Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Heilige Allianz

Die erste Heilige Allianz ist nach dem Ende der Befreiungskriege unter dem Protektorat des russischen Zaren geschlossen worden und hat dreiunddreißig Jahre gedauert. Die zweite Heilige Allianz wurde im Oktober 1930 zwischen dem Kanzler Brüning und den Sozialdemokraten geschlossen, und sie wird vielleicht keine dreiunddreißig Tage mehr dauern. Die erste Heilige Allianz zeichnete sich durch Demagogenverfolgungen, Zensur und Polizeimaßnahmen aus. Ihre kleinere Nachfolgerin hat nicht geringern Eifer aber viel weniger Macht, und deshalb verursachen ihre Zeitungsverbote mehr Ärger als Schrecken. Verboten wurde die ›Rote Fahne‹, weil sie eine tätliche Attacke auf den Genossen Z. allzu schwungvoll gefeiert hatte. Verboten wurde der ›Angriff‹, weil er die ›Rote Fahne‹ allzu dilettantisch kopiert hatte. Verboten wurde der ›Nationale Sozialist‹, weil er den verurteilten Bombenverschwörern seine Sympathie allzu warm ausgesprochen hatte. Das Verbot der ›Roten Fahne‹ ist eine völlig unnütze Herausforderung der Arbeiterschaft und ein untauglicher Rettungsversuch an einem Manne, mit dem sich die Partei nicht mehr wichtig machen sollte. Das Verbot des ›Angriffs‹ soll nicht kritisiert werden, denn bei Goebbels, wo man zu dumm und zu unfähig ist, selbst etwas zu erfinden, schmarotzt man von wirkungsvollen Parolen andrer; es ist nur billig, daß das Radaublatt auch einmal die Unannehmlichkeiten solcher Plagiate zu spüren bekommt. Das Verbot des Wochenblattes der nationalsozialistischen Sezession kann dagegen nur Kopfschütteln erregen. Anstatt Zwiespalte unter den gemeinsamen Gegnern zu fördern, erdrosselt die Republik den Schwächern und befreit Hitler von einem höchst ungemütlichen Widersacher. Bismarck gebraucht in seinen Erinnerungen bekanntlich das Wort von den »ehrlichen aber ungeschickten« preußischen Gendarmen. Die preußische Polizei ist seitdem noch viel ehrlicher, aber leider nicht auch geschickter geworden.

Für alles das trägt nicht der Reichskanzler Brüning sondern die rote preußische Regierung die Verantwortung. Der Kanzler hat bisher nicht ein einziges bindendes innenpolitisches Wort gefunden, nicht ein Fünkchen Polemik nach rechts gesprüht. Mit Thüringen darf sich der Kollege Wirth herumschlagen; Brüning bleibt neutral. Und wenn sich Wirth einmal verhaspelt und stolpert, wird Brüning auch neutral bleiben. Die Sozialdemokratie darf sich im Kampfe gegen Nationalsozialisten und Kommunisten verbrauchen. Den Reichstag beruft Herr Brüning ein, indem er ihm zugleich Pensum und Schlußtermin ankündigt, und der Reichstag ist dankbar, wenn ihm nur das nackte Leben gegönnt wird. Dieser Kanzler versteht es meisterhaft, jeden dazu anzuhalten, ihm Verantwortung abzunehmen. Er allein wird munter sein, wenn alle röcheln. Wie lange wird die Sozialdemokratie sich zu diesen Vorspanndiensten mißbrauchen lassen? Die letzten Gemeindewahlen zeigten deutlich, daß sie nicht mehr sicher wie einst dasteht. Ihr packt man ohne Gegenleistung Bürden auf, die zu tragen sie nicht nötig hat. Nirgends findet sie die geringste Konzession. Die Nazis haben es sich in Thüringen und Braunschweig bequem gemacht, Sachsen wird ihnen bald zufallen. Keine Reichsautorität tritt ihren offenen Gesetzlosigkeiten und ihrer stillen Unterminierung der Staatsapparate entgegen. Der Arbeiterschaft wird der Lohn gedrückt, der Popanz der Preissenkung dagegen so aufgemacht, als kämen jetzt goldene Zeiten. Die Sozialdemokratie leidet und wird siech unter der Zentnerlast, die ihr der Kanzler auferlegt hat. Es ist wie eine Fascination. Man fragt sich, wie es möglich war, daß ein Mann von Sinzheimers Qualität diesen Schiedsspruch im Metallarbeiterkonflikt unterschreiben konnte. Warum ist er nicht ausgesprungen? Warum hat er Partei und Gewerkschaften so schrecklich bloßgestellt? Um den Fascismus zu verhindern, legt man sich auf eine Methode fest, die ihn nur umso sicherer herbeiführt. Die Sozialdemokratie wagt nicht, die einmal betretenen Gleise zu verlassen. Die Führer pochen auf die Praxis und daß es bis jetzt immer gut gegangen ist. Sie speisen mit Tradition ab, wo nur eine kühne, aus dem Gewohnten fallende Tat retten kann. Die Partei verdirbt nicht an ihren Lastern sondern an ihrer Normalität.

*

Die Heilige Allianz aber hat für das darbende Volk nicht nur so grobe materielle Genüsse wie die Preissenkung, sie bietet auch was fürs Herz. Auch das nationale Gefühl verdient seinen Sonntagsbraten. Die deutsche Presse, ziemlich ohne Ausnahme, versucht es ihren Lesern so darzustellen, als zerbräche sich die ganze Welt den Kopf über die Revision der Friedensverträge. Man liebt die Friedensverträge nirgends sehr, aber niemand denkt auch ernstlich an ihre Veränderung. Der deutsche Stammtisch hält sich wieder für den Mittelpunkt des Universums.

Nun ist es endlich gelungen, einen ruhigen und gar nicht abenteuersüchtigen Mann, den Außenminister Curtius, in die Kampagne einzuschieben. Wenn man unbeeinflußt von allen Kommentaren die Reichsratrede des Herrn Curtius durchliest, wird man sie absolut inhaltlos und ohne feste Formulierungen finden. Sie ist ganz und gar nichtssagend in allem, was geschehen soll, selbst ihre Polemik gegen den französischen Ministerpräsidenten ist so zurückhaltend und in allem Wichtigen so abstrakt, daß sie nur eben und eben noch die Schlagzeile rechtfertigt: »Curtius antwortet Tardieu.« Erst durch Aufmachung und Begleitmusik wird diese Rede zu einem Stück der Revisionskampagne. Herr Curtius beherrscht Stresemanns Überlieferung zu gut, um in der Windjacke aufzutreten, aber was rund um ihn und mit ihm gemacht wird, entspricht seiner reservierten Haltung nicht.

Die am 14. September geschlagenen Parteien haben sich in ein sehr gefährliches Spiel gewagt. Sie wollen zeigen, daß sie sich von den Nationalsozialisten im furor teutonicus nicht übertreffen lassen, daß sie trotz besserer Einsicht und besserer politischer Erziehung dieselben außenpolitischen Dummheiten machen können wie Adolf Hitler. Das ist eine schlechte Kalkulation. Denn draußen sieht man nicht nur diesen Furor sondern auch seine Mutter: die bleiche Angst, und findet es nicht gut, ein Geschäft mit Leuten zu machen, deren außenpolitische Aktivität nur aus innenpolitischer Hilflosigkeit und Verlegenheit rührt. Ganz abzulehnen aber ist der Versuch mancher sonst vernünftiger Republikaner, jetzt an die französische Adresse Mahnungen dieser Art zu richten: »Wenn ihr nicht abrüstet und überhaupt nicht an die Revision der Verträge denkt, dann wird der deutsche Fascismus nicht mehr zu bändigen sein und über euch herfallen.« Diese Warnungen verfehlen ihren Zweck, weil der deutsche Fascismus gar nicht die Absicht hat, über die Franzosen herzufallen sondern zunächst über Leute, die ihm näherstehen. Es macht keinen Eindruck, mit dem eignen Erpresser, den man nicht loswerden kann, andern zu drohen. Die deutsche Außenpolitik schliddert wieder einer katastrophalen Niederlage entgegen. Wer feinere Organe hat als ein mecklenburgisches Bullenkalb, das irgendwo im Stahlhelm präsidiert, kann schon heute die Ohrfeige durch den Weltenraum sausen hören, die nächstens auf Deutschland klatschend niederfallen wird. Die letzte Kammerrede Tardieus mit ihrer schnoddrigen Abwiegelung aller deutschen Wünsche gibt einen Vorgeschmack kommender Freuden. Jedes ernste außenpolitische Mißgeschick, ein abgelehntes Moratorium etwa, würde die ärgsten innern politischen Folgen haben und dem Fascismus wahrscheinlich die Tür weit öffnen. Es ist höchste Zeit, daß die Republikaner aufhören, sich das Gesetz ihres Handelns von ihren Todfeinden vorschreiben zu lassen, ebenso wie die Sozialdemokratie endlich den Wert einer Allianz prüfen sollte, in deren Dienst sie die Erde verliert, ohne den Himmel zu gewinnen. Für sie gilt heute der berühmte Alarmruf Roons an Bismarck: Periculum in mora. Dépêchez-vous!

Die Weltbühne, 25. November 1930


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