow hatte in seiner Wiener Zeit eine unleugbare Bewunderung für diesen Mann gehegt, der für ihn in Sachen des Schicks geradezu Orakel war.

Als Kriebow, von der Hochzeitsreise zurückkehrend, mit seiner jungen Frau einige Tage in der Reichshauptstadt Aufenthalt nahm, gehörte auch Graf Ingelsbrunn zu den wenigen Auserwählten aus seinem Bekanntenkreise, die er mit Klara zusammenführte. Man hatte gemeinsam die Ausstellung besucht und dann soupiert. Bei dieser Gelegenheit war auch davon gesprochen worden, Graf Ingelsbrunn solle einmal nach Grabenhagen kommen; aber allzu ernst hatte der Grabenhäger selbst diese Einladung nicht genommen. Und als der Graf sich jetzt anmeldete, erschrak Kriebow ein wenig.

Ludwig Ingelsbrunn war ja einer der liebenswürdigsten Gesellschafter, die man sich denken konnte; aber man durfte sich doch auch nicht verheimlichen, wie verwöhnt er war. Womit solch einen Mann beschäftigen? – Vielleicht konnte man ihm etwas Jagd anbieten. Hühner waren noch genug übrig, und die Fasanenjagd war ja inzwischen aufgegangen. Auf den Rehbock konnte er auch gehen, falls er dazu Lust verspürte. Und schließlich, wenn man Malte Pantin ein gutes Wort gab, ließ der es zu, daß sie eine Pürschfahrt in den Langendammer Tannen unternahmen, wo es Damwild und Schwarzwild gab und sogar Edelwild wechselte. Unangenehm war es, daß zur Hühnersuche der Vorstehhund fehlte; denn der alte Hektor konnte nicht mehr als voll angesehen werden. Kriebow erkundigte sich und erfuhr, daß in einer nicht allzu entfernt gelegenen Oberförsterei ein rassiger Hund im zweiten 110 Felde ausgeboten wurde. Obgleich der Preis hoch war, griff er zu. Dann gab's ja auch noch das Jagdreiten; neulich hatte der Hetzklub seine erste Schnitzeljagd in dieser Saison geritten, und es war davon gesprochen worden, nächstens einen Fuchs aufzuspüren. Freilich war da die schwierige Frage: wie sollte er seinen Gast beritten machen? Bei Malte in Langendamm einen Schinder kaufen? Da war man sicher, betrogen zu werden. Schließlich entschied sich Kriebow für folgendes: er wollte seinem Gast die »Zigeunerin« lassen – obgleich er sich nur ungern von seinem Leibpferde trennte –, er selbst wollte sich auf ein altes Tier setzen, »Ralf«, ein ehemaliger Renngaul, der jetzt in Grabenhagen das Gnadenbrot hatte. Der Gaul sah noch gut aus, und wenn man seine Schwächen kannte, mochte man immer noch eine Parforcejagd auf ihm wagen; allerdings würde das möglicherweise Ralfs Ende sein, aber jedenfalls das eines alten Renners würdige Ende.

Das waren die Vorbereitungen auf das Kommen des Besuches nach außen hin; aber auch im Hause fand der junge Gutsherr es für nötig, mancherlei neu zu ordnen. Er verlangte auf einmal von Klara zu wissen, was für Vorräte da wären, ob es etwa nötig sei, noch einiges Besondere aus Berlin kommen zu lassen. Er ging selbst in das Zimmer, das der Graf bewohnen sollte, und ließ noch dies und das hineinstellen und ändern. Klaras gelegentliche Bemerkung, daß der Besuch doch mit dem vorlieb zu nehmen habe, was da sei, fand taube Ohren bei Erich. Es schien, als sei ihm auf einmal nichts mehr gut und elegant genug im eigenen Heim, seit sich dieser Freund angesagt hatte.

Und nun kam der Erwartete. Kriebow holte ihn mit den Füchsen an der Bahn ab. Er war erstaunt, 111 zu finden, daß der Graf keinen Gewehrkasten mitbrachte; er hatte ihm doch geschrieben, man wolle jagen. Graf Ingelsbrunn meinte: »Lieber Freund, die Schießerei ist ein fades Geschäft. Ich wollte Sie halt mal in Ihrer Häuslichkeit sehen. Wie geht's der Frau Gemahlin?«

Er war ganz der alte liebenswürdige Schwerenöter, wie ihn Kriebow von früher her kannte, zwanglos im Wesen, von jenem selbstverständlichen Anstand, dem ein gelegentliches Gehenlassen keinen Eintrag zu tun vermag. Er schickte sich in alles. Durch sein eigenes Wohlbehagen gab er den Wirten das angenehme Gefühl, daß bei ihnen alles prächtig sei.

Bei Tisch war die Unterhaltung lebhaft. Graf Ingelsbrunn zeigte sich als guter Anekdotenerzähler. Man war in bester Laune; bald war jene diskrete Stimmung zwischen den dreien hergestellt, wie sie nur möglich zwischen Menschen, die derselben gesellschaftlichen Sphäre angehören. Leicht fand sich Intimität ein zwischen Leuten, die durch keine schwerer wiegenden Banden aneinander gefesselt waren, als eine leichtgeknüpfte Freundschaft. Der Graf richtete in angeborener Galanterie seine Worte ausschließlich an die Dame des Hauses, und Klara, von seinem Wesen angeregt, ging mehr aus sich heraus, als es für gewöhnlich ihre Art war. Kriebow aber fühlte sich in dem Bewußtsein, daß sich alles so nett anließ, Klara gegenüber stolz auf den Gast und dem Gaste gegenüber stolz auf seine Frau.

Kriebow entsann sich, daß der Graf musikalisch sei; er bat ihn daher, sich ans Klavier zu setzen. Der Graf spielte Tänze und Märsche, einiges aus Opern, alles bunt durcheinander; schließlich gab er auch einige 112 Lieder zum besten. Seine Kunst würde vielleicht vor einer anspruchsvolleren Kritik nicht bestanden haben, aber sie trat ohne Prätensionen auf und erfüllte ihren Zweck, zu unterhalten.

Am nächsten Tage sollte es auf die Jagd gehen. Der Graf deprezierte zwar, aber der Hausherr hatte nun einmal über ihn verfügt; er bekam ein Gewehr in die Hand gedrückt, und bei wundervollem Wetter ging's hinaus. Graf Ingelsbrunn hatte behauptet, er sei auf Flugwild ein sehr mäßiger Schütze; es zeigte sich jedoch, daß er ausgezeichnet schoß. Der neue Hund machte sich nicht übel, die Strecke war gut; der Grabenhäger hatte allen Grund, zufrieden zu sein.

Am nächsten Morgen beim Frühstück, als der Hausherr von neuen Jagdplänen für den Tag sprach, erklärte der Graf, er habe sich gestern den Fuß wundgelaufen, im Strumpfe müsse eine Falte gewesen sein; er könne gar nicht daran denken, wieder hinauszugehen.

Die Sache war fatal! Was nun den ganzen Tag mit dem Menschen anfangen? Der Graf bat: »Lieber Freund, lassen Sie sich um Himmelswillen durch mein Malheur von nichts abhalten. Ich wäre untröstlich. Gehen Sie auf die Jagd! Ich bitte Sie darum. Geben Sie mir eine Zeitung, dann ist für mich gesorgt.«

Kriebow ging natürlich nicht auf die Jagd. Anstandshalber leistete er dem Gaste noch eine Stunde Gesellschaft, dann ließ er satteln und ritt aufs Feld hinaus.

Der Grabenhäger war verstimmt. Nicht nur, daß ihm sein Programm verdorben war, er glaubte dem Grafen die Geschichte mit der Falte im Strumpf nicht recht, das hätte er schließlich gestern schon merken müssen. Nein, das war eine Finte! entweder war der Brave 113 zu faul zum Rausgehen oder blasiert; die Jagd hier lohnte ihm wohl nicht!

Oder – – dem jungen Manne schoß alles Blut zum Kopfe, als ihm dieser Gedanke kam. Warum hatte ihn denn sein Gast so inständig gebeten, er möge hinausgehen? Wie, wenn alles das nur ein Vorwand war! – Unwillig verwarf er den Gedanken als seines Freundes und Klaras unwürdig. Aber die unsinnige Vorstellung kam wieder, wollte sich nicht abweisen lassen, wurde zur fixen Idee.

Graf Ingelsbrunns Vorleben, was er davon selbst gesehen und von anderen gehört hatte, fiel ihm mit einem Male ein. Des Grafen Abenteuer waren ganz ungewöhnlicher Art gewesen. Aus Alltagserfolgen, die einem Manne wie ihm leicht zugefallen wären, machte er sich nichts. Das Auserlesenste, ja das scheinbar Unmögliche nur reizte ihn.

Ein Gespräch tauchte in Kriebows Erinnerung auf, es war in Wien gewesen, unter Junggesellen; da hatte Ingelsbrunn die Behauptung aufgestellt und verfochten: die interessanteste Frau sei die verheiratete Frau, und zwar die sogenannte glücklich verheiratete Frau. Jungen Mädchen den Kopf zu verdrehen, das sei fad; der schwerste und darum lohnendste Erfolg winkte nur bei der Frau, der die Untreue eine ungekostete Frucht sei. –

Ganz deutlich fielen ihm jetzt diese Paradoxen ein. Damals hatte er eine gewisse Bewunderung empfunden für einen Mann, der sich eines so raffinierten Geschmackes rühmen durfte. Aber heute! –

Es überlief ihn siedend heiß. Wie hatte er sich nur einen solchen Roué zu Gaste bitten können! In ganz anderem Lichte erschien ihm jetzt die Liebenswürdigkeit seines Freundes, seine Anekdoten, seine 114 Schnadahüpfeln. Das war ja weiter nichts als der Versuch, Wohlgefallen zu erregen. Er wußte doch nur zu gut aus eigener Erfahrung, wie es gemacht wurde. Mit Harmlosigkeiten fing's immer an. Wenn er sich's recht überlegte, datierte Ingelsbrunns Interesse für Klara schon von Berlin her. Wo hatte er seine Augen gehabt! Schon damals hatte der Graf Klara den Hof gemacht. Und jetzt dieser Besuch in Grabenhagen war weiter nichts als die Verfolgung eines wohlvorbereiteten perfiden Anschlages.

Aber, wenn er an Klara dachte, erschienen ihm seine Besorgnisse geradezu lächerlich. Ja, es war frevelhafter Wahnsinn, sie überhaupt mit solchen Vermutungen nur von ferne in Verbindung zu bringen. Es war widerlich, es war abscheulich; er hätte sich selbst anspeien können dafür.

Und wieder, wenn er an den Grafen dachte und seine Theorien. – Mußte nicht ihre Reinheit einen solchen Menschen reizen? Und ihr mochte die Unerfahrenheit und Arglosigkeit in diesen Dingen zum Nachteil werden. Man konnte ja nie wissen! In Liebessachen war das Unwahrscheinlichste möglich.

Und mochte sein Verdacht noch so unbegründet sein, er wollte keinen Zweifel haben, keine Unruhe leiden müssen. Die Rolle seines Freundes Ulrich zu spielen, dazu war er doch nicht der Kerl! –

So ritt er denn spornstreichs nach Haus zurück.

Er fand den Gast genau so, wie er ihn verlassen, nämlich bequem im Lehnsessel zurückgelehnt, den wunden Fuß auf einem Stuhle liegend, seine Zigarette rauchend und in einem Buche lesend.

»Ihre Frau Gemahlin hat mir da was ganz Süßes gebracht, lieber Freund!« rief er dem Hausherrn 115 entgegen. »Gottfried Keller heißt der Mensch, die Leute von Seldwyla, prächtig, meiner Treu! das ist besser als die Zeitung, hat die Baronin gesagt. Scharmant von ihr, so an mich zu denken – was?« –

Er versenkte sich darauf wieder in die Lektüre, lachte gelegentlich laut auf, schlug sich aufs Knie und jodelte vor Vergnügen.

Kriebow blickte zum Fenster hinaus. Also Klärchen war bei ihm gewesen in seiner Abwesenheit, hatte sich mit ihm unterhalten, hatte für ihn gesorgt. Er zitterte und bebte und mußte an sich halten, daß seine Hände nicht Griffe machten, irgend etwas zu vernichten.

Bei Tisch wurde die ganze Zeit von dem Buche gesprochen. Der Graf schwärmte davon, und die junge Frau wußte auch mancherlei über ihren Lieblingsdichter zu sagen, während Erich, dem Keller fremd war, und den jedes Wort, das zwischen den beiden fiel, verdroß, stumm und mit düsterer Miene dabei saß. Graf Ingelsbrunn ließ sich das nicht anfechten, er tat, als merke er gar nichts, blieb in seiner jovialen Laune. Nichts war geeigneter, den Eifersüchtigen noch mehr in Verzweiflung zu bringen, als diese Unbefangenheit des Gastes, die er ihm als höhnende Impertinenz auslegte.

Klara war Erichs eigentümliches Wesen nicht entgangen; sie befragte ihn darüber, als sie abends mit ihm allein war.

Er schämte sich, ihr die Wahrheit zu sagen. Den klaren Augen seiner Frau gegenüber wollte sich der Verdacht nicht auf die Zunge wagen. Nein, es war wirklich zu ungeheuerlich; sie würde das gar nicht verstehen. Er durfte ihr damit nicht kommen. – Und so murmelte er etwas von Ärger, den er in der Wirtschaft gehabt habe.

116 Tags darauf das nämliche: Der Gast im Lehnstuhl mit seinem Buche, bei dem er sich köstlich zu unterhalten schien, der Hausherr ihm gegenüber Grillen fangend. Klärchen, die wie gewöhnlich ihren Hausfrauengeschäften nachging, kam hin und wieder mal, nach den Herren zu sehen. Dann empfing sie der Graf mit einem: »das ist halt zu prächtig, Gnädige! Das muß ich Ihnen vorlesen!« – und dann las er.

Kriebow sah in alledem nur Komödie. Auf diese Weise sollte er sicher gemacht werden. Aber der Herr Graf sollte sich doch getäuscht haben wenn er ihn etwa für harmlos hielt. Er blieb auf seinem Posten. Man würde ja sehen, wer es länger aushielt.

Als der Graf mit dem Buche fertig war, dehnte und streckte er sich voll Behagen, und meinte dann: »Wissen's, lieber Freund, es ist reizend bei Ihnen. Ausgezeichnet unterhalten habe ich mich, meiner Seelen! Aber ich habe eine große Bitte, lieber Freund, ich möchte Sie bitten, nehmen Sie mir's halt nicht übel, ich möchte Sie bitten: lassen Sie mich reisen. Sehen's, alles auf der Welt muß a End' haben und wenn's noch so schön wär'. Lassen Sie mich reisen, lieber Freund!«

Der Grabenhäger hatte eine dunkle Ahnung, daß die Worte des Grafen nicht frei seien von Ironie; aber in diesem Augenblicke war ihm das äußerst gleichgültig. Der Mensch wollte reisen; ihm fiel ein Stein vom Herzen.

Von dem Momente an war seine schlechte Laune wie weggeblasen; er war der liebenswürdige Wirt von zuvor. Auch dem Grafen schien sein Fuß jetzt keine großen Schmerzen mehr zu bereiten; er konnte wieder gehen und stehen. Man verlebte noch einen gemütlichen Abend.

117 Der Zug, mit dem Graf Ingelsbrunn nach Berlin zurück wollte, ging am Vormittag. Vorher wolle er noch einige Aufnahmen machen, erklärte der Graf, er habe seinen Apparat mitgebracht. Er bat Klara, Haube und Schürze anzulegen, so und nicht anders wünschte er sie festzuhalten.

Kriebow brachte ihn zur Bahn. Er ließ Franzen fahren, um sich mit dem Scheidenden besser unterhalten zu können. Man hatte von alten Geschichten gesprochen, gemeinsame Erlebnisse waren aufgewärmt worden. Zwischendurch schwieg Graf Ingelsbrunn, er war auf einmal nachdenklich geworden. »Werden Sie mir's glauben, lieber Freund,« sagte er, »manchmal kommt mir der Flirt schon höllisch fad vor.«

»Nanu!« rief Kriebow, »das sagen Sie!«

»Ja! Ich weiß nicht, was es ist, ob's das Alter ist? Früher kannte ich das nicht; aber jetzt habe ich manchmal geradezu moralischen Katzenjammer. Man hat nicht mehr die Unbefangenheit in Liebesdingen wie ehemals, und da ist's halt aus mit den Erfolgen, mein Lieber.«

Auf dem Bahnhofe, als der Zug schon in Sicht war, drückte der Graf den Arm seines Wirtes. »Grüßen Sie mir Ihre Frau Gemahlin, lieber Freund! Und richten Sie ihr so viel Scharmantes aus von mir, als Sie können und wollen; es wird immer noch nicht heranreichen an meine Bewunderung. Sie sind zu beneiden, mein Lieber! Nun, bewachen Sie diesen Schatz gut – aber, das braucht man Ihnen eigentlich nicht erst anzuraten.«

Ein fast unmerkliches Lächeln umspielte seine Lippen; dabei sagten seine Augen, daß er es im Grunde verzweifelt ernst meine.

118 »Schicken Sie uns doch ein paar Abzüge von den Photographien!« sagte Kriebow zum Grafen, welcher zum Coupéfenster hinausblickte.

»Nein, lieber Freund!« rief der ihm zu, während der Zug schon anrückte, »die kriegen Sie nicht. Etwas will ich doch wenigstens ganz für mich haben.«

 


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