Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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XXXIV.

Die Manöver des Gardekorps hatten in der Gegend begonnen. Auch Grabenhagen bekam seine Einquartierung. Das war eine anstrengende Zeit für Hausherr und Hausfrau.

Erich von Kriebow wußte es ja nur zu gut von seiner Dienstzeit her, wie angenehm es empfunden wird, wenn man im Manöver ein gutes Bett, nettes Zimmer, 567 wohlgepflegte Küche und gutversorgten Keller vorfindet. Er wußte aber auch, wie schwer zufrieden zu stellen oft der Soldat ist; was hatte er selbst räsoniert über mangelhafte Verpflegung! – Er tat sein möglichstes; es wäre ihm doch auch zu peinlich gewesen, wenn sein Haus schlecht bestanden hätte vor den Gästen, unter denen er manchen persönlichen Freund besaß.

An den Hauptschlachttagen legte er Uniform an und ritt mit hinaus. Er hatte die Freude, sein Regiment einige Attacken reiten zu sehen. Beim großen Biwak suchte er seine alte Schwadron auf und verteilte Wein und Zigarren.

An einem Rasttage veranstaltete der Hetzklub ein Rennen. Kriebow setzte sich dazu auch noch mal in den Rennsattel. Aber er merkte, daß die Zigeunerin, die ihn mehr als einmal durchs Ziel getragen hatte, inzwischen doch etwas steif geworden war, und da ihn das brave Pferd dauerte, stoppte er nach tausend Metern ab.

In Groß-Podar lag eine große Anzahl Offiziere einquartiert, unter ihnen auch ein wirklicher Prinz.

Kommerzienrat von Katzenberg plante zu Ehren seines Gastes ein großartiges Manöverfest zu geben. Der Ball sollte am Sonntagabend vor dem Rückmarsch der Truppen stattfinden. Wieder war Mira Pantin diejenige, welche auf Wunsch des Kommerzienrats das Arrangement des Ganzen zu übernehmen hatte. Sie wohnte seit Beginn des Manövers in Groß-Podar und sorgte für Unterhaltung der Gäste.

Seit einiger Zeit hatte sich in den Anschauungen der Nachbarn ein Umschwung vollzogen; die Stimmung war den Katzenbergs nicht mehr so günstig wie vordem. Der Prunk, den der Besitzer von Groß-Podar bei 568 jeder Gelegenheit entwickelte, fing an, die Leute zu verdrießen; man fühlte in der Nähe dieses Geldmannes die Leere des eigenen Beutels doppelt unangenehm. Dazu kam, daß die Freundschaft zwischen dem Landrat und Mira Pantin anfing, Verdacht zu erregen. Anfangs hatte man die Protektion, welche Mira dem jungen Menschen angedeihen ließ, für den Deckmantel angesehen, unter dem Kari und John ein Paar werden sollten; aber jetzt, wo der Landrat sich schon längst nicht mehr ernsthaft um Kari kümmerte, wurde die wahre Gestalt dieses Verhältnisses mehr und mehr offenkundig. Und Mira nährte diese Stimmung noch durch ihr herausforderndes Auftreten. Mehr noch als durch ihre Koketterie machte sie böses Blut durch ihr schnodderiges Mundwerk. Neulich hatte sie sich über die Toiletten einiger würdiger Damen in unverblümter Weise aufgehalten; das war kolportiert worden und an das Ohr der Verhöhnten gedrungen. Man sagte: sie habe gut reden; ihren Toilettenaufwand bestreite wahrscheinlich der Kommerzienrat für die Dienste, die sie ihm als dame d'honneur leiste.

Man entrüstete sich ernsthaft. Die Katzenbergs hätten den Luxus und das Protzentum eingeführt, hieß es, und Mira verdürbe die Moral. Der alte gute, solide Ton der Gegend sei gefährdet. Die Mütter erklärten, ihre Töchter nicht mehr nach Groß-Podar gehen zu lassen, des schlechten Beispiels wegen, das sie dort sähen.

Der Kommerzienrat begriff nicht, warum er Absage auf Absage erhielt. Die Nachbarschaft konnte sich doch wirklich nicht über ihn beklagen! Es war alles geschehen, es den Leuten angenehm zu machen in Groß-Podar; er hatte sich's doch bedeutende Summen kosten lassen, den Gästen zuliebe.

569 Er sprach mit Mira Pantin, ließ ihr Vorwürfe hören darüber, daß ihn die Damen der Nachbarschaft im Stiche ließen, machte sie verantwortlich dafür, wenn aus dem Feste nichts würde.

Mira lehnte jede Verantwortung ab; sie erklärte: »Ich habe Ihnen das gleich gesagt, mein Lieber, hauen Sie nicht so auf, damit ärgern Sie die Leute bloß! Das ist doch ganz klar! Warum müssen Sie denn den Mitmenschen immerwährend Ihren Mammon unter die Nase reiben? – Das hat unsere braven Krautjunker verletzt, und nun bleiben sie Ihnen weg, wie Röhrwasser, grade wo Sie sie brauchen.«

Immer neue Absagen liefen ein; der Grabenhäger sagte ab für sich und seine Frau, ohne überhaupt einen Entschuldigungsgrund anzuführen. Kammerherr von Witzing mit Frau und Töchtern sagte ab, ebenso der Purgaster Merrwitz. Der Ernsthöfer Tichow nahm nur für seine Person an. Der Kommandeur der Dragoner entschuldigte seine Damen mit einem ganz nichtigen Grunde. Es wurde immer ärger; nun fingen natürlich auch die anderen Regimentsdamen an zu streiken.

Des Kommerzienrats Laune verschlechterte sich mit jeder neu einlaufenden Post. Die Sache war so schön erdacht gewesen: Man hatte der Nachbarschaft gegenüber mit dem prinzlichen Gast prunken wollen, und wiederum der Hoheit hatte man zeigen wollen, daß man die erste Violine spiele in der Gegend. Welche Blamage, wo man Ball angesagt hatte, kam nicht ein Dutzend tanzende Damen zusammen! –

Es wurde Familienrat gehalten. Frau von Katzenberg, die von vornherein nicht für dieses Fest gewesen war, wünschte, daß der Ball abgesagt werden sollte. Aber sie wurde überstimmt von Mann und Kindern. 570 Den gewichtigsten Grund für das Abhalten des Festes wußten die Töchter anzuführen: Sie waren von dem Prinzen bereits je zu einem Tanze engagiert worden. Das war doch unmöglich rückgängig zu machen! Nie in ihrem Leben hatten diese Mädchen noch mit einem Prinzen von Geblüt getanzt; sollte ihnen das so hart an der Nase vorbeigehen? –

Der Kommerzienrat hatte einen Gedanken: wenn er nun seine eigene Freundschaft einlud! Er besaß ja Beziehungen zurhaute finance, Bank- und Handelswelt aller größeren Städte. Wenn man an diese Freunde schrieb, ihnen vorstellte, um was es sich handle, so konnte man sicher sein, am Balltage keinen Damenmangel zu haben.

Gegen diesen Plan seines Vaters war der Landrat. Dadurch würde man erst recht die Nachbarschaft vor den Kopf stoßen, meinte er, und außerdem wisse man nicht, ob es dem Prinzen zusagen werde, mit Damen aus dieser Gesellschaftssphäre zu tanzen.

Guter Rat war also teuer! In dieser Verlegenheit war Mira Pantin die Retterin. Sie erklärte, daß sie es auf sich nehmen wolle, passende Tänzerinnen zusammenzutrommeln.

Mira besaß in ihrer Verwandtschaft mehr als eine Familie mit reichem Töchtersegen. Bisher hatte sie sich nicht allzuviel um die armen Verwandten gekümmert; jetzt schrieb sie an die Mütter, stellte ihnen mit der ihr eigenen Offenherzigkeit dar: welche Gelegenheit hier für die Mädels sei, wertvolle Bekanntschaften zu machen, bot ihre eigene Garderobe an zur Aushilfe, falls die Cousinen keine »Fähnchen« haben sollten – kurz, suchte es ihnen so mundgerecht wie möglich zu machen.

Damit nicht genug; sie fuhr zur Kreisstadt, suchte 571 ihre Schwägerin Frau von Rentell auf. Wanda wußte gar nicht, wie ihr geschah, als Mira sie mit Liebenswürdigkeit geradezu überschüttete; sie, die gewöhnt war, von der Schwägerin mißhandelt und verhöhnt zu werden. Der Grund für Miras Benehmen war der: Wanda sollte die Damen des Regiments bestimmen, doch noch an dem Ball in Groß-Podar teilzunehmen. Die gutmütige Wanda war bald überredet und versprach, alles was sie könne zu tun, um Miras Wunsch zu erfüllen.

Mira ging noch weiter; es war ihr eingefallen, daß ihre Busenfreundin Paulette in gar nicht so großer Entfernung im Seebade sich aufhalte. Paulette war Strohwitwe; der Oberregierungsrat, ihr Mann, weilte zur Erholung seiner Nerven in der Schweiz. Mira überraschte die Freundin mit ihrem Besuche. Sie fand Graf Ingelsbrunn bei ihr. Mira war nicht so altmodisch, darüber Verwunderung an den Tag zu legen; sie hatte im stillen schon angenommen, daß Paulette nicht ohne Grund ein so entlegenes und wenig fashionables Bad zum Aufenthalt gewählt habe.

Paulette, welche der Freundin unter vier Augen gestand, daß das Leben in diesem Fischerdorfe trotz Ingelbrunns Anwesenheit doch manchmal seine Längen habe, war sofort bereit zu kommen. Dann schrieb man einen Brief an die dritte im Bunde, die Gräfin, welche mit ihrem jugendlichen Gatten in einem anderen bekannteren Bade der Küste weilte. Die Gräfin wurde ebenfalls zum Ball eingeladen. Man versprach sich einen Hauptjux von dem gemeinsamen Auftreten.

Nach dieser Rundreise kehrte Mira nach Groß-Podar zurück. Sie sprach dem Kommerzienrat, der die Laune völlig zu verlieren drohte, Mut ein. Sein 572 Ball sollte, der streikenden Nachbarschaft zum Tort, erst recht lustig werden.

* * *

Es war ein drückend schwüler Tag gewesen. Im Westen drohte den ganzen Nachmittag über eine Wetterwand, die sich nicht entschließen zu können schien, vom Platze zu rücken. Gegen abend plötzlich machte sich ein Wind auf, der mächtige Wolken von Staub vor sich her trieb. Hellgraue Schleier jagten am Himmel hin, dann kam es dunkelschwarz herauf; unter Donner und Blitz ging ein wolkenbruchartiger Regen nieder.

Nachdem Erich von Kriebow, wie er es als sorgsamer Hausvater bei nahendem Gewitter zu tun gewohnt war, sich persönlich überzeugt hatte, daß alle Fenster vom Dach bis hinab zum Erdgeschoß gut verschlossen seien, und daß nicht unnötiges Feuer und Licht gebrannt werde, begab er sich zu Klara, die sich in ihrem Zimmer aufhielt. Der Regen schmetterte auf dem Dach und stürzte in breiten Streifen vor den Fenstern herunter. Die Landschaft lag unter grellen Blitzen bis weit hinaus in schwefelgelber Beleuchtung, und in der Nähe glaubte man jedes Blatt am Baume zählen zu können.

»Katzenbergs haben entschiedenes Pech!« meinte Kriebow. »Nun verdirbt ihnen auch noch der Himmel ihre Tanzerei. Gott sei Dank, daß wir nicht dort sind! Hier ist es doch netter, nicht Klärchen?«

Klara nickte ihm beistimmend zu, schmiegte sich an ihn und blickte mit verlorenen Augen hinaus in den Tumult.

»In den Park können sie gar nicht gehen bei der Nässe«, fuhr er fort, »und ihre großartige Terrasse nutzt 573 ihnen auch nichts. Es soll wieder Feuerwerk geben, wie ich höre. Die Initialen des Prinzen werden am Himmel erscheinen und noch mehr solcher Humbug! Ist dem Kommerzienrat gesund, daß der Himmel da ein Wort dreinredet.«

In diesem Augenblicke ertönte die Hausglocke.

»Wer kommt denn bei dem Wetter?« rief Kriebow und lief ans Fenster, konnte aber nichts erkennen.

Bald darauf erschien Kruke. Er meldete: eine Dame sei unten, die mit der gnädigen Frau sprechen wolle. –

»Wer ist es denn?« fragte Kriebow.

»Sie will ihren Namen nicht nennen,« erwiderte der alte Diener. »Ich habe sie aber unter dem Tuche erkannt; es ist Fräulein von Pantin aus Langendamm.«

»Kari!« riefen Erich und Klara gleichzeitig.

»Da muß ein Unglück geschehen sein, Klärchen. Sie waren jedenfalls auf der Fahrt nach Groß-Podar.«

Kriebow hatte sich erhoben und wollte hinauseilen, aber Klara hielt ihn auf.

»Nein, nein, Erich! Laß mir das!«

»Ich will sie ja nur fragen, was passiert ist!«

»Nein, laß sie! Kari will zu mir. Kann mir's schon denken. – Das arme, arme Ding! Ich werde sie in ein Fremdenzimmer nehmen. Tu mir die Liebe, komm nicht mit! Sie will allein sein mit mir.«

Kriebow fügte sich kopfschüttelnd dem Wunsche seiner Frau. Rätselhaft blieb Karis Auftreten zu dieser Tageszeit und bei solchem Wetter. Aber Klärchen schien irgendeinen Zusammenhang zu ahnen. Nun, mit der Zeit würde man auch darüber Aufklärung erhalten. –

Das Gewitter hatte seinen Höhepunkt erreicht und verzog sich ebenso schnell, wie es heraufgekommen war. 574 Kriebow öffnete die Fenster weit. Ein würziger Duft von erfrischtem Blätterwerk und Gras drang herein. Gott sei Dank, es hatte wenigstens nicht geschloßt oder gehagelt; um die Zuckerrüben war ihm bange gewesen.

Nach Verlauf von etwa einer halben Stunde kam Klara zu Erich zurück.

»Nun, bitte, sage mir um alles in der Welt, was ist los?« rief er ihr entgegen.

»Wie ich gefürchtet hatte. Es hat einen Auftritt gegeben in Langendamm. Sie sollte nach Groß-Podar zum Ball und wollte nicht. Der Vater hat versucht, sie zu zwingen, und da ist sie ihm davongelaufen.«

»Von Langendamm zu Fuß hierher? Das sind fünf viertel Stunden, und durch das Gewitter! Sie muß verrückt geworden sein! Weshalb wollte sie denn nicht zum Ball? Sonst sind doch die Mädels da nicht so! –«

»Das möchte ich dir nicht sagen, guter Erich! – Kari hat recht getan. Ich bin glücklich, daß sie zu mir gekommen ist.«

»Aber, was willst du denn mit ihr anfangen?«

»Vorläufig habe ich ihr Kleider gegeben, sie hat sich umgezogen. Zugestoßen ist ihr Gott sei Dank nichts! Nur verwirrt und geängstigt ist das unglückliche Wesen. Ich wollte dich bitten, Erich, daß ich bei ihr schlafen darf.«

Ihm wollte das nicht in den Kopf. Was hatte man für eine Verpflichtung, dem fremden Mädchen Obdach zu gewähren. Außerdem würde ihr Vater nicht wissen, wo sie sei.

Der habe sie ja durch seine Roheit zum Äußersten getrieben! warf Klara ein.

»Sie scheint aber auch närrisch zu sein! Was will sie hier mitten in der Nacht bei uns? Jedenfalls 575 wünsche ich keinen Krakeel mit Malte deshalb. Ich werde anspannen lassen und sie selbst nach Langendamm zurückbringen.«

Er wollte nach Kruke klingeln, um das Anspannen zu bestellen, da fiel ihm Klara in den Arm. »Laß, Erich! Ich möchte sie hier behalten. Wir können ihr das nicht antun, sie jetzt zurückzuschicken. Er will – der Vater verlangt von ihr . . . . Es ist wirklich zu schwer, das zu sagen!« –

»Ich weiß ja längst! Malte will Kari an John Katzenberg verkuppeln. Traurig genug! Aber er hat das als Vater allein zu verantworten. Wir haben uns da nicht einzumischen. Und du vor allem hast gar keinen Beruf dazu, Klara! Ich kenne dich gar nicht wieder! Ich verstehe dich nicht, daß du dich in fremde Händel einmischen willst. Um solche Sachen hast du dich doch noch nie gekümmert bisher.«

Klara sah, sie mußte ihm nun doch sagen, worüber sie so gern geschwiegen hätte: ihr und Karis gemeinsames Erlebnis neulich Nacht im Parke von Groß-Podar.

Denn darin lag ja die Erklärung, warum Kari um keinen Preis der Welt wieder mit Mira und John in Berührung kommen wollte. Scham über das Entdeckte, Ekel, Scheu und Furcht, Empörung und Schmerz, eine völlige Verwirrung ihrer Gefühle und dazu die Notwendigkeit, ihrem Vater gegenüber schweigen zu müssen; alles das vereinigt, hatte das junge Mädchen getrieben, Zuflucht bei der einzigen Person zu suchen, die bisher Verständnis und ein gütiges Herz für ihr Elend gehabt hatte: bei Klara.

Sollte man solches Vertrauen zurückweisen? – Das Kind schutzlos einem Vater überlassen, der sich eben noch in sinnloser Wut an ihr hatte vergreifen wollen! – 576 Was Erich sagte: man habe nicht das Recht, sich hier einzumischen, war nicht richtig. Er wußte eben nicht, was vorausgegangen war. Nun mußte er's doch erfahren.

Es kostete Klara schwere Überwindung, davon zu sprechen; handelte es sich doch um die tiefste Schmach einer Frau! – Nur ganz hastig sagte sie so viel, als nötig war, damit er verstehe. Und als es heraus war, ging sie schnell von ihm, um weiteren Fragen darüber aus dem Wege zu gehen. Sie kehrte zu Kari zurück.

Kriebow war betreten. Darauf allerdings hatte er sich nicht vorbereitet. So war es also doch wahr, was man ja längst hätte vermuten können, woran zu glauben sich aber in ihm etwas immer noch heftig gesträubt hatte: Mira hatte sich an John Katzenberg weggeworfen! –

Eine besonders peinliche Seite hatte das eben Erfahrene für ihn: Die Pantins waren seine Freunde, Ulrich sein ehemaliger Kamerad und Intimus. Durfte man es mit ansehen, wie sie in doppelter Weise von diesem John Katzenberg an der Nase herumgeführt und hintergangen wurden? –

Jemand mußte ihnen doch die Augen öffnen! Der Zustand, wie er jetzt bestand, kompromittierte den Stand. Freilich war es kein angenehmes Geschäft, den Angeber zu spielen. Aber man war das sich selbst und seinen Freunden schuldig, hier nicht untätiger Mitwisser zu bleiben.

* * *

Am nächsten Morgen fuhr Kriebow nach Langendamm. Auf halbem Wege begegnete er Major von Pantin, der ihm schon von weitem vom Wagen aus zurief: »Ist meine Tochter bei Ihnen?«

»Jawohl, Herr Major, ganz wohlbehalten,« 577 erwiderte Kriebow. »Und meine Frau läßt sehr bitten, daß Sie sie uns noch ein wenig dalassen.«

Malte hielt an und stieg ab. »Sie ist bei Ihnen? – Gut, gut! Behalten Sie sie, solange wie Sie wollen, meinetwegen ganz. Dumme Gans, das Mädel! Hat mir gestern abend eine Szene gemacht; wollte nicht nach Groß-Podar. Und dann war sie auf einmal weg bei dem Wetter. Kein Mensch wußte, wohin. Was solche Frauenzimmer sich manchmal in den Kopf setzen! Ich habe den Leuten gesagt: Keine Angst! Sie wird schon zurückkommen. Aber, wissen Sie, man ängstigt sich doch. Habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Alles wegen des dummen Mädels! Noch nicht einmal gefrühstückt. Mir ist scheußlich zumute. Kommen Sie mit rein nach Langendamm, wir wollen einen Kognak nehmen.«

Kriebow sah sich Malte an; er machte in der Tat einen übernächtigen Eindruck und sah gealtert aus. Die Sorge um die Tochter hatte ihn doch wohl mehr herumgerissen, als er sich's anmerken lassen wollte.

»Hol der Teufel die Gänse mit ihrer Zimperlichkeit, man wird nie klug aus ihnen! Tolle Idee das: so mir nichts dir nichts von Langendamm nach Grabenhagen zu laufen, nicht wahr?« sagte Major von Pantin, sondierend. Er hatte offenbar in dieser Sache kein reines Gewissen, machte sich im geheimen Vorwürfe wegen seines Auftretens gegen die Tochter. »Hat sie denn etwas zu Ihrer Frau Gemahlin gesagt? Habe sie nämlich ein bißchen angeschnauzt; aber es war nicht der Rede wert. Ihre Frau muß sich doch sehr gewundert haben, was?«

»Wir waren allerdings etwas überrascht, Herr Major! Bei dem Wetter erwartete man keinen Besuch. 578 Aber schließlich hat sich meine Frau sehr gefreut, denn sie hat Ihr Fräulein Tochter so gern.«

Major von Pantin war auf seinen Wagen gestiegen, und Kriebow nahm neben ihm Platz. Sie fuhren auf Langendamm zu.

Erich von Kriebow überlegte. Sollte er jetzt bereits dem Alten alles sagen? – Auch das von Mira und John Katzenberg? – Das würde seine Schwierigkeiten gehabt haben, denn der Kutscher saß dicht hinter ihnen, und sich mit Malte im Flüsterton unterhalten, war unmöglich. Außerdem dauerte ihn der Mann aufrichtig. Es war wirklich keine Kleinigkeit, einem Menschen so etwas zu versetzen, noch dazu auf den nüchternen Magen. Er wollte doch noch warten.

Am Wege sah man eine Gruppe Weiber in den Rüben arbeiten. Das gab Kriebow Gelegenheit, zu fragen: Ob der Major zufrieden sei mit dem Stand der Rüben und welchen Zuckergehalt er erwarte.

»Lassen Sie mich in Frieden!« brummte Malte ärgerlich. »Ich will nichts hören von all dem Quark!«

»Nanu, Herr Major? Sie versprachen sich doch so viel vom Rübenbau!«

»Hol der Teufel überhaupt alles! Die Landwirtschaft und das übrige. Mir ist's egal! Wissen Sie, wie das ist, Kriebow, wenn man sein ganzes Vermögen auf eine Nummer gesetzt hat. Ich hab's schon mal so gemacht früher, mit den Karten. Damals handelte sich's darum, ob ich in Europa bleiben könne. Und ich gewann den großen Schlag. Diesmal aber ist die Sache schief gegangen; nun bleibt mir nichts mehr übrig, als mir eine Kugel vor den Kopf zu schießen.«

Kriebow nahm das mit der »Kugel vor den Kopf schießen« nicht allzu ernst; er entsann sich, diese Wendung 579 schon öfters von Malte vernommen zu haben. Er versuchte zuzureden. Es werde schon besser werden! Ebensogut, wie er in seiner Jugend Glück gehabt, könne es auch jetzt wieder kommen.

»Bis vor kurzem hatte ich auch noch Hoffnung,« sagte Major von Pantin. »Aber nun ist's aus, rein aus! Seit mir Kari diesen Streich gespielt hat, habe ich keine Chance mehr. Warum soll ich denn jetzt noch ein Geheimnis daraus machen, die Menschen wissen's ja doch wahrscheinlich längst. Wenn Kari den Landrat geheiratet hätte, dann hätte noch alles gut werden können; aber so! – Nun wird der alte Katzenberg den Teufel tun und noch einen Finger rühren für uns. Kündigen wird er, und dann bin ich Halali.« –

Kriebow war etwas betreten, als er dieses Geständnis aus Maltes Munde mit anhören mußte. Sagen darauf konnte man eigentlich nicht gut etwas.

»Ich sah sie schon im Geiste als Landrätin,« fuhr Malte fort. »Wenn man nur wüßte, was mir da dazwischen gekommen ist! Früher hat er ihr auch in allem Ernst die Cour geschnitten, und sie schien ihn gern zu haben. Alles ging glatt! Was ist denn nun auf einmal passiert! Hat Kari Ihrer Frau Gemahlin darüber vielleicht Eröffnungen gemacht? Wenn Sie etwas wissen, Kriebow, dann verlange ich, daß Sie es mir sagen.«

Nun war für Kriebow die Zeit zum Sprechen gekommen. Er schlug vor, abzusteigen. Das geschah. Der Langendammer Hof war in Sehweite. Man schickte den Wagen dorthin voraus und folgte zu Fuß nach.

Kriebow sagte nicht, durch wen er erfahren habe, was neulich bei dem Sommerfeste im Park von Groß-Podar beobachtet worden war. Er wollte nicht Klaras 580 Namen mit der Geschichte, auch nur als Zeugin, in Verbindung gebracht wissen. Er begnügte sich anzudeuten, daß er persönlich für die Wahrheit dessen, was er berichtet, einstehe.

Maltes Gesicht war blaurot geworden. »Verfluchte Kanaille!« knurrte er zwischen den Zähnen. »Gewittert hatte ich schon was von diesem Verhältnis; aber ich dachte nicht, daß sie so unvorsichtig sein würden. Diese Mira hat den Teufel im Leibe! Ulrich war ein Esel, sie zu nehmen! Nichts als Not hat man von ihr gehabt. Sie hat meinen Jungen ruiniert, und sie hat mich ruiniert. Was habe ich nach Berlin schicken müssen alljährlich, nur für das Frauenzimmer! – Wenigstens für klug hatte ich sie gehalten bisher. Sie war ja diejenige, welche die ganze Geschichte mit den Katzenbergs entriert hat. Sie hat den Kommerzienrat entdeckt, sie hat es ausgeheckt, daß er Groß-Podar kaufen müsse, sie hat den John herangezogen. – Das ist alles ihr Werk gewesen. Ich habe erst nicht ran gewollt. Den Teufel auch, es ging mir gegen den Strich! Recht wohl ist mir bei der ganzen Chose nie geworden. Aber wenn einem das Messer an der Kehle sitzt! Sie können das nicht wissen, mein guter Kriebow, wie einem zumute ist, wenn man fürchten muß, daß die Gläubiger nicht länger stunden. Da greift man schließlich nach jedem Brett, um sich nur über Wasser zu halten. Und Mira wußte mir das alles so schön mundgerecht zu machen. Wir verschafften dem Kommerzienrat Groß-Podar, wir machten den Kleinen zum Landrat. Und das ist nun der Dank! Der Kerl ist ein Lump, ein Hallunke, ein Schuft, soweit er warm ist! Er hat mich betrogen, ich habe geglaubt, er komme aus Interesse für meine Tochter so oft nach 581 Langendamm, wie er noch Assessor war. Nun hat er mir das Mädel an der Nase herumgeführt. Und jetzt entehrt er mir mein Haus! Aber er soll mir vor die Pistole. Wollen Sie es übernehmen, Kriebow, ihm meine Forderung zu überbringen?«

»Gestatten Sie, Herr Major, nach meiner Ansicht wäre es in erster Linie Sache Ihres Sohnes, den Herrn zur Rechenschaft zu ziehen.«

»Miras wegen; da haben Sie recht! Und wenn Ulrich ins Gras beißen sollte, ich – die ganze Familie; bis ihn der Rasen deckt, den schlechten, infamen Hund!«

Seit einiger Zeit schon hatten die beiden hinter sich Wagengerassel gehört; jetzt kam es so nahe, daß sie beiseite traten.

Es waren die Schimmel des Landrats; auf dem Bocke saß John Katzenberg, neben ihm Ulrich Pantin.

Der Landrat parierte kurz vor den beiden Herren. »Wo ist denn Kari?« rief Ulrich. Er war in Uniform mit Lackschuhen; der Landrat trug auch noch die weiße Kravatte; beide, wie sie vom Balle kamen.

»Warum waren Sie denn nicht auf unserem Feste, Herr Major?« sagte John Katzenberg, Zigarrenspitze im Munde, durch die Zähne. »Sie haben uns sehr gefehlt. Wir kommen eben, uns zu erkundigen, ob Ihrem Fräulein Tochter etwas zugestoßen ist?«

»Wo bist du denn nur geblieben?« fragte Ulrich seinen Vater. »Was macht ihr denn für Geschichten? So ohne jede Entschuldigung wegzubleiben!«

Malte antwortete seinem Sohne nicht, er blickte starr und steif auf den Landrat; Kriebow sah etwas in dem Auge des Alten funkeln und die Adern an seinen Schläfen anschwellen.

»Der Ball war riesig nett, Herr Major.« rief 582 John Katzenberg. »Frau Mira hatte uns in zwölfter Stunde noch einen Schub Damen versorgt. Kolossal getanzt ist worden, bis um fünf Uhr früh. Wir kommen, wie wir sind, frisch vom Kehraus, und wollten den Kaffee bei Ihnen in Langendamm trinken.«

»Herr von Katzenberg!« sagte Malte, dicht an den Wagen herantretend; seine Stimme vibrierte: »Für Ihren Besuch muß ich danken! – Das weitere werden Sie noch heute zu hören bekommen. Ulrich, du bleibst bei uns!«

John Katzenberg saß auf seinem Bocke, Zügel und Peitsche in der Hand, und musterte mit einem seiner schnellen Blicke die Gesichter von Malte und Kriebow. Er begriff sofort.

Aus den Mienen der beiden sah er, daß es diesmal ernst sei. Er wurde blaß. Dann gab er seinem Gesicht einen verächtlichen Ausdruck, indem er sagte: »Ich bleibe bis gegen Mittag in Groß-Podar, meine Herren! Von da ab bin ich in der Stadt zu treffen, falls man etwas von mir begehrt.«

»Ulrich, willst du nicht absteigen?« rief Kriebow seinem Freunde zu, der noch immer neben Katzenberg saß.

»Wenn ich hier umdrehen soll, möchte ich aber doch die Herren bitten, eine Wenigkeit beiseite zu treten,« sagte Landrat von Katzenberg mit absichtlicher Nachlässigkeit, in näselndem Tone. Dann ließ er die Pferde antreten und wendete mit vollendeter Sicherheit auf dem schmalen Wege um.

»Empfehle mich, meine Herren! Sehe dem Weiteren entgegen!« Damit senkte er die Peitsche zum Gruß und fuhr in schlankem Trabe davon.

»Was bedeutet das?« rief Ulrich.

583 »Mein armer Kerl! Das wirft du jetzt von uns erfahren,« erwiderte ihm Kriebow.

 


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