Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Bronnen-Premiere

»Wenn der Präsident des Strafvollzugsamts für Berlin und Brandenburg ein Drama ›Amnestie‹ verfaßt, so erhebt sich die folgende Frage: Darf der Träger eines hohen Amtes sich in kritische Distanz zu seiner Funktion setzen?«

Der diese besorgte Frage erhebt, ist nicht etwa ein jüngerer Regierungsrat aus dem Strafvollzugsamt, dem seine Vorgesetzten allzu langsam der Altersgrenze entgegenschreiten und der an einen ihm bekannten Abgeordneten einen kleinen Brief schreibt, um den Schneckengang der Natur durch die Mobilmachung einer höhern Gewalt zu beleben, es ist Herr Arnolt Bronnen, der damit seinen Einzug in die Leitartikelspalte des Lokalanzeigers feiert.

Dies Debüt ist als Charakterleistung fragwürdig, aber in seiner gelassenen, leicht ironischen Zweckbewußtheit ein journalistisches Meisterstück. Herr Bronnen eröffnet die erste Spalte, Herr Hussong auf seinem gewohnten Platz erscheint daneben wie ein klebriger Pathetiker, der in ehrlicher Ergriffenheit seinen Part herunterdeklamiert.

Die Wirkung Bronnens beruht auf einem ungemein geschickten dialektischen Kniff. Das Publikum von Finkelnburgs Drama in der Volksbühne wird vielleicht sagen: »Sehr schön, Herr Geheimrat, aber hoffentlich vergißt der hohe Beamte nicht, was der Dichter verkündete.« Auch Herr Bronnen erhebt die Frage, ob zwischen dem Beamten und dem Dramatiker Finkelnburg eine Distanz besteht, und er bezweifelt diese Distanz. Das Ergebnis aber ist nicht, wie zu erwarten wäre, ein freundliches Wort für eine notable Amtsperson, die keinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis kennt, sondern die kühle Konstatierung, daß Herr Finkelnburg damit gegen seine Beamtenpflichten verstößt und zu verschwinden hat.

»Die Gesamtheit erwartet nicht«, schreibt Herr Bronnen, »daß Herr Finkelnburg alle Insassen seiner Kerker für Schurken halte ... Sie erwartet keinerlei Unfairheit von ihm gegen wehrlos gemachte Leute. Dagegen erwartet sie, daß der Herr Präsident des Strafvollzugsamts die erkannten Strafen, seinem Amte getreu, vollziehe.« Was wird der Leser des ›Lokalanzeigers‹ aus dieser elegant hingeworfenen Verdächtigung folgern? Daß der Präsident des Strafvollzugsamts ein pflichtvergessener Chef ist. Daß unter seinem Regime die Schwerverbrecher abends mit den Wärtern pokern. Daß sie zum Frühstück Schinken und Eier bekommen. Daß sie ihre Freundinnen auf der Pritsche abfertigen. Daß sie Sonntagsurlaub ins Nimmerwiedersehen erhalten. Herr Bronnen hat eine leichte Hand. Er braucht nur ein paar Stichworte hinzuwerfen, die sich zur Not auch anders interpretieren lassen, aber sie genügen, um die Phantasie einer hinreichend präparierten Leserschaft anzuregen.

Die Herrschaften mögen sich beruhigen. Die Herrn Finkelnburg unterstehenden Gefängnisse sind weder Luxushotels noch Lupanare. Der Präsident des Strafvollzugsamts ist ein durch und durch humaner Mann, der unter den engen Grenzen seines Amts sehr leidet und nach besten Kräften zu helfen und zu bessern sucht. Wenn einmal – und wie ich hoffe, recht bald – das Abonnement des ›Lokalanzeigers‹ mit hohen Freiheitsstrafen geahndet wird – dann werden die Betroffenen auch zu schätzen lernen, daß ihr oberster Vogt menschlichen Wallungen zugänglich ist, für die Individualität der Gefangenen Verständnis hat und nicht einmal daran denkt, die grausame Strafe des Dunkelarrestes durch die noch viel grausamere der zwangsweisen Lektüre von Bronnens Büchern zu ersetzen.

Die Weltbühne. 4. Februar 1930


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