Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Brüning darf nicht bleiben

Jene Sorte Politiker, die sich damit brüstet, immer nur mit den sogenannten Realitäten zu rechnen, hat eine fürchterliche Schlappe erlitten. Während die Blätter der Mittelparteien sich aufgeregt darüber unterhielten, wer wohl besser abschneiden würde, Koch oder Scholz, hat der Fascismus das Rennen gemacht. Die bürgerlichen Parteien, vom Zentrum abgesehen, das sogar aufgeholt hat, sind kaum mehr existent. Sie müssen Neuwahlen wie das höllische Feuer fürchten und schon deshalb für ein möglichst langes Regiment ex lex sein, das ihnen die Verantwortung abnimmt und die Abrechnung hinausschiebt. Der vielgeschmähte Hugenberg hat sich als der bessere Stratege erwiesen. Er hat rechtzeitig erkannt, daß bei einer Wahl, in der jäh proletarisierte Schichten, Millionen sozial Absinkender den Ausschlag geben, eine kapitalistische Partei, die von dem Segen des Eigentums und von den Vorzügen eines kräftigen und gut verdauenden Unternehmertums faselt, nicht prosperieren kann. So stellte sich Hugenberg hinter die Kulisse des Fascismus, und dieser Fascismus hat gesiegt. Wobei nicht zu vergessen ist, daß über dem italienischen Fascismus die Adler Roms rauschen und daß Mussolini einen höchst gebildeten Despoten abgibt, der Marx, Bakunin und Georges Sorel in sich aufgenommen hat, während Herr Goebbeles, unser Duce in spe, nur ein schmächtiges Moseskind ist, das Adolf Hitler im Schilf gefunden und mit den literarischen Delirien Artur Dinters großgezogen hat.

Bedeutet dieser Sieg schon den Auftakt fascistischer Diktatur? Wenn Hitler Putsch gewollt hat, dann hätte er in der Wahlnacht losschlagen müssen. Die Straßen Berlins gehörten den Nazis. Überall dröhnte das stupide »Deutschland erwache!« In den Redaktionen der großen Presse kursierten Umsturzgerüchte. Der Marsch auf Berlin ist da! Plötzlich wird die Verläßlichkeit der preußischen Polizei, der Reichswehr bezweifelt. Hat man nicht für beide die Hände ins Feuer gelegt? Jetzt, beim ersten blinden Alarm, gilt das alles nicht mehr. Jetzt erzählt man angstbebend von einer Fühlungnahme zwischen Hitler und hohen Kommendeuren. Jetzt erzählt man, das R.W.M. habe seine Neutralität zugesagt.

Während so gräßliche Geschichten umlaufen, feiern die Sieger im Sportpalast. Das Übermaß des Erfolgs hat sie überrumpelt. Sie torkeln in seliger Besoffenheit. Walhall öffnet sich den Helden. Das Methorn geht um, die Midgardschlange liegt erschlagen, und man verspeist sie in Senfsauce. Diese Nacht gehört uns!

Auch noch der nächste Tag? Hitler strebt schon lange sehnlichst nach der Legalität. Nicht aus dem Verjüngungsbad der nationalen Revolution, aus ganz gewöhnlichen Ministerportefeuilles wird das Dritte Reich steigen. Es muß dahingestellt bleiben, ob es Hitler gelingen wird, seine Gardekapitäne, die den Endsieg schon zum Greifen nahe sehen, zu einem gemächlichem Tempo zu bewegen. Das ist der Fluch dieser in allem Sachlichen ganz nebelhaften Bewegung, daß sie zwar das Maul aufreißen aber nichts unternehmen darf, was ihre großindustriellen Konnexionen trüben könnte. Die Fraktion hat für die Reichstagseröffnung sozialradikale Demonstrativanträge vorbereitet, die so formuliert sein sollen, daß auch Kommunisten und Sozialisten sich ihnen nicht entziehen können. Wahrscheinlich ist allerdings, daß auch die Kommunisten solche Anträge stellen werden, die ihre Weisheit allerdings nicht aus Gottfried Feders Wirtschaftskabbala holen, sondern sich schroff und ohne Fisimatenten gegen die Industrie richten und damit die der Nazis gleich erheblich überrunden. Außerdem dürfte auch Hugenbergs Einfluß im Reichstag größer sein als im Wahlkampf, wo der Herr Geheimrat oft nur wie eine Geisel für das Wohlverhalten seiner Partei wirkte. Soweit es den Kapitalismus angeht, wird er schon für Ordnung sorgen, und die frischgebackenen Nazitribunen werden bald den vollen Ernst des Lebens kennen lernen und Augen machen wie ein ahnungsloses Stiftsfräulein, das durch einen unheimlichen Zufall ins falsche Hotel geraten ist. Doch von dem, was im Fraktionssaal vor sich geht, wird die Wählermasse zunächst nichts erfahren. Und das Ergebnis des 14. September ist ganz unzweideutig: außerhalb der beiden sozialistischen Linksparteien haben noch auf der extremen Rechten sechs Millionen antikapitalistisch gestimmt. Dieser Reichstag hat eine antikapitalistische Mehrheit. An dieser Tatsache können auch die Koalitionstechniker nicht vorübergehen, die eine arbeitsfähige Reichsregierung zu errechnen versuchen.

Es ist recht ungewiß, ob die Große Koalition zustande kommen wird, und dies Ziel ist auch nicht wünschenswert, wenn die Diskussion darüber so wie jetzt weitergeht. Die Mittelparteien fühlen sich schon wieder wichtig, und die Sozialdemokratie biedert sich schon wieder an, anstatt zu fordern. Der gute, alte ›Vorwärts‹ zählt schon wieder die Reize seiner Partei auf und stellt dabei deren liebenswürdige Bescheidenheit als ersten Posten heraus, anstatt den gepantschten Bürgerparteien ein paar pädagogische Maulschellen zu verabfolgen, die das Begreifen beschleunigen. Die Sozialdemokratie hat 1918 das Bürgertum aus dem Wasser geholt und nur Undank dafür geerntet. Diesmal wenigstens muß sie den Bürgerlichen deutlich machen, daß es nicht ratsam ist, frech zu werden, während man noch im Rettungsgürtel zappelt. Die Partei kommt auch nicht ohne Blessuren aus dem Wahlkampf. Sie hat von den Millionen Neuwählern nichts profitiert, sogar zehn Mandate verloren. Die radikalisierte Arbeiterschaft ist zu den Kommunisten übergegangen, und von bürgerlicher Seite ist kein Zuzug mehr zu erwarten. Ob die Sozialdemokratie in Opposition bleibt oder in die Regierung geht, ihr neuer Haltepunkt muß ein paar Schritte weiter links sein. Ihr vornehmster Ehrgeiz darf hinfort nicht mehr darauf gerichtet sein, von der Schwerindustrie als brauchbar und koalitionswürdig anerkannt zu werden. Ihre aktuelle Aufgabe ist die Wiederherstellung einer wenigstens operativen Einheit der deutschen Arbeiterklasse. Der Akkord wird ganz gewiß nicht dort erfolgen, wo die heutige Kommunistenpartei steht. Aber die Superintendenten aus der Lindenstraße irren sich ganz gewaltig, wenn sie glauben, daß der Wollsack, auf dem die Partei jahrelang geschlafen hat, von der Arbeiterschaft jemals als Sammelplatz neuer Einigung hingenommen werden wird.

Vor allem sollte aber die Sozialdemokratie die Zumutung ablehnen, mit Herrn Brüning zusammenzusetzen. Der Reichskanzler ist der Urheber und Manager dieses unseligen Wahlkampfes, er ist verantwortlich für dieses Resultat. Brüning ist der Schuldige. Er hat verfassungswidrig den Reichstag aufgelöst, und er hat den Wahlkampf ausschließlich gegen links geführt. Er hat die Sammlung des Bürgertums proklamiert und die Sozialdemokratie als staatsfeindlich stigmatisiert, vom Rechtsradikalismus und seinen Drohungen dagegen kaum Notiz genommen. Er hat nach den Sozialisten Vitriol gespritzt; Hugenberg und seinen Verbündeten aber nur sanften Spott gesagt. Er hat weder Treviranus desavouiert, der von vornherein die Diktatur als Ziel aufstellte, noch den Jesuitenpater Muckermann, der in der ›Germania‹ prophezeite, daß dies »der letzte Reichstag der Weimarer Zeit« sein werde. Das hieß ganz unmißverständlich: wenn diese Wahlen nicht das von Herrn Brüning gewünschte Ergebnis bringen, dann wird weiter mit Artikel 48 regiert. Kampf also gegen Sozialisten und Republikaner, dafür aber tolerante Behandlung der Nationalsozialisten, die zwar knotig und schwer disziplinierbar sind, aber doch eine gute Reservetruppe des Bürgerblocks abgeben können. Diese Kalkulation ist erbärmlich zusammengekracht. Niemals ist ein Staatsmann von den Ereignissen ärger Lügen gestraft worden. Herrn Brünings Bürgertum, das zu sammeln war, hat sich als nicht vorhanden erwiesen. Seine konservative Ideologie hat keinen Hund vom Ofen fortgelockt, sein Appell, eine Mehrheit für eine streng kapitalistische und sozialreaktionäre Regierung zu schaffen, ist ungehört verhallt. Statt dessen hat er den Fascismus groß gemacht.

Das alles ist dem Herrn Reichskanzler auch von linksbürgerlicher Seite gesagt worden, aber es ist merkwürdig, welch großes Vertrauen man ihm dort trotz alledem noch entgegenbringt. Man glaubt dort noch immer an seine Fähigkeit, mit den Nationalsozialisten auf trockenem Wege fertig zu werden. Dieses Vertrauen ist nicht sehr ehrenvoll, denn es besagt deutlich, daß man zwar von Herrn Brüning keine schöpferischen staatsmännischen Taten mehr erwartet, desto mehr aber von seiner intriganten Veranlagung. Hofft man auf eine Wiederholung von München Dreiundzwanzig? Hofft man, daß Brünings rot- und schwarzröckige Vorgesetzte, wie damals der Kardinal Faulhaber, die Sache wieder deichseln werden? Hitler ist gewiß kein kühl denkender Politiker sondern ein pathetisches Mondkalb, aber er müßte Ricinus im Kopfe haben, wenn er die Bräuhauskomödie noch einmal aufführen wollte. Herrn Brünings Verschlagenheit alle schuldige Hochachtung, aber sie hat mindestens eine ungeheure Niederlage verschuldet, und wenn die republikanische Tugend schon bereit ist, mit dem Teufel zu paktieren, dann nicht mit einem betrogenen. Lieber eine offene Rechtsregierung als eine Prolongation Brünings. Dieses spitznasige Pergamentgesicht, dieser Pater Filucius mit dem E.K.I am Rosenkranz muß endlich verschwinden. Ein Mann, der nicht widerspricht, wenn sein Leiborgan das »Ende der Weimarer Zeit« verkündet, ist nicht geeignet, in dieser dramatischen Epoche die Verfassung von Weimar zu verteidigen. Er wird vielleicht versuchen, noch eine Zeitlang, auf Herrn von Schleicher gestützt, in der bisherigen Weise fortzufahren. Aber die Hindenburgdiktatur besitzt wenig Autorität mehr, der Name des Reichspräsidenten, von Treviranus durch die Pfützen der Parteiagitation geschleift, zeigt sich nunmehr ramponiert und ohne Zugkraft. Wird Herr Brüning, der Antidemokrat, wenn sein Witz an der Härte der Aufgabe zu zerschellen droht, die angemaßte Gewalt auch wirklich der verfassungsmäßigen Instanz zurückgeben oder nicht vielmehr vor dem Fascismus kapitulieren? Bald wird der Winter mit neuer Arbeitslosigkeit und vermehrtem Elend da sein. Bald wird Herr Dietrich eine neue Kassenkatastrophe des Reichs anzeigen müssen. Es gibt genug Esel, die sich jetzt von einer möglichst strammen Sprache eine Revision des Youngplans versprechen. Welch ein Wahnsinn! Schon heute ist Aristide Briand ein toter Mann, nicht Poincaré und Maginot, Treviranus und Hitler haben ihn erledigt. Das Schlimmste ist wieder möglich – sogar eine Wiederbesetzung der Rheinlande. Alles das kann schon im Laufe der nächsten Wochen akut werden. Dann wird der Fascismus seinen zweiten gewaltigen Auftrieb erhalten, und dann kann Herr Brüning die Schlußworte der Republik sprechen: Kabinett Facta. Dieser Kanzler darf nicht länger bleiben. Er ist gegen die drohenden Gefahren keine schützende Mauer, höchstens die Wand aus dem »Sommernachtstraum«, die sich mitten im Spiel mit einer höflichen Verbeugung entfernt: – Ich, Wand, hab meinen Part tragiert, drum Wand sich jetzt empfiehlt und abmarschiert.

Die Weltbühne, 23. September 1930


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