Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Der Demo-Krach

Die Demopartei, die eigentliche deutsche Würdepartei, die ewig gekränkte Gouvernante unter Kindlein, die nicht wissen, was sich schickt, befindet sich in einem höchst unwürdigen Derangement. Masse ist schon lange nicht mehr vorhanden, und die wenigen noch treu Verbliebenen sollen jetzt von den Honoratioren an irgend eine andre Partei verhandelt werden, damit sich die Herren Führer Mandat, Stellung, Einfluß sichern. Es ist eine selten jämmerliche Auflösung. Der bisherige rechte Flügel will entweder Vereinigung mit der Deutschen Volkspartei oder die neue »staatsbürgerliche Partei der Mitte« von Koch bis zu Treviranus. Der linke Flügel, soweit er sich um Ernst Lemmer gruppiert, will eine neue Sammlung unter lebhaft betonten sozialrepublikanischen Tendenzen, soweit er zu dem Hamburger Erich Lüth hält, radikalistische Wiedergeburt links von der Sozialdemokratie. Nur die bisherige Demopartei will keiner mehr.

Schadenfreude ist nicht grade produktiv. Sie kann indessen dem geduldigen kritischen Beobachter des innern Lebens unsrer Parteien, wenigstens für einen flüchtigen Augenblick, nicht verwehrt werden. Die lieben Demokraten haben sich immer durch besondere Hochnäsigkeit ausgezeichnet. Sie rechneten immer nur mit »realen Tatsachen«, sie glaubten immer nur an »die Macht«. Sie fragten immer nur: »was steht hinter der Sache? welche Bank? welche Organisation?« Keine Partei ist frei davon, aber keine hat auch so gründlich das wirkliche Sein über dem äußern Habitus vergessen. So hörte die Partei, die immer darauf aus war, neue »Tatsachen« zu entdecken und sie immer dort fand, wo eine möglichst protzige Couverture war, schließlich selbst auf, Tatsache zu sein. Zurück bleibt eine schlotternde Hülle, deren sich die Beteiligten schämen. Aus den feinen Herren sind über Nacht arme Supplikanten geworden, die mit Anbiederungsbriefen und lächerlichen Projekten als politische Verkehrshindernisse vor den Türen aller Parteien herumlungern.

Das ist ein klägliches Schauspiel, von dem sich indessen die Haltung der Zentrale kraftvoll abhebt. Während die Partei kaum noch als existent zu betrachten ist, entsendet die Zentrale noch immer ihre gutgeölten Blitze, kanzelt die Sektionen ab, die nicht an das Kabinett Brüning und nicht an die Schielezölle glauben und tut überhaupt so, als hörte noch jemand auf sie. Herr Tantzen hat allerdings etwas götzisch derb die Tür hinter sich zugeschlagen. Aber die parteiamtliche Kundgebung, die hinterher donnerte, hatte es auch in sich. So viel Vitalität hat die Partei in den Glanztagen ihrer leiblichen Fülle nicht aufgebracht, wie jetzt, wo sich das letzte bißchen Fett schon lange in Angstschweiß aufgelöst hat. Soviel Energie hat die Partei niemals für Werbung aufgebracht, wie jetzt für einen Hinauswurf. Herr Tantzen ist immer ein aufrechter Kerl gewesen, ein anständiger Demokrat. Aber die Partei, die Geßler und Külz und Müller-Meiningen und Hustaedt beschirmt hat, trennt sich leicht von guten Demokraten.

Wir wollen nicht ungerecht sein: auch links von den Demokraten ist ja nicht eitel Tugend. Haben die Demokraten die Republik um Geßler und Dietrich bereichert, so haben die Sozialisten Noske und manchen Andern beigesteuert. Und auch eine Gestalt wie der Genosse Z. ist nur als sozialdemokratischer Edelwuchs zu denken. Wer diesen ruhigen 1. Mai in Berlin miterlebt hat, kann erst ermessen, was dieser polizeiwidrige Polizeipräsident im vorigen Jahre angerichtet hat, als er die traditionellen öffentlichen Umzüge verbot. Die Behauptung, daß diesmal die Beteiligung bei den sozialdemokratischen Umzügen geringer war als sonst, hat zwar viel Wahrscheinlichkeit für sich, läßt sich aber nur schwer kontrollieren, und wenn man die letzten großen Betriebswahlen als Gradmesser für die gegenwärtige Stimmung der Arbeiterschaft nimmt, so muß man sagen, daß die Stunde, wo die Sozialdemokratie zur Rechenschaft gezogen wird, noch nicht da ist. Prinzipienverrat und Charakterlosigkeiten werden bei uns nur als läßliche Sünden betrachtet. Die Demopartei hat davon nicht mehr auf dem Pelz als die andern republikanischen Parteien auch. Trotzdem muß sie mit dem Leben büßen.

Es ist eine unsinnige Behauptung, daß für eine liberal-demokratische Partei in Deutschland kein Raum wäre. Eine Partei, die unrevolutionär ist aber nicht zukunftsfeindlich, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, die Menschenrechte gegen die Übermacht von Staat und Wirtschaft zu verteidigen, die in den Wahlkampf geht mit einem Programm zeitgemäßer Justizreform, wird sicher keine Riesenerfolge erzielen, aber ihr Dasein anständig behaupten können und ins Gewicht fallen. Wenn auch die ständische Gliederung heute fortschreitet, so ist doch noch keine Partei einheitlich in ihrer sozialen und gedanklichen Struktur. Es besteht noch immer Sehnsucht nach einer reinen Humanitätspartei. Die Demokraten glaubten dem genüge getan zu haben, wenn sie das Kulturgewäsch der Heuß und Bäumer servierten oder die gebildeten Tiraden des Professors Hellpach, der als Redner und Publizist gradezu wie eine gottgewollte Fleischwerdung aller gegen die Intellektuellen in der Politik erhobenen Einwände wirkt. Was den Demokraten jedoch mehr Abbruch getan hat als ihre greifbarsten politischen Verstöße, das ist ihre trostlose Langweiligkeit, ihre aschgraue Temperamentlosigkeit. Dieses Spreizen und Zieren, dieses ewige Hofmeistern, dieses naseweise Besserwissen um die Bedürfnisse andrer, das kann auf die Dauer kein Mensch vertragen. Jede Partei ist auf Ministersitze happig und verbirgt das nicht. Die Demokraten jedoch hatten die Spezialität herausgebildet, so zu tun, als ob das ein schreckliches Martyrium wäre, das sie zögernd und nur »im Bewußtsein tiefsten staatspolitischen Verantwortungsgefühls« auf sich nehmen könnten, während jedermann wußte, daß die Herren stets bereit waren, für ein Ministerportefeuille auf dem Bauch durch die Bannmeile zu rutschen. Eine Partei, die volkstümlich bleiben will, kann sich manche Faxen gestatten, aber sie darf nicht immer sauer blicken, sich nicht immer so gebärden, als wäre sie ein kostbares Geschenk, das die Nation eigentlich gar nicht verdient.

Als es dann seit 1924 bergab ging, da begann sich der närrische Glaube der Partei an das, was sie Realität nennt, zu rächen. Es wurde nicht die Frage aufgeworfen, inwieweit Erhebung aus eigner Kraft möglich sei, sondern welche neue Konstellation eigne Anstrengungen erübrige. Man wollte irgendwo unterkriechen, weil man sich scheute, klein aber tapfer zu sein. Diese Selbstaufgabe setzte mit dem Gerede um die liberale Einigung ein, das ins Leere verpuffte. Dann kam die komische Verbrüderung zwischen Citoyen Erich Koch und dem Kreuz- und Querritter Artur Mahraun und seinen Jungdeutschen. Jetzt ist man glücklich bei der großen Olla podrida angelangt, der »staatsbürgerlichen Partei der Mitte«, wo konservativ und liberal zu einem seltsamen Brei zusammengekocht werden soll. Kurzum, es ist ein Schauspiel trostloser Promiskuität, wenig schicklich für eine so würdevolle Tante, doppelt blamabel, weil sich jeder der Angesprochenen bedankt. Es ist möglich, daß bei dem Zusammenbruch der Demopartei ein Teil der Regierung Brüning auf den Kopf fällt und sie kaputt schlägt. Bei der winzigen Mehrheit, mit der Herr Brüning seine parlamentarischen Siege zu erkämpfen pflegt, könnte aber der Abfall von sechs demokratischen Deputierten leicht verhängnisvoll werden. Das wäre zwar für die Demokraten auch kein Sterben in Schönheit aber wenigstens ein nützlicher Dienst für die Überlebenden.

Die Weltbühne, 6. Mai 1930


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