Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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»Gebrochene Beine«

Es hat sich etwas Seltsames ereignet in diesen Tagen: Herrn Hugenbergs Renommee hat ernstlich Schaden genommen. Aber nicht die Angriffe von links haben das bewirkt, sondern in des Cheruskers eigner Gefolgschaft ist ganz plötzlich Kritik erwacht und tätig geworden. Die Jugend der Partei sieht plötzlich ihren König ohne Kleider. Am schärfsten kommt das zum Ausdruck in einer Streitschrift des »Jungnationalen Ringes«. Da wird, übrigens mit glänzender Dialektik, dem Vater des Vaterlandes vorgeworfen, seine Propaganda verbreite nur: »Fatalismus und Parteikampf, ein bißchen Revanchegeschrei, im übrigen aber Geschäft und Vergnügen.« Er selbst sei nicht mehr als ein verspäteter Vorkriegs-Nationalliberaler, der die Macht des Geldes überschätze. Die jungen Leute sehen also ihren Häuptling ohne Bärenfell, und sie finden ihn genau so plutokratisch wie die von ihnen gehaßte Hochfinanz. Die Jugend aller unsrer politischen Parteien fühlt antikapitalistisch, das ist ein Signum unsrer Zeit. Auch die Jugend, die im Schatten jener Industriedemagogie aufwächst, welche sich anmaßt, alleinseligmachende nationale Programme zu vertreten, macht davon keine Ausnahme. Herr Hugenberg wollte den Nationalismus als Opiat gegen klassenkämpferische Ideologien benutzen. Bunt und wahllos hat seine Agitation Anhänger aus allen Schichten erfaßt, und nun, wo diese Heerschar zum erstenmal geschlossen agieren soll, wird sie skeptisch und meutert. Klassen kann man nicht dauernd betrügen, sagt Karl Marx.

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Herrn Hugenbergs Entlarvung durch die Seinen wäre eine einzigartige Gelegenheit für die Linke, sich nach vielen Niederlagen und Versagern endlich zu rehabilitieren. Dazu müßte allerdings die Regierung das Zeichen geben. Es geht zwar eine Sintflut von Demagogie übers Land, und die Ereignisse sind fast noch turbulenter als die Menschen. Doch die Regierung hüllt sich in entschlossenes Schweigen. Daß Stresemann heute für eine große Campagne zur Verteidigung seiner Politik im Haag nicht mehr über die nötige Spannkraft verfügt, ist doch für die andern Herrn kein Grund, so radikal zu feiern. Nur Herr Curtius hat sich zu einer unsagbar lahmen Rundfunkrede aufgeschwungen. Indessen fraternisiert Herr Scholz ganz offen mit den Deutschnationalen, und Herr Kaas tut, wenn auch weniger laut, das Gleiche. Doch die Regierung erklärt sich neutral, indem sie sich auf die schlechte Gesundheit einzelner Minister beruft. Auch das englische Labourkabinett ist opportunistisch genug und außerdem auch von der Unterstützung der andern Parteien abhängig. Aber welche Haltung zeigen die einzelnen Minister, wieviel Tätigkeit entfaltet die Regierung, wieviel faktische Verantwortung legt sie ihren Gegnern auf, wie kostspielig macht sie für Konservative wie Liberale das Gelüste, sie zu stürzen! Anno 1794 nannte man in Paris jene Politiker, die vor ein paar Jahren noch zu den Bewegungsmännern gezählt wurden, dann aber im Laufe einer rapiden Entwicklung ruhmlos im Nachtrab der Gemäßigten verblieben waren, die »gebrochenen Beine«. Stresemann, Wirth, Severing, Hilferding – ja sogar Hilferding! – haben einmal ihre sozusagen heroische Epoche gehabt. Warum wird nicht wenigstens Joseph Wirth, ein Mann von beträchtlichen propagandistischen Fähigkeiten, als Redner durchs Land geschickt? Aber dazu müßte doch ein Beschluß gefaßt werden. Ein Beschluß – wo denken Sie hin? Frühzeitige Invaliden, gebrochene Beine.

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Oder liegt die Tatenlosigkeit der Regierung daran, daß sie riskiert, alles kaputt zu machen, wenn sie sich nur um Fußbreite bewegt? Die sozialistischen Minister haben so wenig Autorität, daß es der Deutschen Volkspartei mühelos gelungen ist, die sogenannte Reform der Arbeitlosenversicherung zur pièce de résistance zu machen. Das ist in Wahrheit ein großer Erfolg von Hugenbergs Attacken gegen die »Soziallasten«. Sein Volksbegehren mag eine Niete werden, aber hier hat er viel glücklicher operiert und den überwiegenden Teil der Unternehmerschaft für sich. Der Druck der Sozialreaktion ist heute stärker als jemals. Die Mittelparteien sind schon lange windelweich, und der Widerstand der Sozialdemokratie ist allzu passiv im Verhältnis zu der Aggressivität der Angreifer. Dabei hat die Partei hier eine letzte günstige Chance, jene Koalition zu verlassen, in der sie sich eine Niederlage nach der andern geholt hat. Sind denn die Beine der Herren Minister schon so arg lädiert, daß ihnen der Rückzug selbst auf Krücken nicht mehr gelingt? Das mag gewiß kein sehr glorreicher Anblick sein, aber an diese Regierung stellt sowieso kein Mensch ästhetische Anforderungen. Und außerdem ist es noch immer besser, rechtzeitig fortzuhumpeln als von den Andern hinausgeworfen zu werden.

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Aber etwas ist doch geschehen: die Herrn Doktor Stresemann unterstehende ›Nationalliberale Correspondenz‹ hat Herrn Klönne, einen deutschnationalen Abgeordneten, überführt, mit dem Erbfeind Bündnisverhandlungen gepflogen zu haben. Besonders ist es Herrn Klönne um eine militärische Allianz mit den Siegern der Marneschlacht zu tun gewesen, denn in der Schwerindustrie, aus der jener Friedensbote kommt, kann man sich angenehme Beziehungen zu einem Nachbarstaat nicht anders vorstellen als in der Form eines Kriegsbündnisses. Die Enthüllung ist recht pikant, aber einen schweren Volltreffer bedeutet sie nicht. Denn Herr Klönne besonders gehört zu jenen Industriellen, die sich von Herrn Arnold Rechberg fascinieren ließen, der solche Ideen seit Jahren vertritt. Und damit rückt die Sache auch aus der deutschnationalen Politik in eine ganz andre Sphäre. Denn das Militärbündnis mit Frankreich – die Spitze natürlich gegen Rußland und den Bolschewismus gerichtet – ist auch der Löwengedanke des Herrn Arthur Mahraun und seines Jungdeutschen Ordens. Die Aspirationen des Herrn Hochmeisters aber gehen nach der Linken. Hat er nicht kürzlich erst mit der Demopartei öffentlich Beilager gefeiert? Und ist er nicht überhaupt der militanteste Anhänger von Stresemanns Politik? Beteiligt an den Verhandlungen war auch der Generalleutnant a.D. von Lippe, der früher zu den Beratern des Jungdo gehörte, jetzt allerdings dem Stahlhelm nahestehen soll. Man fragt sich, wer diese Sensation angedreht haben mag. Denn die Bombe fällt mitten in die besondere Schutztruppe des Herrn Außenministers. Wir haben ähnliches schon häufiger erlebt. Jedesmal nämlich, wenn man sich links sagt: So, jetzt wollen wir mal eben so niederträchtig sein wie der ›Lokalanzeiger›! dann gibt es einen gehörigen Blindgänger.

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Viel interessanter als die Sache mit Herrn Klönne ist dagegen die Entdeckung, daß einige Zivilangestellte der Reichswehr Beziehungen zu den holsteinischen Bombenzüchtern hatten und Herr General von Hammerstein-Equord, einer der Granden der Bendler-Straße, bedenkliche Briefe empfing, die an die Polizei weiterzugeben er keine Veranlassung sah. Der Herr General ist noch verreist; es ist nicht zu zweifeln, daß er nach seiner Rückkehr die notwendigen befriedigenden Erklärungen abgeben wird. Auch Jeschke, der mit Weschke korrespondierte, steht heute schon so gut wie gereinigt da. Ein Mißgriff wars, nicht mehr. Mißgriffe dieser Art sind seit zehn Jahren das Charakteristikum der Reichswehr. Man spricht nicht mehr so viel von der Reichswehr, gewiß, aber sie ist noch da. Die von Groener mit Dampfdruck betriebene Republikanisierung hat die früher dreist zur Schau gestellte Mißachtung der Republik beseitigt, dafür aber ist die Wehrmacht auch schweigsamer, abgeschlossener geworden als früher. Herr von Seeckt ist pensioniert. Sein Sphinxlächeln ist geblieben.

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Wir wissen noch immer nicht viel von der Vorbereitung der Bombenattentate und den wirklichen Hintermännern. Aber ohne Weschkes Mappe wüßten wir noch viel weniger. A propos, wüßten wir dasselbe auch, wenn diese interessante Mappe anstatt den Kommunisten etwa der Polizei in die Hände gefallen wäre –? Wüßten wir dann auch von Jeschkes Mißgriff und dem Briefschreiber des Generals von Hammerstein? Herr Weschke, der seine Geheimnisse mit in die Kneipe schleppt, ist ganz gewiß ein ähnlich gemütlicher Komplotteur wie sein Kamerad Nickels, der mit seiner Höllenmaschine durch die Tanzdielen der Reeperbahn zog. Es ist ein Terror, der durch Talentlosigkeit versöhnliche Züge empfängt. Es bleibt überhaupt das beruhigende Gefühl, daß die Verschwörer nicht um einen Deut begabter und intelligenter sind als die Repräsentanten der Ordnung, die sie in die Luft sprengen wollen. Damit nähern wir uns aber auch dem Geheimnis der Dauerhaftigkeit dieser Republik der gebrochenen Beine, der ihr gutes Glück immer Feinde schenkt, die auch nicht viel besser zu Fuß sind.

Die Weltbühne, 24. September 1929


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