Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Der lachende Reporter

Unter den großen Reportern unsrer Tage, von denen es übrigens nicht allzu viele gibt, nimmt Albert Londres eine besondre Stellung ein. Er hat nicht nur Wissen, Temperament, Beweglichkeit einzusetzen, sondern auch eine leichte, heitere Seelenhaltung. Ja, seine Reise durch den chinesischen Bürgerkrieg – »La Chine en Folie« – ist ein Humoristikum ersten Ranges. Dazu werden ernste Männer die Köpfe schütteln. Aber dieser Albert Londres ist nicht nur ein rasender, sondern auch ein lachender Reporter. Er hat allen andern Vertretern seines eiligen Gewerbes das große gallische Gelächter voraus, das Gelächter des ›Gargantua‹ und der ›Contes drôlatiques‹, das unbekümmerte fanfarenhelle Lachen. Es gibt heute nicht mehr viele Franzosen, die so lachen können.

Das Lachen dieser Chinareise spielt um viel Zerrüttung und Grauen. Um große und kleine Räuber, um Tschangtsolin und Kulis. Es ist wohl oft nur ein Ausweg, aber es ist tapferer als Klage. Albert Londres kommt nach Shanghai, der Kapitale des internationalen Jobbertums. Diese Stadt entsetzt ihn, aber seine Panik wird zur blendenden satirischen Vision: »Es gibt Städte, wo man Kanonen macht oder Stoffe oder Schinken. In Shanghai macht man Geld. Man sagt nicht: ›Guten Tag, wie geht es Ihnen?‹ sondern ›88,53 – 19,05 – 10,60‹. Um hier Millionär zu werden, braucht man nicht lesen zu können, rechnen genügt.« So geht er durch Shanghai, »diese Stadt von einer chinesischen Mutter und einem anglo-amerikanisch-französisch-germanisch-holländisch-italojapanisch-jüdisch-spanischen Vater«, und wie der Refrain eines verrückten Couplets zum Lobe des Geldes begleitet ihn überall hin der Text der Schilder von Shanghai: »Banco, Banking, Bank, Banque ...«

Albert Londres ist nicht politisch gestimmt. Aber jeder heitere, unabhängige, autoritätenverachtende Mensch ist ein Stück Revolution. Er findet den chinesischen Wirrwarr unendlich grotesk. »China ist Chaplin«, ist seine liebste Formulierung. Er schreibt eine paradoxe Verteidigung zum Preise der Anarchie als des einzigen zusammenhaltenden Elementes, wo alles auseinanderstrebt. Er schildert die lustigsten Kapriolen der Korruption, wenn er den Zorn seiner chinesischen Reisegenossen heraufbeschwört, weil er seine Eisenbahnkarte bezahlt, anstatt dem Kontrolleur einen Dollar in die Hand zu drücken. Aber das Eine sei doch gesagt: so komisch ihm China erscheint, so ernst behandelt er etwaige Analogien in der lieben Heimat. Seine stärkste Leistung ist hier die schwefelfarbene Studie über »Biribi«, die militärischen Strafkolonien in Nordafrika, in dem erschütternden Buche »Dante n'avait rien vu«, eine Reportage in einem Schreckensgelände des Militarismus – dem Herrn Kriegsminister gewidmet. Auch dieser Eulenspiegel unter den Zeitungsmännern trägt manchmal eine Stachelpeitsche, und sein Lachen rebelliert.

Es muß den deutschen Leser nachdenklich stimmen, mit welcher Offenherzigkeit dieser Mitarbeiter gutbürgerlicher pariser Blätter das heilige Geld, die heilige Kirche, den heiligen Staat behandeln darf. Seine Bücher wimmeln von politischen und religiösen Blasphemien. Wird drüben das Talent noch immer als eine überparteiliche Köstlichkeit betrachtet? Man könnte in Deutschland viel von diesem freien, anmutigen Kopfe lernen, dessen Bücher, wie ich höre, bald deutsch erscheinen sollen. Sie könnten alles in allem unsre Zeitungsleser ermuntern, an ihre lieben Journale höhere Ansprüche zu stellen.

Die Weltbühne, 12. Februar 1929


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