Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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III.

Es war beschlossen worden, nach Tisch auszufahren. Die Nachbarschaft erwartete den Besuch des jungen Paares. Mit Pantins in Langendamm, als den besten Bekannten, wollte Kriebow den Anfang machen. Frau von Lenkstädt hatte erklärt, nicht mitfahren zu wollen; sie habe in ihrem Leben genug Menschen kennengelernt und verlange nicht nach weiteren Bekanntschaften.

Als Kriebow die Zügel in der Hand hatte und das gleichmäßige Treten seiner Pferde auf der Landstraße hörte, besserte sich seine Laune allmählich. Dazu ein angenehmer Luftzug. Klärchen neben sich auf dem Bock, die Sonne, die sich in den neuen Geschirren spiegelte – wer hätte da noch verdrießlich sein können!

Die Füchse hatte er einem jugendlichen Kameraden abgekauft, der nicht mit ihnen fertig wurde. Kriebow fuhr sie selbst ein. Selten hatten ihm ein Paar Pferde so viel Freude gemacht. Als er seinen Abschied nahm, verminderte er seinen Stall, aber die »Zigeunerin« behielt 53 er und die Füchse. Er schickte Franz mit ihnen nach Grabenhagen; der Herr wußte, wem er die Tiere anvertraue. Franz, in mancher Beziehung ein Leichtfuß, hatte als Pferdewärter nicht seinesgleichen. Als Erich nach Grabenhagen zurückkehrend auf der Station angelangt war, galt sein erster Blick den Füchsen. Mit kritischem Blick umschritt er das Gespann. Franz auf dem Bock, steif wie sein Peitschenstock, verzog keine Miene; aber die schlauen Augen in dem glattrasierten Kutschergesicht drückten selbstbewußte Sicherheit aus, daß an seinen Pferden kein Tadel zu finden sei.

Langendamm, das Pantinsche Gut, lag eine knappe Stunde Wegs von Grabenhagen entfernt. Erst ging die Fahrt eine Strecke durch Grabenhäger Flur. Kriebow machte mit Stolz seine junge Frau auf die Größe seiner Schläge aufmerksam. Auch wie reinlich das Feld bestellt sei und wie gut die Früchte stünden. Die Stoppel, über die sich der Altweibersommer mit seinen spinnefeinen, silbernen Fäden spann, lag in behaglicher Sonntagnachmittagsruhe gebreitet. Über ihnen in unendlicher Höhe zogen Kraniche im Dreiecksfluge, hin und wieder übertönte ihr Ruf das Hufgeklapper. Dort lag ein Weiher mitten im Felde, das »Poggensoll«, an dessen Rande der »Adeubor« nach Fröschen Umschau haltend gravitätisch hinstelzte.

Kriebow wies mit der Peitsche nach einer mit Birken und Wacholdergestrüpp bewachsenen Erhöhung, die aus einer sumpfigen Wiese aufstieg; das sei ein verwunschener Fleck, nachts gingen dort Geister um. Die Anhöhe sei ehemals befestigt gewesen; man sähe noch die Wälle eines ehemaligen Raubnestes. Man tue den Kriebows die Ehre an, zu behaupten, sie hätten hier einen Wartturm stehen gehabt, von dem man weit 54 ins Land blicken konnte. Sobald nun der Mann im Auslug von weitem einen Zug Kaufleute mit ihren Waren erblickt hatte, habe er ein verabredetes Zeichen gegeben, worauf sich die in Grabenhagen bereit gemacht, die Pfeffersäcke zu überfallen. Des Nachts aber sei über die Straße eine Kette gespannt worden, die mit einer Glocke im Turm in Verbindung gestanden; sobald nun ein Wagen an die Kette angefahren, habe sich das Läutewerk in Bewegung gesetzt, worauf die Besatzung aus ihrem Versteck hervorgestürzt sei, um die Handelsleute auszuplündern.

Kriebow setzte der Erzählung erläuternd hinzu, sie werde zwar von den Leuten ringsum fest geglaubt, doch habe hier wahrscheinlich gar kein Turm gestanden; die Wälle stammten vielmehr von einer Schwedenschanze.

Und weiter drüben, wo jetzt der Erlenbruch, da habe ehemals ein Dorf gestanden; deutliche Spuren, wo die einzelnen Feuerstellen gewesen, seien noch jetzt zu erkennen. Wahrscheinlich sei es von den Schweden eingeäschert worden und liege nun schon über zwei Jahrhunderte als wüster Ort.

Und dort der blinkende Wasserspiegel in der Ferne, das war der Prietzensee. Der lag schon außerhalb der Grabenhäger Feldmarken in Ragatziner Flur. An den See knüpfte sich eine merkwürdige Sage: Ein Klaven auf Ragatzin hatte gelobt, wenn ihm sein einziger, eben geborener Sohn am Leben erhalten bleibe, dann wolle er eine Kirche erbauen. Das Kind, von Geburt an schwächlich, war gestorben, aber die Geistlichkeit hatte ein falsches untergeschoben. Darauf baute der Ritter die Kirche, im Glauben, daß ihm durch sein Gelübde das Kind am Leben geblieben sei. Die Kirche wurde auch fertig; in der Nacht aber vor der Einweihung 55 versank sie lautlos nebst Turm, Altar, Glocken und allem. An der Stelle aber, wo sie versunken, bildete sich der Prietzensee. In hellen Mondscheinnächten kann man manchmal ein wunderliches Tier auf dem Wasser erblicken; das ist der Hahn von der Turmspitze, der an die Oberfläche kommt und Rundschau hält. –

Erich von Kriebow kam nicht aus dem Zeigen und Berichten heraus; allerorten gab es etwas Neues, auf das er Klärchen aufmerksam machen mußte. Wie stolz fühlte er sich auf die Schönheit seiner Heimat; jetzt, da er sie seiner jungen Frau zeigen durfte, wurde er selbst ihrer Eigenart recht inne.

Inzwischen war man an die Grenze des Grabenhäger Besitzes gekommen. Erich machte seine Frau darauf aufmerksam, wie die Langendammer Scholle von der seinen absteche. Major von Pantin, der Besitzer von Langendamm, hielt an der extensiven Wirtschaftsweise fest. Das Tiefackern erklärte er für Unsinn, vom Rübenbau wollte er gar nichts wissen, mit dem Anbau von Handelsgewächsen lüge man sich nur in den Beutel. Künstlichen Dünger schaffte er so wenig wie möglich an. Sein Ideal war die Koppelwirtschaft. Er trieb Pferdezucht und legte mehr Wert auf Wollschafe als auf den Kuhstall und die Holländerei. Versagte ihm der Acker, der bei dieser Wirtschaftsweise nur wenig Stalldünger zu sehen bekam, dann legte er ihn für einige Jahre zur Brache nieder und vermehrte so die Weide. So wenig wie möglich Gebäude und so wenig wie möglich Menschen, aber um so mehr Tiere sollten auf einem Gute sein! Er lachte über seine Nachbarn, die so viel für Gebäudereparaturen ausgaben und sich von ihren Tagelöhnern auffressen ließen. Güter sollten etwas bringen, und dazu gehöre, daß man möglichst 56 wenig hineinstecke und möglichst viel herausnehme, war sein Leitsatz.

Dieses Geheimnis schien Herr von Pantin auch wirklich zu verstehen. »Malte« – wie er allgemein von seinen Bekannten genannt wurde – hatte, nachdem er die Ulanenstiefeln ausgezogen, Langendamm übernommen. Man wunderte sich allgemein, daß er imstande gewesen war, das Gut zu halten, welches äußerst heruntergewirtschaftet war, als er es übernahm. Und jetzt stand sein Ältester in Berlin, bei einem Gardekavallerieregiment, ein jüngerer Sohn war Fähnrich bei den in der Nähe garnisonierten Dragonern, an einen Offizier eben dieses Regiments war eine seiner Töchter verheiratet; nur die jüngste war noch im Haus, Kari, die an Stelle der verstorbenen Mutter der Wirtschaft vorstand. Und dazu hatte auch noch der älteste Sohn ein elegantes, völlig vermögensloses Mädchen geheiratet. Das alles lebte von dem einen Langendamm. Wahrlich, man sah es der schlichten, grauen Scholle nicht an, was für Gold der Besitzer aus ihr zu gewinnen verstand! –

Kriebow hatte von früh auf in regem Verkehr mit dieser Familie gestanden; der älteste Pantin war sein Altersgenosse. Mit Ulrich hatte er im Gymnasium der Kreisstadt auf derselben Bank gesessen, dann waren sie wieder in Berlin zusammengetroffen, als Offiziere, wenn auch nicht bei demselben Regiment. Zwischen ihnen bestand eine jener Freundschaften, die mehr auf Gewohnheit beruhte, weil man, aus gleichen Verhältnissen hervorgewachsen, sich immer wieder begegnet war, als auf tiefergehender Neigung. Nachdem Ulrich von Pantin eine der gefeiertsten Damen der Berliner Gesellschaft heimführte, war Erich von Kriebow, der zu ihren 57 Tänzern gehört hatte, viel im Hause des jungen Paares aus und ein gegangen.

Klärchen hatte bereits viel Günstiges über Pantins zu hören bekommen durch Erich. Er hoffte auf regen Verkehr mit Langendamm. Die Pantins waren gleich den Kriebows seit Urzeiten in der Gegend angesessen; verschiedenfach hatten in alten Zeiten Heiraten stattgefunden zwischen den Häusern Grabenhagen und Langendamm, und auch in neuerer Zeit waren die Beziehungen immer freundnachbarschaftlich gewesen.

Kriebow meinte, die Damen dieser Familie seien ein gegebener Umgang für Klärchen. Da war Wanda, die einen Major von Rentell geheiratet hatte, dann Kari, die Erich allerdings nur als Backfisch in Erinnerung hatte, die aber inzwischen auch in ein umgängliches Alter hineingewachsen war, und vor allem Mira, die Gattin von Ulrich Pantin, die öfter von Berlin nach Langendamm kam – auf »Grasung«, wie sie es selbst zu nennen pflegte –, um ihrer Kasse von den Ansprüchen der hauptstädtischen Ball- und Dinersaison in der ländlichen Stille etwas Erholung zu gönnen und um selbst für die neue Winterkampagne Kräfte zu sammeln.

Auch jetzt war Mira wieder mal in Langendamm, wie Kriebow in Erfahrung gebracht hatte. Klara war von ihm darauf vorbereitet worden, daß sie eine der apartesten Damen kennenlernen werde, die ihm jemals begegnet seien. Es war Kriebows ganz besonderer Wunsch, daß sie mit Mira Pantin sich anfreunde. Er hatte, ehe sie von Grabenhagen abfuhren, die Toilette seiner Frau noch einer peinlichen Musterung unterworfen, denn, meinte er, Mira verstehe viel davon und ziehe sich selbst hervorragend an. –

Man näherte sich dem Gutshofe. Die Lage von 58 Langendamm war wenig schön; platt, auf freiem Felde, ohne Baumschutz. Früher waren wohl Anlagen dagewesen, aber der jetzige Besitzer hatte den Park abgeschafft, als unwirtschaftlich. Dergleichen hielt Malte Pantin für Luxus, den sich ein Landwirt nicht gewähren dürfe.

Das Dorf war um einen flachen Wassertümpel gelegen; zwischen diesem Pfuhle und den Gebäuden lief der sandige Fahrweg hin, ohne Pflaster und Graben. Die schmutzigen Rinnsale, die von den einzelnen Katen nach dem Dorfteich führten, legten die Vermutung nahe, daß der Abfluß des Unrates aus den Gruben auf diese primitive Weise bewerkstelligt werde. Zwischen Enten und Gänsen, welche in dem stagnierenden Gewässer eifrig nach Nahrung tauchten, erblickte man die munter darin herumplantschende Dorfjugend. Die niederen Lehmhäuschen mit tief zur Erde herabreichenden Strohdächern sahen recht zerfallen aus, in der »Wurth« dahinter war keine Blume, kein Obstbaum zu erblicken. Über den halbgeöffneten Hecktüren lehnte hie und da ein Mann, die Pfeife im Munde. Ein Mädchen, das in schlumpigem Aufzug des Wegs kam, blickte mit dreister Miene in den vorbeirollenden Wagen und lachte hinterdrein. Das Ganze hatte etwas Zigeunerhaftes und sah wenig nach einem herrschaftlichen Sitze aus.

Kriebow trieb die Füchse an, damit sie ihn und Klara möglichst bald aus diesen unschönen Regionen in bessere bringen sollten.

Als der Wagen vor dem Herrenhause vorfuhr, öffnete sich die Haustür unter scharfem Klingeln; in der Türöffnung erschien die riesenhafte Figur eines Alten in blauer Livree und gelben Gamaschen: der alte Hanning, Faktotum in Langendamm, für gewöhnlich 59 Gärtner, in der Jagdsaison Jäger und, wenn Gäste kamen, Kammerdiener. Sein blauer Rock hatte verzweifelte Ähnlichkeit mit der Uniform, die sein Herr ehemals getragen, nur daß er jetzt mit silbernen Livreeknöpfen verziert war, die das Pantinsche Wappen zeigten. Wie oft war Erich von Kriebow mit seinem Freunde Ulrich in Begleitung des alten Hanning auf die Jagd gegangen! Die Begrüßung war denn auch herzlich. Der Alte grinste über das ganze Gesicht vor Stolz und Freude, als ihn der Grabenhäger Herr seiner Gattin vorstellte.

Der Herr Major war zu Haus, wie Hanning versicherte, und auch die junge Herrschaft.

Während man beim Ablegen war, erschien der Herr des Hauses. Noch ehe er heran war, vernahm Kriebow bereits die ihm so wohlbekannte knatterige Stimme Maltes. Es sei die höchste Zeit, daß Erich komme, rief der Langendammer, er habe schon feste geschimpft; was ihm Kriebow aufs Wort glaubte.

Nun ließ er sich vorstellen, machte seinen Bückling, küßte Klara die Hand und bot ihr den Arm; alles mit einer Flinkheit, die für einen Sechziger erstaunlich war. Kriebow schritt hinterdrein und bewunderte die gute Figur des Langendammers, der schlank war wie eine Gerte. Er trug ein kurzes, schwarzes Röckchen, dazu großkarrierte helle Beinkleider: Offizierszivil von vor dreißig Jahren. Das weiße, borstige Haar strafte die roten Backen des alten Herrn Lügen. Sehr viel Wert hatte Malte von jeher auf seinen Schnurrbart gelegt; des Feiertags, wo er sich Zeit zur Toilette nehmen konnte, wichste er ihn, Wochentags, wo Malte an andere Dinge zu denken hatte als an diese männliche Zierde, hingen die Schnurrbartenden schlaff hernieder. Kriebow 60 wußte das von früher her und amüsierte sich im stillen über die ausgedrehten Spitzen, die von hinten zu beiden Seiten des Kopfes sichtbar wurden.

Major von Pantin riß eine Tür auf, ließ das Paar eintreten und schrie in seiner lauten Manier, die ihm den Namen »Schreimalte« eingetragen hatte, über Kriebows Schulter weg ins Zimmer: »Kinder, die Grabenhäger! Ich hab's ja gesagt, heute kommen sie!«

»Sie finden die ganze Familie beisammen, meine Gnädige!« rief er dann Klara zu.

Nachdem das Vorstellen überstanden war, setzte man sich. Auf dem Tisch stand das silberne Kaffeezeug und Likörflaschen in reicher Auswahl; geraucht war stark worden.

Klara bekam einen nicht allzu günstigen Eindruck: gerötete Gesichter, laute Unterhaltung, Damen, die wohl nur der Neugekommenen wegen die Zigarette weggelegt hatten.

Unter den Frauen fiel ihr jedoch eine auf, die in Haltung, Gesichtszügen und Toilette etwas Besonderes hatte und nicht zu dieser Umgebung zu passen schien. Das mußte Mira sein! Klara fühlte sich durch die Erscheinung gefesselt. In diesem feinen Kopf und der stolzen Haltung lag etwas, das die Frage herausforderte: wer bist du? und die Hoffnung wurde wachgerufen, Herz und Geist dieser Frau möchten nicht hinter ihrem Äußeren zurückstehen.

Für die beiden Pantinschen Töchter konnte man sich allerdings keine ungünstigere Folie denken als diese Schwägerin. Mit ihrer Figur hätte Mira auch noch ganz andere Frauen in Schatten gestellt als Frau von Rentell, die wohl den Ehrgeiz, eine Taille zu besitzen, längst aufgegeben hatte, und Kari, die noch keine führte. 61 Alles, was den beiden Schwestern an Schick abging, schien in dem Raffinement vereinigt, mit dem Mira angezogen war.

Kari kochte von neuem Kaffee. Der alte Hanning hatte frische Tassen und Likörgläschen herangebracht; der Hausherr erkundigte sich bei Klara, ob sie rauche, und da sie verneinte, bat er für die übrige Gesellschaft um Erlaubnis, weiterrauchen zu dürfen.

Der Fähnrich hatte sich neben Klara gesetzt und versuchte, sie mit seiner grünen Weisheit über Pferdezucht zu unterhalten, bis sein älterer Bruder ihn veranlaßte, ihm den Platz einzuräumen.

Ulrich von Pantin hatte Figur und Gesichtsschnitt seines Vaters geerbt; er war unzweifelhaft eine gute Erscheinung und konnte sich neben seiner Frau sehen lassen. Aber die Straffheit der Haltung und die Frische des alten Malte gingen ihm ab. In seinen matten, verschleierten Augen lag etwas Müdes, Abgelebtes. Mit leicht näselnder Stimme führte er die Unterhaltung. Klara hatte zwar das Gefühl, daß er sich Mühe gebe, liebenswürdig gegen die Frau seines Freundes zu sein, aber er kam dabei über eine gewisse blasierte Höflichkeit nicht hinaus. Es wurden verschiedene Themata angeschlagen; man quälte sich ab und konnte doch nicht warm dabei werden.

Leichter floß die Unterhaltung in einer anderen Ecke des Zimmers, zwischen Kriebow und Mira. Sie saß auf dem Fensterbrette, schlug Bein über Bein – wobei man ihren tadellos sitzenden Schuh sah – und zündete eine Zigarette an der anderen an.

Kriebow hatte es im stillen vor diesem Wiedersehen mit Mira Pantin gebangt. Daß die Intimität, in der er ehemals zu Ulrichs Gattin gestanden, jetzt 62 nicht wieder aufleben konnte, war ja klar. Wie er sein eigenes Benehmen einzurichten habe, konnte ihm nicht zweifelhaft sein – er war nur nicht sicher, wie sich Mira ihm gegenüber stellen werde. Er kannte sie: ihre Begriffe über das Schickliche waren ziemlich weitherzige. Sie war berühmt für die Offenheit ihrer Ausdrucksweise. Gerade dieser völlige Mangel an Prüderie hatte Kriebow angezogen; man konnte mit ihr verkehren wie mit einem Kameraden, ohne sich irgendwelchen Zwang auferlegen zu müssen.

Eine andere Frage war, wie Klärchen das aufnehmen werde. Mira gefiel im allgemeinen den Herren besser als den Damen. Die Frauen nahmen Anstoß an ihrem Wesen, konnten ihr vor allem die Rücksichtslosigkeit ihrer Sprache, die Ungeniertheit ihres Auftretens nicht verzeihen. Dabei war sie wirklich nicht so schlimm, wie sie sich gab. Man durfte doch nicht vergessen, wie verwöhnt diese Frau war, und vieles mußte man ihrem Temperament zugute halten.

Ob Klärchen das verstehen würde, oder ob sie in den Chor der Entrüsteten einstimmen werde? –

Mira eröffnete die Unterhaltung mit ihrem ehemaligen Verehrer, indem sie ihm Nettes über seine Frau sagte. Es lag durchaus nichts Boshaftes in der Art, wie sie das tat. Für ihn war das eine Beruhigung; man konnte nie im voraus sicher sein, wie Frauen es auffassen mochten, wenn ein Bewunderer heiratete. Aber Mira war nicht gekränkt. Gott sei Dank! Ihr Lob tat ihm wohl. Was sie sagte, meinte sie auch; denn alles konnte man ihr vorwerfen, nur nicht Schmeichelsucht. –

Dann erkundigte sie sich, wann er mit seiner Frau nach Berlin kommen werde. Sie nahm es als selbstverständlich an, daß sie den Karneval dort mitmachen 63 würden. Als er erklärte, sie wollten den ganzen Winter nicht von Grabenhagen weggehen, rief Mira ehrlich verwundert: »Sie sind nicht bei Troste, Kriebow!« Er lachte und meinte, es sei sein voller Ernst.

»Und Ihre Frau tut da mit?«

»Ja, Klärchen freut sich schon. Da werden wir's uns recht gemütlich einrichten zu Haus.«

»Was wollt ihr denn machen den ganzen Tag? Zärtlich sein! – Wie lange seid ihr denn schon verheiratet?«

»Gestern waren's vier Monate.«

»Um Gottes willen, und dabei noch solche Illusionen!«

Er wünschte sie abzubringen von diesem Thema; man wußte ja bei ihr nie, wie weit sie gehen würde. Über seine Ehe mit Mira zu reden, das erschien ihm denn doch wie eine Entweihung. Er begann also von seinen Plänen zu sprechen, daß er sich selbst mehr um die Wirtschaft kümmern wolle. Dann habe er ja auch die Jagd. Schlitten werde er fahren, Zeitungen lesen. Auch Bücher habe er angeschafft.

»Und Ihre Frau?« rief Mira. »Oder halten Sie sich für so interessant, daß sie um Ihretwillen auf alles Amüsement verzichten soll?«

»Meine Frau ist, Gott sei Dank, sehr häuslich,« erklärte er, absichtlich eine reservierte Miene annehmend.

»Na, dann gratuliere ich. Ich kann Ihnen versichern, wenn mir Ulrich so etwas zumuten wollte, ich ließe mich scheiden. Ich fürchte, Kriebow, Sie sind auf dem Wege zum Krautjunker. Es wäre schade, denn Sie hatten Anlage zu was besserem – waren wirklich ein fescher Kerl – schade, wenn Sie verbauerten!« –

»Das wäre noch nicht das Schlimmste, was einem 64 passieren könnte. Übrigens, wenn Ulrich mal Langendamm übernimmt, dann werden Sie sich auch mausern müssen . . .«

»Das werden Sie bei mir niemals erleben! Zur Landpomeranze bin ich verdorben. Ohne große Geselligkeit kann ich nicht existieren. Ulrich weiß das. ›Wenn ich mich einpökeln lassen soll, dann nicht!‹ habe ich ihm gesagt. Er weiß, woran er mit mir ist. So wie ich bin, bin ich nun mal. – Sehen Sie sich mal hier die gute Wanda an« – sie wies dabei auf ihre Schwägerin, Frau von Rentell –, »so werden – nein! Lieber tot als malchic!«

In diesem Augenblicke sah man einen Wagen um die Ecke am Dorfteich biegen. »Wer kommt denn dort mit Schimmeln?« fragte Kriebow.

»Schimmel! Das könnte nur der kleine Katzenberg sein,« erwiderte Mira, sich auf ihrem Sitze umwendend. »Ist es auch! John Katzenberg!«

»Was ist denn das für eine Größe!« fragte Kriebow.

.,Der neue Regierungsassessor!«

»Und wie soll er heißen?«

»Herr von Katzenberg.«

»Auch noch ›von‹! Den Namen hat man doch nie gehört hier zu Lande! – Schicke Equipage übrigens, die der Mann vorführt,« sagte Kriebow, der den Wagen vorfahren sah, einen Herrn auf dem Bock, den Kutscher in grüner Livree hinter ihm.

Die Jugend stürzte an die Fenster. »Wer kommt denn da noch?« fragte der Hausherr.

»John Katzenberg!« rief der Fähnrich. »Schon wieder neue Fahrhandschuhe, Papa!«

»Donnerwetter, das ist famos!« schrie Malte. »Kennen Sie den schon, Kriebow?«

65 »Nein, Herr Major, heute höre ich das erstemal von ihm.«

»Unser Assessor! Ein großartig schneidiges Kerlchen! Hat Geld wie Heu. Übrigens ein anständiger Mensch. Mira hat die ganze Familie im Seebade kennen gelernt. Durchaus achtbare Leute! – Nicht wahr, Mira?«

Mira hörte nicht; sie hatte das Fenster geöffnet und unterhielt sich mit dem eben Angekommenen. Der alte Hanning war inzwischen eingetreten und meldete: »Regierungsassessor von Katzenberg!«

»Bring ihn rauf!« rief Malte.

»Ich dächte, der käme recht häufig!« sagte Wanda, bekannt durch ihre gelegentlich nicht besonders klugen Bemerkungen. »Ja, wirklich, ich glaube, ein dutzendmal ist der nun schon hier gewesen.«

»Laß ihn doch, in drei Teufels Namen, kommen, so oft er will!« schrie ihr Vater sie an. »Das wird uns nichts schaden und ihm auch nicht. Ich freue mich, daß der junge Mensch sich so zu den guten Häusern der Gegend hält. Er hat überhaupt anständige Sentiments!«

»Kari hat vorige Nacht geträumt . . . .« sagte Mira vom Fenster her.

»Mira, du schweigst!« rief Kari und stürzte auf ihre Schwägerin zu, ihr den Mund zuzuhalten.

»Was hat Kari geträumt?« riefen die Brüder. »Erzählen!«

»Kari hat heut nacht geträumt, daß Herr von Katzenberg . . .«

»Mira, du bist schrecklich!«

»Pst! jetzt kommt er. Ich erzähl's nachher.«

»Kari, deine Backen sind feuerrot,« sagte der Fähnrich, während der Angemeldete bereits eintrat.

66 Assessor von Katzenberg zeigte sich als ein junger Mann von mittelgroßer, geschmeidiger Figur. Sein wohlgezogenes, braunes Schnurrbärtchen stand von den Mundwinkeln breit aufgebürstet, wie's die Mode, zu ein Paar auffällig dunklen und glänzenden Augen empor. Erich von Kriebow, der auch bei Männern großes Gewicht auf die Toilette legte, stellte fest, daß dieser Assessor tadellos angezogen sei. – Herr von Katzenberg schien überhaupt ein Mann von Welt zu sein; die Art, wie er den Hausherrn ehrerbietig begrüßte, wie er den verheirateten Frauen mit Grazie die Hand küßte, Kari mit vielsagendem Blicke einige Blumen überreichte, dem Fähnrich kameradschaftlich auf die Schulter klopfte, Ulrich und Major von Rentell freundschaftlich begrüßte und sich schließlich bei der Vorstellung dem Ehepaar Kriebow gegenüber zurückhaltend verneigte, sprach für seine gesellschaftliche Erziehung und Sicherheit. –

Kriebow, der wieder neben Mira stand, sagte halblaut zu ihr: »An Schüchternheit scheint mir der neue Assessor gerade nicht zu leiden.«

»Sagen Sie mir nichts gegen den Kleinen!« rief Mira. »Der ist mein ganz besonderer Protégé.«

»Ja, wie kommen Sie eigentlich zu dem?« fragte Kriebow, dessen Neugier rege geworden war; er glaubte doch alle bisherigen Freundschaften und Beziehungen Miras einigermaßen zu kennen.

»Wie man sich so im Leben trifft!« sagte Mira in nachlässigem Tone, von Kriebow weggehend; es lag ihr offenbar nichts daran, ihn weiter aufzuklären.

Kriebow sah Mira zu seiner Frau gehen, neben der sie sich niederließ. Das war ihm lieb, er wünschte ja, daß die beiden sich kennen lernen sollten.

»Haben Ihnen die Ohren nicht oft geklungen in der 67 letzten Zeit?« fragte Mira, die Unterhaltung mit Erich von Kriebows Gattin eröffnend. »Seit ich hier bin, habe ich Ihren Namen schon unzählige Male gehört.«

»Den meinen!« sagte Klara erstaunt.

»Ja, man spricht in dieser Gegend mit Vorliebe von Leuten, die man nicht kennt. ›Neugier‹ ist eine sehr gelinde Bezeichnung für die Gemütsverfassung, in der sich die meisten Damen hier befinden. Ich bin auch bereits angesteckt davon. Es interessiert einen doch aber auch zu sehr, Erich Kriebows Frau nun einmal leibhaftig vor sich zu sehen. Wir sind nämlich sehr gute Freunde, Erich und ich. Er ist auch wirklich ein zu netter Kerl! Sie können lachen. Aber, um Gottes willen, Sie nehmen mir das doch nicht übel! – Ich bin nämlich so, ich sage alles ehrlich heraus, sich genieren kommt mir so dumm vor; das tun nur noch die kleinen Bürgersfrauen. Ist gar nicht mehr Mode.«

Dann fing Mira an, zu fragen, wo sie ausgegangen sei, was sie an Geselligkeit mitgemacht habe. Als Klara erzählte, sie sei bis zu ihrer Verheiratung zu Haus gewesen, und was man so »ausgehen« nenne, kenne sie aus eigener Erfahrung gar nicht, wollte Mira die Hände über dem Kopfe zusammenschlagen. War denn so etwas möglich? Dann hatte sie ja doch gar nichts gesehen von der Welt, und dazu wollte sie Kriebow auch noch in Grabenhagen »einpökeln«. –

Darauf sagte sie zu Klara ungefähr dasselbe, was sie vorher Erich gegenüber schon auseinandergesetzt hatte: sie müßten nach Berlin kommen im Winter, in Grabenhagen würden sie »versauern«.

Klara wurde immer schweigsamer, zog sich ganz in sich zurück. Die Nasenflügel vibrierten ein wenig in 68 dem weißen Gesicht, sonst merkte man ihr nichts an von der tiefen Erregung, in der sie sich befand.

Mira gab es schließlich auf, etwas aus Klara herauszubekommen. Auf was bildete sich die Kleine hier denn eigentlich soviel ein? Um Gottes willen, sie war doch nicht etwa moralisch entrüstet, die gute Frau! Natürlich, das war es auch! Rührend! Ein verächtliches Lächeln zuckte um ihren Mund. »Einfältiges Ding«, das war das Urteil, das in ihren Zügen zu lesen stand, als sie sich jetzt erhob, um bei den Herren bessere Unterhaltung zu suchen. –

Erich von Kriebow hatte der Begegnung zwischen Mira und Klara von weitem zugesehen; das Gespräch konnte er nicht hören, aber er schloß aus dem Mienenspiel der beiden Frauen, daß die Unterhaltung auf Hindernisse gestoßen sei. Wenn Klärchen diesen harten Zug um den Mund bekam, dann war sie unzugänglich, er kannte das. Und Mira sah aus, als sei sie beleidigt worden. Schade! Warum wollte sich Klara nicht etwas Mühe geben, liebenswürdig zu sein, sie, die so entzückend sein konnte; und nun, wo es mal darauf ankam, saß sie da wie ein Stock? – Was würde Mira mit ihrem Schandmaul in Berlin verbreiten für boshafte Beschreibungen über seine Frau. Es war zu ärgerlich! –

Herr von Katzenberg bekam seinen Kaffee von Kari eingeschenkt. Dann zogen sich die beiden in eine Ecke zurück. Man sah Katzenbergs glänzende Augen, die in unausgesetzter Wanderung begriffen waren von Karis goldblondem Haar nach ihren rosigen Wangen und dem kaum angedeuteten Busen der Siebzehnjährigen, und hörte gedämpftes Tuscheln, gelegentlich auch das herzliche Auflachen des jungen Mädchens. Die übrige Gesellschaft stellte sich an, als sähe sie die beiden nicht.

69 »Netter Kerl, der John Katzenberg!« sagte Ulrich zu seinem Freunde Kriebow. »Hält sich Pferde, ist Reserveoffizier bei einem guten Regiment. Für den Kreis jedenfalls eine sehr nette Akquisition!«

»Deine Frau hat ihn kennen gelernt im Seebade, höre ich,« sagte Kriebow.

»Ja! das heißt, Mira lernte erst die Eltern kennen, den Sohn nachher.«

»Wie ist er eigentlich in unsere Gegend gekommen?«

»Der alte Landrat von Ruhbeck wünschte sich einen tüchtigen Assessor. Und Katzenberg soll ja eine Kraft erster Klasse sein. Die Vermittlung hat Mira übernommen. So hat sich die Sache arrangiert.«

Sobald Herr von Katzenberg auch mit Kognak und Zigarre versorgt war, schlug Major von Pantin vor, ins Freie zu gehen, da der »Wachtmeister« nachgerade zu toll geworden sei im Zimmer.

»Wo soll's denn hingehen?« fragte jemand.

»Na, natürlich zu den Gäulern!« hieß es.

Mira nahm die Tete, ihr gesellte sich der Assessor zu.

»Das wäre so ein Landrat für uns,« sagte Malte zu Kriebow, auf den Assessor weisend. »Wenn mal der alte Ruhbeck ausgedient hat.«

»Dazu ist aber vorläufig wohl geringe Aussicht,« meinte der Grabenhäger. »Ruhbeck ist doch noch rüstig und durchaus nicht amtsmüde.«

»Ja, aber mit Groß-Podar soll's wackelig stehn. Ruhbeck wird sich wohl nicht mehr lange drauf halten können. Den Mann haben die vielen Kinder aufgefressen.«

»Sollte mir sehr leid tun, wenn wir Ruhbecks verlören aus der Gegend,« erwiderte Kriebow, den die Sache etwas anging, da Groß-Podar, das Familiengut der Ruhbecks, nächste Nachbarschaft war von Grabenhagen.

70 An Klara hatten sich Wanda und Kari angeschlossen. Sie gingen gerade vor Erich her, und er konnte sehen, wie lebhaft sich seine Frau, die eben noch Mira gegenüber so steif gewesen, mit den beiden Schwestern unterhielt.

Inzwischen war man zu den Koppeln gekommen. Der Langendammer zog ein schnittiges Halbblut. Seine Zuchtprodukte erfreuten sich eines gewissen Rufes. Als Händler aber war Malte berüchtigt; er liebte es besonders, jüngere, unerfahrene Offiziere »aufzurichten«. Auch Kriebow, der sich vor Jahren einmal mit Malte in einen Handel eingelassen, wußte davon ein Lied zu singen.

Mira hatte Zucker eingesteckt und lockte ein Paar Zweijährige heran. Malte machte auf die Formen seiner Pferde aufmerksam, nannte ihre Abstammung und pries ihre Eigenschaften. Assessor von Katzenberg tat dem alten Herrn den Gefallen, sich einen längeren Vortrag von ihm anzuhören.

»Das wäre eigentlich so ein Pferdchen für Sie, Herr von Katzenberg!« sagte Malte mit der unschuldigsten Miene der Welt und wies auf einen Braunen mit weißem Stern. »Ein angehender Landrat muß auch beritten sein. Bis Sie soweit sind, könnte ich Ihnen den Braunen da zureiten lassen.«

»Gib dir keine Mühe!« sagte Mira zu ihrem Schwiegervater. »Herr von Katzenberg ist versorgt. Weißt du, was für einen Gaul er gekauft hat? Ich darf's doch sagen?«

Der Assessor verbeugte sich.

»Obergigerl.«

»Hm, dann freilich!« sagte der Langendammer. Es war ihm nicht fremd, daß der Träger dieses Namens, 71 ein edelgezogenes, englisches Pferd, im großen Berliner Jagdrennen Erster gewesen war.

»Ja, Herr von Katzenberg hat mir auch versprochen, daß er Obergigerl nächster Tage herbringen und uns vorreiten wird.«

»Und gnädige Frau vergessen Ihre Zusage nicht,« sagte Katzenberg mit besonderem Blicke zu Mira.

»Erinnere mich mal dran, Ulrich, daß ich heute noch nach Berlin schreibe,« rief Mira ihrem Gatten zu, »sie sollen mir meine Reitsachen hierher schicken.«

».Ich denke, du willst diesen Herbst nicht reiten, Mira?«

..Nun, ich habe mir's eben anders überlegt, mein Schatz!«

* * *

Auf dem Nachhausewege saß der Grabenhäger eine ganze Weile schweigend neben seiner jungen Frau. Er hatte das deutliche Gefühl, daß Klärchen durch das in Langendamm Gesehene enttäuscht sei. Merkwürdig! Ihm hatten seine Freunde heute auch weniger gefallen als sonst. Hatten sich die Leute so verändert; oder stellte er neuerdings höhere Anforderungen? – Es war ihm, als müsse er sich darüber rechtfertigen vor Klara.

»Spaßhafte Leute diese Pantins, was?« sagte er.

Klara erwiderte nichts.

»Es hat dir wohl nicht gefallen in Langendamm?« fragte er nach einiger Zeit.

»Nein, Erich!« erwiderte sie mit einem erleichternden Seufzer. »Ich bin so froh, daß wir jetzt nach Haus fahren! Ich glaube, länger hätte ich's nicht ertragen.«

»Ach, sie sind nicht so schlimm! Schade, daß dieser Herr von Katzenberg gerade kommen mußte, der verdarb alles. Malte ist im Grunde ein ganz famoser, alter Knabe, wenn er auch mit seinem Schreien etwas 72 auf die Nerven geht. – Was sagst du eigentlich zu den Damen, Klärchen?«

»Eine einzige ist darunter, die mir gefällt,« sagte Klara nach kurzer Pause.

»Wer denn?« fragte er voll Spannung.

»Die jüngste, Kari heißt sie wohl.«

»Kari – du spaßest! – dieses ungelenke, halbentwickelte Ding, die mit ihren Gliedern nicht weiß, wo sie hin soll. Die kann dir doch unmöglich imponieren, Klärchen?«

»Sie hat so etwas Ehrliches; das rührt mich so. Sie möchte so gern gut bleiben, und das wird ihr so furchtbar schwer gemacht.«

»Begreife ich einfach nicht!«

»Man weiß doch, wie es so einem jungen, unberatenen Dinge ums Herz ist in dem Alter. Und keine Mutter zu haben!« –

»Ich weiß nicht, ich kann mich für Kari nicht begeistern. Total uninteressant, und hübsch auch nicht besonders. Eine richtige Tramplagunda! Na, vielleicht formiert sie sich noch. Aber neben Mira darf man sie nicht sehen. – Wie gefällt dir denn übrigens Mira?« fragte er in erzwungen gleichgültigem Tone.

»Frage mich nicht so viel!«

Kriebow bemerkte einen Ausdruck von Unwillen in ihren Zugen.

Sie war also doch entrüstet! Er hätte sich's ja denken können! – Übrigens er selbst hatte sich heute auch über Mira geärgert. Die Art, wie die ehemals Bewunderte diesem Herrn von Katzenberg entgegenkam, war doch entschieden ihrer nicht würdig. Hatte sich denn ihr Geschmack so verschlechtert? – Und Klärchen war Miras Benehmen natürlich auch nicht entgangen; 73 Frauen urteilen in solchen Dingen noch viel schärfer. Oder war sie etwa gar . . . . . . . ., wäre es denkbar, daß Klärchen eifersüchtig sei? –

Kriebow überlegte: er hatte sich ja eine ganze Weile mit Mira allein unterhalten. Klärchen hatte das von ferne gesehen, hatte nicht verstehen können, was sie miteinander gesprochen. – Natürlich war es das: daher auch ihre Bemerkung, daß sie's in Langendamm nicht länger ausgehalten haben würde.– Da hatte man die Bescherung: Klärchen war eifersüchtig. –

Es war ein eigentümlich gemischtes Gefühl für ihn. Im Grunde tat sie ihm ja leid; aber dann kitzelte das Bewußtsein, der Gegenstand solcher Besorgnis zu sein, doch auch wieder sein Selbstgefühl. Nachdem er sich genugsam daran geweidet hatte, überlegte er sich, daß er Klärchen doch aufklären wolle. Sie sollte sehen, wie unnötig ihre Sorge gewesen sei, daß er ihr keinerlei Anlaß gegeben zu irgendeinem Vorwurfe; im Gegenteil, daß er sich musterhaft aufgeführt habe.

Er berichtete ihr also sein Gespräch mit Mira: die als selbstverständlich angenommen habe, daß er mit seiner Frau nach Berlin kommen werde für den Karneval; dabei machte er sich lächerlich über Mira, diese einseitige Weltdame, die sich einbildete, man könne den Winter nirgendwo anders zubringen als in der Stadt.

»Sie hält es einfach nicht für möglich, daß man sich nicht tödlich langweilt, zu Zweien, auf dem Dorfe. Sie hat nämlich selbst gar keine Interessen, weder häusliche noch irgendwelche anderen. Geselligkeit, das ist ihr ein und alles. Für den ersten Augenblick hat Mira ja entschieden etwas Anziehendes, das läßt sich nicht leugnen; aber auf die Dauer kommt man doch dahinter, daß sie eigentlich recht leer ist. Elegant ist sie immer 74 noch, das muß man sagen. Übrigens fand ich sie heute recht passiert.«

»Ich fand, daß sie entzückend aussah,« sagte Klärchen.

»Das Tageslicht ist unvorteilhaft für Mira; man sieht zu sehr, was echt an ihr und was nicht.«

»Du willst doch nicht behaupten, Erich . . . .«

Kriebow lachte in sich hinein. »Ich kenne die gute Mira nun schon seit acht Jahren. Als sie damals als Debütantin auftrat – bildhübsch, lebenslustig, keinen Pfennig Geld –, hatte sie große Aspirancen. Unter 'nem Prinzen wollte sie es damals überhaupt nicht tun. Seitdem hat sie manches durchgemacht. So ein halb Dutzend Faschings ohne Resultat, das zehrt; der Teint wird nicht frischer und das Renommee auch nicht. Es war die höchste Zeit für Mira, daß einer kam, sie zu erlösen; eine wenig angenehme alte Jungfer, fürchte ich, wäre aus ihr geworden.«

Hier brach er ab; er hatte bemerkt, daß in Klaras Augen Tränen standen. »Was hast du?« fragte er befremdet. Jetzt konnte sie doch wirklich nicht mehr eifersüchtig sein, nachdem er so von Mira gesprochen hatte. – »Was hast du? sag's doch, Klärchen!«

»Die arme Frau!«

»Du bedauerst Mira?«

»Sie tut mir namenlos leid.«

»Weshalb denn? Sie hat ja erreicht, was sie wollte. Sie kann ja nun tun und lassen, was ihr gefällt, als verheiratete Frau; und davon macht sie den ausgiebigsten Gebrauch.«

»Ich glaube, daß an ihr viel gesündigt worden ist.«

»Von wem denn nur?«

»Von all den Menschen, die sie zu dem gemacht haben, was sie jetzt ist, und am meisten von ihrem Manne.«

75 Kriebow war betroffen. Eigentlich hatte sie ja recht: Ulrich war viel mit schuld daran, daß Mira so extravagierte. Obgleich er selbst zu den Verehrern dieser Frau gehört, hatte er im stillen dem Ehemann die Langmut oftmals verdacht. Mir sollte so etwas nicht passieren! hatte er dann wohl zu sich gesagt. Erstaunlich blieb es aber doch, wie schnell Klärchen das herausgefunden.

Beide schwiegen eine ganze Weile, jedes mit den eigenen Gedanken beschäftigt.

Die Füchse wußten, daß es nach Hause gehe, und traten so leicht und sicher, daß Kriebow kaum mehr zu tun hatte, als die Zügel zu halten. Die untergehende Sonne verschönte mit satten Farben die Landschaft, von der sie Abschied nahm.

Alles, woran sie vor einigen Stunden im klaren Tageslicht vorbeigefahren waren, trat wieder auf, aber vergrößert und vielsagender gleichsam. Allmählich verwischte die Dämmerung die scharfen Konturen der Dinge. Die Ferne verschwamm hinter stumpfgrauen Schleiern. Von jenem See, in welchem die Kirche versunken, war nichts mehr zu erkennen als ein weißes, scharf abgegrenztes Nebeltuch auf dunklem Untergrunde. Auf dem nahen Hügel mit der Schwedenschanze aber, die alten Wachholder standen da wie steife Schildwachen, unbeweglich und düster nach der Straße hinüberspähend. In den Wiesen, dem Auge unsichtbar, lief der Wachtelkönig, den Fahrenden mit schnarrender Stimme ein bald nahes, bald fernes Konzert gebend.

Haus und Hof waren nicht mehr fern; da drüben, eingehuschelt in dunklen Baumkronen, lagen sie. Die Füchse, den nahen Stall witternd, griffen unaufgefordert noch stärker aus. Klara schmiegte sich, ohne ein Wort 76 zu sagen, dichter an Erich an. Ein Gefühl wohligen Glückes bemächtigte sich seiner. Da vor ihm die Heimat, und hier eine, die ihn liebte. Die Dunkelheit benutzend beugte er sich zu ihr hinab und küßte sie.

Schon leuchtete aus den Katen hie und da ein Lichtchen. Der melancholische Ton einer Ziehharmonika zitterte durch den Abend. Und nun stieg die massige Form des Herrenhauses vor ihnen auf. Im Eßzimmer war Licht.

»Mamachen wartet mit dem Abendbrot auf uns,« sagte Klara.

Dann fuhr der Wagen in schlankem Trabe vor; man war zu Haus.

 


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